Don Giovanni

[362] Es ist ein beredtes Zeugnis für da Pontes feinen Instinkt für Mozarts Persönlichkeit, daß er ihm den Stoff des »Don Giovanni« vorschlug. Diese Gestalt hat die Dichtung aller Länder seit mindestens drei Jahrhunderten bis auf den heutigen Tag aufs lebhafteste beschäftigt, ein Beweis dafür, daß ihr Problem gleich dem des Faust an die Grundfragen des menschlichen Daseins rührt. Liegt dem Faust das Ringen um einen höheren Lebensinhalt, das Streben nach Erlösung zugrunde, so ist das Reich Don Juans allein die Welt der Sinne, der äußersten Bejahung des irdischen Lebenstriebs, der keine außer ihm selbst liegenden Werte kennt. Er weiß nichts von jenem »strebend sich bemühen« Fausts, sondern nur von dem »Sein oder Nichtsein« des Renaissancemenschen, und es ist deshalb auch kein Zufall, daß die dramatische Behandlung des Stoffes vom katholischen Süden Europas ausgegangen ist, wo die mittelalterliche Lehre von der Sündhaftigkeit alles Fleisches von Anfang an die schärfste Reaktion des natürlichen Lebenstriebs hervorgerufen hat.

Ein geschichtlicher Vorgang hat sich als Grundlage des Stoffes bis jetzt nicht feststellen lassen1. Sage und Legende haben offenbar das meiste dazugetan, und zwar sowohl das schon dem Mittelalter vertraute und dann in der Renaissance mit einem besonderen Nimbus umgebene Bild des zügellosen Sinnenmenschen, als die uralte Sage von dem als Rächer eines Frevels als Statue wiederkehrenden Toten. Beide Motive erscheinen erstmals vereint in dem 1630 gedruckten »El Burlador de Sevilla, y combidado de pietra« von dem Mönch und Klosterprior Tirso de Molina (Pseudonym für Gabriel Tellez), dessen Verfasserschaft neuerdings freilich stark angezweifelt wird2. Die Komödie ist bei allen dichterischen Vorzügen im einzelnen ein[363] merkwürdiges Zwitterwerk. Don Juan selbst wächst zwar schon weit über die Rolle des schlechthin ruchlosen Frevlers hinaus; er zeigt auch im Verbrechen wirkliche Größe und ist ebenso furchtlos wie ritterlich. Auch menschlich wahre Züge fehlen nicht, wie sein inneres Schwanken vor dem entscheidenden Mahle in der Grabkapelle. Erst als er seines Endes gewiß wird, verläßt ihn seine Kraft, und er bittet in vergeblicher Reueanwandlung um einen Beichtiger. Hier bricht die religiös-moralische Tendenz des Stückes unverhüllt hervor. Sie kommt auch in der Gestalt des Komturs (Don Gonzalo de Ulloa genannt) zum Ausdruck, der hier bereits nicht mehr als Rächer eines ihm persönlich zugefügten Frevels, sondern als Werkzeug der sittlichen Weltordnung auftritt.

Don Juans Diener Catalinon ist der Gracioso des Stückes, seinem Herrn treu ergeben und doch mit dessen Treiben keineswegs einverstanden. Seine Komik ist viel zurückhaltender als die des späteren Leporello und vor allem seine Hasenfußnatur noch nicht mit dem späteren Behagen betont.

Was die Frauengestalten betrifft, so ist zunächst zu bemerken, daß es Don Juan allen gegenüber lediglich auf die Befriedigung seines männlichen Egoismus ankommt. Die Dämonie des elementaren Sinnenmenschen fehlt ihm noch völlig. Ohne jeden Skrupel, rein aus Freude am Verführen geht er zu Werke. Aber auch bei den Frauen kann weder von Leidenschaft noch von Liebe gesprochen werden; er gewinnt sie teils durch Täuschung, teils durch Heiratsversprechen. Donna Anna tritt kaum hervor, hinter der leidenschaftlichen Tisbea mag man immerhin einige Züge Elviras erkennen, wogegen in dem ländlichen Paare Aminta und Patricio Zerline und Masetto schon deutlich vorgebildet sind. Freilich stehen alle diese Nebenfiguren mit der Haupthandlung nur in losem Zusammenhang, ebenso wie die Herzogin Isabella, die gleichfalls der späteren Elvira einige Züge geliehen hat. Der Marquis de la Mota, Donna Annas Bräutigam, ist später mit dem Herzog Oktavio zu einer Gestalt zusammengeflossen; dieser erhält hier zum Schlusse die Hand Isabellas, die ursprünglich dem Don Juan zugedacht war.

Der Gang der Handlung enthält bereits die Hauptzüge des späteren Librettos, die Ermordung des Komturs, die ländliche Hochzeit nebst der Verführung der Braut, die Inschrift auf dem Grabmal und schließlich die Einladung und den Besuch der Statue bei Don Juan, nur daß der Komtur nach dem Mahle in Don Juans Hause diesen noch zu einem weiteren in seiner Gruftkapelle auffordert, wo ihm Skorpionen, Schlangen und essigsaure Galle aufgetischt werden und statt der Tafelmusik ein Bußgesang ertönt; darnach erfolgt das Strafgericht, worauf das Ganze mit Catalinons Bericht und der Vermählung der beiden Paare schließt.[364]

Von Spanien kam der Stoff zunächst nach Italien, und zwar nach Neapel, wo 1652 ein »Convitato di pietra, rappresentazione in prosa« von Onofrio Giliberti gedruckt wurde. Das Buch ist verschollen und damit auch sein Verhältnis zum »Burlador« wie zu den Späteren gänzlich im Dunkeln. Wir wissen nicht einmal, ob ihm nicht das gleichnamige, nach dem Tode des Dichters (1650 oder 1651) gedruckte Stück von Andrea Cicognini (der Druck stammt aus dem Jahre 1671) zeitlich voranging. Beide waren offenbar richtige »commedie dell'arte« und verzerrten den Stoff ins Burlesk-Komische. Der Gang der Handlung wurde in rohen Zügen übernommen, alles Erhabene und besonders Religiöse getilgt und der Schwerpunkt auf den als Diener des Helden auftretenden Arlecchino und seine Späße verlegt. Eine neue Bearbeitung erfuhr der Stoff durch Andrea Perrucci, die aber gleichfalls verschollen ist (1678)3.

Ob die beiden französischen Versdramen mit dem Titel »Le festin de pierre ou le fils criminel«4 vonDorimond (1658) und de Villiers (1659) mit Giliberti zusammenhängen, ist zweifelhaft, obwohl de Villiers von einer Übersetzung aus dem Italienischen spricht; jedenfalls sind sie beide Absenker des Geistes der italienischen commedia dell'arte, und zwar ziemlich grobschlächtige; nach wie vor sind die lockeren Streiche des Herrn und besonders die tollen Späße des Dieners die Hauptsache5.

Am 15. Februar 1665 wurde im Theater des Palais Royal »Dom Juan ou Le festin de Pierre« von Molière aufgeführt (zuerst gedruckt in den »Œuvres« von 1682), die erste Prosakomödie des Dichters. Molière hat wahrscheinlich den »Burlador« und mit Sicherheit die italienische Stegreifposse mit ihren beiden französischen Ablegern gekannt, aber diese Vorbilder treten stark vor dem neuen Geiste zurück, den er dem Stoffe eingehaucht hat. Er ist insofern ein echtes Erzeugnis des Geistes der Ära Ludwigs XIV., als das Grundwesen seines Helden nicht das sinnliche Triebleben, sondern der konsequenteste Rationalismus ist. Er ist der Typus des damaligen Kavaliers: furchtlos, ein vollendeter Beherrscher der ganzen höfischen Konvention, aber eine kalte und vor allem egoistische Verstandesnatur, die weder Sinnlichkeit noch Leidenschaft noch Gemüt kennt. Sehr bezeichnend ist, daß er nicht bloß Gotteslästerer ist wie seine Vorgänger, sondern Gottesleugner. Die Frömmigkeit ist ihm nur Heuchelei und ein gutes Mittel, seine Zwecke zu erreichen. Dadurch büßt natürlich seine Einladung an die Statue viel von ihrer dramatischen Wucht ein; sie wirkt in seinem Munde als ein zynisches Spiel, nicht als die Herausforderung der überirdischen[365] Mächte durch einen Menschen, dessen dämonischer Trieb schließlich keine Grenzen mehr kennt. Und überhaupt, was sollen alle die phantastischen und romantischen, kurz die irrationellen Züge in diesem rationalistischen Tendenzdrama? Echt französisch ist die Auseinandersetzung mit dem Überirdischen in der Gestalt der verschleierten Frau, die dem Helden am Schluß das Gericht verkündet und sich dann plötzlich in die Allegorie der Zeit mit der Sense verwandelt. So hat Molière zwar zum ersten Male seit dem »Burlador« den Stoff psychologisch wieder vertieft und das derbe und lockere Wesen seiner letzten Vorgänger beseitigt, ist aber dabei in dem neuen Charakterdrama, das er schuf, mit wesentlichen Zügen dieses Stoffes selbst in einen unheilbaren Konflikt geraten.

Dom Juans Diener Sganarelle, der merkliche Züge des italienischen Arlecchino trägt, ist insofern ebenfalls vertieft worden, als Molière mit ihm eine Kontrastfigur zu seinem Helden anstrebt. Denn Sganarelle räsonniert ebenso moralisch, wie jener unmoralisch, und ist derselbe Egoist, nur ein feiger6. Von den Frauen tritt Donna Anna ganz zurück; ihre Verführung sowie die Ermordung des Komturs wird nur erzählt. Dagegen ist die Figur der Donna Elvira recht eigentlich Molières Werk, vor dem alle früheren Ansätze verblassen. Dom Juan hat sie aus dem Kloster entführt und geheiratet, bald darauf aber wieder verlassen. Nun reist sie ihm nach, lernt jedoch dabei sein eigentliches Wesen kennen und beschließt, ins Kloster zurückzukehren. Vorher aber sucht sie den Ungetreuen nochmals auf, nicht um ihm Vorwürfe zu machen, sondern um ihn zur Umkehr zu veranlassen und vor dem Untergang zu bewahren. Dieser Zug von Hoheit und entsagender Liebe trägt das Zeichen des großen Dramatikers, ohne freilich die Grundschäden des Werkes beseitigen zu können. Neben ihr stehen als Rächer ihrer Ehre ihre beiden Brüder Dom Carlos und Dom Alonse, die jedoch während des Stückes nicht zur Ausführung ihrer Tat gelangen.

Daß die grimmige Satire sofort gefühlt wurde, lehrt die Tatsache, daß das Stück es weder über fünfzehn Aufführungen hinausbrachte, noch auch zu Molières Lebzeiten gedruckt wurde. Erst die Bearbeitung in Alexandrinern, die 1677 Thomas Corneille vornahm, hielt sich auf der Bühne; sie hat die anstößigsten Stellen, besonders den Schluß, beseitigt7. Der vorläufig letzte französische Don Juan, Rosimonds »Nouveau festin de Pierre ou l'Athée foudroyé«, ist dichterisch durchaus unselbständig und wertlos8.

Das übrige Europa ist zunächst von den genannten Franzosen, besonders von Molière, abhängig. 1676 wurde in London »The Libertine« von [366] Thomas Shadwell aufgeführt, der auf Molière und Rosimond beruht. Der Erfolg war groß, aber der Gesamteindruck doch so schrecklich »as to render it little less than impiety to represent it on the stage«9. Auch in Holland finden sich mehrere Stücke, deren Abkunft von den Franzosen mehr oder minder deutlich ist (so vonAdrian Reys 1699, van Maaler 1719 u.a.10). Zur selben Zeit führte Johannes Velten 1690 zu Torgau eine deutsche Übersetzung auf, unter dem Titel »Don Juan oder Don Pedro Totengastmahl«11. Von da an bürgerte sich der Stoff sehr bald auch in Deutschland ein und wurde namentlich bei den improvisierenden Schauspielertruppen beliebt. So trat der berühmte Hanswurst Gottfried Prehauser12 1716 als Don Philippo im »steinernen Gastmahl« auf; es war sein erster dramatischer Versuch in Wien13. Außerdem wurde bis 1772 zu Wien in der Allerseelenoktav regelmäßig ein »Don Juan oder das steinerne Gastmahl« aufgeführt14. Der Inhalt beider Stücke ist leider verschollen. Bei Prehauser wird man mit Recht an eine der volkstümlichen burlesken Stegreifkomödien denken, wie sie damals in Wien im Schwange waren. Ähnlichen Geistes war wohl der »Schrecken im Spiegel ruchloser Jugend oder das Lehrreiche Gastmahl des Don Pedro«, das sich 1735 als »den meisten sattsam bekannt« auf dem Spielplan der Neuberin findet. Auch die Ackermannsche Truppe verzeichnet 1742 ein Nachspiel »Don Juan«. 1752 führten die »kgl. polnischen und kurfürstl. sächsischen Hofkomödianten« in Dresden ein Stück nach Molière auf mit dem echt rationalistischen Titel »Das steinerne Totengastmahl, oder die im Grabe noch lebende Rache, oder die aufs höchste gestiegene, endlich übel angekommene Kühn- und Frechheit«. 1766 feierte Schröder in Hamburg als Sganarelle große Triumphe15, was auf eine Bearbeitung Molières hindeutet. Erhalten ist uns von den Volksschauspielen des 18. Jahrhunderts nur der sog. Laufner Don Juan, der die Sage in recht grobschlächtiger Komik behandelt16. Kinder desselben Geistes sind die zahlreichen Puppenspiele derselben Zeit aus Augsburg, Ulm, Straßburg und anderen Städten17. Titel wie »Don Juan oder der vierfache Mörder oder das Gastmahl um Mitternacht[367] auf dem Kirchhof«18 sprechen für sich. Natürlich wird Hanswurst dabei zur Hauptperson. Der Zusammenhang mit den älteren französischen Stücken ist klar, namentlich im Hinblick auf die regelmäßig auftretende Eremitenszene; ob freilich eine unmittelbare Benutzung von Dorimond und de Villiers vorliegt, ist fraglich. Der letzte Ausläufer dieser volkstümlichen Don-Juan-Stücke ist die Komödie »Don Juan oder der steinerne Gast nach Molière und dem Spanischen des Tirso de Molina bearbeitet mit Kaspars Lustbarkeit«, die der Direktor des Leopoldstädter Theaters in Wien, Karl Marinelli, von 1783 bis 1821 81mal zur Aufführung brachte19.

