Schevelingen.

[86] Schevelingen ist ein Fischerdorf, eine halbe Stunde vom Haag entfernt. Der Weg dahin führt durch die Dünen, ist aber mit Klinkern gepflastert und von mächtigen Buchen beschattet, eine Anlage von Vater Kats, einem berühmten Staatsmanne und Dichter des siebzehnten Jahrhunderts.

Auf einer alten Karte von Schevelingen, die auf dem Haager Stadthause hängt, sieht man die Kirche, welche gegenwärtig am Ende des Dorfs liegt, ungefähr in der Mitte desselben: diese fehlende Hälfte des Dorfes ist, wie die Chronik berichtet, durch eine mächtige Fluth am Ende des sechzehnten Jahrhunderts plötzlich abgerissen und Beute des Meeres geworden, sie lag aber auch außer den Dünen und daher unbeschirmt vor der Wuth des Meeres. Im Grunde hatte das Meer Recht auf einige Repressalien; was die Schevelinger sind und haben, so wenig es sein mag,[87] verdanken sie dem Meer, sie werfen ihre Netze seit mehr als tausend Jahren in die See und trotzen der starken Brandung, welche sie von ihrem Gewerbe abzuschrecken sucht. Der Fischfang muß sehr bedeutend sein, ich zählte an einem Sonntag über siebzig Pinken und außerdem fünfzehn bis zwanzig kleinere Schiffe, welche der Reihe nach am Strande lagen und statt der Segel mit Fischernetzen zum Trocknen behängt waren. Die Männer sind schlank und kräftig gebaut, man glaubt mitunter neapolitanische Schiffer zu sehen. Wenn sie nicht fischen, sieht man sie unter einem hölzernen Dach am Strande sitzen, das sie vor Regen und Sonne in Schutz nimmt, sie sitzen, liegen, sprechen, gähnen, schlafen, rauchen, sehen nach dem Wind, singen die Barcarole aus der Stummen, oder fassen sich zur Abwechselung beim Kragen. Vom Gewinn des Fangs erhalten sie nur ein Viertel, der Rheder streicht die Hälfte für sich ein und das letzte Viertel geht auf für Ausbesserung ihrer Schiffe. Denn die Schevelinger sind ein armes Volk, die wenigsten Fischer sind Eigenthümer der Fahrzeuge, mit welchen sie auf den Fang gehen. Diese gehören etlichen reichen Leuten in Schevelingen und dem Haag, welche den Hauptgewinn ziehen und ruhig hinter dem Ofen hocken, während die armen Teufel in[88] Regen, Wind und Wellen hinaus müssen. Dabei sind ihre Familien sehr zahlreich, ihre Weiber ungewöhnlich fruchtbar, Alles ist schwanger oder säugt, und wenn sie des Morgens in der Frühe hoch aufgeschürzt in der See stehen und ihre Lappen, Lumpen und Windeln waschen, so liegt ein Kinder-Bethlehem hinter ihnen im Sande, gräbt, spielt, krauelt und krabbelt, steckt die Beinchen in die Luft und saugt an dürren Fischen. Sieht man von den Dünen herab in das kleine rothe Nest hinein, das an der See im Dünenkessel liegt, so begreift man nicht, wie so viele tausend Menschen darin wohnen und unter Dach und Fach kommen mögen; will man aber wissen, wie, so streiche man des Nachts, wenn der Mond scheint, durch die fischduftigen Gäßlein an den elenden Hütten dieser Leute vorüber. Da ist es nichts Seltenes, einen nackten Fuß aus der Thür stecken zu sehen, der einem großen Jungen oder Mädchen angehört; wo dann sicher vier bis fünf Familien zwischen die Lehmwände einer armseligen Fischerhütte zusammengepreßt sind. Diese Noth hat die Schevelinger vor etlichen Jahren beinahe zum Aufruhr gebracht; sie wollten nicht mehr fahren, verwünschten ihr armseliges Gewerbe, die Habsucht der Rheder, welche sie noch außerdem zwingen, Speck, Butter, Käse und andere Lebensmittel aus ihrem[89] Lager, oder, wie sie's nennen, aus ihrem Winkel zu kaufen, die Sturmglocke ging, die Rheder kamen in Angst und der Domine, das ist der Geistliche von Schevelingen, mußte alle Federn seiner geistlichen Beredtsamkeit springen lassen, um ihre aufgehobenen braunen Fäuste in den Schranken des christlichen Gehorsams zurückzuhalten. Mir hat die lächerliche und traurige Geschichte ein alter Seehund von Fischer erzählt, der am Ufer neben seiner Pinke lag und Netze flickte. Während er sprach und über die plötzliche Angst und Geschmeidigkeit der harten Rheder grimlachte, lief ihm der Tabackssaft in die silbergrauen Haarzinken, die auf Kinn und Lippe emporstarrten. – Betelkauen, Fuseldampf, Branntwein machen ihnen das Leben erträglich, wie der Kartoffelbau auf den Dünen ihnen dasselbe möglich macht.

