102.

Von einem schärer, der einer dorfffrauwen einen dorn auß einem faß zohe.

[128] Es begab sich auff ein zeyt zů Basel in der kleinen statt, da kame ein beürin zů einem schärer, die hett an einen grossen dorn geträtten. Die bat den schärer mit weinenden augenn unnd sprach: ›Ach mein lieber meister, ich bitt euch durch gotts und des gelts willen, kommet mir ze hülff!‹ Do sprach der schärer: ›Liebe frauw, wie ist euch geschehen?‹ Do sprach die beürin: ›Ach mein lieber meister, ich gieng gestern mit meinem Hansen in den wald, und hab im helffen scheyter laden und mich also übel geletzt an einen dorn.‹ Do sprach der schärer: ›Ach liebe frauw, sitzet da nider auf das küssen! So wil ich euch geschwind geholffen haben.‹ Und inn dem, wie er ir ze hülff wil kommen mit einem instrument, do laßt die gůt frauw ein grossen mächtigen furtz von angst und not. Do sprach der meister: ›Oho, der ist härauß!‹ Do meint die gůt frauw, er hette den dorn gmeint. Geschwind sprach die beürin: ›Ach keüwet in unnd bindet ihn darüber! So schwirt es nit.‹ Do sprach der schärer: ›Keüwe in der teüfel an meiner statt!‹ Do meinet aber die beürin, er hette den dorn gemeint; so meint er den furtz.

Quelle:
Georg Wickram: Werke. Band 3, Tübingen 1903, S. 128-129.
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