In Spanien taucht 1725 eine neue Bearbeitung auf unter dem Titel »No hay plazo que no se cumpla ni deuda que no se pague, y convidado de piedra« vonAntonio de Zamora, ein ziemlich locker gefügtes Stück, das den Helden zu einem gewöhnlichen Theaterbösewicht macht und für da Ponte ganz ausscheidet20.

Auch in Italien erfreute sich der Stoff in Komödiengestalt andauernd größter Beliebtheit. Kein Geringerer als Goldoni faßte den Entschluß, die nach seiner Ansicht schlechten italienischen und französischen Stücke durch ein besseres zu ersetzen21. Er tat es wie Molière, nur nicht mit demselben Erfolg, in seinem 1736 zu Venedig aufgeführten »Don Giovanni Tenorio ossia il Dissoluto« in durchaus rationalistischem Sinne, d.h., er machte eine Komödie des vernünftigen, praktischen Lebens daraus, in der weder für die Leidenschaft noch für das Wunderbare Platz ist; wird doch der Held am Schluß einfach vom Blitze erschlagen, und die Einladung der Statue fehlt gänzlich. Das Derb-Burleske ist zwar ausgemerzt, aber auch jede tiefere Idee. Mit der koketten Gestalt der Elisa, der mißglückten Zerlinenfigur des Stückes, wollte Goldoni außerdem seine Privatrache an der ihm untreu gewordenen Schauspielerin Passalacqua nehmen22 – kurz, das Stück gehört zu den schwächsten des Dichters. Trotzdem hat es, dank seinem Ansehen, den späteren Libretti verschiedene Züge geliehen. So wird Isabella (Elvira) von Don Giovanni vor der ersten Forderung zum Duell für wahnsinnig erklärt. Auch ist Donna Anna dem Ottavio ohne sonderliche Neigung verlobt und empfindet zeitweise entschiedene Sympathie mit Don Giovanni, Don Ottavio aber ist schon ganz der schwankende, passive Charakter, den wir aus dem Libretto kennen23. Auch dessen Untertitel »il dissoluto« stammt von Goldoni.

Inzwischen hatte der Stoff auch die Opernbühne erobert24. 1713 ging auf dem Pariser Theater de la Foire »Le Festin de Pierre« in drei Akten und »en vaudevilles sans prose« in Szene25; es war offenbar eine jener Vaudevillekomödien[368] mit Musik, wie sie Le Sage aufzuführen liebte26. Der Komponist war Le Tellier. Trotz dem Beifall des Publikums wurde das Stück wegen der Darstellung der Hölle am Schluß zuerst verboten, aber dann wieder freigegeben27. Die Behandlung des Stoffes geschah ganz im Stile der Komik jener Vorläufer der opéra comique. Auf der italienischen Opernbühne dagegen taucht »Don Giovanni« zuerst in der 1734 von A. Mingottis Truppe aufgeführten Oper »La pravità castigata« auf28. Der Komponist war Eustacchio Bambini, der Text ein höchst lockeres Gebilde im Geiste der volkstümlichen Stegreifposse29 und arbeitete sehr viel mit grobem Maschinenspektakel. 1746 führte Colin Restier im Theater de la Foire Laurent ein Ballett »Le grand festin de Pierre« auf, von dem wir aber nur den Titel kennen. Dagegen ist uns das Ballett »Don Juan«, das 1761 im Wiener Kärntnertortheater in Szene ging, vollständig erhalten. Der Text stammt von dem damaligen Ballettmeister Gasparo Angiolini, die Musik von Gluck. Die frühere abfällige Ansicht über die Behandlung als Ballett ist der neuerdings erkannten Bedeutung Noverres und seines Kreises entsprechend zu ändern. Auch Angiolini bezeichnet seinen »Don Juan« als »Ballett Pantomime dans le goût des anciens« und verlangt in Charakteren und Handlung Einfachheit und Größe30. Die Handlung ist denn auch auf das allerknappste Maß zusammengezogen. Von Frauen tritt überhaupt nur Donna Anna auf, hier die Geliebte Don Juans und die Nichte des Komturs. Der erste Teil enthält ein Ständchen Don Juans vor Donna Annas Hause und die Ermordung des Komturs, der zweite ein Fest bei Don Juan mit der Erscheinung der Statue, die ihrerseits den Helden zu sich einlädt, der dritte die Bekehrungsversuche des Komturs und Don Juans Untergang, der vierte seine Peinigung durch die Furien und seine schließliche Vernichtung durch das höllische Feuer. Diese Fassung vereinfacht gewiß die Handlung auf das äußerste, entzieht damit freilich aber auch der Charakteristik des Helden die wesentlichsten Züge und drückt außerdem Donna Anna zur Sklavin seines Willens herab. Dank der Musik Glucks drang das Werk sehr bald ins Ausland, nach Paris und besonders nach Italien, wo es in Parma, Turin, Neapel und Mailand zur Aufführung gelangte31. Ein weiteres Don-Juan-Ballett, höchstwahrscheinlich von Fr. L. Schröder verfaßt, führte die Ackermannsche Truppe im Jahre 1769 auf32.

Von den siebziger Jahren an werden die italienischen Bühnen von »convitati di pietra« geradezu überflutet, ein deutlicher Beweis für die Beliebtheit, deren sich der Stoff hier erfreute. Der erste war das »Dramma tragi-comico«, auf einen Text von Filistri von V. Righini komponiert, das 1776[369] in Prag und 1777 in Wien aufgeführt wurde. Es beginnt nach älteren Vorbildern mit der Errettung Don Giovannis und seines Dieners Arlecchino durch ein Fischerpaar aus den Fluten. Dann folgt Don Giovannis Angriff auf die Ehre der hier zwangsweise dem Duca Ottavio vermählten Donna Anna und die Ermordung des Komturs, worauf Donna Anna dem Mörder Rache schwört. Don Giovanni beschließt zu fliehen, wird aber von der durch ihn verführten Isabella verfolgt, die bei Don Alfonso auf seine Bestrafung dringt. Nach einem vergeblichen Versuch, Donna Anna umzustimmen, läßt Don Giovanni durch Arlecchino die Statue zu Gast laden. Das Mahl verläuft mit einem Toast Don Giovannis auf das Publikum und Arlecchinos auf die schönen Mädchen, dann erscheint die Statue und lädt Don Giovanni zu sich ein. Bei dieser Zusammenkunft im Trauerzimmer erfüllt sich sein Geschick. Anna und Alfonso werden davon benachrichtigt, Don Giovanni wird in der Hölle von den Furien gepeinigt.

Dieses Libretto mischt seriöse und Buffozüge bunt durcheinander. Ein weiterer »Convitato di pietra«, 1777 in Venedig mit der Musik von Gius. Calegari aufgeführt, ist nur dem Namen nach bekannt33, ebenso wie das Werk von Gioach. Albertini (Venedig 1784). Dagegen griff der Dichter G.B. Lorenzi in seinem für Giac. Tritto geschriebenen Libretto (Neapel 1783) auf die alte Fassung von Cicognini zurück und verstattete der Figur des Pulcinella einen breiten Raum34.

Ihren Höhepunkt erreichte die Begeisterung der Italiener für den Don-Juan-Stoff aber im Jahre 1787.Goethe berichtet noch 1815 seinem Freunde Zelter, er habe es seinerzeit in Rom erlebt, »daß eine Oper Don Juan (nicht der mozartische) vier Wochen alle Abende gegeben wurde, wodurch die Stadt so erregt ward, daß die letzten Krämersfamilien mit Kind und Kegel in Parterre und Logen hauseten, und Niemand leben konnte, der den Don Juan nicht hatte in der Hölle braten, und den Gouverneur, als seligen Geist, nicht hatte gen Himmel fahren sehen«35. Auf welches Werk sich diese Worte beziehen, ist nicht mit völliger Sicherheit zu erweisen. Denn im Herbst 1787 wurde im »Teatro della Valle« eine einaktige Farce »Il convitato di pietra« (nach Lorenzi) mit der Musik von Vinc. Fabrizi aufgeführt36. Aus dem Karneval desselben Jahres ist ferner ein »Nuovo convitato di pietra« aus Venedig bekannt37. Der Dichter ist verschollen, der Komponist war Franc. Gardi; der Text ist wiederum eine ziemlich rohe Farce. Der Zusatz »nuovo« weist indessen auf ein früheres, besonders erfolgreiches Stück hin, und das war aller Wahrscheinlichkeit nach der »Convitato di pietra« von Gius. Bertati und Giov. Gazzaniga, der im Januar 1787 im Theater von S. Moisè in Venedig aufgeführt worden war38 und von allen Bearbeitungen den größten Erfolg zu verzeichnen hatte. Vorangegangen war ihm ein »Capriccio[370] drammatico«, die Umarbeitung eines Bertatischen Vorspiels »La novità« vom Jahre 1775.


Der Operndirektor Policastro teilt in diesem Vorspiel seinem Personal mit, daß er dem deutschen Publikum zuliebe etwas Neues bringen wolle, die einaktige Komödie vom steinernen Gast. Gegen diese Absicht sucht ein vornehmer Gönner des Theaters die Spieler einzunehmen, und wirklich wollen alle aus der Probe davonlaufen. Da droht er ihnen mit Nichtzahlung des Honorars, und nun geht unter allerlei Späßen die Probe vonstatten.


Diesem Vorspiel folgt dann als zweiter Akt eben der »Convitato di pietra«, dessen Dichter, obwohl nicht ausdrücklich angegeben, doch sicher gleichfallsBertati ist. Man sieht, das Vorspiel stellt eine jener Parodien auf den Theaterbetrieb dar, die in der opera buffa besonders beliebt waren. Die Musik dazu stammte, von einigen Einlagen abgesehen, von Giov. Valentini, die zum Steinernen Gast von Gazzaniga39. Das Werk verbreitete sich sehr bald über Italien, es kam rasch nach Varese, Bologna, Ferrara, Bergamo, Mailand und Lucca. 1791 wurde die Oper in Paris aufgeführt, wobei Cherubini ein Quartett als Einlage beisteuerte40, 1792 in Lissabon41, 1794 endlich, trotz dem Widerspruch des anwesenden da Ponte, in London, und zwar mit mancherlei Zutaten, unter denen sich auch Mozarts Registerarie befand42.

Die Partitur der Oper ist in mehreren nicht vollständigen, zum Teil sich ergänzenden Abschriften, das Textbuch dagegen vollständig erhalten43.

Das Personenverzeichnis ist im Original-Textbuche folgendes:


D. Giovanni.

D. Anna figlia del Comendatore d'Oljola.

D. Elvira Sposa promessa di D. Giovanni.

D. Ximena Dama di Villena.

Il Comendatore Padre di D. Anna.

Duca Ottavio Sposo promesso della medesima.

Maturina Sposa promessa di Biagio.

Pasquariello Servo confidente di D. Giovanni.

Biagio Contadino Sposo di Maturina.

Lanterna altro Servo di D. Giovanni.

Servitori diversi, che non parlano.

La Scena è in Villena nell' Aragona.


Die Darstellerin der Donna Anna sang zugleich die Maturina, der Darsteller des Komturs zugleich den Biagio. Der Gang der Handlung ist folgender:


[371] Pasquariello steht verdrießlich Schildwache vor dem Hause des Komturs, als Don Giovanni herausstürzt und sich von Donna Anna loszumachen sucht, die sich bemüht, ihm die Maske abzureißen und ihren Vater zu Hilfe ruft; dieser erscheint und fällt im Zweikampf; mit dem Terzett der Männer schließt die erste Szene. (Eine Ouvertüre ist nicht da.) Nach einem kurzen Gespräch flieht Don Giovanni mit Pasquariello. Donna Anna eilt mit ihrem Bräutigam Duca Ottavio herbei und findet zu ihrem Entsetzen die Leiche ihres Vaters [begleitetes Rezitativ]; gefaßter berichtet sie ihm ausführlich den Überfall Don Giovannis und erklärt, daß sie sich in ein Kloster zurückziehen werde, bis Ottavio den Mörder entdeckt und bestraft haben werde [Arie], wozu dieser mit Betrübnis bereit ist [Arie]. (Donna Anna tritt nun nicht wieder auf.) – Don Giovanni, der Donna Ximena in einem Kasino erwartet, unterhält sich mit Pasquariello, als Donna Elvira in Reisekleidern auftritt, die in Burgos von Don Giovanni verlassen ihm nachgereist ist [Arie]. Als man sich gegenseitig erkennt, verweist Don Giovanni sie wegen der Gründe seiner Abreise an Pasquariello und entfernt sich. Dieser legt ihr die Liste der Geliebten seines Herrn vor [Arie]; sie will ihr Recht verfolgen oder Rache nehmen. – Don Giovanni kommt im Liebesgespräch mit Ximena und versichert sie auf ihre eifersüchtigen Fragen seiner Treue [Arie]. Ein ländliches Brautpaar Biagio und Maturina feiert seine Hochzeit [Chor und Tarantella]. Pasquariello mischt sich unter die Landleute, macht der Braut den Hof, muß aber vor dem hinzukommenden Don Giovanni zurücktreten, der den Bräutigam grob behandelt, so daß dieser unmutig weggeht [Arie]. Durch Schmeicheleien und ein Eheversprechen betört Don Giovanni Maturina, welche ihn ebenfalls ihrer Liebe versichert [Arie]. Ximena verlangt von Pasquariello Auskunft über seinen Herrn und ist sehr erfreut, als er sie über dessen Treue beruhigt. Don Giovanni kommt hinzu, wird dann nacheinander von Ximena, Elvira und Maturina ausgefragt und weiß sie zu beruhigen, indem er jeder sagt, die anderen seien vor Liebe zu ihm verrückt44 [Zankduett zwischen Elvira und Maturina, nachdem die übrigen weggegangen]. – Duca Ottavio läßt im Mausoleum, das der Komtur bei Lebzeiten hatte errichten lassen, die Inschrift unter die Statue setzen. Don Giovanni kommt mit Pasquariello, das Grabmal in Augenschein zu, nehmen, und zwingt ihn, die Statue zum Mahl einzuladen [Duett]. Im Hause Don Giovannis bereitet der Koch Lanterna das Mahl und erwartet seinen Herrn; Elvira kommt und empfängt den mit Pasquariello heimkehrenden Don Giovanni mit ernsthaften Ermahnungen zur Reue, die er höhnisch abweist, worauf sie ihn verläßt, um in ein Kloster zu gehen [Arie]. Heiter geht Don Giovanni zu Tisch unter Tafelmusik [Konzertino]; Pasquariello muß sich zu ihm setzen, während Lanterna aufwartet; sie bringen Toaste auf die Stadt Venedig und ihre schönen Damen aus [Arie Pasquariellos]45. Da klopft es, und zum Entsetzen der beiden Diener erscheint der Komtur. Don Giovanni heißt ihn willkommen und fordert Pasquariello auf, ihn zu unterhalten. Als ihn der Komtur zu sich einlädt, sagt er mit Handschlag zu, weist aber jede Mahnung zur Buße zurück und verfällt den Höllengeistern zur Peinigung. Nachdem die[372] Hölle verschwunden und der Saal wieder erschienen ist, kommen Ottavio, Ximena, Elvira und Maturina, erfahren von den Dienern, was geschehen ist, und vereinigen sich zu dem üblichen heiteren Schlußgesange.


