31.
Wie Lasarus seinen sůn außrüstet, und wie Lasarus der jung Amelien einen brieff schreibt, darinnen er sie uff das freundtlichest genadet.

[199] Lasarus saumbt sich nit lang, er ließ sein sůn nach notdurfft bekleiden, damit er mit ehren einem herren zů haus kumen dörfft. Inn der zeit erkundiget sich Reichardus, wann ein schiff in Brabant faren würd. Als sich nůn die zeit nähert,[199] das Lasarus in vier tagen můst uff sein, nam er im für seiner junckfrawen zů schreyben; dann im derzeit allein mit ir zů reden nicht werden mocht. Er stůnd eines morgens gar frü uff, sass in sein kamer und schrib einen gantz kläglichen brieff auff semliche meinung:

›Ich schrib dir gern, mein allerliebste junckfraw, ein frölichen brieff; die anschläg aber deines unnd meines vatters wöllend mir semlichs nit zůgeben noch gestatten. Es aber ist an dem, das ich mich, liebste Amelia, scheiden můs, dann alles das, so zů meiner hinfart von nöten, ist bereit, und ist nichts mer, so mein rais hinderet dann dein vatter, so mich dann selb dahin begleiten und zů einem herren verschaffen wirt. Du solt mich aber, mein Amelia und allerliebste junckfraw, nit darfür achten, als wann ich mich gleich gegen meinem vatter bewilligt hette, gehn Antdorff zů ziehen. Ich hab mich im lang zeit mit früntlichen wordten widersetzt, hat aber an im nicht mögen verfahen. Dieweil ich nůn bedacht hab, das ein jedes kind aus götlichem befelch schuldig ist seinen vatter und sein můter in ehren zů halten und in allen gůten dingen zů gehorsamen, wie uns dann das fünfft gebot underrichtet Exodi am 20., habe ich mich ye nit lenger widersetzen und außreden wöllen, damit ich nit gott und seinem gebot, auch meinem vatter und můter zůwider were. Du aber solt nit anderst gedencken, dann das mein sterblicher leib allein von hinnen scheiden werd, mein seel aber, hertz und gemüt wirt on zweifel alle zeit bey dir bleiben. In süssem traum wird ich bey dir unnd umb dich wonen. In künstlicher arbeit wirrts mich größlich fürderen, wann ich dein gedencken wird; dann ich mich dir zů gefallen in allen künsten befleissen will, dieweil ich dich ein rechte liebhaberin der kunst erkenne. Zůdem hat dich Pallas, die göttin, mit iren lieblichen brüsten und honigsüsser milch geseugt und ernert; des gibt mir zeugnis das kunstlich stuckwerck und gewirck,[200] damit du mich begabt und hertzlich erfreut hast. Das mir auch, indem ichs offtmalen anschawen wird, nicht wenig frewd und trost geberen sol. Gehab dich wol, mein Amelia, und biss mein nit weniger yngedenck in meinem abwesen, dann ich deiner sein will! Hiemit beware dich got, mein allerliebste junckfraw Amelia! Ich bleib allzeit dein getrewer Lasarus.‹

Disen brieff nam der jüngling täglich zů im, alzeit gůter stunden gewertig, darin er in seiner liebsten junckfrawen selb möchte antwurten. Dann sie nit ursach grosser zucht und schamm nach irem gefallen statt haben mochten, mit einander zů sprachen; wiewol in beidensammen von iren ältern züchtige gesprech nit gewert ward, noch dorfft keins frölich mit dem anderen sprach halten.

Es füget sich gar kurtzlich, das Amelia von irer můter zů des jünglings můtter geschicket warde. Von ungeschicht fande sie niemand in dem haus dann allein den jungen Lasarum, der dann an seiner arbeit gantz geflissen sass. Amelia kam zů im hinein, und als sie beidsammen so unversehens einander ansichtig wurden, erschracken sie über die mass gar seer und warden gantz schamrot under iren angesichtern. Keins under den beiden wolt erstlich anfahen mit dem andern zů reden; zůletst stůnd der jüngling auff unnd empfienge die junckfraw gar früntlich, die im dann auch mit grosser zucht danck sagt. Lasarus nam den brieff aus seinem bůsam, gab in Amelien und sagt: ›Allerliebste junckfraw, nemet hien dise schrifft! Die wirt euch berichten des, so mir grosser schamm halben nit müglich ist mit worten anzůzaigen.‹

Die junckfraw nam den brieff, gnadet dem jüngling, schicket sich eilents zů haus. Sobald sie ir můter angezeigt, wie Lucia nit anheimisch were, hat sie sich in ir gemach gefügt, des jünglings brieff zů tausent malen geküsset, ehe und sie den gelesen hat. Als aber sie seines inhalts grüntlichen bericht empfieng, hat sie gantz kläglichen angehaben zů wainen unnd des Lasarus abschaid zů klagen von gantzem hertzen. Aber sie hat gott andechtiglichen gebetten, das er dem jüngling[201] auff seiner fart sein götliche gnad und segen verleihen wölle, dem auch den heiligen Engel Raphaelem, welcher den jüngling Tobiam beleitet, zů einem geleitsman senden, damit er gesund und frisch wider zů land kumme, sie auch alle gar in gůter gesuntheit finden möchte. Als sie nun iren jüngling genůg geklagt, hat sie ire nassen augen mit fleiss gedrücknet, ist demnach zů irer můter gangen, ihres befelchs fleissig ausgewart, sich auch gar keins traurens angenumen, dieweil sie wol abnemen kund, das die sach nit zů wenden was.

Quelle:
Georg Wickram: Werke. Band 2, Tübingen 1903, S. 199-202.
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