Die Glasfenster der Kirche zu Gauda.

[143] Die berühmten Glasmalereien der Kirche zu Gauda veranlaßten mich einen Abstecher nach diesem Ort zu machen. Die Reise ging über Rotterdam. Auf allen Canälen, Wiesen, Flüssen, Seen liefen Holländer und Holländerinnen Schlittschuh, oder, um mich ihrer Art zu sprechen, zu bedienen, sie fuhren Schlittschuh (schatse rijden). Auf dem Eise kennt man sie nicht mehr, sie übertreffen sich selbst, wenn sie sich die Eisen unterbinden. Aus steifen, ungelenken und schwerfälligen Leuten verwandeln sie sich in das Gegentheil und wiegen und bewegen sich schlank und anmuthig hin und her auf dem glatten Boden. Kunststücke üben sie nicht, solche waren auch dem größten deutschen Schlittschuhläufer, Klopstock, zuwider. Vermöge[144] der langen Schnäbel, welche die holländischen Schlittschuh, zumal die friesische Art derselben, haben, wird ihnen auch das kurze und häufige Uebertreten, lästig und gefährlich. Dagegen kann kein Geometer einen bessern Halbzirkel schlagen, wie sie im Laufen einen nach dem andern bilden. Es macht ihnen viel Vergnügen, sich anzufassen und reiheweis zu laufen. Ein Paar junge Leute, die Gewandtesten, sind dann die Flügelmänner, die Weiber laufen im Centrum. Noch immer sieht man die vornehmsten Damen flüchtig auf dem Eise umherstreifen, doch besonders an Orten, wo nicht die große Menge läuft. Mehrere Tausende sah ich auf den Wiesen vor dem Haag bis nach Ryswik zu.

Etwas schwerer als die Kunst, Figuren in Eis zu malen, ist die andre, Figuren auf Glas zu malen. Diese schien sogar eine Zeitlang ganz verloren, bis man sie in neuerer und neuester Zeit wieder zum Vorschein gebracht und ausgeübt hat. Allein noch jetzt kennt man die wohlfeilen Mittel nicht, deren sich die Künstler des fünfzehnten und sechszehnten Jahrhunderts bedienten. Die Stadt Verden hat ganz neuerdings ihren neuausgebauten Dom auch mit Glasfenstern versehn. Diese kosten aber, wie ich höre, eine sehr namhafte Summe, siebzig bis achtzig tausend Thaler. Die Summe,[145] die es kostet, hätte freilich unsre Vorväter nicht abgehalten, die Fenster ihrer Kirchen auszumalen, weil sie einmal Sinn dafür hatten und dieser Sinn von eben so künstlicher und religiöser Natur war, und völlig mit dem gothischen Bausinn im Einklang stand. Allein sie befriedigten ihre Augenweide auf jeden Fall mit geringeren Kosten, als die Bürger von Verden.

Von außen ist die Sanct Janskirche zu Gauda – die merkwürdigste in dieser Art in ganz Europa – ein großes, langes, unscheinbares Gebäude mit sägeförmigen Dächern und schmutzig trüben Fenstern. Tritt man aber in die Kirchenthür – und ich rathe den Besuchenden, ihren Eintritt durch die Thurmthür zu nehmen, so sieht man vor sich einen steinernen Wald von Säulen, fünf Reihen breit, überwölbt von laubgrünem Dache und das Ganze durchspielt und beleuchtet durch magische Lichter, welche durch achtundzwanzig hohe bemalte Bogenfenster hereinbrechen.

Wüßte ich auch keine Sylbe von der Geschichte der Glasmalerkunst, nichts zumal von der Geschichte der Glasfenster zu Gauda, so würde ich doch nur meinem Gefühl und dem Eindruck folgen, den dieser Anblick auf mich machte, um die Glasmalerei dem Genius und der Zeit des altkatholischen[146] und nicht des protestantischen Glaubens zuzuschreiben. Das ist kein protestantisches, das ist ein dunkelfarbiges katholisches Licht, das um die Säulen dieser Kirche blüht. Die Dortrechter Synode hat die Kanzel und die Kirche gebaut, aber die Säulen und die Glasfenster hätte die Dortrechter Synode wohl ungebaut und ungemalt gelassen.

Von den Gebrüdern Krabeth, als den Hauptkünstlern Gauda's und der Zeit, von der Glasmalerei selbst, ihrem Glanz und Schimmer, ihren kolossalen Verhältnissen, die hohen Fenster sind von unten bis oben bemalt, von den Gegenständen derselben u.s.w., könnte ich, wenn ich möchte, Seiten genug füllen, allein ich mag nicht. Man muß das Alles sehn. Ich bemerke nur, daß die Gebrüder Krabeth, die auch in Frankreich in mancher Kirche glänzende Spuren ihrer Kunst zurückließen, unübertreffliche Leute waren.

Geschichtliches Interesse erhalten außerdem die Glasfenster von Gauda durch den Umstand, daß sie allegorisch, symbolisch, historisch den Zustand der Holländer unter den spanischen Königen und aus den ersten Tagen der Republik darstellen. Einige Gläser sind noch von Philipp geschenkt, andre schon von Wilhelm von Oranien und den Bürgermeistern der befreiten holländischen Städte.[147] Es ist eine Geschichte der Republik auf Glas. Man sagt wohl, Glas, wie bald zerbricht das, allein es gibt noch gläsernere Dinge als Glas, zum Beispiel das menschliche Herz und die holländische Republik.

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 143-148.
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