Ihre Weiber sind häßlich, umgekehrte Sirenen, mit bogenförmigen Fischmäulern. Sie tragen die Fische in geflochtenen Körben auf dem Kopf, halten diesen mit gebogenen Armen weniger anmuthig, wie die atheniensischen Kanephoren, und setzen sich, wenn sie zur Stadt gehen, in kleinen Trab, wobei sie mit ihren unverschämten Hinterbacken glockenspielartig hin und her wackeln. Doch sind mir auch mehrere junge Mädchen und Weiber begegnet, die weiß und hübsch waren und[90] aussahen wie die Puppen, welche sie selbst von sich an Fremde und Badegäste verkaufen. Diese närrischen Dinge sind belegt mit Muscheln, welche durch ihre verschiedene Farbe Schuh, Strümpfe, Rock, Hosen, Mieder, Hüte vorstellen, ein Ueberzug, worin diese Kinder der See höchst lustig naturgemäß erscheinen.

Alte und Junge sind schmutzig wie die Kamschadalen. Die Knaben fahren auch, wie diese, mit Hunden. So ein Schevelinger Hunde-Diomedes, der, mit rothwollener oder buntgestreifter Mütze auf dem Kopf, nackter Brust und hängenden Hosen auf seinem kleinen zweirädrigen Wagen steht, und durch Schnalzen, Schreien, Singen, Flöten, Peitschen seine vier oder sechs räudigen Köter zum Laufen anspornt, wäre allemal ein Anblick zum Lachen, dauerte es Einen nicht oft um die armen Köter, welche schwitzend und heulend ihre rothe Zunge aus dem Hals hangen lassen.

Alles in Schevelingen riecht nach der See und nach getrockneten und faulen Fischen.

Der Strand mit den Dünenhügeln, dem Kirchthurm des Dorfes, der hinter ihnen hervorragt, dem Leuchtthurm oder Feuerbecken, der oben auf den Dünen steht, hat nicht selten den Pinsel der großen holländischen Seemaler, wie Backhuisen, van de Velde und Anderer beschäftigt,[91] besonders wenn die Ankunft oder Abreise eines Prinzen von Oranien von oder nach England dargestellt werden sollte. Gegenwärtig ist die Ansicht des Strandes noch mit zwei Gebäuden vermehrt mit dem Lusthause der Königin und dem Badehause, beide in den Dünen, unmittelbar über dem Strand. Das Badehaus ist ein großer, geschmackvoller Palast, es nimmt sich, wie es da einsam auf den kahlen Sandhügeln, der brandenden See gegenübersteht, seltsam und feenartig genug aus. Badegäste gab es den Sommer wenig oder gar nicht. Die Prinzessin von Oranien bewohnte einige Säle. Spiel, Bälle, Redouten gibt es nicht; nur Seewasser, Sand, Sonnenstiche und Badekarren.

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 86-92.
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