92.

Von einem, den sein eigener vatter in seiner kranckheit nit wolt zu im lassen.

[119] Es wonet zu Keysersperg im Elsas ein guter alter priester, der was gar alt; er kam in ein schwere unnd grosse kranckheit, also das man im stetigs wachen můßt. Als er nun lang gelegen und gantz abkummen was, unnd nichts anders mer vorhanden war dann der tod und jetz in seinen letsten zügen lag, tribe auch das auff drey gantz tag, das er weder sterben noch genesen kund, nun was ein guter freund, ein burger, bey im, so seinen wartet. Es begab sich, das derselb eines tags under deß pfaffen haustüren stund, sich zu erkülen und den guten luft zu empfahen. Von ungeschicht gadt fur das haus ein üppiger, verwänter vogel, der was ein weinleyterer, faßzieher oder, wie man sie an etlichen orten nennet, weinschröter, ein grosser speyvogel. Derselbig hat von der herben zeit, so der kranck priester hat, auch hören sagen; dann sein die gantz statt voll was. Er fragt den, so under der thüren stund, ob der priester noch nit verscheiden wer. Diser sagt: ›Nein, er ligt noch in zügen, kan weder sterben noch genesen.‹ Diser sagt widerumb: ›Lieber, las mich in besehen!‹ Also giengen sie mit einander zu dem krancken. Der unnütz vogel, bald er den krancken ersicht, sagt er: ›Laß mich machen! Ich sol im der marter bald abhelffen.‹ Damit zuckt er dem krancken das kissen, so er under seinem haupt hatt, gantz frevenlichen hinweg; von stund an verschied der kranck.

Kurtzlich darnach begab sich, das des fasziehers vatter auch tötlichen kranck ward, also das man im auch warten und wachen must. Als nun sein sun zu im kam, wolt im wachen, ward der vatter laut schreyen: ›Aus, du lecker, du büb, gang nur nit zu mir! Du wirdest mir sunst auch das kissen under dem kopff hinwegziehen.‹ Also must er hin und weg unnd dorft bey seinem eigenen vatter nit bleiben.

Also mag sich noch mancher an einem andren krancken versündigen, das in gott strafft und im die gnad entzicht, das[120] er auch hej seinen eygnen freunden nit sein kan in irer kranckheit und letsten nöten.

Quelle:
Georg Wickram: Werke. Band 3, Tübingen 1903, S. 119-121.
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