Achte Fabel.

Drey ertzfaule Steig-Bettler bekommen ihren verdienten Lohn.

[730] In einer gewissen Stadt hielte man einen Jahr-Marckt: Worauf von allen Orten und Enden (wie es zu geschehen pflegt) unterschiedliche Kaufleut und Fremdling zogen. Neben anderen hatten auch ihr Absicht dahin drey abgeführte, gewixte Steig-Bettler, der gäntzlichen Hofnung, allda einen guten Schnitt zu machen. Einer war blind, der andere krumm, der dritte halb nackend und blos: Unter Weegs machten sie ihre Händel mit einander aus, wie sie eines und das andere angehen wolten. Solchem nach ruckten sie mit ihren Krucken, Karren, und Stühlen fort, und schlugen ihr Lager bey einer Brucken, worüber alle müssen, so auf den Marckt in die Stadt wolten: Deren sie dann wohl keinen unangebettelt vorbey passieren liessen, der ihnen das Bruck-Geld nicht redlich bezahlen müßte, wolte er anderst ihren bissigen Mäuleren und Klemperlein entgehen.


Die Bruck war sehr gefährlich, über einen tiefen reissenden Fluß geschlagen, lang, aber schmal; von denen fürüber Reisenden gantz abgenutzt. Dahero auch viel mit Gutschen und Pferden in Unglück gerathen; je schwerer der Wagen war, je härter kame man hinüber: Weswegen die meiste Roß und Wagen am Gestatt stehen liessen, und zu Fuß mit einem schlechten Räntzlein auf dem Rucken hinüber giengen. Gehling kame ein Sturm-Wind daher, der hebte alle Bretter und Balcken auf; deckte die gantze Brucken ab, und warfe alles, was er darauf antraf, in das Wasser. Es wurde zu lang werden, wann ich alle Unglücks-Fäll, so die Reisende an diesem Ort betroffen, und meisten Theils, wann sie in die Stadt auf den Marckt wolten, erzählen wurde. Komme also wiederum zu unseren drey Bettleren, welche manchen fürüber Reisenden einen Possen rissen; aber letztlich auch wohl seynd ausgezahlt worden.


Unter anderen, so dem Marckt zueilten, ritte auf einem tollen Pferdt samt etlichen Dieneren daher ein dem Ansehen nach reicher Kaufmann, deme auch ein schwer beladener Wagen folgte: War aber in der Sach selbst nur ein Gauckler. Diesen überfielen die drey Bettler mit gesamter Hand; legten ihr elende Waar vor ihm aus: Als Krucken, höltzerne Schüßlen, halbbedeckte Schinbein, und was dergleichen nothhaftes Weesen mehr war, so ja einen Stein zum Mitleiden hätte bewegen sollen. Nichts aber ware über ihre zerlumpte Kleidung, wordurch ihre Armuth und Bloßheit zugleich schiene: Dann man sahe, daß ihre Kittel mit Fleiß also zusammen geflickt waren, damit allzeit ein Fleck neben das Loch komme. In solchem kläglichen Aufzug nun lauften sie gedachtem [731] Gauckler den Weeg ab, und baten mit erbärmlichen Wimßlen und Heulen um ein Allmosen. Der Gauckler merckte bald, wo es diesen Kunden fehle: Nemlich unter denen Achslen, daß sie nicht arbeiten möchten; sprach demnach zu ihnen: Wohlan, wie ich siehe, so seyd ihr 3. saubere Gesellen zusammen, die sich zu todt feyren, und eben so gern arbeiten, als die Katzen Hächlen lecken. Was wollt ihrs lang laugnen? ich kenne die Bettler nur gar zu wohl. So seye es dann hiemit euch versprochen, welcher aus euch drey der fauleste ist, dem will ich ein reichliches Allmosen geben. Wo habt ihr euere Bettel-Brief? lasset sehen, wie lauten sie? das war nun eine seltsame Bedingnuß: Die Bettler sahen einander an und gedachten heimlich: Dieser Herr müsse gewiß eines lustigen Humors seyn, der ihnen so geschwind hinter ihr Sprüng käme; weilen sie aber auch auf Schwänck und Possen gewixt waren, wurden sie bald eins miteinander, und sprach der Krumme an statt der anderen: Gestrenger Herr! wir haben zwar unserer Kunst halber keine Lehr-Brief aufzuweisen; vermeinen auch, wir haben deren nicht nöthig, weil uns ohne das männiglich gern glaubt. Wann es euch derohalben also beliebt, und ihr unsere Mühewaltung mit einem reichlichen Allmosen zu belohnen bedacht seyd, so wollen wir uns gleich mündlich erklären, welcher der fauleste aus uns seye. So sagt dann an, sprach der Gauckler, ihr sollt es zu entgelten haben. Es wollt aber keiner anfangen: Nicht der Blinde, dann, sprach er, es ist unerhört, daß die Blinde voran gehen, wollen also heut keinen neuen Brauch aufbringen. Und es ist gleichfalls unerhört, versetzte der Krumme dargegen, daß die Krumme die erste seyen; ist genug, wann sie allgemach hinten nach hincken. Und der halb Nackende sprach: Die Nackende können sich auch nicht übereilen; dann bis sie ihre Kleider alle zusammen suchen, geht es lang her; doch, wann man es also haben will, so will ich gleich der erste seyn, gewinne ich nichts, so hab ich doch auch nicht viel zu verliehren. So seye es dann hiemit, mein Herr! wann ihr je mein Natur und gute Eigenschaften zu wissen verlangt.


