Sechster Auftritt.

[79] Metellus mit seinen Söhnen; später ein Sclave, Opimius, Drusus und Volk.


METELLUS kommt mit Aulus und Rufus durchs Thor, ein fackeltragender Sclave vor ihnen her; kummervoll und zornig. Widersprich mir nicht, Aulus! Widersprecht mir nicht! Er war ein Mann, der mehr Größe im Finger hatte, als ihr in der ganzen Hand; ein zweiter Numa hätt' er werden können! – Aber alle Götter sollen ihn verwünschen, daß er so ein Orkan, so eine Feuersbrunst ist – daß er nicht Frieden halten kann in Rom!

AULUS. Das ist's ja nur, was ich sage.

METELLUS. Du! – Aber wie sagst du's? Mit dieser hämischen Larve, mit so 'nem gekniffenen, schadenfrohen Lächeln; – geh mir mit deinem Gesicht. Zornig den Kopf schüttelnd. Den Scipio, unsern größten Mann, wie einen Räuber und Mörder in den Grund zu donnern!

RUFUS. Und uns alle mit Dolchen zwischen den Rippen zu kitzeln!

METELLUS. Sei still! – Der Zorn treibt solche Blasen, die in der Luft zergehn. – – Ich muß zum Scipio; muß ihn heut noch sprechen! Im Senat schrie Opimius mit seiner Trompetenstimme so laut, daß sie mich nicht hörten; die Vernunft hat nie Lunge genug! – Ich muß hinein und ihm sagen: Mann, wir sind nicht auf dem Schlachtfeld, sondern in Rom –

STIMME in Scipio's Haus, dumpf und schwach. Mord! Mord!

METELLUS. Hört' ich da nicht etwas? Dort in Scipio's Haus?[80]

AULUS. Ich hörte nichts.

METELLUS. Seltsam! Es klang wie »Mord«.

AULUS lachend. Du hörst immer mehr, Vater, als wir andern Menschen!

LÄTORIUS öffnet Scipio's Hausthür, wirft einen verwilderten Blick über den Platz, eilt dann, an das Haus gedrückt, nach hinten zu und verschwindet um die Ecke.

METELLUS. Still, böse Zunge! – – Mir ist, als lief dort eben ein Schatten an der Wand entlang; – jetzt ist er fort.

RUFUS betroffen. Beim Herkules! Ein Mensch oder ein Geist. Aulus, sahst du's auch? Aulus nickt.

STIMME EINES SCLAVEN im Haus. Mord, Mord, Mord! Mein Herr liegt ermordet!

AULUS entsetzt. Heiliger Mars.

METELLUS. Still! – Rief es nicht: »mein Herr ist ermordet?« Nach Fassung ringend. Das ruft der Thürhüter im Traum –

DER SCLAVE stürzt heraus. Mord, Mord, Mord! Scipio, mein Herr, liegt erschlagen an seiner Thür! Haltet den Mörder fest!

METELLUS entsetzt. Mensch, bist du bei Sinnen? Scipio, dein Herr –

DER SCLAVE. Ist ermordet, ermordet! Besinnungslos. helft – – Es ist zu spät – Ruft ins Haus hinein. Wacht auf! – Sempronia! – Mein Herr liegt da und ist todt! Wacht auf, wacht auf! Stürzt wieder hinein, durch die offene Thür. Die Bürger vor Gracchus' Haus sind aufgefahren, stellen sich zusammen. Andre Bürger kommen hinten ans Thor und von rechts an die Straßenecke, stehen und horchen.[81]

METELLUS. Beim grauenvollen Tartarus – er ruft und ruft Scipio ist todt! – Nun, so muß ich hinein. Eilt ins Haus.

AULUS erschüttert. Du wirst blaß, Rufus! – Wollen wir nicht nach?

OPIMIUS drängt sich rechts an den Bürgern vorbei, Drusus und Sclaven mit Fackeln hinterdrein. Halt. Wer ist da? – Sie rufen »Mord«; was ist hier geschehn? Liegt Gajus Gracchus erschlagen –

AULUS. Gajus Gracchus? Der lebt! Gajus Gracchus hat den Scipio erschlagen lassen – da drinnen liegt er in seinem Blut! Bewegung des Volkes.

DRUSUS. Wie? Treffen des Gracchus Flüche so schnell? Das war die Meinung? Der wilde Donner seiner Drohungen flog, umgekehrt wie in der Natur, vor dem Blitzstrahl her? – Bürger, hört ihr's: Scipio liegt ermordet! Eure Schwerter bewachen Gracchus, euren Tribun, und der unbewachte Scipio fällt durch Gracchus' Dolche!

METELLUS tritt wieder in Scipio's Thür. Kein Athem mehr – er ist todt! Unser Scipio todt!

DRUSUS rasch, leise. Opimius! Dieser Tod wird unser Sieg, oder alle Götter haben uns verlassen! – Die Bürger stehen betäubt, entsetzt. Hinein, hinein, tragt die Leiche heraus: aus dieser Einen Wunde soll mehr Blut fließen, als in allen Scipionen rollte! Zu seinem Sclaven. Bursch, gieb mir dein Schwert!

OPIMIUS zu den Söhnen des Metellus. Hinein zum Scipio; kommt! Die Drei mit Metellus ins Haus. Drinnen Getöse; Stimmen durcheinander: »Scipio todt; Mord, Mord!«[82]

DRUSUS geht an des Gracchus' Thür, schlägt mit dem Schwert daran; mit aller Gewalt seiner Stimme. Gajus Gracchus, römischer Volkstribun! Tritt hervor aus deiner Drachenhöhle, enthüll' uns dein giftspeiendes, mörderisches Antlitz! Scipio, dein Feind, ist todt: tritt heraus, laß uns dein Triumphgelächter hören, zeig' uns beim Fackelschein dieser Mordnacht dein wahres Gesicht!

VOLK von allen Seiten mit und ohne Fackeln herbeieilend. Mord, Mord! – Was für ein Mord ist geschehn?


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Gracchus der Volkstribun. Berlin [1872], S. 79-83.
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