36.

Wie der graff grossen rewen überkam, do er vernemmen thet, das im sein anschlag mißlungen was, und wie er Angliana und Florina mit rauhen worten anfaret.

[358] Nachdem nun der graff vermeynt, der verrähter wer seinem befelch gentzlich nachkommen, hatt er mit freuden auff ihn gewartet. Als es aber jetzunder nacht worden ist und[358] der mörder nit kommen, ist er gantz angsthafftig worden, in grossen sorgen gestanden, Lewfrid sei noch in leben, wie es dann auch gewesen ist. ›Ach,‹ sagt er zů im selbs, ›wie würd mir jetzund mein sach so gantz weit felh! Wie wirts gon, wann Lewfrid den jeger überwunden hat und kompt zů dem künig, begert sein diener zů werden! Dann so werdend meine bösen anschleg außfündig. Ich solt zůvor bedacht haben, das dem jüngling niemant angesigen wird, dieweil er vormals auß so manicher gefehrligkeyt kommen ist. Warumb hab ich in nit mit meiner handt umbbracht oder hab ihm aber mein tochter zů einem weib geben! Wer weyßt, der jüngling möcht sich so wol unnd ritterlich gehalten haben, das ich in gantz lieb und wert gehalten het. Jetzund aber kompt mir zů spater rewen. Auch hab ich noch nit gentzlich an meiner tochter erkündiget, wie doch die sachen umb sie mit dem jüngling geschaffen sein. Wolan, ich wil nach meiner tochter und irer helfferin schicken und aller sachen an ihnen erfaren, sie auch mit worten dermassen straffen, das sie mir nichts verschweigen werden.‹

Alsbald ist der graff zů seiner tochter in ir zimmer gangen, mit brinnenden augen und zornigem angesicht und geberden sie und Florina angeredt, davon dann beyde junckfrauwen on massen sehr erschrocken sind. Dann der graff sagt: ›Angliana, gedenck, daß du morgens zů primzeit sampt deiner gespylen Florina in mein gemach kommest! Dann ich hab ettwas nötiges mit euch zů reden.‹ Wer was angsthaffter dann beide junckfrawen! Dann Florina gedacht von stund an heimlichen: ›Weh uns allen! Der brieff, welchen Lewfrid geschriben, ist durch die nerrin dem graffen zů handen kommen. Ach, wie wirt es mir armen junckfrawen gohn! Ich sorg, Lewfrid wirt mich in seinem schreiben vermeldt haben.‹

Als der graff wider hinweggegangen was, fing Angliana bitterlichen an zů weynen, desgleichen auch Florina. Dardurch die anderen junckfrawen all in mitliden bewegt wurden, fingen alle an mit in zů trawren und zů weinen, wiewol keine wußt die ursach irer klag und weinens. Angliana vor inen allen, nachdem sie sich erholt und die trehen von irem angesicht gewischt hat, anfing mit einer unverzagten stim: ›O[359] ir meine liebsten und getrewisten gespilen, ir haben sonder zweifel wol abgenummen, das mein herr und vatter in grossem zorn mit mir geredt, desgleichen auch mit dir, meiner liebsten gespielen. Ir aber sollend des keinen unmůt noch forcht haben; dann ich allein bin die, so ein semlichs verschuldet hat. Ich můß mich sin auch vor euch allen bekennen, ich hab Lewfriden, den edlen und teüren jüngling, in gantzen treuwen, zucht und ehren geliebt. So ist er meiner liebe auch wirdig, so von wegen seiner tugend und mannheit wol wert, das in eines künigs tochter haben solt. Wer ist doch an meines vatters hoff, so mer von meinem vater geprisen und gelobt ist worden dann Lewfrid! Wer hat mer dapfferer und mannlicher stuck begangen dann diser jüngling! Solichs můß im mein herr und vatter zügniß geben. Got wolt, das ich nur wissen möcht, ob der jüngling von meinem vatter umbracht oder verschickt wer! Hat er in umbracht von wegen meiner lieb, so will ich im in leyd und schmertzen ein getrewe nachfolgerin sein. Dann mir, so lang ich erfaren mag, wie es umb meinen liebsten jüngling ein gestalt hab, keiner speiß auch nymmermer gebrauchen wil, sunder mein leib so lang kastygen, biß mein seel sich nit mer in dem enthalten mag. Hat in aber mein vatter seines hoffs verweisen, ey so hoff ich noch gůter stunden zů erleben, das ich meinen lieben jüngling mit freuden widersehen werd. Darumb, du mein liebe Florina, biß getröst! Dir sol nichs nachteiligs von wegen mein widerfaren. Ich wil dich gegen meinem vatter wol versprechen. Du bist allein die, so mich trewlich vor solicher liebe gewarnet hat; du hast mich mit höchstem flehenen darfür gebetten, mir auch alle sorg und gefar zů verston geben, so mir jetzund zůhanden gon. Das aber alles wolt ich gern mit gedult auffnemen unnd vertragen, so ich allein wissen möcht, wie es umb Lewfriden stiende. Aber ich besorg, mein vatter werd sich den zorn haben überwinden lassen und ein sach bestanden, so in nachmals sehr rewen wirt. Ich arme betriebte můß der stund erwarten, in deren ich eygentlich erfaren mag, wie es umb Lewfriden stand.‹

So bald sie semlichs geredt, hat sie urlaub von iren junckfrawen genommen, in ir kammer gangen und in aller kleidung[360] mit grossem weinen und klagen uff ir schlaffbet nidergelegen, mit ir selbs jämerlichen angefangen irn liebsten jüngling zů beweinen und zů beklagen; dann sie nicht anderst meynet, dann er wer von irm vatter umbkummen: ›O du mein herzallerliebster Leufrid, hast du von wegen diner trew und liebe eines unversehenen tods sterben müssen, so můß mich deiner zucht und schöne immer rewen. Worumb hat mein vatter nit semlichs an mir gerochen und mich für dich lassen ertödten, dwil ich die gröst ursach bin!‹ Dernglichen klag treib sie die gantze nacht über, stetigs nach dem tag wünschen thet, ob sie doch von irem vatter vernemmen möcht, wie es umb den jüngling ein gestalt het. Nit minder Florina ein gantz schwere nacht hat. Dann so offt sie entnucket, kamb ir ein schwerer traum über den andern für, biß der morgenstern jetz an dem himmel den tag mit freüden bringen thet.

Quelle:
Georg Wickram: Werke. Band 2, Tübingen 1903, S. 358-361.
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