Montierungsspannungen

[489] Montierungsspannungen, die in einer Eisenkonstruktion durch ihre Aufstellung erzeugten Spannungen.

Dieselben sind in der fertigen Konstruktion von Anfang an, d.h. bevor noch dieselbe der Wirkung des Eigengewichts und einer zufälligen Belastung unterworfen wurde, vorhanden, und man bezeichnet sie daher auch als Anfangsspannungen. Die Montierungsspannungen können entweder beabsichtigte oder unbeabsichtigte sein. Sie lassen sich nur in statisch unbestimmten Systemen hervorrufen, und zwar dadurch, daß entweder die Lage der Stützen gegen den durch die geometrische Form des spannungslosen Systems bestimmten Zustand geändert wird oder daß einzelne Glieder der Konstruktion nicht zwanglos, sondern mit künstlicher Anspannung in das System eingefügt werden. Letzterer Fall tritt dann ein, wenn Konstruktionsglieder, welche geometrisch unverschiebliche Punkte eines Systems verbinden, mit einer etwas unrichtigen Länge gewaltsam eingezwängt oder durch Dorne, Schrauben oder Keilschlösser in Spannung versetzt werden (Fachwerke mit künstlicher Anspannung, Howesche Träger). Die gleiche Wirkung wird erzielt, wenn die einzelnen Konstruktionsteile mit verschiedenem Wärmezustände zusammengefügt werden, da jeder Temperaturdifferenz t bei dem Ausdehnungskoeffizienten ω und der Länge l eines Stabes eine bestimmte Längendifferenz δ l = ω t l entspricht. Die Temperaturwirkung wird auch benutzt, um bei Bogen- oder Hängeträgern, bei kontinuierlichen Trägern oder andern statisch unbestimmten Systemen Lagerverschiebungen in bestimmter Größe vornehmen zu können, wodurch sich wieder, wie oben bemerkt, gewisse beabsichtigte Anfangsspannungen herbeiführen lassen. Beispiel: die König-Karl-Brücke über den Neckar bei Stuttgart.

In beschränktem Maße können auch in statisch bestimmten Fachwerken mit starren, vernieteten Knotenpunktanschlüssen Montierungsspannungen auftreten. Würde man bei einem statisch unbestimmten Systeme von sämtlichen überzähligen Stäben die Größe δ l kennen, um welche bei der Zusammenfügung die Stablänge von der richtigen, dem spannungslosen Zustande des Systems entsprechenden Länge l abweicht, so ließen sich unter Voraussetzung unveränderten Temperaturzustandes die erzeugten Montierungs- oder Anfangsspannungen S aus den Gleichungen


Montierungsspannungen

berechnen, worin E Elastizitätskoeffizient, F die Querschnittsfläche der einzelnen Stäbe und u1, u2 ... die Spannungsreihen bezeichnen, welche der Wirkung der Krafteinheit an Stelle der Spannung je eines überzähligen Stabes entsprechen. Da es sich aber hier nur um sehr kleine Längenmaße δ l handelt, so folgt, daß von einer Genauigkeit in der Herbeiführung beabsichtigter Montierungsspannungen durch Einzwängen oder Anspannen von Stäben im allgemeinen nicht die Rede sein kann, daß vielmehr hierdurch sehr leicht ganz unbeabsichtigte Spannungen entstehen können.

Melan.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 6 Stuttgart, Leipzig 1908., S. 489.
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