Dreyssigste Begebenheit.

Ein verzweifleter Mensch wird durch ein Mariä-Bildlein von Einsidlen erhalten, daß ihn der Teufel nicht hat können mit Leib und Seel hinweg führen.

[574] Vor ungefehr 40. Jahren ist ein gewisser, sonst ehrlicher Mann durch allerhand Unglücks-Fäll, vornehmlich aber durch Verfolgung von seinen Feinden vor Gericht, nach und nach um all sein Haab und Gut kommen, welches dann dem armen Mann allgemach so schwehr gefallen, daß er je länger je mehr in Traurigkeit und Kleinmuth, ja endlich gar in die äusserste Verzweiflung gerathen; also daß er dem Teufel etlichemahl (O erschröckliche Sach) geruffen, er solle kommen, und ihn auf der Stell, ohne allen Verzug, hinweg nehmen, und in die Höll hinunter führen. Einsmahls, da er diesem bösen Gast in seinem Zimmer ruffet, klopfet jemand vor der Thür daraussen mit aller Ungestümmigkeit an. Der elende Mensch macht auf, und siehet voraussen stehen einen entsetzlichen schwartzen Mann von ungeheurer Grösse, grün und schwartzlecht bekleydet. Er fragt ihn an, wer er wäre? dieser gibt zur Antwort, er seye derjenige, deme der Haus-Vatter geruffen habe, nemlich der Teufel, was man seiner begehre? Wer sollte da nicht meynen, der verzweiflete Mann wäre ab der Gegenwart dieses höllischen Geists erschrocken? oder hätte wenigst auf etliche Jahr Verzug begehrt? Aber, O Verzweiflung! wie weit bringst du nicht den Menschen, wann er dir nicht gleich Anfangs Widerstand thut! der elende Mensch vor Verzweiflung gantz rasend schreyet auf: Komme herein, besinne dich nicht lang, nehme mich hinweg, und führe mich in die Höll hinunter. Ich kan und mag nicht länger mehr leben: Der höllische Geist fangt an vor der Thür zu brummlen, und mit rauher Stimm sprechend: Was hast du im Zimmer oberhalb der Thür? thue es hinweg, wann du willst, daß ich thue, was du begehrest. Hier ist zu wissen, daß ob der Thür ein nunmehr veraltetes Mariä-Bildlein von Einsidlen gewesen, welches vielleicht dieser Mann, da er noch fromm ware, oder jemand anderer aus dem Haus angeklebet hatte. Was thut nun der verzweiflete Mensch? Hört er nicht, daß dieses Bildlein im Weeg stehet, daß ihn der höllische Geist nicht kan hinweg führen? freylich ja hört ers. Allein er ist von der Verzweiflung gantz eingenommen; also dann nimmt er einen Schemel, steigt hinauf, und bearbeitet sich das Bildlein hinweg zu reissen, kan es aber nicht zuwegen bringen. Indem er dann zum zweyten ja drittenmahl angesetzt (O unerhörte Güte, und Barmhertzigkeit Mariä [575] in Einsidlen!) wirft diese mildreiche Mutter einen gnädigen Anblick in das Hertz dieses verstockten und verzweifleten Sünders, jagt ihm einen heylsamen Schröcken ein, und erleuchtet sein Gemüth dergestalten, daß er seuftzend aufschreyt: JEsus und Maria! was hab ich gethan? bezeichnet sich geschwind mit dem Heil Creutz, schlagt die Thür zu, und wird also von diesem erschröcklichen, wiewohl geladenen Gast erlediget. Bald darauf macht er sich auf den Weeg nacher Einsidlen, legt diese und andere schwehre Sünden durch ein reumüthige Beich, ab, und bittet inständig, daß zu schuldigem Lob und Dancksagung gegen Maria in Einsidlen diese in so äusserster Verzweiflung erzeigte und unerhörte Güte und Barmhertzigkeit allen dahin Willfahrtenden sollte kund gemacht werden. Augustinus tadlmann, Benedictinus, in concione habita pro Festo Dedicat. Angel. in Eremo B.V. 1710. 23. Septemb.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 574-576.
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