Sehr bald nach der venezianischen Aufführung muß dieser »Don Giovanni« nach Wien gekommen sein. Es war eben die Zeit, da Mozart die neue Oper für Prag zu schreiben hatte. Sehr wohl möglich ist, daß die Bekanntschaft mit dem Bertatischen Texte da Ponte und Mozart überhaupt zur Wahl dieses Stoffes bestimmt hat. Jedenfalls wurde er dem neuen Werke zugrundegelegt: nicht nur die Hauptpersonen und Hauptszenen, sondern sogar einzelne Wörter und Wendungen hat da Ponte seinem Vorbilde entnommen, und wo er ändert, ist die Absicht leicht zu erkennen. Wie beim »Figaro«, so hat er also auch hier die Bearbeitung einer in den Hauptzügen unangetastet gelassenen älteren Dichtung einer eigenen Schöpfung vorgezogen. Und beide Male hat er ein ganz unleugbares dramatisches Geschick bewiesen. Daß er beim »Don Giovanni« nicht nur dieses Abhängigkeitsverhältnis totschwieg, sondern den Bertati, der später vom Wiener Hofe an seine Stelle berufen wurde, auch noch mit höhnischem Haß behandelte46, paßt ebenfalls in das Bild des Mannes.

Bertati hat den Stoff unzweifelhaft wieder in eine höhere und vor allem musikalischere Sphäre erhoben. Nach der rationalistischen Behandlung bei Molière und Goldoni kommt hier die Welt des Sinnlichen, Triebhaften, Irrationellen, die bereits im alten »Burlador« eine wichtige Rolle gespielt hatte, wieder zu ihrem Rechte, und damit wird auch das Eingreifen der übernatürlichen Mächte weit besser motiviert als bei den älteren Dichtern, deren aufgeklärter Standpunkt eine organische Eingliederung des Mystischen und Phantastischen von Hause aus unmöglich gemacht hatte. Auf der anderen Seite kommt Bertati das unzweifelhafte Verdienst zu, den Stoff aus den Niederungen des rein Possenhaften, in die er namentlich in Deutschland und Italien geraten war, wieder in eine höhere dramatisch-psychologische Sphäre emporgehoben zu haben. Gewiß hat ihm nichts anderes als eine opera buffa vorgeschwebt, und es fehlt seinem Buche durchaus nicht an Zügen drastischer Derbheit, zu denen vor allem die echt buffomäßig gemeinte Höllenszene und der Schlußgesang mit dem üblichen, wohlbekannten47 Inhalt gehören:


DonneA a a, io vò cantare:

DonneIo vò mettermi a saltar.

D. Ottavio.La Chitarra io vò suonare.

Lanterna.Io suonar vò il Contrabasso.

PasquarielloAncor io per far del chiasso

Il fagotto vò suonar.[373]

Don Ottavio.Tren, tren, trinchete, trinchete trè.

Lanterna.Flon, flon, flon, flon, flon, flon.

Pasquariello.Pu, pu, pu, pu, pu, pu, pu.

Tutti.Che bellissima pazzia!

Che stranissima armonia!

Così allegro si va a star.


Aber das sind nur einzelne Zugeständnisse; im all gemeinen strebte auch Bertati jener verfeinerten Buffokunst zu, wie sie Lorenzi und Casti pflegten, und brachte damit tatsächlich einen neuen »Don Giovanni« auf die Bühne, der zwar selbst noch kein vollendetes Kunstwerk war, aber doch den Weg zu einem solchen zeigen konnte. Das war gewiß kein Zufall, denn die damalige Zeit liebte derartige Helden, deren Größe gerade in ihrer Auflehnung gegen Gesetz und Sitte lag (man denke z.B. an Schillers »Räuber«); man bewunderte den unbändigen Lebensdrang, der selbst vor der Herausforderung der göttlichen Macht nicht zurückschreckte, und empfand als Überlegenheit, was man früher schlechthin als Frevelhaftigkeit angesehen hatte. Die Beliebtheit des Don-Juan-Stoffes in jener Zeit hatte somit ihren guten Grund: dieser Held mit seiner dämonischen Sinnlichkeit erschien ihr wie eine lebendige Verkörperung ihres Protestes gegen die Unnatur der alten rationalistischen Lebensanschauung. Gewiß ist es keinem Dichter, auch Bertati nicht, in den Sinn gekommen, diese Idee mit Bewußtsein herauszuarbeiten. Ihr Streben ging nicht über eine wirksame opera buffa hinaus. Aber unbewußt beugt sich doch gerade Bertati ganz deutlich dem neuen Geiste. Schon daß er den alten Untertitel des »dissoluto punito« durch den neutraleren »convitato di pietra« ersetzt, ist bezeichnend: das »quod erat demonstrandum«, die alte Zauberformel des Rationalismus, hat für ihn keine Zugkraft mehr. Er will weder belehren noch bekehren, keinen Prozeß zwischen Gut und Böse zur Entscheidung bringen, sondern hält sich allein an die greifbare Wirklichkeit. Die dramatischen Begebenheiten sollen durch ihre eigene Schwerkraft wirken, und schon dämmert trotz allen Buffozutaten hinter der Gestaltung des Schlusses die Erkenntnis der Tragik auf, und zwar einer Tragik, die nicht auf Schuld und Sühne, sondern einfach auf der Wucht des dramatischen Geschehens als solchem beruht. In derartigen Anregungen liegt die Bedeutung Bertatis für Mozart, mag seine Dichtung im übrigen noch so stark durch das Herkommen bedingt sein.

Zum Teil waren es praktische Rücksichten, die da Ponte veranlaßten, Bertatis Vorlage im einzelnen abzuändern, so vor allem der schwächere Bestand des Prager Sängerpersonals. Ihm wurde zunächst der Koch Lanterna geopfert, so daß Don Giovanni nur einen einzigen Diener behielt, dann wurde aber auch Donna Ximena gestrichen, jedoch nicht ohne in der Gestalt Elviras und besonders Zerlines merkliche Spuren ihres Wesens zurückzulassen. Das war ein entschiedener Fortschritt, denn die drei übriggebliebenen Frauen erhielten dadurch eine schärfere Charakteristik und[374] wurden dramatisch wirksamere Gegenspielerinnen des Helden. Im Zusammenhang damit steht die einschneidendste Veränderung, die da Ponte mit seiner Vorlage vorgenommen hat: die Erweiterung der Rolle Donna Annas, die sich bei Bertati schon nach der ersten Szene aus der Oper zurückzieht, um hinter Klostermauern die von Ottavio zu vollziehende Rache abzuwarten. Bei da Ponte bleibt sie dauernd an der Handlung beteiligt, und zwar als entschiedenste Gegnerin Don Giovannis, wodurch sowohl ihre eigene als auch mittelbar Don Giovannis Charakteristik eine ganz bedeutende Vertiefung erhalten hat. Wohl mit Recht vermutet man darin die Hand Mozarts48. Er hatte schon in früheren Jahren seine ganz bestimmten Ansichten und Wünsche betreffs seiner »Frauenzimmerrollen« seinen Librettisten gegenüber vertreten49, wie sollte er jetzt, in seiner reifsten Zeit, plötzlich darauf verzichtet haben? Er hatte ferner bereits im »Figaro« mit der Gräfin eine Gestalt eingeführt, die sich von ihrer heiteren Umgebung durch dunklere und tiefere Gemütstöne abhob. Verlangte da nicht der »Don Giovanni« mit seinen schärferen Gegensätzen noch weit gebieterischer nach einer entsprechenden Figur? Und wenn wir endlich das Ergebnis betrachten, so zeigt sich ganz unzweifelhaft, daß Donna Anna ihr eigentliches dramatisches Leben nicht vom Dichter, sondern vom Musiker erhalten hat. Jener hat sich damit begnügt, das bei Bertati bereits Angedeutete weiter auszuführen, an dem Grundcharakter der Figur hat er nichts geändert und vor allem kein einziges neues Motiv hinzugefügt. Die Folge ist, daß Donna Anna im Libretto nur episodisch zur Geltung kommt. Mozart dagegen hat in seiner musikalischen Charakteristik fertig gebracht, was jederzeit nur den größten dramatischen Musikern gelungen ist: er hat eine Figur, die ihm der Dichter in verschwommenen, halbfertigen Umrissen übergab, in seinen Tönen nicht nur zu einem lebensvollen, einheitlichen Charakter, sondern obendrein noch zu einer Hauptfigur des ganzen Dramas erhoben. Es ist unter diesen Umständen nicht recht erfindlich, wie man in neuerer Zeit jeden Anteil Mozarts auch an diesem Textbuche hat abstreiten wollen50.

Donna Elvira ist in den Hauptzügen bei beiden Dichtern dieselbe geblieben, die sie bereits bei Molière war. Bei beiden muß sie durch tiefe Erniedrigung hindurch, bei Bertati in dem Zankduett mit Maturina, bei da Ponte in der Szene mit dem verkleideten Leporello. Aber in beiden Texten vereitelt diese leidenschaftliche Frau alle Streiche des Helden und erhebt[375] sich am Schlusse durch ihren letzten Mahnruf an ihn wieder zu echter Seelengröße. So ist Molières geniale Schöpfung auch der Oper zugutegekommen.

Zerline ist durch ihre Verquickung mit Ximena der derben Buffogestalt Maturinas bedeutend überlegen. Sie hat bereits von da Ponte die naive Anmut, aber auch die natürliche Triebhaftigkeit des unverbildeten Mädchens aus dem Volke mitbekommen. Ein psychologisch äußerst gelungener Zug da Pontes ist ihre Wiederversöhnung mit Masetto, die ihr Charakterbild ganz folgerichtig abrundet. Auch dem Masetto ist dieses neue Motiv zugutegekommen. Bertatis Biagio tritt nur einmal auf, um Maturinas Untreue mit anzusehen und dann von Don Giovanni mit Prügeln weggejagt zu werden. Masettos Martyrium ist länger und schmerzensreicher, aber eben darum wirkt auch Zerlines Rückkehr zu ihm überzeugender. Beide stützen sich gegenseitig, und an die Stelle zweier Buffogestalten, mit denen der Dichter mit gewohnter Unbarmherzigkeit umspringt, tritt ein treuherziges Alltagspaar, das sich trotz aller Sünden und Fährlichkeiten schließlich doch wieder zusammenfindet. Vor allem aber wird auch der Zusammenhang dieser Figuren mit den übrigen, namentlich der Hauptfigur, weit enger und lebensvoller.

Don Ottavios passive Gestalt ist von da Ponte zwar äußerlich reicher bedacht, jedoch innerlich keineswegs gehoben worden. Der Komtur endlich und sein Antipode Leporello sind dem Bertati fast sklavisch nachgebildet; der Unterschied ist nur, daß Leporello bei da Ponte der einzige Träger des Komischen in der ganzen Oper ist, während bei Bertati daran fast alle Personen mehr oder minder teilhaben.

Von Don Giovannis Charakter war im allgemeinen bereits die Rede. Wesentliche Züge hat da Ponte dem Bilde Bertatis nicht hinzugefügt. Dieser war durch seinen Einakter wohl zu einer skizzenhafteren Ausführung gezwungen, während da Ponte breiter ausführen und eingehender motivieren konnte. Er arbeitet mit feinerem Pinsel, aber ein wesentlich anderer ist Don Giovanni dadurch nicht geworden.

So fällt ein großer Teil des früher lange Zeit da Ponte zugeschriebenen Verdienstes um den Text vielmehr Bertati zu. In einem Punkt bedeutet da Pontes Verfahren sogar einen Rückschritt hinter sein Vorbild: in dem stärkeren Betonen der rationalistischen Moral, die sich schon in der Wiedereinführung des an Goldoni anklingenden Untertitels »il dissoluto punito« kundgibt. Da Ponte konnte sich nun einmal tragischen Ernst nicht ohne diesen Zusatz vorstellen. Zwar hat ihn im Verlaufe des Stückes der Reichtum der Handlung daran verhindert, diesen Zug allzu stark zu betonen; auch erwies sich zum Glück der dramatische Dichter in ihm stärker als der Moralist. Aber in der Schlußszene konnte er sich's doch nicht versagen, die Moral aus dem Stücke zu ziehen. Statt der burlesken Wendung Bertatis bringt er da zunächst ordnungsgemäß die Schicksale Donna Annas und Elviras zum befriedigenden Abschluß, dann aber sucht er dem Buffogeiste[376] und der ihm vorschwebenden »tragischen Moral« zugleich zu genügen, indem er alle zusammen »allegramente« die »antichissima canzon« anstimmen läßt:


Questo è il fin di chi fa mal,

E de' perfidi la morte alla vita è sempre ugual!


