69.

Von einem knäblein, das meisterlich wol keglen kundt, was aber noch zů jung lernen bätten.

[91] Es kam in eines herren wirdtshauß geritten ein reicher kauffherr ein stund oder zwo vor dem nachtessen; und als er im die stiffel hett lassen außziehen, spricht der wirdt zům kauffmann: ›Herr gast, lassen uns ein wenig spacieren gan! Es ist doch noch zů frü, zenacht zů essen.‹ Alsbald das es Henßle, des wirdts sünle, erhort, rüfft er: ›Vatter, laß uns keglen!‹ Der vatter antwortet: ›Laß sehen, mein büble, was kanst!‹ Damit wolt er dem herren die weil kürtzen. Das büble satzt die kegel auf, kundts auch meisterlich umbwerffen, baß dann der vatter selbst, ließ auch zůn zeiten ein schwůr darmit lauffen, welches dem vatter alles wol gefiel.

Der kauffherr gedacht: ›Der wirt wol geradten‹, wie man spricht. Doch zůletst kundt er sich nit überheben und můßt dem wirdt ein pfeil schiessen und spricht: ›Herr wirdt, wie alt ist euwer büble? Er kan baß keglen weder kein alter.‹ Der wirdt antwort: ›Er gadt erst in das eilfft jar.‹ Der kauffherr fragt in weyter: ›Kan er auch bätten?‹ Antwort der wirdt: ›Was sölt er können bätten? Er ist noch ein kind.‹ Und der kauffherr lechlet in im selbs, gedacht darneben: ›Kan das büble schweren unnd so wol keglen, ist aber noch ze jung zů lernen bätten!‹

Ach du schnöde welt, wie bist doch du so blind, unnd zeüchst deine kind so schandtlich! Hett das der wirdt von einem anderen gesehen, hetts können mercken und den straffen; aber gegen seinem kind was er sehend blind.

Quelle:
Georg Wickram: Werke. Band 3, Tübingen 1903, S. 91-92.
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