Zehnter Auftritt.

[126] Grandison, Klementina, Kamilla.

Indem Grandison mit den äusserlicheh Zeichen einer grossen Unruhe auf und ab gehet, erscheint Klementina auf dem hintern Theile des Theaters. Sie bleibt stehen, da sie Grandison sieht, und lehnt sich an Kamillen zurück.


KLEMENTINA. Können Sie mir verzeihen, Grandison? – Können Sie einer Kreatur verzeihen, die Ihren Unwillen weder vermeiden noch ertragen kann?[126]

GRANDISON. Ihnen verzeihen, theuerste Klementina? Vergeben Sie mir, dass ich so vermessen gewesen bin, dass ich noch so vermessen bin, und hoffe, einen solchen Engel mein zu nennen.

KLEMENTINA. Reden Sie nicht von Hoffnung, Chevalier! Sagen Sie, dass Sie mir vergeben. Beruhigen Sie mein Herz, wenn es Ihnen möglich ist!

GRANDISON. Sie haben nichts gethan, das Vergebung nöthig hat. Ich bete die Grösse Ihrer Seele an – Aber – O dürfte ich Ihr Mitleiden – Vergeben Sie mir, allzu liebenswürdige Klementina – ich schweige! Was auch mein Herz dabey leiden mag, so will ich doch nichts anders seyn, als was Sie wollen, dass ich seyn soll.

KLEMENTINA. Wenn Sie mich lieben, theurer Grandison, so machen Sie mir Muth, in dem Entschlusse standhaft zu bleiben, den ich gefasst habe. Ich würde unaussprechlich elend seyn, wenn der Verlust meiner Person Sie unglücklich machen könnte. Meine Liebe können Sie nie verlieren. Die besten, die zärtlichsten Empfindungen meines Herzens sind Ihnen heilig. Sie sind in den Grund meiner Seele eingewebt. Sie werden unsterblich seyn, wie sie.

GRANDISON. Verehrungswürdiger Engel! Wie gütig muntern Sie mich auf, mich Ihrer würdig zu zeigen! – Fahren Sie fort, liebste Klementina![127] Helfen Sie mir, lehren Sie mich, einen Verlust zu ertragen, dessen ganze Grösse Sie mich erst jetzt kennen gelehrt haben.

KLEMENTINA. Könnte Grandison schwächer seyn, als seine Klementina? – O wüssten Sie, was es ihr gekostet hat, diesen Entschluss zu fassen! – Ich habe keine Ursache mehr, zu verbergen, wie theuer Sie mir sind! – Ja, liebster Chevalier! wenn ich ohne Unruhe meines Gewissens die Ihrige hätte seyn können; die wildeste Einöde wäre mir mit Ihnen ein Paradies gewesen. Schliessen Sie aus der Grösse meiner Selbstverläugnung, mit welcher Stärke die Beweggründe auf mein Gemüthe wirken müssen, die mich derselben fähig machen! – Das Opfer war gross, das der Himmel von mir forderte. Aber, da ich die Kürze dieses Lebens betrachtete, und die Ewigkeit mit allen ihren Hoffnungen und Schrecknissen vor meiner Seele lag, konnte ich mich da bedenken, was ich wählen sollte?

GRANDISON. Ich verehre Ihre Beweggründe, ob sie mich gleich nicht überzeugen; ich verehre die Zärtlichkeit Ihrer Denkungsart, und diese Frömmigkeit, die Sie in meinen Augen über die menschliche Natur erhebt. Aber – o meine Klementina – Ich bemühe mich umsonst, Ihnen zu verbergen, wie schwer es mir ist, einer Glückseligkeit zu entsagen –[128]

KLEMENTINA indem sie ihm mit zärtlichen Geberden die Hand auf den Mund legt. Liebster Chevalier, sagen Sie das nicht! – Wie soll ich sonst meinen Vorsatz halten? – Lassen Sie mich nicht in meiner Hoffnung betrogen werden! Ich sah Sie als den Freund meiner Seele an – ich kannte Sie als den edelsten und besten unter den Sterblichen – hätte ich es sonst wagen dürfen, mein Schicksal Ihrer Grossmuth zu überlassen?

GRANDISON. Sie sollen Sich nicht betrogen haben, unnachahmliche Klementina! Ich will der Freund Ihrer Seele seyn; und diese geliebte Seele nehme ich zum Zeugen, dass ich von diesem Augenblick an jedem eigennützigen Wunsch entsage, und mich aller Vortheile begebe, die mir die Grossmuth Ihrer Verwandten, meine Liebe, und die Gütigkeit der Gräfin Klementina selbst, zu Bestreitung Ihres Vorsatzes geben könnte.

