Franz von Lenbach

(1903[220] 1)

Blitze aus heiterem Himmel – es gibt dergleichen, sagt man ja; ich hab' noch keinen gesehn. Mir war aber, als säh' ich einen, als ich im Oktober des vergangenen Jahres hörte: Lenbach schwer erkrankt! Lenbach der Urgesunde, der fast Unermüdliche, Unerschöpfliche; noch vor ein paar Jahren hatte ich ihn in all seiner Jugendkraft und Lebensfrische angestaunt. Und nun legte die große Gefahr ihre Hand auf ihn... Hatte er sich zu sehr mißbraucht? im Feuereifer des Schaffens zu sehr auf seine Stärke gepocht? – Geschont hatte er sich wohl nie. Zweimal schon war ihm die große Gefahr auf den Leib gerückt, zweimal hatte er ihr den Herrn gezeigt; zuerst mit neunzehn Jahren, als er ein schweres Siechtum durch eine schneidige Milchkur überwand: viele Monate hatte er fast von Milch gelebt. Dann in den Zeiten der Reise, als er sich eine Blutvergiftung am Finger zugezogen hatte, die weiter und weiter griff. Wochenlang kämpfte er auf Leben und Tod; endlich siegte er über die feindlichen Bakterien wie Hannibal über die Römer bei Cannä. Darauf war er wieder so gesund wie je.[220]

So hat er, wie es scheint, auch diesmal gesiegt; langsamer als damals – der Feinde waren wohl mehr – aber zu ebensolcher Auferstehung, hoff' ich. Möchte dieser Ostergruß, der seinen geliebten Namen trägt, ihn in voller und reiner Freude der Genesung finden! Möchten wieder so wolkenlose Jahre der Lebensfreude und Schaffenslust folgen; nur ein wenig durch – Mäßigung und Schonung verklärt, durch die Weisheit des Geprüften, der am Abgrund vorüberging.

Meine Freundschaft mit Franz Lenbach wird im Jahr 1904 vierzig Jahre alt; sie erblühte in Rom, in zwei Frühlingen und einem Winter. Wir waren beide noch Werdende; das verbindet gut. Am letzten April 1864 kam ich angefahren, um mit dem jungen Maler Hans Kugler, meinem besten Freund, zusammenzuwohnen und mit einem Häuflein von Malern zu leben: neben Kugler Lenbach, Ludwig von Hagn, Hans von Marees, Fitger, Füßli, Penther, Metzner und andere; dazu Böcklin, der damals wieder in Rom hauste, Familienvater, ungefähr zehn Jahre älter als wir, seine Wege gehend, aber oft und gern mit uns. Es war noch die Zeit, da man als andächtiger Pilger zum Schönen und Großen in das »gelobte Land« Italien kam und zumal nach Rom; ist das nun für immer vorbei? Oder kommt es wieder? Man zog noch zur »ewigen Stadt« wie zur unvergleichlichen, einzigen, die Dichter wie die Maler; man suchte in Rom und seinen Ruinen die erhabene Poesie der Geschichte, in den Sammlungen die ideale Schönheit der Antike und die Herrlichkeit der Renaissance, in der Landschaft die stille Größe vornehmster Natur. Wir waren sehr verschiedene Menschen, aber[221] in diesem Grundgefühl einig; wir sammelten uns bald so, bald so, wenige oder viele, meist wie es der Zufall gab; unter lauter Künstlern ich der einzige Mann von der Feder, der sehen lernen wollte wie sie. Hatten wir in den Mauern der Stadt die Werke der Menschen studiert, so zogen wir irgendwo vors Tor hinaus, uns in die Natur zu vertiefen; gleich am Anfang meiner Erinnerungen steht so ein allerschönster Tag, in dem mir vor allen Franz Lenbach lebt. Am ersten Sonntag im Mai fuhren wir im Omnibus nach Ponte Molle hinaus, Böcklin, Kugler, Lenbach, Hagn, Fitger und ich; dann schlenderten wir am Tiber aufwärts nach Aqua Acetosa, dem alten Sauerbrunnen in klassischer Einsamkeit. Feierliche Stille um uns her; feierlich sank der schöne Tag. Die lange Kette des Gebirges in der Ferne, die sonnig glühende Öde der fast kahlen Täler und Hügel um uns her, alles war von diesem Duft der Größe, der Hoheit umhaucht, für den es keine Worte gibt. »Über der römischen Campagna fliegen selbst die Kraniche anders,« sagte mir einmal Donna Laura Minghetti, die Witwe des italienischen Premierministers und Kunstgelehrten; wer dieses Land wirklich mit der Seele gesehen hat, der weiß, was sie meinte. Der stille Himmel über uns, in dem reinen Licht, die wunderbar ernste blaue Ferne, die singenden Vögel und Grillen, das weite, leere, tote Land – und doch keine Melancholie, die das Herz bedrückte – nur ein tiefes, dunkel gefärbt glückliches, ins Erhabene gestimmtes Gefühl.

