Das neunde Lied

[293] An seinen stand-fästen/ geträuen Felsensohn/ Herrn zur Ehrenburg/ uam. als er von ihm abschied nahm.


gesetzt durch Heinrich Alberten.[294]


1.

Felsen-sohn/ mein andres Ich/

sei geruhig meinen brüdern

zuzuhören williglich/

die mich mit so lieben liedern

heute grüßen/ da ich mag

feiren meinen nahmens-tag.


2.

Heute/ da des himmels zier

sich zu kleiden war geflissen/

schrieb mein Deutschmuht her zu mier/

ja mein Bornman fügt zu wissen/

wie er diese gantze nacht/

und noch itzund lieder macht.


3.

Eines schikt mier jener zu/

dieser kömmt auch an zu paaren;

wo doch aber bleibestdu?

hält dich etwan bei den haaren

Deine/ die dich von mir trennt/

und sich deine Fürstin nennt.


4.

Adelmund ist auch schon hier;

ja ihr Bruder wird bald kommen:

schau'/ es fehlet nur an dier;

du hast mir die lust benommen/

darüm daß du dich entzühst/

und der freunde lust nicht siehst.[295]


5.

Aber du hast andre lust/

die dier tag und nacht wird bleiben/

wie dir selbsten ist bewust/

und mier zeugt des Liebholds schreiben;

Liebhold schreibt es kurtz und rund/

wol! so bleibt mier Rosemund.


6.

Ich erfreue mich mit Dier/

und weil wier uns brüder nennen/

so wird deine Liebste mier/

hoff' ich/ gäntzlich auch vergönnen/

daß ich selbe diesen tag

meine schwester nennen mag.


7.

Dan ich trink' ihr wol-ergehn

bei der Amstel in dem reihen.

Lachmund läßt es auch nicht stehn/

mus sich selbsten mit mir freuen;

Brunschweig schikt uns ädles bier/

Zerbst ist selbsten auch alhier.


8.

Rosemund mein einigs Al/

meine Fromme/ meine Schöne/

mein Erhöben und mein Fal/

macht mier itzt ein solch getöhne/

ja/ sie wird mier mund und hand

gäben als ein Liebes-pfand.[296]


9.

Itzt geh' ich zu letzt mit ihr

bei den blanken Amstelinnen/

unter ihrer linden zier;

dan/ o schmertz! ich mus von hinnen/

ja von hinnen mus ich ziehn/

und mein eignes glükke fliehn.


10.

Ein verhängnüs träkt mich fort/

o dem ungemenschten Thiere!

daß ich diesen ädlen ort/

ach! o schmertz! o leid! verlüre:

aber was! es mus so sein/

mein gemüht zwingt helfenbein.


11.

Weich- und weiblich-sein geziemt

einer Jungfer und den weibern;

aber der sich mänlich rühmt/

mus nicht kleben an den leibern/

die nach ehr und ruhm nicht gehn/

und im schwachen folke stehn.


12.

Sol ich dan so für und für

bei der Allerliebsten liegen/

und nicht kommen für die tühr/

ja mich gleichsam knechtisch bügen?

ach! das wil mir gar nicht ein;

ich kan nicht gut weibisch sein.[297]


13.

Bin ich gleich nicht/ was ich bin/

sol ich gleich die gunst verlüren/

doch behalt' ich meinen sin/

laße mich kein schmeucheln rühren

schönheit hält mich gantz nicht auf/

tugend geht doch ihren lauf.


14.

Ehre bleibt mier/ oder nichts;

reisen mus ich/ oder sterben:

doch die kraft des nachgerüchts

läßt ohn dis mich nicht verderben.

Meine starke Tichterei

macht mich für dem tode frei.


15.

Tod/ was unterstehstdu dich/

wilstdu unsre Ros' entröhten?

wilstdu/ Neid/ vergiften mich?

Nein. ihr könnt uns nimmer tödten:

wisst ihr nicht/ daß unsre zier

grühnt und blühet für und für.


16.

Diese Helden gehn herfür/

führen nichts als Ehren-zeichen:

dinte/ feder und papier

werden eurer macht nicht weichen:

dan ihr himlisches gemüht

schreibet kein vergänglichs lied.[298]


17.

Dis/ mein ädler Felsen-sohn/

haben wir zum hohen lohne;

dis tuht unser klahrer tohn/

daß wir stehn für Föbus trohne/

sehn bekräntzt den stäten Mei/

wissen nicht/ was sterben sei.


18.

Dis macht mich der freuden fol/

dis erräget mein gemühte;

das ich singe/ wie ich sol/

wan mein innerlichs geblühte

sich erhitzt mit himmels-kraft/

daß es nichts/ was stärblich/ schafft.


19.

Letzlich/ weil ich ja mus ziehn/

und den willen nicht kan zäumen;

ei so sol und wil ich ihn

selbst befördern ohne säumen.

Drüm befehl ich dich dem Herrn/

und mich Dier/ o Freunde-kern.


20.

Kern der Freunde/ die mier seind

jemahls auf der welt verpflichtet/

der es alzeit treulich meint/

der mich schwachen aufgerichtet;

Dier befehl ich auch zuletzt/

was ich bei Dier eingesetzt.[299]


21.

Meinen Schatz befehl ich Dier/

der mier ehmals hat gegeben

meinen besten schmuk und zier/

ja ein unvergänglichs leben/

daß ich nun im klugen sin

himlisch und nicht irdisch bin.


Reim-spruch.


Ein Weiser were ja wohl weise/ wan er wüste/

daß er herrscht' über sich und über seine lüste.


Quelle:
Philipp von Zesen: Sämtliche Werke, 17 Bände, Band 1, Berlin/ New York 1970 ff., S. 293-300.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Robert Guiskard. Fragment

Robert Guiskard. Fragment

Das Trauerspiel um den normannischen Herzog in dessen Lager vor Konstantinopel die Pest wütet stellt die Frage nach der Legitimation von Macht und Herrschaft. Kleist zeichnet in dem - bereits 1802 begonnenen, doch bis zu seinem Tode 1811 Fragment gebliebenen - Stück deutliche Parallelen zu Napoleon, dessen Eroberung Akkas 1799 am Ausbruch der Pest scheiterte.

30 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon