Siebenter Auftritt.

[19] Belvedere, Grandison.


BELVEDERE. Ich würde nicht aufrichtig seyn, Herr Grandison, wenn ich Sie in Bologna willkommen hiesse. Ich komme in ganz andern Absichten hierher. Ich liebe die Gräfin Klementina. Sie lieben sie auch, sagt man – Sie wissen, dass ich Ansprüche habe – Den Beyfall, die Aufmunterung der ganzen Familie, die in dem Unglück, ihrer Tochter Ursache genug fühlt, den Tag zu verwünschen, da der Ritter Grandison die Schwelle ihres Hauses betrat. Wenn die Neigung der Tochter für Sie ist, Grandison, so haben Sie wenig Ursache, Sich eines Vorzugs zu rühmen, der der vortrefflichsten Dame Italiens die Vernunft kostet – Doch ich tadle die Flamme nicht, die in der Brust einer Klementina brennt; sie ist rein und unschuldig, was auch der Gegenstand seyn mag, der sie entzündet hat – Und wenn ich Sie nicht als einen Nebenbuhler ansehen müsste, Grandison, so würde ich der erste seyn, die Neigung der theuern Gräfin zu rechtfertigen! – Aber Sie? – Nein! Sie können keine Ansprüche, keine Hoffnung haben; Sie müssen es wissen, dass eine Vermählung der[20] Gräfin Klementina mit Ihnen das äusserste Unglück für die Porrettische Familie wäre. – Doch ich will Sie nicht beleidigen, Grandison. Ich bin nur hierher gekommen, Ihnen, zu sagen, dass Sie mir vorher das Leben nehmen müssen, ehe Sie der Besitzer meiner Geliebten seyn können. Folgen Sie mir in den Garten; etliche Augenblicke werden mein und Ihr Schicksal entscheiden.

GRANDISON. Ich werde Ihnen nicht folgen, Herr Graf! Es ist nicht meine Schuld, wenn Sie den Mann nicht kennen, mit dem Sie sprechen.

BELVEDERE. Sie wollen mir nicht folgen. Sie machen Ansprüche an meine Geliebte, und weigern Sich? – Sie haben nicht Muth genug –

GRANDISON. Brauchen Sie einen stärkern Beweis meines Muthes, als die Gelassenheit, womit ich die Ausschweifungen Ihrer Leidenschaft dulde?

BELVEDERE. Sie spotten meiner, Grandison?

GRANDISON. Ich bedaure Sie.

BELVEDERE. O, Sie haben diesen verstellten Kaltsinn nicht nöthig, mich zum Muth zu entflammen! – Aber keinen Wortwechsel! – Wenn Sie der Mann sind, für den Sie gehalten seyn wollen, so folgen Sie mir in den Park! – Sie wollen nicht?[21]

GRANDISON. Mässigen Sie Ihre unanständige Hitze! Ich bin nicht gewohnt, in diesem schnaubenden Tone mit mir reden zu lassen. – Doch, der Zustand, worin ich Sie sehe, verdient Nachsicht. Sie sind zu entschuldigen, dass Sie keine Achtung für mich haben, da Sie die Achtung für Sich selbst verloren haben. Herr Graf Belvedere, Sie wissen meine Grundsätze! Lassen Sie Sich dieses genug seyn.

BELVEDERE. Und halten Sie mich für einen so feigen Elenden, dass ich mich durch Worte abweisen lassen sollte? Oder erwarten Sie, dass dieser kaltsinnige Stolz Sie vor meiner Wuth sicher stellen werde? Zwar in den Mauern dieses Pallastes sind Sie sicher – Aber beym Himmel! Sie sollen mir nicht entgehen! Ich verlasse Sie nicht, bis Sie mir in den Garten folgen.

GRANDISON. Ungestümer und unbesonnener Mensch! Hören Sie mich erst an, und wenn Sie alsdann noch darauf bestehen, so will ich Ihnen folgen, wohin Sie wollen – Ich schätze Sie hoch, Graf von Belvedere, wie ungleich Sie auch in diesen Augenblicken der Leidenschaft Sich selbst sind. Ich will gegen Sie thun, wessen ich noch keinen zornigen Menschen gewürdigt habe; ich will mit Ihnen wie mit einem Manne reden, der Gründen Gehör geben kann. – Ich mache Ihnen keine Vorwürfe; diess wird, wenn Sie ruhiger sind, Ihr eignes Herz für mich thun. Nur das muss ich Ihnen sagen, wenn ich Ansprüche[22] an die Gräfin Klementina hätte, so sollten weder Sie noch eine ganze dräuende Welt mich abschrecken können, sie zu behaupten. Ein rechtschaffner Mann fürchtet nichts. – Aber beruhigen Sie Sich. Ich habe und mache keine Ansprüche. Die uneigennützigste Freundschaft, nicht die Liebe, hat mich nach Italien zurück geführt. Es ist mit dem Beyfall des Markgrafen und der Familie geschehen. Ich selbst habe jetzt keinen andern Wunsch, als die Gesundheit meines Jeronymo und seiner Schwester. Wenn ich an ihrem Zustande den zärtlichsten Antheil nehme, so ist es nichts mehr, als wozu mich der Nahme eines Bruders berechtiget, womit sie mich auf Befehl ihres Vater selbst beehret hat.

