[7] Lucentio allein, später Bianca.
LUCENTIO.
Das wilde Toben ist verhallt, so komm nur, o meine Laute!
Wag's noch einmal jetzt mit süßem Ton
Dich ins Herz zu schmeicheln!
Holde Bianca, meine Seele
Schwingt auf Tönen sich zu dir,
Daß sie deiner sich vermähle,
Neig, o Holde, dich zu mir!
Lucentio blickt erwartungsvoll hinauf.
BIANCA erscheint auf dem Balkon, zuerst halb versteckt.
Wie klang so süß mein Name durch die Stille!
Schon oft vernahm ich diesen holden Sang.
Der leise durch die Nacht verschwiegne Hülle,
Ach, wie berauschend in die Seele drang!
Wer mag es sein? Ich bin verwegen,
Ein Augenblickchen schau ich nur hinab.
LUCENTIO.
O strahlend Himmelslicht, welch milder Segen,
Quillt sanft auf mein verschmachtend Herz herab!
O wende dich nicht ab, daß ich erwarme
Aus trübem Sein zu neuer Lebenslust,
Daß liebend meiner sich dein Herz erbarme,
Daß wonneselig ruhe Brust an Brust.
BIANCA.
Das wäre gar geschwind, mein werter Ritter!
Meint ihr, nach euch zu sehn, trat ich heraus?
Kaum hörte ich die Klänge eurer Zither;
Die kühle Nachtluft lockt mich aus schwülem Haus.[7]
LUCENTIO.
O, wie beneid ich diese kecken Winde!
Auf Zauberkünste möcht ich mich verstehn,
Zum Nachtwind mich zu wandeln, sanft und linde,
Und schmeichelnd dir um Wang und Busen wehn!
BIANCA.
Ei, sagt doch, wenn ihr gleichen wollt den Winden,
Wie viel Beständigkeit ist euch bewußt?
LUCENTIO.
Die flüchtgen Lüfte, selbst sie müßten Treue binden.
Lautlos verhauchte ich an deiner Brust.
BIANCA.
Schon von Verhauchen sprecht ihr und Verwehen,
Mein armer Sausewind, ihr dauert mich.
LUCENTIO.
Zu neuem Leben will ich neu erstehen,
Ein neues Leben blüht dann auch für dich.
BIANCA plötzlich traurig und leise.
Ein neues Leben! Ach wie gern, wie gerne!
LUCENTIO.
Was düstert plötzlich deinen frohen Mut?
O, wende nicht ab die süßen Augensterne!
Vertrau mir, Liebste! Und alles, alles ist wieder gut.
BIANCA.
Zu neuem Leben, ach', wie gern, wie gerne,
LUCENTIO.
Zu neuem Leben möcht ich neu erstehn.
BIANCA.
Wie düster alles jetzt, das Glück wie ferne!
Könnt ich die Morgenröte schönrer Zeiten sehn!
LUCENTIO.
Die Nacht muß fliehn, der Tag ist nicht mehr ferne.
Du wirst die Morgenröte schönrer Zeiten sehn.
Buchempfehlung
In elf Briefen erzählt Peter Schlemihl die wundersame Geschichte wie er einem Mann begegnet, der ihm für viel Geld seinen Schatten abkauft. Erst als es zu spät ist, bemerkt Peter wie wichtig ihm der nutzlos geglaubte Schatten in der Gesellschaft ist. Er verliert sein Ansehen und seine Liebe trotz seines vielen Geldes. Doch Fortuna wendet sich ihm wieder zu.
56 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro