Verlobung

[358] Georg hatte über die Kirchweih Urlaub genommen und war, um schneller nach Hause zu kommen, auf einem Wägelein heimgefahren; unglücklicherweise war Schuhmachers Gustel, ein sauberes Mädchen vom Dorf, die in der Stadt diente, auch am selben Tag den gleichen Weg gegangen, und Georg in seiner Gutmütigkeit hatte sie aufsitzen lassen. Das beleidigte Lisbeth, die es natürlich für Verabredung hielt, tödlich, und als Georg im schönsten Wichs sie zum Tanz laden wollte, gab sie ihm schnippischen Bescheid und ging mit ihrem Vetter Kaspar in ganz ungewöhnlichem Staat.

Georg kam ohne Tänzerin und setzte sich in eine Ecke des Saales mit seinem Wein, man hörte kein Wort von ihm als den Ruf an die Kellnerin: »Kätherle, noch einen Schoppen Fünfzehner!« Lisbeth sah anfangs spöttisch zu ihm hinüber, aber sie erschrak vor seinen wilden Blicken und sprach lauter und lebhafter, als ihre Art war, mit ihrem Tänzer. Eben als sie mit Kaspar einen neuen Hopswalzer anheben wollte, stellte sich Georg in den Weg und streckte den Fuß aus, das tanzende Paar bemerkte es nicht und stürzte heftig zu Boden. Kaspar fuhr wütend auf und packte Georg an der Gurgel; es entstand ein allgemeines Handgemenge, Geschrei und Geprügel, Lisbeth war mit blutendem Kopf aufgehoben und heimgeführt[358] worden. Der Wirt und der Schultheiß brachten mit vieler Mühe den Knäuel der Streitenden auseinander; Kaspar blutete aus der Nase, Georg hatte eine Beule an der Stirn, wo ihn Kaspars Faust getroffen, und der Wirt meinte, da es bei keinem von beiden einen edlen Teil getroffen, so werden sie sich im Frieden vergleichen können.

Lisbeth saß allein daheim und machte Umschläge um ihre Stirn, voll Zornes, wie sie glaubte, über den wüsten Georg, der sie so gezeichnet. Aber seltsam! Eigentlich war sie viel besser aufgelegt als vor dem Tanz, wo sie so schön geschmückt mit dem Kaspar ausgezogen war. Freilich trug sie ein blutig Liebeszeichen an der Stirn, aber ein Liebeszeichen war es doch. Georg hatte mit keiner andern getanzt und des Schuhmachers Gustel nicht einmal angesehen, und ihr, ihr allein hatte er den Fuß gestellt, alle andern Paare waren ihm gleich, die hatte er ungehindert springen lassen. Aber doch sann sie darüber nach, wie sie ihm das recht vergelten könne.

Da hörte sie ein gewaltiges Rütteln und einen heftigen Stoß an die verschlossene Haustür, und ehe sie aufgestanden war, um nachzusehen, stand Georg vor ihr. »Und du bist noch so frech und kommst in unsre Stube, nachdem du mich blessiert hast und in der Leute Mäuler gebracht? Im Augenblick geh,« schalt Lisbeth, »oder ich schrei', daß es das ganze Dorf hört!« – »Du schreist nicht,« sagte Georg mit gepreßter Stimme und faßte sie am Hals mit beiden Händen, »ich will der Plage einmal los sein. Jetzt gleich im Augenblick schwörst mir, daß du mein Weib werden oder zeitlich und ewig verloren sein willst, sonst erwürg' ich dich, da auf dem Platz; ist mir all eins, wenn man mich nachher auch köpft, dann ist's doch Fried'.« – »Laß mich!« stöhnte zitternd das geängstete Mädchen, »bist ja noch Soldat und kannst nicht heiraten.« – »Das laß du mich ausmachen! Zu deinem Vater komm' ich schon, bei dir aber bin ich, und wenn d' mir's nicht versprichst, so mußt sterben.«

Todbleich mit bebenden Lippen versprach es Lisbeth, Georg forderte auch noch ein Ehepfand, sie gab ihm den silbernen Trauring der seligen Mutter. Kaum hatte Georg ihn am[359] Finger, so stolperte der Vater auf dem Gang draußen; Georg stieg eilig durch das Fenster hinaus. »Ist denn noch jemand dagewesen?« fragte der Vater. – »Des Schulzen Relling (Kater) war in die Stube geschlichen,« sagte Lisbeth, »ich hab' ihn zum Fenster hinausgejagt.« Sie ging in ihre Kammer und legte sich zu Bett wie an allen Gliedern zerbrochen und von Fieberfrost geschüttelt, und doch murmelte sie vor dem Einschlafen in sich hinein; »Und so ist's noch keinem um sein Mädle gewesen, daß er den Kopf daran gerückt hätt'; ich möcht' nur wissen, ob er mich erwürgt hätte!«

Das war die Verlobung.


Es fiel Georg sehr schwer, wieder zum Militär zurückzugehen, wenn er auch seiner gewaltsam geworbenen Braut jetzt sicherer war als zuvor. Da starb unerwartet Lisbeths Vater, und man fand es natürlich, daß Georg sich vom Militärdienst losmache und die Waise heirate, die auf die förmliche Werbung des Schultheißen ihre Einwilligung gab. Ein feierlicher Handstreich wurde gehalten, bei dem mit der auf dem Dorf gewöhnlichen Offenheit die gegenseitige Mitgabe von Georgs Vater und Lisbeths Vormund in Gegenwart des Brautpaares besprochen wurde. Georg bekam sein Heiratsgut in bar Geld, Lisbeth hatte ihr Vatererbe in Vieh und Äckern; beide Partien vereinigten sich in Güte, und es herrschte zwanglose Heiterkeit an der Verlobungstafel. Dem Georg war alles recht, er war seelenvergnügt und mit der ganzen Welt versöhnt, dem Kaspar trank er einmal um das andre zu. Am Abend ging er noch mit Lisbeth in das Baumgut, das zu ihrem künftigen Besitz gehörte; er betrachtete sie freudetrunken, wie sie in der netten schwarzen Kleidung, in dem Häubchen, dessen breite Bänder ihr feines Gesichtchen einschlossen, an seiner Seite auch einmal freundlich und ohne Widerstreben ging. »Guck, fressen möcht' ich dich!« rief er stürmisch und umfaßte sie mit einer Gewalt, daß sie mit leisem Schauer jener Verlobungsnacht gedachte, und hob sie hoch empor, leicht wie eine Feder. »Laß mich!« schrie sie. »Willst mich umbringen wie damals, als[360] der Vater noch dazu kommen ist?« Das war keine gute Mahnung, Georg setzte sie schweigend zu Boden und ging mit ihr heim, ohne ein Wort zu reden.

Quelle:
Ottilie Wildermuth: Ausgewählte Werke. Band 1, Stuttgart, Berlin und Leipzig 1924, S. 358-361.
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