Das ist die beliebte Schlußmoral weniger der opera buffa, als der opéra comique51, und es hätte nur noch gefehlt, daß die einzelnen Teilnehmer nach Vaudevillebrauch noch weitere Belege für diesen Satz vorgebracht hätten.

Trotzdem darf da Pontes Verdienst nicht unterschätzt werden. Es liegt in seinem offensichtlichen Bestreben, Bertatis Buffotext der Eigentümlichkeit Mozarts anzupassen. Die Musik des »Figaro« hatte seinen Blick dafür bedeutend geschärft. Als er an die Bearbeitung des Beaumarchaisschen Lustspiels ging, war sein Ziel, wie gezeigt wurde, im wesentlichen noch eine opera buffa gewesen. Mozarts Komposition hatte ihn darüber belehrt, daß der Musiker seine Stoffe mit ganz anderen Augen ansah, und so wenig er sich auch über jenes neue künstlerische Ideal im klaren sein mochte, so fühlte er doch instinktiv heraus, wie eine Dichtung formell zu gestalten war, die jenen Ansprüchen genügte. Man glaubt deutlich verfolgen zu können, wie er die Bertatischen Figuren im Sinne der Mozartschen Charakterdramatik weiter ausarbeitet, ihre Gegensätze untereinander verschärft und vertieft und besonders ihren bereits bei Bertati vorhandenen echt musikalischen Grundcharakter mit Rücksicht auf Mozarts Individualität weiter ausbaut. Tatsächlich hat Mozart weder vor- noch nachher Gestalten an die Hand bekommen, die der Musik in solchem Maße entgegenkämen, wie im »Don Giovanni«. Das gilt von Leporello wie von den drei Frauen, ganz besonders aber von der höchst eigentümlichen Art, wie der eigentliche Held charakterisiert wird. In der ganzen Oper geschieht nichts, was nicht zu ihm in irgendwelcher Beziehung stünde und irgendwelche Seite seines Wesens zum Ausdruck brächte. Alles drängt zu ihm, seinem Wirken und seinem Schicksal hin. Das ist ein großer Unterschied gegenüber der Vielgestaltigkeit des »Figaro«. Und doch hat dieser Held keine einzige Arie alten Schlages zu singen52. Das berühmte »Fin ch'han dal vino« (12) kann nur sehr bedingt als solche angesprochen werden. Als Mann der Tat hat Don Giovanni überhaupt keine Zeit zu lyrischen Ergüssen, sondern entfaltet sein Wesen allein im Widerspiel mit andern. Das war für jene Zeit, die daran gewöhnt war, daß sich ihre Opernhelden durch ihre Arien ganz unmißverständlich dem Publikum vorstellten, etwas durchaus Neues und Außergewöhnliches: eine indirekte Charakteristik, die an Stelle des Absichtlichen[377] das scheinbar Absichtslose rückt. Auch hier harrte des Musikers eine ebenso neue wie schwierige Aufgabe. Sollte der Held nicht nur als individueller und einheitlicher Charakter erscheinen, sondern auch dauernd den Mittelpunkt des Ganzen bilden, sollte er nicht bloß ein temperamentvoller Abenteurer sein, sondern ein Ausnahmemensch von einer alles überflutenden Energie der sinnlichen Leidenschaft, so bedurfte es eines Musikers von ganz überragender Gestaltungskraft, der imstande war, für die neue Aufgabe auch die neuen Mittel zu finden. Der Fall lag für Mozart ungleich schwieriger als beim »Figaro«, aber er mußte zugleich seinen universalen Genius besonders reizen.

Nach der technischen Seite hin wird man da Ponte das Lob nicht versagen dürfen, namentlich im ersten Akt die Bertatische Handlung mit wirksamen Gegensätzen und beständiger Steigerung weiter ausgebaut zu haben. Der zweite Akt hätte freilich eines neuen dramatischen Motivs bedurft, denn die Fortsetzung von Don Giovannis Verfolgung genügte allein nicht, die Spannung auf der Höhe zu erhalten. Schöpferische Gedanken großen Stils waren indessen nicht da Pontes Sache. Er griff deshalb, um seinen zweiten Akt zu füllen, zu den bewährten Mitteln der Buffooper, wie Kleidertausch und Prügelei, und findet den großen dramatischen Zug im Anschluß an Bertati erst gegen den Schluß, von der Kirchhofsszene an, wieder. Immerhin sind die einzelnen Situationen, in die dieser Akt auseinanderfällt, szenisch wirkungsvoll und namentlich musikalisch äußerst dankbar. Hierin liegt einer der größten Vorzüge des Librettisten: er versteht, namentlich was die Ensembles, Mozarts Hauptstärke, anbetrifft, die einzelnen Szenen für die musikalische Behandlung mit größtem Geschick aufzubauen. In der dichterischen Darstellung der Leidenschaft sind ihm freilich andere, besonders Casti, überlegen, und auch von dem ritterlichen Wesen des spanischen Originals ist in seinem Texte nicht mehr viel zu verspüren. Wohl aber steckt darin noch ein gutes Stück vom Geiste des damaligen Rokokozeitalters, der fessellosen Lebensgenuß mit Humanität und allerhand mystischen Anschauungen zu vereinigen wußte. Das gibt dem Buch eine individuelle Wahrheit, und rokokomäßig ist auch die gewandte, zierliche und anmutige Art des äußeren Ausdrucks, durch die da Ponte sich von dem robusteren Bertati unterscheidet.

So trafen gerade in diesem Buch die verschiedensten Bedingungen zusammen, um Mozarts Schöpferkraft zu einem besonderen Höhenflug zu veranlassen. Er führte ihn nicht minder hoch als im »Figaro«, nur nach einer ganz anderen Richtung, und über Höhen und Tiefen hinweg, die jene Oper kaum erst ahnen ließ. Es hatte seinen guten Grund, wenn Goethe auf den »Don Giovanni« hin meinte, Mozart wäre der Mann gewesen, seinen »Faust« zu komponieren53. Dieses Urteil ist sicher nicht bloß durch die Verwandtschaft einzelner Situationen bestimmt worden, sondern durch das instinktive[378] Gefühl, hier einem Künstler gegenüberzustehen, der ihm selbst nicht allein an Universalität, sondern auch in der ganzen Art, sein Weltbild zu gestalten, verwandt war. Sagte er doch noch zwei Jahre später: »Wie kann man sagen, Mozart habe seinen Don Juan komponiert! Komposition – als ob es ein Stück Kuchen oder Biskuit wäre, das man aus Eiern, Mehl und Zucker zusammenrührt! Eine geistige Schöpfung ist es, das Einzelne wie das Ganze aus einem Geiste und Guß und von dem Hauche eines Lebens durchdrungen, wobei der Produzierende keineswegs versuchte und stückelte und nach Willkür verfuhr, sondern wobei der dämonische Geist seines Genies ihn in der Gewalt hatte, so daß er ausführen mußte, was jener gebot54

Betrachten wir zunächst den Verlauf der Handlung55.


Leporello als Schildwache erwartet ungeduldig seinen Herrn, der zu einem Stelldichein geschlichen ist.Don Giovanni erscheint, von Donna Anna verfolgt, von der er sich vergebens loszumachen strebt. Auf ihr Hilferufen kommt der Komtur, ihr Vater, herbei und zwingt den frechen Eindringling, sich mit ihm zu schlagen; er fällt von Don Giovannis Hand, der wie Leporello über diesen Unfall betroffen ist56. Aber es ist keine Zeit zu verlieren, Don Giovanni flieht, und unmittelbar darauf kommt Donna Anna mit ihrem Verlobten Don Ottavio zurück. Der Anblick der Leiche bringt sie außer sich vor Schmerz, sie wird ohnmächtig. Kaum wieder Herrin ihrer Sinne, läßt sie Don Ottavio dem Mörder Rache schwören.

Don Giovanni, der von Leporellos Vorwürfen nichts hören will, vertraut ihm, daß er ein neues Abenteuer verfolge, als eine Dame hinzukommt. Es ist Donna Elvira, welche, in Burgos von ihm verführt und dann verlassen57, ihm nachgereist ist, um ihn an seine Pflicht zu mahnen; er nähert sich ihr und ist nicht wenig betroffen, als er sie erkennt. Sie überhäuft ihn mit Vorwürfen, er verweist sie an Leporello, der ihn vor ihr entschuldigen werde, und benutzt diese Gelegenheit, um sich zu entfernen; Leporello zeigt ihr zum Trost das lange Register, das er über die Liebschaften seines Herrn führt. Empört über diese neue Beleidigung will sie fortan ihre Liebe für den Ungetreuen ihrer Rache opfern.

Masetto und Zerlina feiern mit befreundeten Landleuten ihre Hochzeit in der Nähe von Don Giovannis Kasino, wohin dieser sich einer getroffenen Verabredung gemäß begibt. Die jugendfrische Zerlina zieht ihn an, er macht Bekanntschaft mit den Brautleuten, ladet die ganze Gesellschaft in sein Kasino, schickt Masetto, dessen Eifersucht sich regt, halb mit Gewalt fort und ist im Begriff, durch Schmeichelei und Liebeserklärung Zerlina zu gewinnen, als Elvira zwischen sie tritt, Zerlina warnt und sie, der Don Giovanni zuflüstert, Elvira sei eine arme Närrin, in ihn verliebt und eifersüchtig, fortführt. Zu dem alleingelassenen Don Giovanni tretenDonna Anna und Ottavio hinzu, begrüßen ihn als Freund der Familie und nehmen seine Hilfe in Anspruch, den Mörder des Komturs zu entdecken und zur Strafe zu ziehen. Während er sich angelegentlich mit Donna Anna unterhält, tritt wiederum Elvira dazwischen und warnt vor ihm als einem Heuchler.[379] Er weiß sich nicht anders zu helfen, als daß er sie heimlich für eine Wahnsinnige ausgibt58, mit der er gehen müsse, um sie zu beruhigen. Donna Anna, welche mißtrauisch gemacht Don Giovanni scharf beobachtet, erkennt in ihm den Mörder ihres Vaters, setzt Don Ottavio von dem ganzen Vorfall in Kenntnis und fordert ihn zur Rache auf. Obwohl er einem so schweren Verdacht nicht gleich Glauben zu schenken vermag, beschließt er doch, auf jede Weise nachzuforschen, um über Don Giovanni ins klare zu kommen. Dieser, der sich von Elvira befreit hat, befiehlt nun ein glänzendes Fest zu Ehren der Brautleute zu bereiten. Masetto, den Zerlina durch ihr Schmeicheln mit Mühe einigermaßen besänftigt, versteckt sich, als er Don Giovanni kommen sieht; sie tut spröde mit diesem, und als Masetto unerwartet zum Vorschein kommt, faßt sich Don Giovanni rasch; es gelingt ihm, sie zu beschwatzen, mit in sein Landhaus zum Feste zu kommen. Donna Anna und Don Ottavio kommen mit Elvira, von der sie alle Aufklärung erhalten haben, und durch sie angestachelt, in Maskenkleidung, um unerkannt Don Giovanni zu beobachten. Leporello, der sie gewahr wird, bringt ihnen die erwartete Einladung, an dem Feste teilzunehmen, welcher sie Folge leisten. Es ist ein Zug der damals namentlich in Venedig üblichen Sitte, maskiert umherzugehen und, wo ein fröhliches Fest gefeiert wurde, auch hinzukommende Fremde zur Teilnahme einzuladen, wobei die Maskentracht jeden Zwang aufhob. Als sie in den Saal treten, ist gerade eine Pause im Tanzen eingetreten; man nimmt Erfrischungen, Don Giovanni unterhält sich mit Zerlina, Masetto, dessen Eifersucht neue Nahrung bekommt, sucht sie zu warnen, da erregen die eintretenden Masken allgemeine Aufmerksamkeit, werden freudig begrüßt, und der Tanz beginnt von neuem. Donna Anna und Don Ottavio treten, wie Mozart ausdrücklich vorschreibt, zum Menuett an, dem Tanz der Vornehmen59; mit Mühe bezwingt Donna Anna ihr widerstrebendes Gefühl, das sich in einzelnen Ausrufen Luft macht, indes Don Ottavio während des Tanzes sie ermahnt, an sich zu halten. Elvira sucht Don Giovanni auf Schritt und Tritt zu beobachten. Dieser fordert Zerlina zum Kontertanz auf, und Leporello zwingt Masetto, um seine Aufmerksamkeit von Zerlina abzuwenden, mit ihm den Teutschen zu tanzen, den raschen und ausgelassenen Tanz des Volks. Im günstigen Augenblick entführt Don Giovanni Zerlina, Leporello folgt ihm rasch, um ihn zu warnen; da ertönt ihr Hilferuf, und alles eilt sie zu befreien. Ihnen kommt Don Giovanni entgegen und schleppt Leporello herbei, den er für den Schuldigen ausgibt und mit dem Tode bedroht; aber von allen Seiten tritt man ihm entgegen, die Masken fallen, er sieht sich von Bekannten umringt, die zur Rache entschlossen sind. Herr und Diener stutzen einen kurzen Augenblick, dann bahnt sich jener mit kühner Entschlossenheit durch die Feinde den Weg ins Freie. Ferner Donner läßt sich vernehmen60.

