Sechster Auftritt.

[37] Die Vorigen, Lätorius, dann Euporus; Sclaven und Volk; später Licinnia. Die Sclavin eilt wieder zurück.


LÄTORIUS hastig, mit nacktem Dolch. Wo ist der Meuchler? Stürzt auf Kleon zu, der sich eben auf Gracchus wirft, und verwundet ihn. Gedungener Mörder. – Bandit!

KLEON. Daß dich! – Gracchus steht, ich falle! Sinkt zu Boden; der Dolch entfällt ihm. Andere Sklaven eilen mit Fackeln herbei.

VOLK auf der Straße. Mord! Mord! – Was ist mit Gracchus geschehn?

LÄTORIUS hinausrufend. Es lebe unser Tribun! Der Mörder liegt, Gracchus lebt!

GRACCHUS tritt weiter vor, Allen sichtbar. Ja beim Mars, er lebt: dieser Mann von Stein, und dieser von Fleisch und Blut haben ihn gerettet! – Lätorius! wundersamer Mensch, was führte dich her?

LÄTORIUS. Unser Argwohn, unsre Kundschaft, – und unsre Liebe zu dir! Sieh hin, Bürger, Tribun: da draußen stehn meine Freunde, die Aventiner, Feuer im Blut, feste Hände und Herzen, – alle gekommen, für ihren Tribun zu leben oder zu sterben.

VOLK draußen, zum Theil sich ins Haus hereindrängend. Nieder mit den Mördern! Wir schützen unsern Tribun!

EUPORUS schreit hinter der Scene. Platz! Platz!

VOLK Einzelne. Laßt ihn durch!

EUPORUS stürzt von hinten herein. Hier wird gemordet, sagen sie – Es war erlogen, mein Bruder ist nicht gestürzt – Erblickt Kleon am Boden, fährt zurück.[38]

GRACCHUS sieht finster auf Kleon herab. Wer ist dieser blutige, blutlechzende Mensch?

LÄTORIUS nimmt einem Sclaven die Fackel aus der Hand, leuchtet über Kleon. Das ist Kleon der Bandit! Kleon der Bandit!

GRACCHUS. Wer schickte dich zu mir, elender Mensch?

KLEON ächzend. Pfui – verspielt, verspielt! Ich wollte, Bleichgesicht von einem Aventiner, du hättest besser getroffen – so wär's auf einmal vorbei. Gieb dir um »Kleon den Banditen« keine Mühe, Tribun: nicht einen Buchstaben werd' ich dir bekennen.

VOLK. Auf die Folter mit ihm!

KLEON. Krächzt, ihr Aaskrähen! – Wenn ich ein Wort bekenne, so ermorden mir die Andern Weib und Kind: das ist geschworen. Besser, ich verrecke allein! Hebt seinen Dolch auf, der neben ihm liegt, stößt ihn sich in die Brust.

LÄTORIUS. Halt!

KLEON. Laß mich sterben, du Hund! – Es werden sich Andre finden, Gracchus, die dich besser treffen – Andre finden. Stirbt.

LICINNIA tritt hastig ein; schaudernd. O ihr heiligen Götter! – – Gajus, Gajus, du lebst!

GRACCHUS. Still; – laß mich! – So wahr ich noch lebe, sie haben mir nicht umsonst diesen Todten geschickt! Dieser stumme Mund soll wie Posaunen reden und alle Schläfer im Volk aus ihrem Friedenstraum wecken!

LÄTORIUS. Volkstribun –[39]

GRACCHUS Lätorius' Hand ergreifend. Lätorius, mein Erretter! Von dieser Stund' an mein Freund: die allwissenden Götter haben dich mir geschickt! Sieh diesen Todten an; – Bürger, Freunde, seht her! Weil mich das römische Volk zu seinem Tribun gewählt, weil ich der Bruder des Tiberius bin, weil ihr mich liebt, darum verlangen die Fürsten von Rom meinen Tod!

VOLK. Nieder mit ihnen! – Wir schützen unsern Tribun!

LÄTORIUS. Wir bewachen dich; wir besetzen die Straße, bis der Morgen graut. Doch diesen Todten da –

GRACCHUS. Diesen Todten da, der für Andre starb, Mit wildem Feuer. nehmt ihn auf, tragt ihn auf's Forum, vor die Thür, des Senats! Sagt's allen Römern, daß der Mord umhergeht – doch daß ihn Gracchus nicht fürchtet, daß er mit der Ruhe eines Römers den Tag der Rache erwartet! Sagt's allen Bürgern: im Angesicht dieses Mörders, bei diesem todten, steinernen Tiberius, der den Mörder geschreckt, – bei diesem noch unversöhnten, ungerächten Bruder habt ihr mich schwören sehn, daß ich euer Freund sein will bis in den Tod; daß ich nicht ruhen will, noch Frieden haben, bis ich, jedem Mörder, jedem Todten, jedem Lebend'gen zum Trotz, Rom die Freiheit gewinne!

VOLK in wilder Begeisterung. Rom, Gracchus und die Freiheit! – Tragt die Leiche hinaus!

LÄTORIUS. Tragt die Leiche hinaus! Wer nicht zurückbleibt, den Tribun zu bewachen, ziehe mit diesem Todten durch die Straßen! – Wir schützen dich, wir tödten für dich, wir sterben für dich; Gracchus, gute Nacht!

GRACCHUS. Gute Nacht; – dieses Haus, mein Freund, steht dir offen, wie dieses Herz; komm morgen wieder zu mir! – Aventiner, Römer, gute Nacht![40]

VOLK. Gute Nacht! – Hinaus! Lärmt, lärmt durch die Straßen! Sie heben die Leiche auf, tragen sie hinaus, Lätorius voran. Eine Weile hört man noch verworrenes Getöse.


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Gracchus der Volkstribun. Berlin [1872], S. 37-41.
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