Ich bin so faul, daß, wann ich in dem kältisten Winter den gantzen Tag daraussen im Schnee also blos, wie ich jetzt bin, gehocket wäre, und gewiß wußte, daß ich die Nacht hindurch verfrühren müßte, so wollte ich doch nicht einen Fuß aufheben, in ein warme Stuben zu kriechen, wann ich schon eine haben könte.


Du bist ein fauler Tropf, sprach der Gauckler: Aber was du mein Krummer?


Ihr Gestreng! antwortete der Krumme, jetzt kan der Blinde gehen, weil ihm schon einer ist vorgangen, ich will hernach kommen. Gar gern mein Krummer, sprach der Blinde, folget darum nicht daraus, daß der[732] letzte allzeit der beste seye. Die Tugend haltet das Mittel-Ort, und ist auch meine Tugend in der Faulkeit so groß, daß wann ich 5. Tag lang nichts getruncken hätte, und deswegen vor Durst unaufhörlich nach einem Bronnen rufte; endlich einer sich meiner erbarmete, und mich zu einem Röhr-Bronnen hirführte, das Rohr auch schon in der Hand hätte, also daß es mehr nicht bedärfte, als das Maul aufthun, und trincken; so bin ich doch so faul, daß ich ehender Durststerben, als das Maul nur ein wenig aufthun wollte.


Du bist fürwahr auch ein fauler Gesell, sagte der Gauckler.


Und ich, ihr Gestreng, sprach der Krumme, bin so faul, daß, wann ich in einem Beth läge, und mir von einer zu nächst brinnenden Kertzen ein Funcken auf das Ober-Beth fiele, woraus ein Brunst entstehen, und ich samt dem Beth und gantzen Haus verbrinnen sollte, bin ich doch so faul, daß, ob ich schon mit einem eintzigen Finger den Feuer-Funcken auslöschen könte, ich mich doch so viel nicht bemühen wollte. Ja wann das Feuer allgemach angienge, wollte ich mich erst auf die andere Seiten umkehren; und wann schon alles in vollen Flammen stunde, getrauete ich mir erst recht einzuschlaffen, und mir traumen zu lassen, als lege ich in einem kühlen Thau auf lauter Rosen, und wohlriechenden Blumen.