Wir wanderten umher; in der Nähe war ein bewaldeter Fels von sonderbarem Gefüge, in dem Böcklin[222] einen versteinerten Wald erkennen wollte; wir forschten lange an ihm herum, bis Hans Kugler, der ehemalige Naturforscher, entdeckte, es müßten versteinerte Korallen sein. Dann wurden einige, darunter Lenbach, durch den einsamen Tiber zum Baden gelockt; die nackten Gestalten ragten aus dem Wasser, vom Abendlicht herrlich angeglüht, von uns wie immer mit Eifer studiert. Mir ist fast, als säh' ich ihn noch, den Franz, den breitschultrigen, schmalhüsligen, schlanken, den »bauchlosen Ägypter«, wie wir ihn dann nannten; ganz verdient er diesen Namen nicht mehr. Allmählich verließ ihn das Feierliche, das uns eine Weile überromeri hatte; eine bacchantische, bayrisch-griechische Lustigkeit brach aus ihm hervor, er rannte wie ein Faun über den gelben, geborstenen Boden hin, warf seine Humore in die Luft. Das losgelassene Naturkind in ihm riß uns andere mit. Damals erlebte ich wohl zum erstenmal seinen ganzen Men schen, wie er sich zur Welt verhielt: zuerst von einer großen Erscheinung stark gepackt, tief erfüllt, dann die zum Sehen geschaffenen Augen mit berufsmäßigem Ernst und Eifer spannend, dann frisch in einen Genuß hineintauchend, zuletzt mit ansteckender Satyrfröhlichkeit seine unzerreißbare Fahne schwenkend, den göttlichen Humor, der ihm noch jedes Erdenleid unter die Füße zwang.

Im Spätherbst 1863 war Lenbach nach Rom gekommen, um für die noch junge Galerie des Barons (später Grafen) Schack italienische und spanische Bilder zu kopieren, mit einer Meisterschaft und Vollendung, die man wohl immer bewundern wird. Er gehörte seinem Mäcen für das ganze Jahr gegen einen mäßigen Lohn;[223] ihm genügte er, seine Bedürfnisse waren gering, und in Rom zu leben, die großen Meister sorgenfrei zu studieren war ihm Glücksgut genug. Das Schicksal hatte ihn nicht verwöhnt; in einem winzigen Städtchen aufgewachsen (das er uns mit genialer Heiterkeit beschrieb), eines begabten, aber mit Kindern überreich gesegneten Maurermeisters Sohn, war er »auf nackten Füßen herumgelaufen«, wie er gern erzählte, und noch als erwachsener Bursch im stande, neun Meilen von Schrobenhausen bis München barfuß zu marschieren. So trug er denn auch sonst eine feste Haut, die sich vor keinem Unwetter des Lebens scheute, und brauchte nicht viel mehr, als zum Existieren nötig ist. Aus der Schule brachte er wenig mit; aber wie Fortunatus den Glückssäckel hatte, aus dem er seine leeren Taschen nach Bedürfnis füllte, so besaß der noch beglücktere Schrobenhäuser Franzl die Zaubergabe, in der Schule der Welt alles einzusaugen, was seinem Schulsack fehlte, und einer von den Bestunterrichteten zu werden, die durch alle Klassen gegangen sind.