[380] Im zweiten Akt besänftigt Don Giovanni durch Geld und gute Worte den aufgebrachten Leporello, vertraut ihm an, daß er Elviras hübschem Kammermädchen nachstelle, und tauscht, um leichter bei ihr Zugang zu finden, mit ihm die Kleider. Kaum ist dies geschehen, als Elvira sich am Fenster zeigt. Um sie mit guter Manier zu entfernen, erlaubt Don Giovanni sich den Scherz, ihr mit verstellter Leidenschaft seine Liebeserklärungen zu erneuern, denen sie schwach genug ist Gehör zu geben. Leporello muß nun in der Verkleidung die Äußerungen ihrer Leidenschaft entgegennehmen und erwidern, bis Don Giovanni sie durch geräuschvolles Herankommen verjagt; durch ein zärtliches Lied sucht er dann selbst das Kammermädchen herauszulocken. Da kommt Masetto bewaffnet mit mehreren Freunden, um Don Giovanni zur Rechenschaft zu ziehen; der angebliche Leporello verspricht, sie auf die richtige Fährte zu bringen, und weiß auf geschickte Weise den Trupp zu zerstreuen und zu entfernen, schwatzt dann Masetto die Waffe ab, prügelt ihn durch und entflieht. Auf Masettos Jammergeschrei eilt Zerlina herbei und sucht ihn mit Liebkosungen zu trösten.

Indessen haben sich Leporello und Elvira in einen Vorsaal im Hause der Donna Anna61 geflüchtet; Leporello sucht sich fortzuschleichen, während Elvira ihn anfleht, sie nicht im Dunkeln allein zu lassen. Eben will er entwischen, als Don Ottavio mit Donna Anna eintritt, deren Schmerz er zu besänftigen bemüht ist; nun suchen Elvira und Leporello beide sich heimlich zu entfernen, ohne einander zu sehen, da treten Zerlina und Masetto ihnen in den Weg. Alsbald soll über den vermeintlichen Don Giovanni Gericht gehalten werden, vergebens legt zu aller Überraschung Elvira Fürbitte für ihn ein, da enthüllt er sich als Leporello, sucht sich gegen alle Vorwürfe zu rechtfertigen und ergreift glücklich die Flucht. Don Ottavio, der nun nicht mehr zweifelt, daß Don Giovanni der Mörder des Komturs sei, erklärt, daß er beim Gericht Beistand suchen werde, um ihn zur Strafe zu ziehen; er bittet die Freunde, seine Geliebte zu trösten, bis er ihr Ge nugtuung verschafft habe62.

Don Giovanni erwartet in der Nähe des Denkmals des Komturs Leporello, dem er sein neuestes Abenteuer mit Lachen erzählt; da ertönen zweimal von unsichtbarer Stimme ernste Mahnworte. Nun gewahrt er die Statue des Komturs und läßt Leporello die Inschrift lesen: »Meines ruchlosen Mörders Strafe erwarte ich hier.« Im übermütigen Hohn über Leporellos Entsetzen zwingt er diesen, die Statue zum Abendessen einzuladen; als die Statue mit dem Kopf nickt und Don Giovanni dies gewahrt, fordert er selbst rasch entschlossen sie auf zu antworten, und da sie vernehmlich Ja! sagt, entfernt er sich eilig und bestürzt.

Don Ottavio versucht von neuem, Donna Anna, der er Don Giovannis bevorstehende Bestrafung ankündigt, zu trösten und bittet sie, ihm endlich ihre Hand zu geben; sie erklärt ihm, daß, wie sehr ihr eigenes Herz für diesen Wunsch spreche,[381] doch die Trauer um den Vater ihr seine Erfüllung der Zukunft zu überlassen gebiete. Diese Szene erregt großen Verdacht, daß sie erst in Prag, nachdem die Oper im wesentlichen fertig war, eingeschoben sei, um der Sängerin eine Schlußarie zu geben. Die Situation kehrt am Schluß des Finales ganz ebenso wieder und paßt an dieser Stelle nicht zu dem Auftreten Don Ottavios in der vorhergehenden Szene.

Don Giovanni läßt es sich bei der reich besetzten Tafel wohl sein und treibt seine Späße mit dem naschhaften Leporello. Diese Szene, in welcher Herr und Diener in den ausgelassensten Lazzi sich zu ergehen pflegten, ist von Mozart zu musikalischen Späßen benutzt. Don Giovanni hat Tafelmusik, und diese spielt beliebte Stücke aus den neuesten Opern. Bei den ersten Takten ruft Leporello: »Bravi! Cosa rara!« Es ist der Schlußsatz des ersten Finales aus Martins »Cosa rara«: »O quanto un si bel giubilo«, der damals in aller Mund war, und aufs ergötzlichste ist die Situation parodiert. Dort stehen die unzufriedenen Liebhaber den begünstigten, denen die Geliebten vor ihren Augen zugesprochen werden, hier der hungrige Leporello dem schmausenden Don Giovanni gegenüber, so daß die Musik zur gegenwärtigen Szene gemacht zu sein scheint. Das zweite Stück begrüßt Leporello mit dem freudigen Zuruf: »Evvivano i litiganti!« Es ist eine Favoritarie des Mingone aus Sartis Oper »Fra due litiganti il terzo gode« (Akt I, 8), dieselbe, über die Mozart Variationen geschrieben hatte (S. 42), deren damals allbekannter Text:


Come un agnello,

Che va al macello,

Andrai belando

Per la città!


äußerst komisch zu dem Benehmen Leporellos paßte63. Doch steckt in diesen musikalischen Einlagen, die die Stelle des »brindisi« auf die schönen Venezianerinnen bei Bertati vertreten, nach dem Brauche der Zeit außer der Parodie auch ein Kompliment vor den betreffenden Komponisten. Die gleichfalls humoristisch wirkende Bläserbesetzung entspricht ganz der Sitte der zeitgenössischen Tafelmusiken. Zum Schlusse zitiert Mozart seinen lieben Pragern zuliebe sein eigenes »Non più andrai« aus dem »Figaro«, und Leporello meint: »Questa poi la conosco pur troppo!« – es ist der liebenswürdige Dank des Meisters für die begeisterte Aufnahme seiner Oper in Prag.

In die lustige Gesellschaft tritt Elvira ein. Sie hat ihrer Liebe entsagt und will in ein Kloster gehen, vorher aber macht sie noch einen Versuch, Don Giovanni zur Reue zu bekehren; da er ihre Vorstellungen nur mit leichtfertigem Spott erwidert, verläßt sie ihn unwillig. Draußen hört man sie einen furchtbaren Schrei ausstoßen, Leporello eilt ihr nach und kommt zitternd vor Schreck wieder: die Statue des Komturs ist vor der Tür, sie klopft, Don Giovanni muß selbst gehen um zu öffnen und kommt mit dem steinernen Gast zurück. Dieser lehnt jede Bewirtung ab und richtet an Don Giovanni die Frage, ob er seiner Einladung zu folgen bereit sei; auf die bejahende Antwort faßt er ihn bei der Hand und fordert ihn auf, Buße zu tun. Da Don Giovanni dies wiederholt trotzig verweigert, verläßt er ihn; es wird Nacht, Flammen schlagen aus dem wankenden Erdboden, unsichtbare[382] Geister lassen ihre furchtbaren Stimmen ertönen, sie umringen Don Giovanni, den der Abgrund verschlingt. Als er so der Rache der Sterblichen eben entrückt ist, kommen Don Ottavio mit Donna Anna, Elvira, Zerlina und Masetto herbei, um den Frevler zu strafen; Leporello, der in fiebernder Angst Zeuge jener Schreckensszene war, berichtet das grausenvolle Ende seines Herrn. Befreit von großer Sorge und ihren natürlichen Verhältnissen zurückgegeben, vereinigen sie sich zu der angeführten Schlußmoral.


Den Zug, daß Don Giovanni bei keiner der Frauen, denen er nachstellt, wirklich sein Ziel erreicht, hat da Ponte von Bertati übernommen und nur noch deutlicher herausgearbeitet. Schwerlich ist er aber, wie Jahn meint, die Ursache der »Heiterkeit, die die ganze Oper durchdringt64«. Weit eher kann man ihn als ein dramatisch äußerst wirksames Mittel zur Charakteristik des Helden ansehen. Eine Natur von seinem Temperament muß durch den beständigen Widerstand in der Entfaltung ihres Wesens nur noch bestärkt werden. Ihre Tatkraft wird in fortwährender Spannung erhalten und so auch sein Schicksal beschleunigt. Auch liegt ja der Kern von Don Giovannis Wesen nicht darin, daß es ihm gelingt, dieses oder jenes Weib, das ihm gerade in den Wurf kommt, zu verführen, und wären es ihrer auch »tausendunddrei«, sondern in dem elementaren sinnlichen Lebens- und Liebestrieb, der sich einer entfesselten Naturkraft gleich austobt. Je mehr er sich enthüllt, um so gefährlicher wird er, aber auch um so größer. Es ist nicht nur vom Standpunkte der dramatischen Technik aus sehr geschickt angelegt, sondern auch von zwingender Symbolik, daß Don Giovanni am Anfang und am Schluß der Oper dem Komtur gegenübersteht. Schon jene erste Szene führt uns in die Atmosphäre des Tragischen. Wir werden erschüttert durch die Furchtbarkeit der in Don Giovanni lebenden Naturgewalt, die ihn da gleich zu Beginn der Oper als Herrn über Leben und Tod erscheinen läßt. Und doch führt ihn dieser Vorgang durchaus noch nicht bis an die Grenzen seiner Macht. Das Leben des Greises verfällt ihm leicht; er nimmt es sich einfach mit dem für ihn selbstverständlichen Rechte des Stärkeren. Ganz anders steht er dagegen der Statue gegenüber. Jetzt tritt ihm eine Macht entgegen, die, seiner eigenen sinnlichen Welt entrückt, eine stärkere Wirklichkeit vertritt als die seine. Nur darf man dahinter nicht das Eingreifen einer sittlichen Weltordnung etwa im Sinne Schillers erblicken wollen. Im zweiten Finale wird nicht ein Kampf zwischen Gut und Böse ausgefochten, sondern zwischen zwei erhabenen Wirklichkeiten, von denen die schwächere schließlich unterliegt. Der gänzlich unphilosophische Mozart kennt überhaupt nichts radikal Böses, er mißt deshalb seinen Helden und sein Tun nicht an einem sittlichen Ideal, sondern fühlt ganz deutlich, daß eine Kraft von solcher Realität wie Don Giovannis Lebenstrieb nur durch eine noch mächtigere Realität, der Dämon nur durch den Dämon besiegt werden kann. So handelt es sich in diesem Drama nicht um Schuld und Sühne, sondern allein um Sein oder Nichtsein, und die erschütternde[383] Tragik des Schlusses beruht auf der Größe und Furchtbarkeit des Geschehens als solcher, nicht auf dem Triumph des Sittengesetzes über die Welt der Erscheinungen. Es ist echtester Renaissancegeist, der da noch einmal zum Durchbruch kommt, und er ergibt sich ganz folgerichtig aus Mozarts Weltbild, das die Wirklichkeit jederzeit nur an sich selbst, nicht aber an außer ihr liegenden, philosophisch konstruierten Gesetzen mißt65.

Darum ist er aber im »Don Giovanni« auch weiter über den Dichter und dessen Ideenwelt hinausgegangen als in allen übrigen Opern, und das obwohl dieser sich nach Kräften bestrebt hatte, sich seiner Eigenart anzupassen. Der Text gleicht hier wirklich nur dem Gerüst, über dem der Bildhauer sein Modell erbaut und ausführt, so sehr ist das Gebilde der Oper mit Leib und Seele, im Ganzen und Einzelnen, die eigentliche Schöpfung Mozarts66, und die Partitur (K.-V. 527, S.V. 18 mit dem R.-B. von Rietz-Wüllner)67 ist wie keine zweite ein Triumph seiner dramatisch-musikalischen Phantasie.

Für die Ouvertüre hat Mozart diesmal – und von jetzt an in allen seinen Opern – die französische Form der Kombination eines langsamen Satzes mit einem raschen gewählt. Nicht als hätte er damit seine Stellung zur Ouvertüre überhaupt irgendwie geändert. Sie bleibt nach wie vor ein selbständiges Tonstück mit dem Zweck, den Hörer in die Gefühlssphäre des folgenden Dramas, nicht aber auch in den Gang der Handlung selbst einzuführen, und verträgt somit auch keine poetisierenden Ausdeutungen im einzelnen, wie sie das 19. Jahrhundert mit seinen intellektualisierenden Neigungen immer wieder versucht hat68. Sie sind es, die in dieses musikalisch und gefühlsmäßig durchaus eindeutige Stück erst die Undeutlichkeit und Verwirrung hineingetragen haben. Von der Figaro-Ouver türe unterscheidet es sich nur dadurch, daß jene Gefühlssphäre des Dramas dort eine einheitliche war69, während sie hier von zwei lapidaren Gegensätzen beherrscht wird. So[384] ergab sich für Mozart die zweiteilige Form wie von selbst. Er begnügt sich aber mit der Aufstellung der Gegensätze, ihre Auseinandersetzung bleibt der Oper überlassen. Gewiß besteht zwischen dem Andante und dem Allegro ein innerer Zusammenhang. Nur darf man jenes nicht etwa nach der beliebten Schablone als »langsame Einleitung« zum Allegro auffassen. Es gibt hier überhaupt nichts »einzuleiten«, sondern mit der bis zum Erschrecken harten Deutlichkeit, die für die ganze Oper bezeichnend ist, bricht hier in elementarer Gewalt gleich die eine Grundkraft des Dramas hervor, in der lakonischen Kürze des Ausdrucks doppelt furchtbar und schon hier ihrer Gegnerin nicht bloß ebenbürtig, sondern überlegen. Aber auch diese selbst ist von einer grellen, atemversetzenden Dämonie, auch sie hat etwas Elementares, Vulkanisches, das weit von der Sphäre der Figaro-Ouvertüre hinwegführt, und der Eindruck dieses Satzes wird dadurch noch verschärft, daß das Andante beständig wie eine schwere Wolke über ihm hängt. Das Wesen der beiden Gegensätze, die der Hörer nach des Meisters Absicht in sich erleben soll, ist so unmittelbar musikalisch klar ausgedrückt, daß nur verstandesmäßige Haarspalterei es verdunkeln konnte. Es handelt sich nicht um zwei womöglich bis in Einzelheiten hinein getreue Bildnisse des steinernen Gastes und Don Giovannis, sondern lediglich um die Vorstellung einer furchtbar-erhabenen, von allen Schauern des Jenseits umwehten Macht und andererseits einer dämonischen, durch jeden Widerstand immer höher aufgepeitschten Leidenschaft. Nur das empfindet der unbefangene Hörer, und nur das war auch Mozarts Absicht. Die schonungslose Energie aber, mit der die Gegensätze herausgearbeitet sind, versetzt den Hörer in die höchste Erregung; er ahnt, daß es zwischen diesen beiden übermenschlichen Gewalten keine Versöhnung gibt, ohne doch über den Kampf selbst und seinen Ausgang irgend etwas zu erfahren. Diese Spannung ist Mozart sogar so wichtig, daß er die künstlerische Illusion gar nicht durch einen vollständigen Schluß unterbricht, sondern die Empfindung leise abklingen läßt, als sänke ein feiner Schleier hernieder, und dann die Ouvertüre unmittelbar in die erste Szene hinüberführt.

So ist dieses Stück keine Programmouvertüre, weder im altvenezianischen Sinne, noch in dem der späteren Romantik, und wenn Mozart für das Andante auf die Musik der Geisterszene zurückgegriffen hat, so tat er das nicht, um den »convitato di pietra« in Person erscheinen zu lassen, sondern weil es ihm als das Natürlichste erschien, zur Symbolisierung derselben überirdischen Macht, die im Stücke der steinerne Gast vertritt, auch dieselbe Musik zu verwenden. Auch seine tragische Tonart d-Moll70 ist in beiden Fällen dieselbe, nur beherrscht sie in der Ouvertüre, wo alles dramatische Einzelgeschehen wegfällt, das Ganze noch weit unerbittlicher als in der Oper: mag sich die modulatorische Linie scheinbar noch so weit von ihr entfernen, sie wird doch wie mit magischer Gewalt immer wieder zu ihr[385] zurückgeführt. Wie in der Oper, so tritt die überirdische Gewalt auch hier mit einer viertaktigen Einleitung auf den Plan. Es sind nur zwei Akkorde des vollen Orchesters, auf Tonika und Dominante, aber welche erschütternde Energie liegt in den jedem Akkord folgenden inhaltsschweren Pausen und in der Synkopenwirkung ohnegleichen, deren Eindruck durch die unheimlich nachhallenden Halben in den Bässen noch bedeutend verschärft wird! Es ist, als starrte uns ein verzerrtes Medusenantlitz an. Dann erst beginnt die eigentliche Entwicklung, die die Musik der Opernszene auf das Alleräußerste zusammendrängt. Kein Motiv wird breiter ausgeführt71, in den knappsten Umrissen, gleichsam körperlos und wie hinter Schleiern gleiten alle Gestalten des Schreckens und der Trauer in bunter Reihe an uns vorüber; es fehlt ihnen das sinnlich Greifbare, Plastische der späteren szenischen Erscheinung. Die ganze Melodiebildung hat zudem etwas Elementares, sie verläuft zumeist in Gebilden, die wie Naturlaute und Interjektionen klingen; Rhythmik, Dynamik und Orchesterkolorit bestimmen neben der Harmonik in erster Linie den Charakter des Satzes72. Und doch stehen alle die äußerlich so scharf kontrastierenden Gedanken in einem deutlich fühlbaren inneren Zusammenhang, denn jeder Schlag ruft alsbald den Gegenschlag hervor. Nach jenen beiden einleitenden Akkorden beginnt piano (es ist der erste der dynamischen Kontraste, an denen die Ouvertüre so reich ist) die Welt des Jenseits ihre Stimme zu erheben. Fest und bestimmt steigt die Harmonie in schwer punktiertem Rhythmus auf dem uralten chromatischen Quartenintervall in die Tiefe, darüber spannt sich das gigantische Oktavenmotiv in immer neuen Bläserkombinationen von den Flöten bis zu Hörnern und Trompeten. Dann aber folgt der Rückschlag in der wie erstarrenden Synkopenmelodie der ersten Geige (T. 11 ff.), der sich bald eine dumpf murmelnde Sechzehntelfigur in der zweiten zugesellt, als jagte ein Windstoß welkes Laub auf73. Und so geht es weiter: in einem kurzen, grellen, nur aus zwei Noten bestehenden Sforzatomotiv74[386] scheint immer erschreckender die Stimme des Jenseits zu sprechen, und jedesmal folgt der zagende Widerhall aus der Seele der geängsteten Kreatur, die sich schließlich völlig gebrochen (T. 21–22) dem Schicksal unterwirft. Dann aber, im zweiten Teil, treten Schlag und Gegenschlag unmittelbar zusammen. Im Basse kehrt der punktierte Rhythmus des Anfangs wieder, aber jetzt geht die Bewegung eine Quart aufwärts statt abwärts und zieht die ganze Harmonie in eine Folge chromatisch aufsteigender Sextakkorde hinein. Dazu gesellen sich in den ersten Geigen und den Flöten über einem Tremolo der zweiten Geigen und Bratschen die bekannten Skalengänge, die den Hörer alle Schauer des Ewigen fast körperlich fühlen lassen75, im Crescendo aufsteigend, im Piano, das man nicht durch ein Diminuendo abschwächen sollte, wieder herabrieselnd. Ebensowenig ist ein Übergangscrescendo in T. 23–27 statthaft. Die Spannung liegt hier allein in der Harmonik, nicht in der Dynamik. Um so fürchterlicher wirkt das Forte in T. 27 f., dem Höhepunkt des Ganzen, wo auch die Skalen aussetzen. Aber kaum steht die überirdische Gewalt in ihrer vollen Furchtbarkeit da, so verschwindet sie auch wieder in einem ebenso plötzlich eintretenden Piano, dessen Wirkung namentlich in dem dynamischen Umbiegen des Motivs in den Bläsern:


Don Giovanni

zum Ausdruck kommt. Die ganze Dynamik dieses Satzes ist unverfälscht mozartisch. Nur drei Takte76 vergönnt Mozart dem Hörer, das furchtbare Erlebnis in sich abklingen zu lassen, und kaum vorbereitet trifft ihn der denkbar schroffste Umschwung im Allegro. Mit genialem Instinkt läßt Mozart dabei auf d-Moll D-Dur folgen: der rein musikalische Wechsel des Tongeschlechts auf derselben Stufe dient in vollendeter Weise dazu, die beiden Sätze sowohl zu verbinden als zugleich in schärfsten Gegensatz zu bringen. Das Allegro selbst ist diesmal, anders als beim »Figaro«, ein voll ausgebildeter Sonatensatz, es handelt sich also nicht um einen bunten Wechsel der Erscheinungen, der kein längeres Verweilen bei den einzelnen Gedanken duldet, sondern um ein Erproben und weiteres Anspannen der in den Hauptthemen schlummernden Kräfte, nicht um ein Neben- und Nacheinander, sondern um ein In- und Gegeneinander.

Über den Charakter dieses Allegrothemas ist schon viel geschrieben worden, und besonders die Romantik hat in jedem Motiv einen anderen Charakterzug Don Giovannis erkennen wollen: die dämonische Sinnlichkeit[387] in dem chromatischen Schritt, die ungestüme Tatkraft in der Synkopenpartie, den Leichtsinn in dem Achtelmotiv und endlich die Kavaliersnatur in der abschließenden Bläserpartie77. Das ist aber nach dem oben Gesagten bereits viel zu viel des Hineingeheimnissens. Handelt es sich doch gar nicht um ein musikalisches Porträt Don Giovannis, zu dem jeder Takt gleichsam wieder einen neuen Pinselstrich hinzufügte, ganz abgesehen davon, daß ein solches mosaikartiges Aneinanderstückeln den Gesetzen des musikalischen Schaffens widerstrebt. Nein: dieses Thema, einer der genialsten Einfälle Mozarts überhaupt, ist in einem Zuge geschaffen und will auch in einem Zuge aufgenommen werden. Seine erste Hälfte:


Don Giovanni

zeigt deutlich und ohne Vermittlung verstandesmäßiger Ausdeutung, rein aus dem musikalischen Gefühlsgehalt heraus, um was es sich hier handelt: um Druck und Entladung einer ungeheuren Lebensenergie. Sie ist der Grundaffekt, der das ganze vielgliedrige Gebilde zusammenhält. Aber auch über dieser Vielgliedrigkeit waltet ein fester Gestaltungswille. Das beweist die Rhythmik und Metrik, die ja wohl zunächst von jedem Hörer als besonders eigentümlich und originell empfunden wird. Sämtliche Motive78 sind auftaktig79, und zwar besteht der Auftakt bei allen aus zwei Noten, denen dann in der dritten der Hauptiktus folgt. Das ist aber der Grundcharakter des anapästischen Rhythmus, der schon seit alters als der Träger der Lebensenergie empfunden wurde. Nur bleibt er hier bis zum vierten Takte gewissermaßen latent, er muß sich gegen den in den schweren Auftakten liegenden Druck erst durchsetzen und auch noch die in den Motiven b2 und c erfolgende Spaltung seines schweren Taktteils in zwei Achtel überwinden, ehe er mit der dämonischen Bläserfanfare in seiner reinen Gestalt mit explosiver Kraft hervortritt. So vollzieht sich in diesem Thema schon rhythmisch durch die stetige Verkürzung der Auftakte eine einheitliche, sich beständig steigernde seelische Entwicklung: eine unter stärkstem Druck stehende Energie ringt sich allmählich zu voller, fesselloser Entfaltung durch. Dieser psychologische Vorgang wird nun durch Melodik und[388] Harmonik in eindrucksvollster Weise unterstützt. Die Melodik erweist sich zunächst als die Hauptträgerin der geheimen Widerstände, die jene Energie zu überwinden hat. Dazu gehört gleich das berühmte dis'' des zweiten Taktes mit seiner schneidenden Dissonanz, das die Harmonik gleich zu Anfang nach der Molltonart der Unterdominante hinübertreibt und den im Motiv a liegenden Druck ganz ungeheuer verstärkt. In der Gruppe b scheint sich zunächst die rhythmische Steigerung auch der Melodik mitzuteilen, aber der anfänglichen Kraftanstrengung folgt stets wieder ein Zurückbiegen der melodischen Linie, und je mehr sich der Rhythmus verschärft (Gruppe c), desto hartnäckiger zieht es sie wieder nach der Tonika herab; die kleinen Vorhalte sind der letzte Widerstand, den sie zu leisten vermag. Erst in der Gruppe d weicht der Bann plötzlich auch von ihr, und mühelos erreicht sie in kurzem Anlauf die Quinte a', wodurch der explosive Charakter dieser Partie nicht wenig unterstrichen wird. Die Harmonik wird in den ersten fünf Takten von dem tonalen Orgelpunkt beherrscht. Er ist hier durchaus kein gewöhnlicher neapolitanischer Trommelbaßorgelpunkt, wie schon aus seiner Ausführung durch Celli und Bratschen allein (ohne Bässe) hervorgeht. Dieses Hämmern auf dem hohen Baßton d' hat nach den vorhergehenden schweren Baßschritten etwas seltsam Flimmerndes und Prickelndes; man hat eine Empfindung wie beim jähen Wechsel von eisiger Kühle und brennender Glut. Der Orgelpunkt selbst aber erweist sich als die Hauptkraftquelle der in der ersten Themenhälfte aufgespeicherten Energie. Er läßt in der Gruppe b zunächst die Harmonie im unklaren, da dem Komponisten hier die Verstärkung der melodischen Linie durch die untere Sext und Terz wichtiger ist: erst in der zweiten Hälfte des ganzen Themas tritt die latente Dominantharmonie, auf der die beiden halben Noten ruhen, wirklich in die Erscheinung. Im drittletzten Takt löst sich auch dieser Druck in den energischen Kadenzschritten, und nun nimmt an dem elementaren Ausbruch der beiden Schlußtakte, zu dem außer der Rhythmik und Melodik noch Dynamik und Instrumentation zusammenwirken, auch noch die Harmonik teil, indem sie mit lapidarer Einfachheit die Entwicklung auf die Dominantharmonie hinauftreibt. Es ist wirklich, als schlüge hier die lange zurückgehaltene Glut der Leidenschaft plötzlich in vollen Flammen gen Himmel.

So spricht dieses Thema, wenn seine metrische Gliederung nur richtig erkannt wird, unmittelbar durch sich selbst und bedarf keiner von der Poesie entlehnten Krücken. Seine zweite Hälfte gleicht zunächst der ersten, nur daß der Orgelpunkt durch die Hörner verstärkt und die Harmonik in den Holzbläsern voll ausgeführt wird, beides natürlich im Sinne einer erheblichen Verschärfung des Affekts80. Der Aufschwung der Schlußtakte[389] erfolgt jetzt aber nicht mehr durch die Bläserfanfare, sondern in einer breiter ausgeführten und im Affekt bedeutend gesteigerten Partie des ganzen Orchesters, die unter Zugrundelegung desselben anapästischen Rhythmus mit gewaltigen Unisoni bis zum d'' hinaufstürmt und auf einem fast brutal klingenden Halbschluß abreißt. Es ist die Art, wie die Schule Chr. Bachs ihre Seitenthemen einzuführen pflegt81. Wirklich setzt auch ein neuer Gedanke in A-Dur ein. Aber er bringt keinen prinzipiellen Gegensatz: trotzige Schläge des ganzen Orchesters, von denen sich dreimal Skalen der Geigen ablösen. Auch hier fehlt der Kontrast nicht, er liegt in der kleinen Bläsermelodie, abermals über einem Orgelpunkt der Streicher ohne Bässe, dient aber lediglich dazu, die Flut auf kurze Zeit zu stauen, damit sie darauf um so fesselloser einherrasen kann82. Und das geschieht mit gewohnter Plötzlichkeit – ein Übergangscrescendo kennt die ganze Ouvertüre nicht – in dem verminderten Akkord, der nach a-Moll statt A-Dur führt. Dieses a-Moll, das auch im eigentlichen Seitenthema eine große Rolle spielt, gibt dem Grundtrieb der Lust eine besonders wilde Färbung, es läßt uns namentlich auch, wie später in Don Giovannis Arie (12), deren Stachel empfinden. Auch hier ist das Ende ein trotziger Halbschluß, diesmal auf der Dominante von a-Moll. Jetzt erst erscheint das eigentliche Seitenthema, scharf gegliedert und in seinen beiden Teilen echt mozartisch nach Melodik und Instrumentation von dem schroffsten Gegensatz beherrscht83:


Don Giovanni

Auch dieses Themas hat sich die poetisierende Deutung bemächtigt und in seiner ersten Hälfte den Mahnruf des steinernen Gastes, in der zweiten Don Giovannis frivol lachende Antwort erblickt. Es ist derselbe Drang, die Ouvertüre um jeden Preis mit Personen und Begebenheiten der folgenden Oper in unmittelbare Beziehung zu bringen, der wohl beiWeber und seiner Zeit, nicht aber auch bei Mozart berechtigt ist. Wie käme dieser auch darauf, mit einem solchen Zwiegespräch zweier Figuren aus der Oper selbst plötzlich[390] aus der Rolle zu fallen? Und selbst wenn dem so wäre, so hätte dieser geborene Meister der Kontraste das Wiedereingreifen des Überirdischen doch wohl musikalisch ganz anders von dem Vorhergehenden abgehoben als so, wo nicht einmal ein Harmoniewechsel stattfindet, sondern einfach die Dominantharmonie weitergesponnen wird. Nein, dieses Seitenthema bringt keinen Szenenwechsel und überhaupt keinen Gegensatz zu dem Vorhergehenden, sondern verhält sich zu diesem wie die Erfüllung zur Vorbereitung. Es ist der alte dämonische Lebensdrang, der jetzt, nach der vorangehenden kritischen Spannung, mit verdoppelter Gewalt sich äußert. Mozart hat diesen Vorgang nach seiner Art in zwei Gegensätze gekleidet, von denen der eine sofort den anderen auf den Plan ruft. Der wilde Trotz des unisonen Sforzatomotivs gibt die Antwort auf das Vorangehende, es ist, als ob hier gewaltsam eine schwere Last abgeschüttelt würde. Aber das Motiv weist mit seiner Dominantseptharmonie zugleich auch nach vorwärts, und die Antwort erfolgt in dem Achtelmotiv. Hier tritt nun aber ganz deutlich der anapästische Rhythmus aus dem Motiv c des Hauptthemas wieder hervor – ein weiterer Beweis für den inneren Zusammenhang beider Themenkreise. Statt »frivoler Tändelei« haben wir also wiederum den Ausdruck höchster, prickelnder Lebensenergie, die hier ganz folgerichtig dem herausfordernden Trotz antwortet. Auch die aussetzenden Bässe aus dem Hauptthema fehlen nicht. So betont dieses Seitenthema gewissermaßen die beiden äußersten Seiten jenes Lebensdranges: kampfbereiten Trotz und selbstgenügsame Lust an der eigenen Entfaltung. Zunächst behält, in dreifacher Engführung verschärft, die aggressive Stimmung das Wort. Aber bei der überraschenden Wendung nach C-Dur, die plötzlich eine ganz andere Beleuchtung hervorruft, verliert das Motiv sein Sforzato, und die imitatorische Führung wird lockerer – die Kraft erlahmt, und es breitet sich eine jener echt Mozartschen, müden und dabei doch unheimlichen Spannungen aus84: der psychologisch fein erfaßte Rückschlag nach der vorangegangenen Konzentration der Kräfte. Aber es ist nur die Ruhe vor dem Sturm: das unvermittelt im Forte einbrechende A-Dur der Schlußgruppe greift über das Seitenthema hinweg wieder auf die grellen Kraftausbrüche der Hauptgruppe zurück, an die sie auch motivisch anklingt, und mündet schließlich mit gewaltiger Steigerung in die kadenzierende Partie der Hauptgruppe aus. Die unwiderstehliche, höchste Kraftentfaltung behält das Schlußwort.

Die Durchführung beginnt, abermals ohne Tonartenwechsel, der sonst gerade an dieser Stelle bei Mozart häufig ist, mit dem Seitenthema, baut aber zwischen seinen beiden Gegensätzen insofern eine Brücke, als die Grundharmonie dieselbe bleibt; die »Antwort« erfolgt hier erst bei der Wiederholung des ganzen Themas im fünften Takt. Dann beginnt das[391] Spiel der Engführungen wieder, aber nunmehr auf einem weit gespannten harmonischen Bogen, der vermittelst der Dominantwirkung durch das ganze Gebiet der »heißen« Kreuztonarten bis nach G-Dur führt. Dazwischen flimmert beständig das zweite Motiv des Themas in den Streichern auf, mit seinem Vorhalt herbe Dissonanzen hervorrufend85. Es ist die genialste Stelle des ganzen Allegros, sie macht es unmittelbar deutlich, daß jene beiden Gegensätze doch im Grunde nur verschiedene Äußerungen derselben Kraft sind. Dabei vollzieht sich die ganze Partie im Piano; ohne jede Erdenschwere gleitet dieses Bild überquellenden Lebens an uns vorüber. Mit der Ankunft auf der Unterdominante G-Dur ändert sich die Situation: das Hauptthema tritt mit seinen geheimen Reibungen und seiner grellen Fanfare wieder auf den Plan, aber es wird nicht durchgeführt; seine zweite Hälfte wendet sich nach g-Moll und führt von da aus in die bei Mozart damals an dieser Stelle sehr beliebte tiefe Unterdominantregion hinab. Zugleich aber verliert es allmählich die ihm innewohnende Energie völlig und verpufft ziemlich ratlos auf der Dominante von B-Dur – wiederum eine jener äußerst erregenden Stellen erlahmender Kraft. Und auch hier gibt es so wenig wie in der ganzen Ouvertüre ein allmähliches Sichwiederermannen, sondern nur ein impulsives Losbrechen von schreckenerregender Gewalt; man spürt deutlich: die Kräfte, die hier am Werke sind, gehen über das menschliche Maß hinaus. Was dem Hauptthema versagt geblieben war, setzt das Seitenthema durch. Sechsmal setzt es mit voller Wucht86 auf stetig wechselnden Tonstufen ein, ohne Imitationen, nackt und bloß die Gegensätze nebeneinanderstellend und die ersten drei Noten mit grellen Akkorden aller Bläser samt Paukenwirbel begleitend. Auch sind die sechs Eintritte harmonisch einander keineswegs gleichgestellt. Der erste steht völlig für sich, die nächsten vier stehen, je zwei und zwei, im Verhältnis von Dominante und Tonika87. Der letzte will zwar dieses Verhältnis fortsetzen, entbehrt aber des zweiten Gliedes, ebenso wie der erste im Grunde des ersten. Es ist der Höhepunkt der Durchführung, der den Gedanken aufs allerschärfste zuspitzt. Und wiederum gibt es darauf keinen allmählichen Übergang, sondern es wird nach einer der eigentümlich flüsternden Partien ohne Kontrabässe gewaltsam mit Sforzatos und einem Forteausbruch des ganzen Orchesters die Rückkehr in die Reprise erzwungen, nicht ohne daß echt mozartisch zwischen diese und die Fortestellen noch eine leise herabrieselnde Skala in den Geigen eingeschoben würde. Die Reprise selbst verläuft im Gegensatz zu den meisten übrigen Sonatensätzen aus dieser Zeit fast ganz notengetreu bis zu dem ganz überraschenden, nach der Unterdominante umbiegenden Schluß, wo abermals der wilde Trotz[392] des Seitenthemas im vollen Orchester88 sein Haupt erhebt, um dann alsbald, gleich seinem Gegner im Andante, wie hinter Schleiern zu verschwinden.

Auf diesen gewaltigen Prolog, der die beiden gegensätzlichen Schicksalsgewalten mit schonungsloser Härte einander gegenüberstellt89, folgt nun unmittelbar, ohne Unterbrechung der künstlerischen Illusion, die nicht minder gewaltige »Introduzione« (1), die dramatisch eigentlich bis zum Beginn der vierten Szene reicht. Was ist hier unter des Dichters und noch weit mehr des Musikers Händen aus der alten, lockeren Buffointroduktion mit ihrer tollen Heiterkeit geworden! Statt vor einer Einleitung stehen wir gleich vor einem Höhepunkt allerersten Ranges. Schon hier wird das »dramma giocoso« des Theaterzettels grausam Lügen gestraft, und das, obwohl der erste der vier Sätze, aus denen die »introduzione« (1) besteht, die komische Figur des Stückes auf die Bühne bringt. Leporello ist freilich längst kein »servo ridicolo« alten Schlages mehr, der die Handlung mit seinen Späßen mehr begleitete, als daß er in sie verflochten war, sondern ein durchaus selbständiger, individueller Charakter ganz nach Mozartscher Art, der die in ihm beschlossenen Kräfte im Gegenspiel mit allen übrigen Gestalten entfaltet.

Wir erkannten schon bei den früheren Opern, wie Mozart seine Gestalten stets aufeinander bezieht und jede einzelne, wie auch ganze Gruppen, aus dem Licht oder Schatten der anderen herausmodelliert, so daß jede nicht bloß ein Geschöpf für sich, sondern zugleich auch einen Maßstab für die übrigen darstellt. Leporello ist eines der genialsten Beispiele dafür, denn er verdankt tatsächlich sein gesamtes dramatisches Leben seinem Herrn und Meister Don Giovanni. Zunächst entlastet er ihn von allen komischen Zügen, die selbst bei Bertati noch deutlich hindurchschimmern. Für Mozarts Auffassung war dergleichen rein unmöglich. Graf Almaviva konnte noch Tragik und Komik in seiner Person vereinigen, bei Don Giovanni ließ die Größe des dramatischen Problems dies nicht mehr zu. Er mußte alle Züge seines Charakterbildes, die es ins Endliche, Allzumenschliche trüben konnten, an Leporello abgeben. Darnach bestimmt sich dessen Charakter und seine gesamte Stellung in der Oper: er ist seinem Herrn entschieden wesensverwandt und unterscheidet sich von ihm eigentlich nur durch den verschiedenen Grad von Wirklichkeit, den er vertritt. Don Giovannis Welt ist die des ursprünglichsten und deshalb zeitlosen Lebens, Leporello begnügt[393] sich mit dem allervordersten Ausschnitt des Lebens, der Wirklichkeit des platten Alltags, und bleibt darum ewig bedingt, ewig der Spielball des Zufalls und der Unfreiheit. Alles, was bei jenem wesenhaft ist, ist bei ihm nur scheinhaft. Das ungeheure Schicksal, das sich in Don Giovanni vollendet, geht an ihm vorüber, sein ganzes Dasein bleibt überhaupt schicksalsarm und wird nur vom zufälligen Abenteuer beherrscht. Im Grunde ist er eine Alltagsnatur, bauernschlau, aber doch gutmütig, wie alle solchen Leute zum Moralisieren geneigt und auch sentimentalen Anwandlungen zugänglich; strebt er doch immer wieder darnach, von seinem unruhigen und gefährlichen Posten los- und dadurch zu der im geheimen so heiß ersehnten Ruhe zu kommen. Aber der Tropfen von Don Giovannis Blute, den er in seinen Adern hat, und der ihn in letzter Linie an dessen Seite geführt hat, scheucht ihn immer wieder auf und macht ihn zu einem ganz gerissenen Burschen, der gleich am Anfang mit dem Gedanken liebäugelt, selbst einmal den Herrn zu spielen. Dieser Charakterzug durchkreuzt und unterbindet alle philiströsen Anwandlungen und zwingt ihn, seinem Herrn doch immer wieder zu folgen wie der Schatten dem Licht. Es kommt vor, daß er diesem mit Worten Moral predigt und sie gleich darauf mit seinen Taten gröblich verletzt. Mag er sich vor den Streichen, zu denen ihn jener zwingt, noch so sehr bangen und entrüsten, im Grunde seines Herzens hat er doch seine Freude daran. So gibt er seinem Herrn an Skrupellosigkeit so wenig nach wie an Glätte und Verschlagenheit. Ja, auch seine Hasenfußnatur darf man nicht so stark betonen, wie dies meist geschieht90. Es lag Mozart nichts ferner als etwa den »Typus des Feiglings« zeichnen zu wollen. Sein Leporello benimmt sich vielmehr auch der Gefahr gegenüber ganz seinem sonstigen Charakter gemäß: es reicht bei ihm zwar nicht dazu, sie aufzusuchen und sein Leben einzusetzen, aber doch dazu, sich mit Verschlagenheit herauszuziehen – einen vollendeten Hasenfuß hätte Don Giovanni wohl auch schwerlich zu seinem Diener gewählt. Nur dem steinernen Gast gegenüber beginnt auch Leporello hilflos zu schlottern: die überirdische Macht wirkt auf ihn nach seiner Art, wie auf Don Giovanni nach der seinigen. Und diesem seinem Charakter entspricht auch seine Wirkung auf die übrigen Figuren. Don Giovanni, der Ausnahmemensch, erregt Furcht und Schrecken, je größer und damit je gefährlicher er wird, Leporello, der Träger des Ewig-Gestrigen, geht aus denselben Situationen als armer Schelm hervor, als prahlerischer, zweideutiger, verächtlicher Geselle. Die Verwandtschaft mit Don Giovanni wirbelt ihn der Reihe nach an allen übrigen Gestalten des Dramas vorbei und bringt ihn in Konflikt mit Leidenschaften und Begebenheiten, deren Tiefe seine Seele gar nicht zu fassen vermag – am Schlusse steht er genau als derselbe Schelm da wie am Anfang. Auf dieser seiner inneren Beziehung zu Don Giovanni beruht Leporellos Komik, die somit weit über die alten Hanswurstspäße hinausgeht: er ist die genial geschaute[394] Kontrastfigur zu seinem Helden. Alles, was sich bei jenem sofort in Schicksal verwandelt, bleibt bei ihm im Reiche des Zufalls, der gemeinen Wirklichkeit befangen, alles, was bei jenem ins Tragische emporstrebt, endet bei ihm im Komischen, und Mozart hat auch hier wieder die Richtigkeit des antiken Satzes erwiesen, daß der wahre Tragiker zugleich der echte Komiker ist.