BELVEDERE. Ists möglich? – Grandison? – Reden Sie im Ernst? – Sie haben keine besondern Absichten? O, Sie geben mir das Leben wieder! – Was für ein Mann sind Sie? – Aber wie ist es möglich?

GRANDISON. Ich habe niemahls Ursache gegeben, dass an meinem Worte gezweifelt werde, und demjenigen am allerwenigsten, der nicht vergessen haben sollte, mit welchem Eifer ich ehemalhs seine Sache zu meiner eignen gemacht habe. – Doch, verzeihen Sie mir, Herr Graf! ich wollte Ihnen keine Vorwürfe machen.

BELVEDERE. Ich erröthe vor mir selbst! Ich bin ungerecht gegen Sie gewesen, Grandison![23] – O wie sehr hat diese unglückliche Leidenschaft meine Seele erniedriget! Bey ruhigerm Blute verschmähe ich auch den Schatten des Unrechts und der Niederträchtigkeit – Sie sind der edelste und würdigste unter den Männern, Grandison! Verzeihen Sie mir! – Aber – Ach! wie kann ich mir mein Schicksal verbergen? Sie werden zuletzt doch der Gemahl Klementinens werden, und ich – der elendeste unter den Menschen!

GRANDISON. Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass ich ohne eine solche Absicht nach Bologna gekommen bin. Indessen mache ich mir kein Bedenken zu gestehen, dass ich die Gräfin Klementina bewundre, obgleich ihr Besitz in meinen Augen allezeit ein Gut gewesen ist, das der Himmel nicht für mich bestimmt zu haben scheint. Ich würde das unglücklichste unter allen Wesen seyn, wenn ich mir wegen des Unfalls, der diese liebenswürdige junge Dame betroffen hat, den mindesten Vorwurf machen müsste. – Die Sache ist zu zärtlich, davon zu reden. – Sie wissen, unter was für einer Bedingung mir ehemahls gestattet wurde, mich in den Besitz eines Glückes zu setzen, nach welchem ich niemahls vermessen genug gewesen war zu trachten. Es war eine Bedingung – die ich ausschlagen musste. Der blosse Gedanke an die Verlegenheit, worin ich damahls war, macht mich schauern. Ich that einen andern Vorschlag,[24] der mit Hitze verworfen wurde. Klementina war die erste, die ihn verwarf. Sie wissen das übrige, Herr Graf! Da ich gewissermassen die Folgen der Massregeln, die man genommen hatte, voraus sahe, so erklärte ich mich, dass ich mich durch meinen Vorschlag so lange für gebunden ansehen würde, als eine Möglichkeit da wäre, dass er künftig angenommen werden möchte. – Sie sehen nun meine Umstände, Belvedere! Sollte dieser verworfne Vorschlag von der Familie selbst erneuert werden, so setzen Sie Sich an meine Stelle, und entscheiden, was ich thun soll! – Aber warum wollten Sie Sich mit entfernten, ungewissen und sogar unwahrscheinlichen Möglichkeiten quälen? Der Zustand der theuern Klementina sollte jetzt Sie und mich unser selbst vergessen machen. – Sehen Sie mich als einen Freund an, Belvedere! Nehmen Sie meine Hand zur Bekräftigung, dass ich mich aufrichtig freuen werde, wenn das Schicksal den Grafen von Belvedere zum Besitzer des Herzens und der geliebten Person seiner Klementina machen wird.

BELVEDERE. Unwiderstehlicher Mann! Wie gross sind Sie, und wie klein bin ich! – Was kann ich sagen? Was kann ich thun? Ich bin überwunden! Hier ist meine Hand, Grandison! Ich weiche der Übermacht Ihrer Tugend, und verehre sie. – Himmel! Hätte ichs jemahls für möglich gehalten, eine solche Erklärung gegen[25] einen Nebenbuhler zu thun? – Doch Sie sind es nicht. Ich verlasse mich auf Ihr Wort, Herr Grandison!

GRANDISON. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich ohne eigennützige Absichten gekommen bin, ob ich mich gleich in Absicht der Familie von Porretta für gebunden halte. Ich überlasse den Ausgang der Vorsicht; und wenn je Klementina die Meinige werden sollte, so müsste ich von der Familie selbst aufgemuntert, und der zufriedensten Genehmhaltung aller Personen in derselben gewiss seyn.

BELVEDERE. Sie beruhigen mich, Herr Grandison! Ich verlasse Sie als ein aufrichtiger Bewunderer Ihres Karakters. Jetzt, da mein Herz gelassener ist, sind alle meine Wünsche für Klementinen! Was auch mein Schiksal seyn möge, so will ich denjenigen als meinen Wohlthäter ansehen, den der Himmel zum Mittel gebraucht, das schönste seiner Werke wieder herzustellen.


Geht ab.


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 5, Leipzig 1798, S. 19-26.
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Klementina von Porretta
C. M. Wielands sämtliche Werke: Supplement, Band V. Klementina von Porretta; Pandora; Die Bunkliade; Auszüge aus Jakob Forsters Reise um die Welt

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