60.
Wie Gabriotto in ein grosse kranckheyt auff dem mör fallen thet, und was er seinem knecht empfahl.

[344] Mit grossem leyd der edel ritter Gabriotto uß Engelandt schiffet. Aber alles ein kleins war, biß das er anfieng seiner allerliebsten junckfrawen recht zů gedencken; sich in dem grossen schiff zwischen ettliche ballen legen thet, sein Philomena erst anhůb zů klagen und redt also mit im selbs: ›O du mein allerliebste junckfraw, ich klag die stund unnd auch den tag, aufs welchem ich deiner edlen zucht und schöne immer beraubt ward. Ach, warumb hab ich mich nit in alle gefar in Engelandt willig begeben! Was wolt mir doch der künig mehr zůgefügt haben, dann das er mich zů todt hett lassen schlagen! Ich hab den todt geflohen und bin aber im mit gantzem gewalt entgegen gezogen; das můß ich ymmermehr klagen. Dann ich wol befind, das mein leben sich bald enden würt. Ach, das mir nit also vil glück hat mögen zůston, das ich bei meiner liebsten junckfrawen gestorben wer, damit ich ires angesichts nit also lang hett dörffen beraubt sein! Verflůcht seiendt ihr grausamen wallen auff dem mör. Warumb hand ir mich nit gantz verdilcket, als ich in Franckreich schiffet, da ir mich also mit ewerem ungestümen zwirbeln umbgeben hatten! O ihr unseligen jüngling, so in Franckreich von mir erschlagen seind, warumb habendt ir mich nit mit ewern schwertern entlibet! Dann ich damals[344] in gůter hoffnung was, mein allerliebste junckfraw wider zů sehen, des ich nun zůmal gantz keinen trost mer haben darff. O des unseligen tags, an dem ich in Engelandt mit meinem pferdt also einen schweren und harten fall gethon hab unnd aber nit allda mein end hab mögen nemmen! Allda wolt ich kein sterben nit geklagt haben, sunder mit grossen freüden gestorben sein; dann ich noch nye angefangen hat lieb zů haben.‹

Mit semlichen und dergleichen worten der ritter sein leyd klagen thet, sich nyemandts trösten wolt lassen, weder essen noch trinken wolt. Davon dann seinem diener grosses leyd zůstund; thett sich zu seinem herren allein und sprach mit trostlicher stimm also: ›Ach mein allerliebster herr, was ist es doch, das euch in semlich groß leiden und leyd bringet? Was ursachet euch zu solcher köstigung, das ir euch understohn also umb ewer leben zů bringen? Ich bitt euch, ir wöllendt ein mannlich unnd ritterlich gemüt haben unnd nit also ein weibisch leben füren, damit man nit sprechen mag, Gabriotto, der edel, der unverzagt und mannlich ritter, hatt ihm selbs on alle ursach sein junges leben gekürtzet‹.

Nun wußt des ritters knecht noch nit, von weßwegen der ritter ein semliche harte und schwere klag fůrte. Das wußt der ritter wol, darumb hůb er an und sprach: ›Mein allerliebster diener, die ursach meines trawrens magst du nit wissen. Damit du aber mir glauben mögest, will ich dir semliche ursach zů wissen thůn. Dann ich mich wol befind nit lang mehr zů leben; so beger ich auch gantz keiner hilff meines lebens, dieweil ich meiner allerliebsten junckfrawen beraubt sein můß, von deren wegen ich auß Engelandt hab můßen entweichen; und aber mich seidher offt gerewen hat, das ich mich nit bei meiner allerliebsten junckfrawen enthalten hab, was mir doch darauß entsprungen wer. Gott wolt, ich den vergifften apffel, so mir von dem künig bereyt worden ist, gessen hett, damit ich meinem leben in Engelandt ein end gemacht hette! So wer ich doch von meiner allerliebsten junckfrawen geklagt worden. Die aber yetzundt nit wissen mag, wie mirs goht; das ich dann zům allermeysten klagen můß.‹

Nachdem der ritter solche wort mit seinem knecht geredt,[345] hatt er im allen handel entdecket. Davon der knecht gross verwundren empfangen, seinen herren, so best mocht, tröstet. Aber alles umbsunst was. Zůletst sprach der ritter: ›Mein allerliebster und getrewer diener, ich bitt, mich nit lenger mit deinen worten bekümmern wöllest; dann sie nicht an mir verfahen mögen. Ist aber dein gemüt in trewen gegen mir geneygt, als ich dir dann vertraw, so gewer mich meiner letsten bitt; darumb soll dir wol gelonet werden. Nimb war, wann ich meinem leben ein end geben würd, so soltu alle mein kleinot sampt dem baren gelt on aller welt einred von mir erben. Allein den ring, so ich an meinem Finger hab, den můstu wider in Engelandt füren, denselben der schönen Philomena überantworten mit sampt meinem hertzen. Das solt du mir mit eygner handt außschneiden und mit gantzem fleiß wol verwaren und palsamiern, damit du es also frisch in Engelandt bringen mögest. Das ist an dich meine letste bitt, deren du mich wol geweren magst.‹

