Zwölfte Fabel.

Von einem Vatter und Sohn, die mit ihrem Esel über Land gereiset, und niemand haben recht thun können.

[753] Ein alter Vatter und junger Sohn reyseten miteinander über Land, und hatten bey sich einen Esel. Unter Weegs kamen sie zu einer Stadt, in dero Durchzug der Vatter auf dem Esel daher reitete; der Sohn aber vorhergehend denselben bey dem Zaum führte. Dieses wollte denen Innwohnern der Stadt nicht gefallen, schmäheten darwieder und sagten: sehet! dieser Alte, der noch bey guten Kräften ist, laßt ihm wohl seyn, und tragt kein Mitleyden mit seinem Sohn, der noch ein schwacher Jüngling ist. Er reitet daher, als wann er weiß nicht was für ein grosser Herr [753] wäre; den Sohn aber laßt er zu Fuß gehen, als wann er sein Diener wäre. Dieses hörte der Vatter alles in seine Ohren, derowegen als sie zur Stadt hinaus kommen, sprache er zu dem Jüngling: Sohn! ich hab gefehlt, hinführo mußt du auf dem Esel reiten, ich aber zu Fuß gehen, dann das Widerspiel, wie du selbst vernommen, will denen Leuten nicht gefallen. Als sie nun zum nächsten Flecken kommen, stellten sie die Sach also an; der Sohn setzte sich auf den Esel, der Vatter aber gienge zu Fuß, und führte ihn. Aber dieses ware bey der Welt schon wiederum gefehlt; sehet nur (sprachen die Burger des Fleckens zusammen) was dieses für ein undanckbarer Sohn ist, seinen eigenen Vatter, der schon alt und kraftloß ist, laßt er zu Fuß gehen, und er, dem das Gehen hundertmahl besser anstunde, sitzet auf dem Esel. Nun auch diesen Fehler zu verbessern, setzten sie sich beyde auf den Esel, und reiteten also durch das nächste Dorf. Wie die Bauren das sahen, stutzten sie darüber, sprechende: seynd das nicht unbärmhertzige Leut, welche dem armen Thier so gar nicht schonen, es wäre mit einem genug beschwehrt, und jetzt muß es beyde tragen. Diesem Urtheil wußten sie anderst nicht zu begegnen, als daß sie hinführo den Esel leer daher führten, und sie (der Vatter und Sohn) beyde zu Fuß giengen. Auf solche Weiß dann zogen sie wiederum durch ein Stadt; aber da wurden sie von jedermann verlacht; seynd das nicht seltsame Leut (sprachen die Innwohner des Orths) haben einen Esel, und brauchen ihn nicht, beyde, oder doch einer nach dem andern könnten darauf reiten, sie aber gehen beyde zu Fuß, und matten sich vergebens ab. So bald sie zur Stadt hinaus kommen, sprache der Vatter: was haben wir doch heut für eine unglückseelige Reyß, mein Sohn! daß wir denen Leuten so gar nicht recht thun können, reitest du oder ich, oder keiner, so ist es allezeit gefehlt. Auf keine Weiß können wir die Welt befriedigen, was thun wir dann? mir fallt noch eines bey, mein Vatter (sagte der Sohn) wann wir zur nächsten Stadt kommen, wollen wir den Esel auf unsere Schulteren nehmen, und tragen; dieses vielleicht werden die Leut gutheissen, und uns ungetadlet lassen. Aber da haben sie gar alles verderbt; dann als sie den Esel also ungereimt auf denen Achslen daher trugen, wurden sie von jedermann (wie es dann für dißmahl billich ware) für Narren ausgeruffen. Reitmayr S.J. Dominicale. n. 571.


Wie wahr ist, was man insgemein pflegt zu sagen: Derjenige müßte fruhe aufstehen, der jedermann gefallen wollte: warum! viel Kopf, viel Sinn. Was ist dann zu thun? Man muß thun, was recht ist; und die Leut reden lassen. Man muß lang reden, bis man ein Loch in dich hinein redt.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 753-754.
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