Ey! du krummer Maus-Kopf, sprach der Gauckler: Hab mein Lebtag gehört, je krümmer, je dümmer: Du hast es gewonnen, deines gleichen ist nicht auf Erden, du kanst mit allen Ratzen und Murmur-Thierlein in die Wette schlaffen: Warfe ihm darauf einen funckel-neuen Thaler hin. Die andere zwey Bettler schryen aber auch, sie hätten etwas verdient, und hielten so lang mit Ungestümme an, bis der Gauckler sich erbitten, und von seinem Wagen eine Truchen eröfnen liesse, daraus er beyden etwas geschenckt: Dem Blinden in einem Lädlein, dem Nackenden in einem Papier eingewicklet, doch mit dem Beding, daß sie es erst eröfnen sollten, wann sie ihn nicht mehr sehen wurden: Welches sie dann gar gern zu thun versprachen. Kaum war ihnen der Gauckler aus dem Gesicht (der neben der Brucken an einem hohen Berg hinritte) da rutschten die zwey zusammen, und konten es vor Freuden und Begierd kaum erwarten, was ihnen doch dieser freygebige Herr ewiglich schöns müsse geschenckt haben: Wie ein jeder das Seinige aufthate, fande der Blinde in dem Lädlein einen vom besten Glas hellen Spiegel; der Nackende aber in dem Papier eingewicklet eine Seiffen-Kugel, wormit man die Fleck aus denen Kleideren auswascht. Da war Feuer im Dach, und merckten sie wohl, daß der vermeinte Kaufmann ihrer nur gespottet hätte. Was muß ich mit dem Spiegel thun? sprach [733] der Blinde, siehe ich doch nichts. Und wie werde ich, sagte der Nackende, mit der Seiffen-Kugel die Maasen und Fleck aus dem Kleid waschen? hab ich doch keins. Und weil sie der Krumme nur auslachte, und mit ihnen den Thaler nicht theilen wollte, wurde sie uneins; geriethen Anfangs mit Worten, Schelten und Fluchen, letztlich gar mit Streichen hinter einander; und warf der Nackende dem Krummen die Seiffen ins Gesicht; der Blinde zerschlug ihm den Spiegel am Kopf, und auf solche Weis waren beyde hin.


Es konten aber die fürüber Reisende diese Gugelfuhr, und ungestümmes Anfordern dieser Bettleren länger nicht leiden, sondern verklagten sie bey der Obrigkeit; welche dann ihre Schergen ausschickte mit dem Befehl, diese lose Schelmen in Eisen und Band zu schlagen, und auf die Galeren zu liefern. Wie der Nackende die Schergen daher kommen sahe, sprang er ins Wasser, und wollte über den Fluß schwimmen, ist aber versoffen. Der Blinde, weil er niemand hatte, der ihm den Weeg zeigte, und dannoch fliehen wollte, fiele in ein Gruben, und brache den Hals. Der Krumme mit seiner Steltzen wollte über einen Zaun springen, und dem Wald zu, ist aber im Hinüberspringen an einem Zaunstecken hangen blieben, und erdappt worden, deme man dann den Küttel wohl ausgestaubt: Und weil man neben dem Thaler, den ihm der Gauckler geschenckt, auch sonst hin und wieder grosses Geld bey ihm eingenähet gesunden, hielte man ihn Anfangs für einen Dieb: Hernach, weil das Geld nicht gut war, für einen falschen Müntzer; schluge ihm ein Schellen an den Fuß, warf ihn auf einen Karren, und witschte mit ihm dem Meer zu, allwo er zu anderen seines gleichen Maus-Köpfen an die Ruder-Banck geschmidet wurde. Und hiemit wurde das Land von diesem Ungeziefer geraumt. Rauscher S.J. Dominical. 2. Conc. 1. Fer. 3. Paschat.


O wann allen faulen Steig-Bettleren, die anderen so wahrhaftig arm seynd, das Brod gleichsam abstehlen, solcher Lohn zu Theil wurde, wie bald sollte man ihrer loß werden! allein wann sie schon von den Menschen nicht zur Straf gezogen werden, so wird dannoch GOtt zu seiner Zeit sie darum finden. Lang geborget, ist nicht geschenckt.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 730-734.
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