32.
Wie Reinhart seinem gesellen sagt von der trewen unnd freündtlichen warnung, so im der von der Lilien gethon hat.

[274] Alsbald nun Reinhart von seinem pferdt gestanden, in stiffel und sporen seinen allerliebsten Gabriotten sůchen gieng. Den er in kurtzer zeit finden thet, mit einem trawrigen angesicht unnd schweren seüfftzen anhůb unnd sprach: ›O mein allerliebster brůder und freündt, das groß verlangen, so ich nach dir gehabt hab, ich dir in keinen weg erzalen mag. O gott, wie oflft hab ich [dich] diß tags zů mir gewinschet, damit ich dir mein grosses ungefell, so mir entgegen ist, het mögen entdecken! O du mein allerliebster brůder und trewer rahtgeber, nun ist mir erst von nöten deines rahts zu pflegen; dann mirs, dieweil wir auß Franckreich zogen seind, übler nye ergieng.‹

Der ritter Gabriotto von seines gsellen worten einen solchen grossen schrecken empfieng, das er im darauff nit wol kundt antworten; dann er nit gedencken mocht, was ihn[274] doch zů solcher schweren, klag verursachet. Yedoch zůletst anhůb und sprach: ›Mein allerliebster Reinhart, mich wundert nit ein klein, womit du umbgangest. Was ursacht dich doch zů einer solchen schweren klag? Ich bitt, mirs anzeygen wöllest, damit ich auß dem zweiffel kumm.‹ – ›O mein allerliebster Gabriotto, du solt wissen, das ich nit unbillich ein solche klag vor dir füren thůn; dann mirs warlich trübsäliger nit ergon möcht. O Gabriotto, es ist an dem, das ich mein allerliebste Rosamunda wider allen meinen gedanck meyden můß. Dann ich warhafftig zeügen hab, das mein herr der künig auff mich ettlich seiner diener bestelt hat, so uff mich warten und gon sollen; unnd wo sye mich in einicherley weg betretten mögen, sollendt sye im das on allen verzug anzeygen. Darumb, mein Gabriotto, wöllest mir hierinnen raten, weß ich mich halten soll!‹

Als nun Gabriotto seines gesellen wort gäntzlich verstanden hat, kam ihm in gedanken die frag, so der künig an in gethon hat, anhůb uund sprach: ›Warlich, Reinhart, es ist nit lang verschinnen, das mich unser gnädigster herr zů red stalt und mich ernstlich von deiner und junckfraw Rosamunda lieb fragen thet. Darauff ich im kein antwort gab, dann das mir von semlicher liebe gantz nichts zů wissen wer. Ein semlichs der künig also bleiben ließ und mich nit weiters fragen thet. Das aber ich dir nit hab wöllen sagen, hat mich auch nit von nöten gedaucht sein. Wo im aber also wer, wie du mir anzeygest, fürwar ein grosse sorg darauff ston würd; dann ich hiebei wol abnimm, das der künig solche frag uß einem lauteren falsch gethon hatt. So hab du nun zůmal dein selb gewalt und meyd, so fast du magst, weg und steg, so sich die junckfraw gebrauchet! Begeb sichs dann weiter, das der künig frag hernach haben würd, also das man den auffsatz zů vil besorgen müßt, so will ich dir aber in ander weg mit meinem raht beholffen sein.‹

Der betrübt Reinhart, welcher mit schwerem gemüt beladen was, seinem gesellen versprach, seines raths zů pflegen, wiewol im schwer was, seine liebe junckfraw also zů verlassen. Yedoch ihm fůrnam, der junckfrawen zů schreiben und ir den brieff bei der ertzettin verborgenlich zů schicken, die dann solcher lieb wol wissen trůg.

Quelle:
Georg Wickram: Werke. Band 1, Tübingen 1903, S. 274-275.
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