Böcklin, mit dem ich viel verkehrte (er malte mich auch in ein Bild hinein, als Petrarca, der sinnend oder lesend im Gras liegt), Böcklin war damals noch mehr als sonst ein Suchender, Tastender; er ging mit all seinem technischen Spürsinn der Malweise der alten Griechen nach, er predigte mir die Vorzüge der Leimfarben- und Wachsmalerei vor dem Ölmalen. Mit seinem selbsterfundenen Luftballon hatte er sich mit Ehren, wenn auch ohne den geträumten Sieg vor dem päpstlichen Kriegsministerium gezeigt: denn damals lebte noch der verkleinerte, von den Rothosen beschützte Kirchenstaat.[224] Als alter Römer schüttelte Böcklin sein mißvergnügtes Haupt, daß wir unsere Nahrung beim Carlin, im Genio und in ähnlichen halbechten, stimmungslosen Kneipen suchten; er strebte immer in urrömische Osterien, zu den feurigsten, verborgensten Weinen. Lenbach lag mehr daran, sich durch leidlich gute Kost am Leben zu erhalten (wir andern dachten ebenso) und, wenn auch zwischen modernen und unschönen Tapeten, in leidlich guter Luft ein geselliger Mensch zu sein. Zuletzt war ihm doch der Mensch die Welt! So hat er denn auch seit damals bis heute mit unzähligen Menschen aller Stände und aller Völker gelebt, obwohl er nie eine fremde Sprache wirklich sprechen lernte. Das Italienische, wenngleich er so lange in Italien lebte, blieb ihm lange fremd; unter uns bildete sich die Legende, er habe zuerst, als einsamer Spatz, wochenlang nur von Manzo (Rindfleisch) und Risotto gelebt, da er den Kellnern nichts anderes zu nennen wußte. Dann habe er aber ein drittes Wort gelernt, das rettende Anche: auch. Sobald sich ein Welscher etwas bestellte, deutete Lenbach mit dem Finger hin und sagte Anche dazu. Davon lebte er, sagt die Legende, viele Wochen lang.

Noch 1874, als wir, meine Frau und ich, in Tegernsee mit der Gräfin Marie Dönhoff – jetzt Gräfin Bülow – und ihrer Mutter, der Donna Laura Minghetti, viel zusammen waren, Lenbach zuweilen von München zum Besuch hinauskam, war seine Unterhaltung mit der Minghetti, die nicht Deutsch konnte, auf wenige Worte beschränkt. In ihrer heiter dramatischen Lebendigkeit schilderte sie uns, wie sie an schönen Abenden am Ufer des Tegernsees gestanden und sich gemeinsam[225] an den Reizen der Landschaft berauscht hätten; molto bello! warf Lenbach hin, oder: molto interessante! Sie aber gab die beiden Worte dazu, die er sie gelehrt hatte: »malerisch« und »stimmungsvoll«. Doch nahm er damals einen großen Anlauf, sich des Welschen zu bemächtigen; er brachte ein Buch aus München mit, das halb Grammatik, halb Lesebuch war, und in einsamen halben Stunden irgendwo hingelagert studierte er darin. Indessen erzählte die Gräfin einmal, sie habe ihn überrascht, wie er nur die längeren Geschichten am Ende des Buchs, und zwar nur die in deutscher Sprache, gelesen habe, »um zu sehen (wie sie behauptete), ob sie sich kriegen«.

Später haben sie sich wohl wirklich gekriegt, nämlich die italienische Sprache und er; es gelang ihm – so hab' ich gehört – sich in lapidaren Sätzen kühn und groß zu unterhalten. Von den andern Sprachen blieb er frei. Als ich ihn einmal in München besuchte und nach alter Gewohnheit und Lust seinem Malen zusah, und der Diener ein Telegramm brachte, das er öffnete: »Bitte,« sagte er, »verdeutsch mir, was darin steht.« Es war eine Depesche in französischer Sprache; ein junger Gesandtschaftssekretär oder Attaché, von Madrid kommend, wenn ich nicht irre, meldete sich an und freute sich, wieder ein paar Stunden mit seinem lieben Lenbach zu verleben. »In welcher Sprache verlebt ihr die?« fragte ich. »Ja, weißt,« erwiderte Lenbach, mir durch die großen Brillengläser mit seinem humorvollen Ernst in die Augen blickend, »er kann kein Deutsch und ich kein Französisch. Wir kennen uns halt von Madrid.«

Diese Geschichte sagt mehr von ihm als ein halbes[226] Buch. Ich denke, es hat sich wohl meist ein dritter gefunden, der ein wenig dolmetschte. Aber was für eine Magie des Ich steckte in dem Schrobenhäuser Maurerssohn, der die Menschen so an sich zog, als »Lied ohne Worte«!

So genial unbefangen ging er durch die Welt; auf den großen Routs der Vornehmen in Rom, in Madrid wanderte er umher, in allen europäischen Sprachen schweigend, um die schönen Aristokratinnen mit seinen durstigen Maleraugen lernend anzustaunen. Bis endlich die Zeit kam, wo er, der Gefeierte und in Gold Getauchte, selber solche Feste gab: im Palazzo Borghese zu Rom, in dem er ein Stockwerk, sieben Riesensäle, gemietet hatte, drei, vier Jahre lang. Eine märchenhafte Laune, die dann wie ähnliche Seifenblasen der Künstlerphantasie verging. 1886, als ich ihn dort, vom Süden kommend, besuchte, war's das letzte Jahr; er führte mich auf die Terrasse, von der man zu den Prati di Castello neben der Engelsburg hinüberblickte, auf denen ein schonungslos modern häßlicher neuer Stadtteil in den römischen Himmel wuchs. »Schau,« sagte er, »jetzt is's aus. Das da kann ich nimmer sehn!«

Inzwischen hatte er längst seinen Beruf gefunden und sich darin zum Meister gemacht: den Menschen in seiner individuellen Einzigkeit darzustellen, nicht wie Dürer oder Holbein »objektiv« getreu, sondern mit bewußt und frei subjektivem Empfinden, das aber tief und immer tiefer in diese individuelle Einzigkeit einzudringen sucht. Alles andere hatte er nach und nach aufgegeben; zuerst wohl den Landschafter, der immer nur die Nebenrolle gespielt hatte Sein Natursinn ist zwar nicht[227] gering; er kam überall zum Aufleuchten, wo die Natur groß oder vornehm ist: Rom, Campagna, Portovenere, Neapel, Capri, Granada, Athen. Aber er erschöpft sich bald; wie 1881 am Golf von Neapel, als ich mit ihm und seinem Reisegefährten Günther die verborgensten, unbekanntesten Reize des Posilipp durchwandert und er sich mit großen Augen redlich gewundert hatte; nun schlenderten wir nach der Stadt zurück, der Vesuv lag vor uns, wir andern singen an, uns in seine besonders schöne Beleuchtung zu vertiefen. Lenbach aber hatte genug; »laßt's mich aus mit dem faden Wésuss!« sagte er, den Feuerspeier gut bayrisch auf der ersten Silbe betonend. Auch komponierte Bilder hatte er, dem die Phantasie keine zuführte, bald für immer abgetan; nur der Mensch, der einzelne, blieb. Auch die ganzen Figuren schwanden mehr und mehr; selbst die Hände verloren ihren Wert für ihn, er zog sich auf die Krone und den Gipfel des Organismus, auf den Kopf, zurück. Ja es kam eine Zeit, wo er nur noch das Fenster der Seele, das Auge, für das Malenswerte hielt; eine theoretische Übertreibung, die wohl aus dem Gefühl seiner wunderbaren Stärke als Augenmaler floß und bald zu anderen Übertreibungen in den Orkus ging.

In dieser Selbstbegrenzung zum Bildnismaler stieg er allmählich zur Meisterschaft auf; rastlos und tiefbescheiden von den Alten lernend, unermüdlich in das Lebendige eindringend, gewann er diese Schärfe und Tiefe des Blicks, die ihn über alle andern hob. Sein Auge sieht durch und durch; man sieht ihm auch an, daß es so sieht. Schon in meinem zweiten römischen Frühling, 1865, lernt' ich ihn so kennen; er malte mich,[228] zum erstenmal; später hat er mich noch in Wien, zuletzt in München gemalt Wir saßen drei, vier Stunden lang, einmal sogar fünf, ich bin ein ausdauernder Stillfitzer, und dieses Talent beutete er mit wahrem Bienenfleiß aus. Endlich dämmerte es; zuletzt ward es Nacht. Ich übertreibe nicht: ich sah fast nur noch seine glühenden Augen, die mich noch immer verzehrten. »Lenbach,« sagte ich, »jetzt wirst du mir allmählich unsichtbar. Daraus schließ' ich, daß dir's mit mir ebenso geht.«

Er schüttelte den Kopf. »Jetzt, jetzt ist's schön. Die Beleuchtung ist wunderbar. Oder kannst nicht mehr?«

»Doch, ich kann noch gut. Aber was siehst du denn noch?«

»Grad das Allerbeste. Famos. Jetzt! Jetzt!«

Die spähenden, bohrenden, saugenden Augen, ich seh' sie noch heute. So schaut nur ein halbverhungerter Tiger oder ein werdender großer Bildnismaler. Ein- oder zweimal ward's »noch schöner«. Dann war endlich volle Nacht und wir hörten auf.

Später, bei jedem Wiedersehen, in München, Wien, Berlin oder wo sonst, fühlte ich, wie mich seine Augen nahmen und in seine innere Abteilung für »Malen ohne Pinsel« schoben. Plaudernd, scherzend, zuhörend ging er mit den Beinen oder nur mit den Augen um mich herum, drehte mir einmal den Kopf, stellte mich in irgend ein anderes Licht. So hat er's wohl mit jedem gemacht. Doch das tun auch andere; sie haben aber dieses tiefe, seelenergründende Schauen nicht. Wie oft hab' ich empfunden: andere Maler, auch gewandteste, gesuchteste, malen Köpfe hin, durch die man nach einer Weile gleichsam hindurchsieht, wie durch Schatten[229] der Unterwelt, die zwar soeben etwas Blut getrunken haben, Schatten bleiben sie aber doch. Lenbachs Köpfe halten stand; sie haben Leib und Seele, sie leben.

Dazu nun seine erstaunliche Begabung, mit Menschen zu verkehren, sie rasch zu gewinnen, durch sei nen immer bereiten Mutterwitz, seine vollkommene Natürlichkeit, seinen unwiderstehlich gemütlichen Humor sie an sich zu fesseln; so daß sein Malerauge studieren kann, so viel es will. Dieser Handwerkerssohn hat fast ebensoviel mit den sogenannten Großen der Erde gelebt wie ein Hochgeborener. Es war ihm ebenso natürlich und selbstverständlich, sich in die Vornehmen und Vornehmsten mit geschmeidigen Instinkten hineinzufühlen, wie vor ihnen sein Ich zu behaupten und er selbst zu bleiben. Nie gab er den Schrobenhäuser Franzl auf; auch seine kräftigen Schimpf- und Zornworte nicht. Ich weiß, daß ihn einmal zwei ihm befreundete Edelfrauen zu einem traulichen Gespräch beiseite nahmen: was für ein lieber Mensch er sei – nur die eine Gewohnheit, im Unwillen mit Tiernamen um sich zu werfen – ob er von der nicht lassen könne. Es waren Damen, die er hoch verehrte. Ich erinnere mich nicht mehr, ob er's versprochen hat; jedenfalls hatte er zu viel Charakterstärke, um es zu halten.

Lange Zeiten hab' ich mit ihm in München, dann in Wien gelebt, wo er zuerst in eigener, kleiner Wohnung, später bei Makart malte, als Gast in dem Vorderraum seines Ateliers. Ihm war leicht gebettet, er fand sich in alles; auch von sich selber hätt' er wohl sagen können, was er mir einmal von Makart sagte: »Weißt, wenn dem sein Haus und sein Atelier[230] abbrennt und man stellt ihm einen großen Käfig in den Garten und Staffelei und Leinwand und alles dazu, so geht er in den Käfig hinein und malt ruhig weiter.« Nur war Lenbach nicht so erhaben gleichgültig gegen äußere gesellschaftliche Pflichten wie Makart, der zum Beispiel nie eine Briefzeile schrieb; das mußten für ihn andere tun. Einmal bemühte sich Lenbach, der wieder in München war, ihm die Antwort auf eine Frage so leicht wie nur irgend möglich zu machen: in den Brief, der seine Frage enthielt, legte er eine schon ausgefüllte Postkarte ein, mit Aufschrift und Antwort; nur ein »Ja« oder »Nein« war noch hinzuzuschreiben, und bei der Unterschrift »dein dich liebender Ma« fehlte aus Spaß die letzte Silbe: »kart«. Der Liebe Mühe war umsonst: die Postkarte kam nie zurück.

Lenbach ist umgekehrt ein großer Briefschreiber vor dem Herrn; einen gewissenhafteren kenn' ich nicht. Auch die Pflichten der Geselligkeit pflegte er mit Hingebung zu erfüllen; nur wenn sie ihm so über den Kopf wachsen wollten wie in jenen Wiener Zeiten, half er sich durch Ausbleiben, Nichtworthalten. Er hatte darin zuletzt eine Größe erlangt, die mir imponierte und noch mehr gefiel, denn sie rettete ihm seine Zeit. Nur einmal kam es, daß er wieder schwach werden und eine Zusage halten wollte; da half ich ihm als guter Freund. »Lenbacchio,« sagt' ich ihm, »schau, du hast dir eine so schöne Stellung gemacht: in Wien weiß nun jeder, Lenbach ist der Ausbleiber, er kommt nicht, er tut's halt nicht. Gehst du heut abend hin, so ist alles wieder verspielt; sie glauben nicht mehr an dich, du sinkst in die alte Nichtigkeit des Worthalters zurück!« Er sah es ein und blieb sich treu.

[231] Ihm blieben wieder die Menschen treu; diese seine magische Kraft hat ihn nie verlassen. Mir erscheint es wie eine geniale Veranstaltung der Natur, daß sie diesem »Malersmann«, den sie durchaus zum Bildnismaler schuf, diese Sammlung von Eigenschaften gab, durch die er seine Objekte an sich zieht; wie wenn in ihm zwei Brüder oder Kameraden wären, der eine, der die Menschen heranlockt, der andre, der sie dann malt. So hat er uns, außer ungezählten reizenden Frauen, Kindern, Charakterköpfen, eine Galerie hervorragender Menschen unsrer Zeit gegeben, wie sie noch nie ein Maler gab. Unser Gewinn ist so groß wie sein Glück. Und sein größtes Glück war auch unser höchster Gewinn: daß er sich Bismarck eroberte, seinen Kopf, sein Herz und sein Haus. Wie untrennbar sie uns nun sind, der Staatsmann und der Maler, brauch' ich nicht zu sagen. Wohl noch nie hat ein Bayer so an einem Preußen gehangen, wie Franz Lenbach an Bismarck; aber auch das »große Ungeheuer«, wie Lenbachs ehrfürchtige Liebe ihn gerne nannte, hat den Natursohn liebgehabt. Der altmärkische und der altbayrische Humor hatten sich gefunden; so auch die Herrscheraugen und die Künstleraugen.