Der knecht, als er seinen herren also reden hort, mit bekümmertem hertzen zů ihm sprach: ›Ach mein allerliebster ritter und herr, ich hoff, es sei noch nit an dem, das ir also sterben. So sichs aber ye zůtragen wolt, das ir also ellendtlich sterben solten, wolt ich nit allein das, so ir mir anzeygen, in Engelandt füren, sunder ewerem vatter als ewer verlassen gůt bringen und überantworten. Des sond ir euch in allen trewen zů mir versehen.‹

Der ritter dem diener seines erbietens freündtlich dancket, im darnach schůff dinnten und federn zů langen, einen brieff an seinen vatter schreiben thet uff soliche meynung lautendt:

Hertzlieber vatter, wiewol mich küntliche trew und liebe darzů reytzet, dich in keinen weg weder mit worten noch geschrifften zů beleyden, so wills doch yetzundt die zeit also geben dir zů schreiben, davon ich weyß, du grossen schmertzen empfahen würst. Dann wiß, lieber vatter, das diß mein letste geschrifften seind, so von deinem son Gabriotten außgon; dann sich kurtz hernach der todt mit mir vereinget hatt. Darumb, lieber vatter, ist an dich mein bitt, wöllest disem meinem trewen diener alles mein verlassen gůt willig folgen lassen unnd ihn anstatt deines sons befohlen lassen[346] sein; das ist an dich mein letste bitt. Lieber vatter, gehab dich wol und laß dich meinen todt nit krencken! Sih an, das ich in trawren und ellendt mein übrige zeit hett müßen vertreiben! Gott verleih dir und meinem liebsten brůder Reinharten ein frölicher zeit, dann ich, seidher ich auß Engelandt geschiftt, gehabt hab!

Mit disen worten der ritter sein brieff beschloß, den mit fleiß underschreib mit disen worten: Dein ellender, verjagter, trostloser, abgestorbener son Gabriotto.

Hie möcht einer sagen, warumb der ritter also geschriben hatt, dieweil er noch bei leben was. Darzů antwort ich: der ritter hatt am allerbasten entpfunden, wie im an seinem hertzen gewesen ist; als sich dann nachmals wol beschinnen hett, wie ir das gründtlich vernemmen werdt.

Nachdem Gabriotto seinen brieff verbittschet hat, gedacht er seiner allerliebsten junckfrawen auch den letsten brieff zů schreiben. Derselbig auff semliche form lautet:

Ich entbiet euch gern, mein außerwölte junckfraw, mein wolfart, das mir aber nit mehr gebieren will. Dann mich ewer schöne unnd edle liebe dermassen so schwerlichen kräncken thůt, dass ich von allen meinen krefften kummen bin und nichts mehr erwart dann des todts, der warlichen bald meinem trawren ein end geben würt. Darumb, allerliebste junckfraw, ich euch verschafft hab mein hertz zů bringen. Dasselbig mein unsichtbare seel nimmer verlassen soll. Darumb wöllendt diß mein hertz bei euch behalten und gedencken, in was trewen es euch gemeynt, mit was freüden es euch gedient und in was eeren es euch geliebt hat, da es noch in seinem leib gewesen ist. Nit schlagen im auß herberg zů geben, darumb das es nit in leiblicher gstalt bei euch wonen mag! Dann wo diß mein hertz ist, daselbs würt auch mein edle seel sein und euch beiwonen, solang mir beid zůsampt an unser verordnete wonung kummen. Darumb, mein allerliebste junckfraw, nit seind bekümmert umb meinen todt! Dann ich vil neher bei euch sein würd dann in meinem leben. Gott gesegen euch, mein außerwölte ob allen junckfrawen; der geb euch frölicher zeit und stund, dann mir seidher verluhen gewesen seind![347]

Damit der ritter seinen brieff, welchen er mit trehen gantz übergossen hatt, zůschloss, in in ein liderins ledlin, welches mit einem silberin schlößlin gantz subteil verschlosszen was, verschliessen thet, seinem knecht befal, so er von diser zeit schied, das er dann sein hertz auch darein sampt dem ring legen solt und das Philomena der junckfrawen überantworten, den andren brieff seinem allerliebsten vatter bringen. Des im der diener versprach mit gantzem fleiss zů volstrecken, wie er dann understund; aber nit nach seinem willen ergon mocht, als irs dann nachgohns wol hören werden.

Quelle:
Georg Wickram: Werke. Band 1, Tübingen 1903, S. 344-348.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Phantasus / Dafnis

Phantasus / Dafnis

Der lyrische Zyklus um den Sohn des Schlafes und seine Verwandlungskünste, die dem Menschen die Träume geben, ist eine Allegorie auf das Schaffen des Dichters.

178 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon