Zweiter Auftritt.

[7] Die Vorigen, Cornelia und Licinnia in vornehmer Kleidung, kommen von rechts, zwei Sclaven hinter ihnen. Publius Lätorius jung, bleich, aufgeregt, hat sich im Hintergrunde unter das Volk gemischt.


LÄTORIUS. Es lebe Cornelia, die Tochter des großen Scipio!

VOLK im Hintergrunde, vielstimmig. Die Tochter des großen Scipio – hoch! hoch!

CORNELIA mit angegrautem Haar, würdevoll, freundlich. Die Tochter Scipio's dankt, ihr werthen Bürger und Freunde! Zu Lätorius. Wer bist du, der du noch heut meinen todten Vater so begrüßest?

LÄTORIUS. Ein Kind von Rom, das alle unsterblichen Römer ehrt. Laut. Bürger: es lebe Cornelia, die Mutter der Gracchen! Das Volk bleibt stumm.

CORNELIA blickt erschüttert umher; dann sich Fassung erkämpfend. Warum rufst du auch »die Mutter der Gracchen« an? du siehst, kein freundliches Echo giebt dir Antwort! Die Römer sind zufrieden, daß Scipio's Tochter lebt, Schmerzlich. aber sie grollen mir, daß ich die Mutter der Gracchen bin.

LÄTORIUS. Weil ihre Mannheit mit deinem Sohn Tiberius zu Grabe ging; weil sie sich vor dem großen Senat, unserm Tyrannen, fürchten! – Mutter der Gracchen, ich, Publius Lätorius, wünsche dir alles Heil. Mögen die Götter deinen Sohn Gajus wachsen lassen wie die stolze Cypresse!

LICINNIA erschreckend. O nicht doch! Die Cypresse bedeutet das Grab.

CORNELIA. Nein, mein Freund! Mögen die guten Götter meinen letzten Sohn, den Mann dieser Frau, vor aller Erhöhung bewahren![8] Mögen sie ihn still und lange leben lassen, – und wenn ich jetzt nach Hause komme, möge kein Gajus drin zu finden sein!

LICINNIA erregt, halblaut. Mutter Cornelia, komm! Es läuft mir über die Haut. Wenn es wahr wäre – wenn er's wirklich gewagt hat!

CORNELIA halblaut. Still! still!

LÄTORIUS. Wie! Ihr wißt nicht – auch ihr nicht – ob Gajus Gracchus heimgekommen ist oder nicht?

CORNELIA. Was wissen wir, guter Freund? Wie wir vom Tempel der Juno kommen, ruft das Volk, er sei da. Fort von Consul und Heer, der Republik ungehorsam – er, ein einzelner Mann! Ich bin seine Mutter, ich glaub's nicht! Ein Phantom hat die guten Römer geäfft; mein Sohn sitzt in Sardinien unter des Consuls Zelt, und nur das Gerücht, als Wahrheit verkleidet, mit hundert Zungen seinen Namen hinausrufend, wandelt durch unsere Straßen!

LICINNIA. So ist's! so ist's!


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Gracchus der Volkstribun. Berlin [1872], S. 7-9.
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