Salpetersäure [1]

[559] Salpetersäure HNO3, das Hydrat des Salpetersäureanhydrids, N2O5, ist eine farblose, stechende Dämpfe ausstoßende, ätzende Flüssigkeit, die bei –42° erstarrt und bei 86° siedet; spez. Gew. 1,552 bei 15°.

Schon durch die Einwirkung des Lichtes zersetzt sie sich unter Bildung von Stickstoffdioxyd, Wasser und Sauerstoff. Bei dem Erhitzen verhält sich die Salpetersäure verschieden, je nachdem sie mit wenig oder viel Wasser gemischt ist; in ersterem Fall geht eine stärkere Säure über, während eine wasserreichere zurückbleibt, im andern steigt allmählich die Konzentration der überdestillierenden, bis bei 120,5° eine Säure von 1,414 spez. Gew. übergeht.

Die Salpetersäure ist ein energisches Oxydationsmittel; sie löst bezw. oxydiert alle Metalle, ausgenommen Gold und die Platinmetalle. Organische Substanzen werden zum Teil nitriert, d.h. sie nehmen die Atomgruppe NO2 auf, zum Teil werden sie weitgehenden Zersetzungsprozessen durch die Salpetersäure unterworfen. Salpetersäure wird dargestellt durch Destillation eines Gemenges von Natron-(Chili-)salpeter mit Schwefelsäure in liegenden Zylindern oder in großen Töpfen aus Gußeisen, die vom Feuer umspült werden. Man benutzt meistens eine nicht zu konzentrierte Säure und arbeitet nach solchen Mengenverhältnissen, wie sie der Gleichung NaNO3 + H2SO4 = NaHSO4 + HNO3 entsprechen. Zur Kondensation dienen eine Reihe von tönernen Töpfen (sogenannte Bombonnes) mit anschließendem Koksturm oder in neuerer Zeit Systeme von Tonröhren, die entweder durch Luft oder auch zum Teil durch Wasser gekühlt werden, mit anschließendem Plattenturm. Da bei der Einwirkung der Schwefelsäure auf Salpeter stets nebenbei Untersalpetersäure auftritt, so verjagt man diese entweder durch Einblasen von Luft (Bleichen) oder führt sie durch Zuleitung von erwärmter Druckluft in die noch nicht kondensierte wasserhaltige Säure in Salpetersäure über. Der in der Retorte zurückbleibende sogenannte Salpeterkuchen, aus Natriumsulfat und Natriumbisulfat bestehend, wird entweder durch Kochsalzzusatz auf Sulfat verarbeitet oder auch direkt zur Fabrikation von Champagnerflaschen verwendet. – In der jüngsten Zeit scheint dort, wo billige Wasserkräfte zur Verfügung stehen, das Verfahren von Birkeland und Eyde, direkt aus der atmosphärischen Luft durch elektrische Entladungen Stickstoffsauerstoffverbindungen und so mittelbar auch Salpetersäure, vorerst in der Form von Calciumnitrat, zu erhalten, Erfolg zu haben. Näheres s. [2].

Rote rauchende Salpetersäure wird durch Erhitzen von Natronsalpeter mit weniger Schwefelsäure, als in der obenangegebenen Formel steht, und bei höherer Temperatur als eine dunkelrote Flüssigkeit gewonnen, die an der Luft gelbe Dämpfe ausstoßt, die ein Gemenge von Salpetersäure und Stickstoffdioxyd sind. Sie ist ein noch energischer wirkendes Oxydationsmittel als die gewöhnliche Salpetersäure. – Königswasser ist ein Gemenge von 1 Gewichtsteil Salpetersäure und 4–6 Gewichtsteilen konzentrierter Salzsäure, dessen gelbe Farbe[559] und große Reaktionsfähigkeit der Gegenwart von freiem Chlor und von Nitrolylchlorid (NOCl) zuzuschreiben ist.

Salpetersäure findet Verwendung zur Oxydation von Schwefeldioxyd zu Schwefelsäure im Bleikammerprozeß, zur Bereitung des Königswassers, zur Scheidung von Gold und Silber (daher der Name Scheidewasser), zur Fabrikation der salpetersauern Salze (Silbernitrat u.s.w.), zur Nitrierung organischer Verbindungen (Nitroverbindungen, wie Nitrobenzol, Nitroglyzerin, Nitrocellulose u.a.m.). Die Weltproduktion beträgt jährlich etwa 100000 t.


Literatur: [1] Dammer, Handbuch der ehem. Technologie, Stuttgart 1895, Bd. 1, S. 314. – [2] Prometheus 1905, S. 149.

Rathgen.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 559-560.
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