KLEMENTINA. Wie würdig sind Sie in diesem Augenblicke meiner ganzen Zärtlichkeit! – Unsterbliche, liebster Grandison, Engel schauen auf uns herab und billigen uns! O möchte ich durch den Dienst dieser unsichtbaren Freunde der Menschen den Geliebten meiner Seele dort wiederfinden, wo uns nichts mehr trennen könnte! – Hören Sie mich, Grandison, und geben Sie mir noch den letzten Beweis, dass Sie mich lieben! – In dem Augenblicke, da ich entschlossen war, den Wunsch meines Herzens meiner[129] höchsten Pflicht aufzuopfern, habe ich alle Ansprüche an irdische Glückseligkeit aufgegeben. Die Welt hat keine Reitzungen mehr für mich. Dasjenige, was ich durch meine Krankheit erlitten, und was mir der gewaltthätige Kampf mit mir selbst gekostet hat, bekräftiget die Ahnung, die ich in mir fühle, dass ich nicht lange mehr zu leben habe. Soll ich nicht den Überrest meines Lebens anwenden, glücklich zu sterben? Ja, Chevalier! ich bin entschlossen, mich von der Welt zu entfernen. Alle meine Gedanken, alle meine Wünsche sind auf dieses Einzige gerichtet. Helfen Sie mir, Chevalier! Sie vermögen alles bey meinen Ältern. Unterstützen Sie mein sehnliches einziges Verlangen! – Meine Liebe zu Ihnen wird mir in die heilige Freystätte folgen, die ich mir erwählet habe. Die ewige Glückseligkeit Ihrer Seele soll Tag und Nacht der Gegenstand meines Gebetes seyn. Gott wird die Thränen eines armen Geschöpfes ansehen, das ihm alles aufgeopfert hat. Seine Gnade wird Sie erleuchten – und – o entzückende Hoffnung! – ich werde Sie in den himmlischen Wohnungen wiederfinden! – Was sagen Sie zu meinem Vorhaben, Chevalier? Wollen Sie Ihrer Klementina diesen Beweis geben, dass Sie ihre Seele lieben? –

GRANDISON. Auf was was für eine Probe stellen Sie eine Liebe, an der Sie nicht mehr zweifeln können? Wie soll ich einwilligen, wie[130] soll ich selbst dazu behülflich seyn, dass eine Dame von so ausserordentlichen Vorzügen in der Blüthe ihrer Jugend der Gesellschaft entzogen werde, welche desto gerechtere Ansprüche an sie hat, je grösser ihre Tugenden sind? Wie soll ich es wagen dürfen, Ihren Ältern einen Antrag zu machen, der sie einer Tochter beraubte, von der sie hoffen, dass sie das Vergnügen ihres übrigen Lebens seyn werde? Ein Antrag, der mir das Ansehen geben würde, als ob ich wünschte, dass Sie, weil Sie nicht die Meinige seyn können, für alle Welt verloren seyn möchten! – Erlauben Sie, gnädige Gräfin, Ihrem Grandison, Sie zu bitten, dass Sie mit verdoppelter Aufmerksamkeit erwägen, was Sie so gütigen Ältern und so zärtlichen Verwandten, wie die Ihrigen, schuldig sind, ehe Sie Sich –

KLEMENTINA unterbricht ihn ein wenig hitzig. Ich habe alles erwogen, Chevalier! Meine Ältern verlieren nicht mehr, als sie durch unsere Vermählung verloren hätten. Ich fühle mit der gerührtesten Dankbarkeit alles, was ich ihnen schuldig bin; aber ist nicht meine Pflicht gegen sie einer höhern Pflicht untergeordnet? Glauben Sie mir, dass ich alles erwogen habe. Ich bin überzeugt, dass der Trieb, den ich in mir fühle, von Gött ist. Er ist unwiderstehlich! – O Grandison! warum wollen Sie mich des einzigen Mittels berauben, welches mir den Schmerz unserer Trennung erleichtern kann? Und haben Sie auch[131] wohl bedacht, was die Folgen davon seyn werden, wenn Sie mich verhindern, den Schleier anzunehmen? Ach, Chevalier! von Ihnen hätte ich das nicht vermuthet! Von dem Augenblick an, da Sie Bologna werden verlassen haben, werde ich den Verfolgungen des verhassten Belvedere und meines Bruder ausgesetzt seyn. Alle werden sich wider mich vereinigen. Man wird mich zur Verzweiflung treiben, und ich werde mein elendes Leben vor der Zeit endigen, ohne dass ich den Trost gehabt habe, mich zu dem künftigen vorzubereiten. Können Sie so grausam seyn, Chevalier, und mich einem solchen Zustand überlassen?

GRANDISON. Theure Klementina! Sie setzen mich in die äusserste Verlegenheit. Ich darf es nicht wagen, Sie um die Widerrufung des strengen Gesetzes zu bitten, das Sie mir aufgelegt haben – Ich habe mein Wort gegeben – Ich kann nicht unedel seyn – Aber ist denn kein ander Mittel als der Schleier, Sie vor demjenigen, was Sie fürchten, sicher zu stellen? Ich kenne ein Mittel, das unfehlbar ist. Sie haben Beweise von der Gütigkeit Ihrer Ältern. Von einem so grossmüthigen Vater, von einer so zärtlichen Mutter dürfen Sie Sich alles versprechen. Und erlauben Sie mir auch zu sagen, dass der Graf von Belvedere Sie zu sehr verehrt, als dass er sich der Freundschaft Ihrer Verwandten bedienen sollte, Ihnen Unruhe zu machen. Er ist[132] unglücklich, weil er eine Klementina ohne Hoffnung liebt; aber er verdient nicht, dass Sie ihn hassen.

KLEMENTINA für sich, mit einer trostlosen Stimme und Geberde. Arme, unglückliche Klementina! – So vereiniget sich alles, dich elend zu machen! – Es war ein Trost für mich zu glauben, dass er mich liebe – Der angenehme Betrug schläferte meine Schmerzen ein, und gab mir Augenblicke von Ruhe – Musste ich auf eine so grausame Art belehrt werden, dass ich mich betrogen habe?

GRANDISON. Hören Sie auf, Klementina, mein Herz mit diesen ungütigen Zweifeln zu martern! – Doch es ist noch grössere Pein für mich, Sie von diesen selbstgemachten Schmerzen gequält zu sehen! – Sie können nicht an meiner Liebe zweifeln, liebste Klementina! was wollte ich nicht thun, was wollte ich nicht leiden, Sie zu überzeugen –

KLEMENTINA. Vergeben Sie mir, Chevalier! Ich bin ungerecht gewesen – Vergeben Sie Ihrer Klementina! Aber, o lassen Sie mich Sie bitten –


Sie wirft sich ihm zu Füssen.


GRANDISON indem er sie aufheben will. Stehen Sie auf, liebste Gräfin – Ich beschwöre Sie, stehen Sie auf.

KLEMENTINA. Nein, Grandison, ich will nicht aufstehen; hier zu Ihren Füssen will ich[133] liegen bleiben, und nicht aufhören, Sie zu bitten – O wenn Ihnen Klementina jemahls werth gewesen ist, wenn Ihr grossmüthiges Herz nicht für sie allein ohne Mitleiden ist – bey meiner Liebe, Grandison, bey den Thränen, die nun so lange mein einziges Labsal sind, beschwöre Sie, lassen Sie Sich erbitten! Billigen Sie, unterstützen Sie meinen Entschluss! Lassen Sie den Überrest meines Lebens glücklich seyn! Lassen Sie mich –

GRANDISON hebt sie auf. Unwiderstehlicher Engel! Ich will – ich will alles was Sie wollen! Meine Seele wird von der Ihrigen fortgerissen – Vergeben Sie mir, dass ich mich Ihren Wünschen widersetzte; ich habe keine andere als Ihre Glückseligkeit!

KLEMENTINA. O Grandison! der Allmächtige belohne Sie für diese grossmüthige Liebe, die ich nicht belohnen kann! – Ich werde also nicht ganz unglücklich seyn! In der Stille einer einsamen Zelle werde ich ungetadelt und ungestört meiner Zärtlichkeit und meiner Thränen geniessen. Nur unsichtbare Engel werden sie sehen, und die Seufzer zu dem Throne des Ewigen tragen, in denen sich meine Seele für Sie aushauchen wird! – Sie haben mir das Leben wiedergegeben, Chevalier! – Gehen Sie, meinen Vater zu bewegen, dass er meinen Vorsatz billige. Lassen Sie mich Ihnen die einzige Glückseligkeit zu danken haben, deren ich fähig bin![134]

GRANDISON. Möchten Sie in diesem Augenblick in meine Seele schauen können! Ich gehe – Sie verlangen es! – O Klementina, wenn nicht ein besseres Leben auf uns wartete, wie unglücklich wär' es, geboren zu seyn!


Er geht ab.


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 5, Leipzig 1798, S. 126-135.
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