Zu Lenbachs Glück gehört auch seine Leichtigkeit des Schaffens; sie hat ihn so bewundernswürdig fruchtbar gemacht. Wie gewaltig darin seine Entwicklung war, hab' ich an mir selbst erlebt: als er mich 1865 in Rom malte, all die drei, vier, fünf Stunden, und vorher all das Probieren und Suchen; als ich ihm 1899 in München saß, hörte ich seinem sinnigen Plaudern zu, gab dann und wann ein Wort dazwischen; nach einer Stunde stand er auf, für jetzt abzubrechen:[232] das Bild war fast fertig. Er hat am andren Tag noch eine Stunde »gefeilt«, vertieft, dann noch hie und da ein paar Striche gemacht. Es war eben das »Einsaugen« vorausgegangen, mein Kopf war in seinem Kopf.

Auch sonst ward ihm viel Glück zu teil. Persönlich immer genügsam geblieben, hat er sein Künstlerherz befriedigen, sein Verlangen nach Schönheit, Farbenfülle, Harmonie um ihn her erfüllen können; seine Seele lebt »im großen Stil«. Wer mit ihm in seiner Villa, dem Doppelhaus an der Münchener Luisenstraße, als sein Gast gewohnt hat; wer auf der Terrasse des Nebenhauses in milden Mondnächten den marmorbleichen Propyläen gegenübergesessen, sich wie in einem hingezauberten Italien gefühlt hat, auf das Rauschen und Raunen seines alten Brunnens horchend: der hat auch wohl tief das Märchen seines Lebens empfunden, das aus dem Schrobenhauser »Sperlingsnest« in diesen Adlerhorst führte.

Aber wie verdient er sein Glück! Dieser Sohn des Volkes hat ein königliches Herz. An Menschen wie an Sachen gibt er die vielen Tausende hin. Für edle Kunstzwecke, an die er sich so gern mit fast fanatischer Liebe hängt, opfert er noch mehr als sein Geld: seine Zeit. Damit ich nicht »Schenkteufel« sage: es ist ein Schenkdämon in ihm. Mitgefühl mit Menschen und Tieren hat er wie irgend ein Mensch; und doch geht er so hoch seinen großen Weg.

Ich glaub', er hat keinen seiner Freunde geschont, wenn einmal ein guter Witz, ein bitzelnder Humor mit Macht aus ihm heraus wollte; aber er ist einer der treuesten Freunde, die ich kenne.[233]

Wär' er nur auch genug spazieren gegangen! Hätt' er nicht ewig dem Drang zur Arbeit – der wohl mit den Jahren wuchs und wuchs – hätt' er auch dem leisen Willen der Natur gehorcht! Sie flüstert, aber man kann's doch hören: »Nichts zu sehr!« Wie gut wär's gewesen, wenn er ein wenig von jenem kleinen Maler aus Berlin gehabt hätte, der kleine, seltene Bilder malte, weil er das Faulenzen vorzog; und der einmal in der römischen Campagna auf dem Bäuchlein lag und sich im Nichtstun übte, während neben ihm Karl Piloty, der Rastlose, Trümmer von Grabmälern oder Aquädukten malte. Zuletzt ward Piloty ungeduldig: »Aber lieber X., ich begreif' Sie nicht. Den ganzen Morgen so dazuliegen! Arbeiten ist doch ein Vergnügen!« – Der andere hob den Kopf ein wenig: »Man muß sich auch ein Verjnügen versagen können.«

O Franz, hättst du das auch getan! Die Natur hat uns nicht nur Menschen, Leinwand, Pinsel, sie hat uns auch Berge, Wiesen, Sommerfrischen gegeben. Du aber hast so vieles gelernt, nur das Faulenzen nicht.

Jetzt haben sie dich endlich gezwungen: du sollst; du mußt. O lern es noch! Sie haben dir eine Weile den Pinsel aus der Hand genommen, dich aus deiner Villa aus blaue Meer, aus der Werkstatt ins süße Elend des Nichtstuns geschickt. Es scheint, sie wollen dich jungen Alten noch weise machen.

Nun, so tu ihnen den Gefallen! Warum nicht. Und von tausend und hunderttausend Segenswünschen geleitet, kehr dann neu verjüngt in deine Heimat: Lenbachs Atelier, zurück![234]

Quelle:
Wilbrandt, Adolf: Erinnerungen. Stuttgart, Berlin 21905, S. 220-235.
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