Vierzehende Fabel.

Die Ameiß beklagt zu spat ihre stoltze Begierd Flügel zu bekommen.

[756] Diese bekame einstens einen Verdruß, daß sie nur immerdar auf der Erden müßte herum kriechen, und nicht wie die Vögel sich in den Luft hinauf schwingen könnte. Dahero bate sie ihr von dem Himmel diese Gnad aus, daß ihr doch möchten Flügel wachsen. Was geschiehet, ihre Bitt wird erhört. So bald nur die Ameiß wahrgenommen, daß ihr Flügel gewachsen, hat sie alsbald angefangen sich zu schwingen, und zu probieren, ob sie auch fliegen könnte; verlaßt demnach den Ameiß-Hauffen samt ihrer gantzen Freundschaft, und fliegt erstlich auf die niedere Gestäud, hernach auf die Bäum, zuletzt aber gar in die Höhe des Lufts. Und nachdem sie eine gute Weil prallirend herum geflogen, nimmt sie endlich ihren Sitz auf einem hohen Tannen-Baum, allwo auch dazumahl nicht weit davon eine Nachtigall ihr Losament hatte, und mit ihrem süssen Schall den Luft erfüllte. Die Ameiß, als sie solche annehmliche Stumm in ihren Ohren klingen hörte, konnte sich nicht enthalten selbige um ihren Namen zu fragen. Flieget demnach näher hinzu, redet die Nachtigall an, und fragt: mein wer bist du, die Nachtigall singt und springt lustig herum, und gibt zur Antwort: Ich bin ein Wald-Vögelein, und erlustige mich zu dieser annehmlichen Frühlings-Zeit in diesem Wald. Kaum hatte sie diese Wort ausgeredt, da floge fürbey ein Immlein. Das liesse sich aber bald nieder in ein Blumreiche Wiesen, und saugte alldort den süssen Saft der Blumen aus. Die Ameiß, aus Vorwitz veranlasset, fragt sie auch: wer bist du? das Immlein antwortete: ich bin ein kleines Thierlein, fliege nicht hoch, und halte mich in der Nidere auf; habe auch keine Stimm zum singen; nehme also meine Aufenthaltung nicht in den Wälderen, sondern erlustige mich in denen Blumreichen Wiesen und Gärten; suche überall die süsse Blümlein heim, sauge den Saft daraus, und mache Hönig und War [756] zu grossem Nutz der Menschen. Als die Ameiß das gehört, übernahme sie sich, und verachtete das Immlein, sagend: ich wolte disfalls mit dir nicht tauschen: dann ob ich schon kleiner bin, als du, so kan ich doch so hoch fliegen, als die Nachtigall; ja wann ich ihre Stimm hätte, wolte ich sie übertreffen. Du machest zwar Hönig und Wax; wirst aber oft darinn erwürget, mußt jämmerlich darinn zu grund gehen, sterben und verderben. So bin ich dann glückseeliger, als du; weil mir kein solche Gefahr zu förchten ist. Das Immlein hörte den grossen Ubermuth der Ameiß mit Verdruß an, und fragte sie hinwieder: mein! sag mir her: bist du vergwißt, daß du von aller Gefahr sicher seyest? ja freylich, antwortete die Ameiß: da kan mir niemand schaden; da bin ich Schuß frey: weil ich gar klein bin: ist auch an meinem Leib kein Nahrung zu suchen, wie bey den Vögelen, und Feder-Wildprät. Gefallt es mir auf diesem Baum nicht, so fliege ich auf einen anderen. Ha ha widersetzte das Immlein: warte nur: es ist noch nicht aller Tag Abend kommen: wann du schon Schuß-frey, und sicher bist vor den Nachstellungen der Menschen, so wirst du doch von oben herunter angefochten mit Regen, Schaur und Hagel; die können dir bald den Garaus machen. Ja auch grosse Hitz, und scharffe Kälte können dir den Rest geben, und dich von dem Thron deiner eingebildeten Hoheit herunter stürtzen.

O sagte diese Ameiß: das glaube ich nicht: will der Gefahr schon vorkommen. Allein, was geschiehet? nicht lang darauf, als der Sommer zu End gelossen, hingegen der rauhe Winter eingetretten, und so viel Schnee eingefallen, daß die Vögel auch in dicken Wälderen, und Hecken sich kaum genug vor dem Frost erwehren könten, da war der stoltzen Ameiß auf dem Baum dermassen angst und bang, daß sie weder aus, noch an wußte. Wünschte derowegen nichts anders, als daß sie wiederum in ihrer alten Wohnung seyn möchte; damit sie gleichwohl nicht Hunger sterben müßte. Demnach verlaßt sie den Baum, begibt sich herunter auf die Erden zu ihriger vorigen schlechten Behausung, und klopft an. Wer da? wer klopft? Fragt die Portnerin. Gut Freund, antwortet die geflüglete Ameiß. Wer bist du dann? Fragte die Portnerin weiters. Ich bin deine Freundin, ja dein liebste Schwester, gabe jene zur Antwort. Kurtz: ich bin jene Ameiß, die neulich Flügel bekommen, und in Luft geflogen. Was bringst du dann mit dir? fuhre die Portnerin im Fragen fort. Nichts (war jener Antwort) als meine leere Flügel, mit denen ich mich auf die hohe Bäum geschwungen, und mit dem Singen der Wald-Vögelein erlustiget hab. Nunmehr aber, weilen der liebliche Sommer schon längst verstrichen, die Bäum mit Schnee bedeckt, und unwohnhast gemacht, mithin also kein Wohnung mehr hab; als bitte ich gantz demüthig [757] / du wollest mich wieder in meine alte Herberg einlassen; ich will meinen Schwestern kein Unruhe machen. Nein, nein, sagte die Portnerin: weil du Flügel hast, so gehörest du unter die Vögel des Lufts, und nicht unter die Ameißen. Fliege hin, wo du her bist kommen. Hier wird niemand eingelassen, als der sein Speiß mit sich bringt. Hoch-gefiederte Gäst schicken sich nicht daher in dieses enge Ort. Du bist der Höhe schon gewohnt. Bleibe also in der Höhe, und lasse uns in der Nidere zufrieden.

Als solches die unglückseelige Ameiß angehört, liesse sie einen tieffen Seuftzer, und verfluchte ihre Flügel, sagend: ach! jetzt erkenne ich (aber zu spat) was mir meine Flügel genutzt haben. O wie besser, und nutzlicher wäre es mir gewesen, wann ich niemahlen in die Höhe kommen, sondern in der Nidere gebliben wäre! dann jetzt siehe, und erfahre ich, daß es viel sicherer seye, sich bey der Wurtzel, als in der Höhe des Baums aufhalten. Ein kleine niedrige Wohnung ist frey von Sturin-Winden, und aller Gefahr: hohe Nester seynd denen Donner-Keilen, Hagel-Steinen, und Sturm-Winden unterworffen. Da ich mein Glück in der Höhe zu finden vermeinet, hab ich mein Unglück gefunden, mich selbst in Untergang gestürtzt, und muß also des Tods eigen seyn. Andreas Strobel Parte 3. Ovi Paschalis, Discursu 2.

Die sittliche Lehr, so diese Fabel mit sich bringet, stimmet übereins mit jener, welche neulich aus der siebenden Fabel von des Esels Ehrsucht gezogen worden. Welche dann an besagten Ort noch einmahl kan gelesen werden.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 756-758.
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