Vier und viertzigste Begebenheit.

Einem alten Raths-Herren wird ein artiger Possen gespielet.

[595] Es hatte sich vor Zeiten in Engelland zugetragen, daß etwelche Beutelschneider erdappt worden. Diese wurden dann vor den königlichen Rath, deme dazumahl der berühmte Morus als Reichs-Cantzler vorstunde, gestellt, und scharf examinirt. Allein sie wollten nichts bekennen; und je grösser der Schelm unter ihnen war, für desto unschuldiger wollte er gehalten werden. Neben dem Reichs-Cantzler sasse ein alter Rathsherr, der zu einer jeden Klag, so die Bauren, denen ihre Beutel abgeschnitten worden, wider die Dieb vorbrachten, den Kopf schüttelte, und wider sie zornig heraus brache: was klagt ihr viel, ihr liederliche Gesellen? Ihr seyd selbst schuldig, daß euch die Dieb euere Beutel abgeschnitten. Warum habt ihr sie nicht besser verwahrt, so wurdet ihr euere Beutel sammt dem Geld noch haben. Warum tragt ihr solche offentlich, und laßt sie an einem schwachen Nestel herab hangen, alswann ihr damit prangen wolltet. Ist es ein Kunst solche unter dem Gedräng des Volcks auf dem Marck abzuschneiden? Der Reichs-Cantzler erdachte bey sich selbst: so so, will dieser einen Patronen nicht der beschädigten Bauren, sondern der schelmischen Dieben abgeben? Gut, gut; ich will schon etwas erdencken, daß er anderst wird reden müssen. Stunde also von seinem Sitz auf und sagte zu den Raths-Herren. Verzeyhet mir, meine Herren, daß ich einen Aufbruch mache; dann es fallet mir bey, daß ich zu Haus ein höchst wichtiges Geschäft auszumachen hab. Unterdessen wollen wir die Dieb in die Gefängnus werffen, und bestermassen verwahren, mit nächstem aber wiederum vorkommen lassen, und alsdann sprechen, wie wir sie schuldig werden befunden haben. Kaum ware Morus nach Haus kommen, da liesse er in aller Stille, und daß es niemand mercken konnte, aus der Gefängnus zu sich kommen denjenigen Dieb, aus dessen Angesicht er zuvor abgenommen, daß er der verschlagniste aus allen seyn müsse. Zu diesem sagte er: Hast du gehört, wie gestern jener alte Raths-Herr, so neben mir gesessen, dich und deines gleichen entschuldiget; hingegen wider die Bauren, denen ihr die Säckel abgeschnitten, heraus gefahren ist? Freylich (antwortete der Dieb) hab ichs gehört; darum hab ich dem guten Alten gewunschen, daß er noch viele Jahr in guter Gesundheit möchte leben. Morus fragte weiters: Hast du nicht auch gesehen, wie dieser Alte an einer Schnur einen seidenen Säckel tragt, mit Geld angefüllt? Auch das (antwortete [596] der Dieb) und da hab ich bey mir gedenckt: O daß mir das Glück so günstig wäre, daß ich diesem Alten seinen Säckel abschneiden könnte! er sollte mir drum noch dancken: dann er hätte nicht mehr so schwehr daran zu tragen. Morus fahrt fort, und fragt: getrauest du dir aber diesen Säckel abzuschneiden, daß es der Alte nicht mercken soll? O ja (antwortete der Dieb) wann man mir nur Gelegenheit macht zu ihm zu kommen. Freylich (sagt Morus) ich will dir selbst Gelegenheit darzu machen, es solle dir auch darum nichts geschehen. Als nun auf diese Zusag der Dieb hingangen, wo man ihm die Gelegenheit angewiesen hatte, kame er den anderen Tag wiederum vor Gericht, da das Urtheil wider die Dieb sollte gesprochen werden. Da rufte dieser mit heller Stimm: Herr Cantzler, und ihr Herren Beysitzer, ist es mir nicht erlaubt, einem aus euch heimlich etwas ins Ohr zu sagen, woran viel gelegen ist? Ja freylich (sagte der Cantzler) und zwar wem du willst, du sollest die Wahl haben. Da gienge dann der Dieb zu dem Alten hin, machte tieffe Reverentz, neigte sich zu seinem Haupt, und schwätzte ihm nach der Länge und Breite in das rechte Ohr: wie daß in der Stadt Londen sich aufhalte ein Dieb, der alle andere zum Beutel-Schneiden unterrichte. So, so (sagte der Alte) es ist gut, daß ichs weiß. Allein kennest du diesen, so gut als mich selbsten (antwortet der Dieb) und wann man mich von meinen Banden loß macht, will ich gleich hingehen, ihn aufzusuchen, und hieher zu führen. Was mich anlangt (sagt der Alee) so gehe hin, und stelle uns den Dieb, von dem du redest. Indem nun der Alte dergleichen mit dem Dieb redet, ersihet dieser den Vortheil, und schneidet dem Alten, ohne daß er es in acht genommen, den Seckel ab. Hierauf gabe er dem Canzler ein Zeichen, wie daß der Possen angangen wäre. Da sagte der Cantzler: Ihr Herren, ehe wir auseinander gehen, seyen sie so guthertzig, und spendieren etwas zusammen zu einem Allmosen für die arme Leut, so in der Stadt herum gehen. Dieses gesagt, griffe er zu erst in seinen Seckel, und nach ihm auch die andere, und zoge ein jeder etwas nahmhaftes zum Allmosen heraus. Als aber der Alte auch in seinen Seckel greiffen wollte, da fande er, daß ihm selbiger abgeschnitten wäre. Da sagte er dann: O GOtt, was ist das? So ist mir dann in aller euer Gegenwart mein Seckel abgeschnitten worden? Ey, der Schelm, der Dieb muß hangen, und sollte er 1000. Leben haben. Erzörnet euch nicht also, mein Herr Alter, sagte hierauf der Cantzler. Habt ihr nicht gestern denen Dieben zum Besten; denen Bauren aber zum Nachtheil geredt? Lernet ein andermahl anderst reden. Auf dieses hin befahle der Cantzler dem Dieb, daß er den Beutel dem Alten sollte zuruck geben. Worüber bey allen Anwesenden ein Gelächter entstanden. Ueber des Cantzlers Klugheit aber mußte[597] man sich billich verwunderen. Stapletonus in Vita. c. 13.


Daß man den Leuten zum Besten rede, die aus Schwachheit gesündiget haben, ist nicht unrecht. Daß man aber Leuten die Stange halte, die auf Schelmereyen bedacht seynd, und ihren Nächsten beschädigen, kan niemand gutheissen.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 595-598.
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