In dem berühmten »Notte e giorno faticar«, dessen Melodie einen alten italienischen Typus verewigt hat91, klagt Leporello ingrimmig auf- und abstapfend über sein Bedientenlos, wobei er in den unwirschen Phrasenschlüssen bereits ein recht erhebliches Maß von Temperament bekundet. Aber dieser Ausbruch des Ärgers ist nur die Einleitung zu dem in sich wieder dreiteiligen Satze »voglio far il gentiluomo«, in dem sich die Don-Giovanni-Natur erstmals in ihm regt. Einen köstlichen Ausdruck findet der kavalierhafte Aufschwung in den Begleitungstriolen und dem Hörnerklang, und ganz deutliche Grüße aus der prickelnden Sphäre Don Giovannis sind das Bläsersätzchen nach »gentiluomo« und das kleine Zwischenspiel vor »oh che caro galantuomo«. Zunächst wird auch das »e non voglio più servir« in diese Stimmung hineingezogen, aber schon im Nachsatz erlischt der stolze Glanz vor dem Nächstliegenden, der Alltagsmisère, die ihn doch wieder in ihren Bann zieht und in Piccinnischen Zungen einen recht verbissenen Ausdruck findet92; bezeichnend ist, daß dieses Nachsätzchen von jetzt an refrainartig, als grämliches »ceterum censeo« alle Abschnitte beschließt, auch dann, als das Geräusch von drinnen ihn veranlaßt, sich zu verbergen. In einem echt Mozartschen, kurzen und explosiven Crescendoanlauf nach B-Dur verändert sich die Szene. Die Musik ist hier ganz offensichtlich von Gazzaniga angeregt93, aber freilich auch nichts weiter. Nur das Tumultmotiv des Anfangs und der punktierte Rhythmus der ersten Gesangsphrasen sind dieselben, sonst ist das Ganze sowohl der Form und dem Umfang, als namentlich dem dramatischen Ausdruck nach bei Mozart ungemein erweitert und vertieft. Die Form ist verkürzt zweiteilig mit einer Einleitung, die aber motivisch mit dem Folgenden zusammenhängt. Schon daß nicht Don Giovanni, wie bei Bertati, sondern Donna Anna beginnt, ist nicht ohne Bedeutung, denn es offenbart gleich einen sehr wichtigen Zug seines Wesens, nämlich das merkwürdige musikalische Sichanpassen an die Art des weiblichen Wesens, mit dem er es gerade zu tun hat. Das macht seine Dämonie um so gefährlicher: er zieht seine Opfer auch musikalisch an sich und packt sie so in ihrem tiefinnersten Wesen. Er entgegnet der Donna Anna in demselben leidenschaftlichen Zorn und heftet sich ihr besonders bei dem wild erregten Motiv »Come furia disperata« unmittelbar an die Fersen. Hier wirkt die Imitation in ganz unübertrefflicher Weise zu dem Bilde des keuchenden Ringens mit, bei dem dem Paare schließlich der Atem[395] auszugehen scheint. Wie ganz anders bei Gazzaniga, wo Don Giovanni den Ton angibt, um sich überdies später musikalisch mit Leporello zu vereinigen! Mozart dagegen trennt diesen ganz folgerichtig von der Gruppe der beiden Ringenden und stellt ihn gleichsam auf eine ganz andere Fläche im Raum des Bildes. Auch singt Leporello weit naturalistischer: nachdem er sich vom ersten Schrecken erholt hat, gibt's bei ihm im Gegensatz zu den beiden anderen nur noch gebrochene Dreiklangsmotive, erst in Vierteln, dann in hastig plappernden Achteln, auch setzt er immer, und zwar p, ein, wenn in dem Kampfe der beiden anderen auf einen Höhepunkt eine Atempause folgt. Drastischer war der Kontrast zwischen der Welt des Helden und der dieses Alltagsschelms nicht wohl darzustellen. Der Held der Tat und der des Mauls! Schwatzt Leporello dabei doch doppelt so viel, um seiner kleinen Seele Luft zu machen; so verwendet Mozart hier das alte Buffoparlando.

Abermals folgt einer der unvermittelten harten und gewaltsamen Übergänge, an denen diese Oper so reich ist. Donna Anna reißt sich mit drei wilden Rucken von Don Giovanni los und enteilt. Statt ihrer tritt im dritten Abschnitt der Introduktion der Komtur auf. Die Wahl der Tonarten ist bezeichnend. g-Moll, das zunächst erscheint, ist für Mozart durchaus nicht die Tonart des tragischen Pathos, sondern des leidenschaftlichen Schmerzes. Er ist denn zunächst auch das Grundmotiv des temperamentvollen Greises. Erst nachdem er seinem Gegner den Kampf aufgedrängt hat, breitet allmählich das tragische d-Moll seine Schatten über beide Kämpfer aus. Trotzdem tritt der Komtur würdig und bestimmt auf94. Kurz und energisch lehnt Don Giovanni zunächst den ungleichen Kampf ab, der ihm gegen seine Ritterehre geht. Aber bei den unheimlichen Pianounisonos des Orchesters, die bei Mozart stets eine besondere Spannung bedeuten und hier die Entwicklung schließlich auch nach d-Moll hinüberspielen, schleicht sich das Verhängnis heran; mit grausamer Ironie greift gerade hier Leporello ein, dem Entscheidungen auf Tod und Leben nun einmal höchst unangenehm sind. Noch einmal zaudert Don Giovanni mit seinem »misero!«, zuerst sotto voce, dann più voce, was man aber ja nicht als weiche Regung auffassen darf95, sondern nur als den Ausdruck des Bedauerns, keinen ebenbürtigen Gegner zu haben. Die höchste Spannung erfolgt in der ganzen Taktpause, die wirklich den Herzschlag anzuhalten scheint. Dann bricht Don Giovanni zum dritten Male, jetzt forte, mit seinem »misero!« hervor. Diese acht Takte sind in Verbindung mit der Pause der Höhepunkt der ganzen Introduktion: das schicksalshafte Wesen des Helden tritt hier mit derselben Größe heraus, wie der tragische Schauer, den es hervorruft. Der Zweikampf selbst vollzieht sich mit realistischer Naturtreue96. Erschütternd aber, wie die Schürzung[396] und der Eintritt der Katastrophe, ist ihr Ausklang im vierten Abschnitt. Die kalte Hand des Todes legt sich auf alle Beteiligten und lähmt jedes tätige Handeln. Nie wieder hat diese Stimmung in der Operngeschichte einen so knappen und zugleich so ergreifenden Ausdruck gefunden. Alles wirkt zusammen, die Tonart f-Moll mit ihrer Unterdominante, das Ensemble der drei tiefen Männerstimmen, die lastenden Akkorde der Hörner und Fagotte, die tiefe Lage der Streicher mit ihrem zuckenden Triolenmotiv97. Während der Komtur in seiner abgerissenen Melodik allmählich veratmet, kämpft in Don Giovanni der Schauder, den auch er zunächst, ganz anders als viele seiner Vorgänger, vor der Macht des Todes empfindet, den man aber gleichfalls nicht als Mitleid oder Reue deuten darf, mit dem angeborenen rücksichtslosen Lebenswillen98, während Leporello in gemeinem Entsetzen nach zwei primitiven Angstschreien nur noch zu stammeln weiß. Zum Schlusse aber stimmen Flöten und Oboen jene leise, in ihrer Chromatik echt Mozartsche Trauermelodie an, die als Totenwacht an der Leiche den ganzen Komplex in einer jedem Zuhörer unvergeßlichen Weise abschließt. Allerdings biegt dieser Schluß ganz überraschend ins Rezitativ um, das hier nach dem Vorangehenden wirklich auch im Ausdrucke »secco« klingt. Diese seltsame zweite Szene verfolgt, ganz anders als ein gewöhnliches Secco, eine bestimmte dramatische Absicht. Es ist das erste Sichloslösen Don Giovannis, der hier immer noch sotto voce zu singen hat, aus dem vorhergehenden Bann. Der wiedererwachende Tatendrang richtet sich dabei zuerst gegen Leporello, der hart angefahren und sogar mit Schlägen bedroht wird, aber sich dabei doch nicht enthalten kann, seinem Herrn ironisch Moral zu predigen. Schließlich verschwinden beide im Dunkel.

Mit Recht ist diese Introduktion schon häufig als das Muster einer dramatischen Opernexposition gepriesen worden99. Sie ist tatsächlich nach Anlage und Ausführung ein Meisterstück. Aber ihre Bedeutung reicht noch viel weiter. Sie gibt, ohne daß Don Giovanni ein Wort über sich selbst verlauten ließe, ein Bild von seinem Wesen und den in ihm beschlossenen Kräften, das schlechthin unübertrefflich ist, indem sie ihn, den sinnlichen Tatmenschen, gleich im leidenschaftlichsten Kampf mit den höchsten Mächten des irdischen Lebens, ja als einen dämonischen Spieler um Leben und Tod vorführt. Denn dieser eine Fall, das fühlt der Hörer sofort, ist typisch für sein ganzes Vorleben.

Auch an dieser Szene und ihren Voraussetzungen ist von der Romantik viel herumgedeutet worden. Am bekanntesten ist E.T.A. Hoffmanns von[397] den Späteren bis auf den heutigen Tag immer wiederholte Theorie geworden, daß Donna Anna von Don Giovanni entehrt sei100. Davon steht aber weder bei da Ponte noch auch bei seinem Vorbilde Bertati ein einziges Wort, und vor allem widerstrebt es der Art der opera buffa durchaus, Begebenheiten von solcher Wichtigkeit den Zuschauer bloß ahnen zu lassen. Sie liebt die Deutlichkeit, je drastischer, desto besser, und vollends wenn es sich um die Entehrung eines Mädchens gehandelt hätte, so wäre sie mit aller nur wünschenswerten Handgreiflichkeit zu Werke gegangen. Allerdings nicht im Sinne des Romantikers Hoffmann. Der Psychologie des Geschlechtslebens verwickeltere Probleme abzugewinnen liegt ihr absolut fern. Sie hält sich an den nackten Naturtrieb und denkt bei seiner Befriedigung auch nicht an die etwa daraus sich ergebenden sittlichen Konsequenzen. Don Giovanni wäre in unserem Fall der bewunderte siegreiche Mann gewesen, sein Opfer aber eine geprellte »poverina«, für die weder der Dichter noch sein italienisches Publikum einen Funken von Mitleid aufgebracht hätte, und mit welchen Glossen der komische Bediente den Vorgang begleitet hätte, kann sich der Kenner der Gattung unschwer ausmalen.

Mit der Voraussetzung fallen aber auch alle Konsequenzen Hoffmanns, die fortgesetzte Heuchelei Annas gegen den ungeliebten Bräutigam Ottavio (die schon durch da Pontes Text widerlegt wird) und ihre heimliche Liebe zu Don Giovanni – in beidem zusammen erblickt Hoffmann die »hohe tragische Weihe« dieser Gestalt –, ferner der Charakter Don Giovannis selbst, der in der Liebe seine Sehnsucht nach dem Überirdischen zu befriedigen sucht, bis er schließlich übersättigt zum Weltverächter wird und in seinem Hohn gegen Gott und Natur das Weib nicht einmal mehr genießen, sondern verderben will. Es ist sehr bezeichnend für das 19. Jahrhundert und seine Neigung für die Probleme der Erotik, daß es dergleichen um jeden Preis auch in Donna Annas Verhältnis zu Don Giovanni hineintragen wollte. Mag man sich dabei auch auf frühere Fassungen der Legende berufen – Bertati und da Ponte kennen eine solche geheime Liebe Donna Annas nicht, sie hätten sich auch, wenn sie Wert darauf gelegt hätten, die Gelegenheit zu einer Arie oder mindestens Kavatine auf die »nascosa fiamma« sicher nicht entgehen lassen. Vor allem aber weiß Mozarts Musik nichts davon. Für ihn ist Donna Anna die Tochter ihres Vaters, des vornehmen Edelmannes, eine aristokratische Natur, die ihr Wollen und Empfinden im Gegensatz zu der von ihrer Leidenschaft völlig besessenen Elvira bei jedem Schritt in der Gewalt hat. Kein Wunder, daß diese vornehme Dame der Tod ihres Vaters, auch von ihrer[398] natürlichen Tochterliebe abgesehen, auf das schwerste trifft; sie fühlt seine Wunden, als wären es ihre eigenen. Prägt sich doch das blutige Bild des Getöteten ihrem Geiste zunächst wie die Vision einer Wahnsinnigen ein, so unfaßbar ist ihr der Gedanke. Aber nachdem dieser erste Sturm über sie hingebraust ist, beginnt sich ihr Empfinden zu klären. Der Angriff auf ihre Ehre verblaßt vollständig vor der Erinnerung an die Bluttat. Wohl steht auch sie unter dem Banne Don Giovannis, aber nicht des dämonischen Verführers, sondern des wilden Herrenmenschen, der sich in seinem unbändigen Drang zum Herrn über Leben und Tod aufgeworfen hat. Der Haß gegen ihn, der in ihrem Vater auch sie selbst tödlich getroffen hat, verzehrt bei ihr alle sinnlichen Regungen. Er ist deshalb auch nicht, wie bei Elvira, versteckte Liebe, er schreit nicht selbstquälerisch insgeheim nach der Wiederkehr entschwundenen Liebesglücks, sondern nach dem Blut des Frevlers, er will das von ihm begonnene Spiel um Leben und Tod aufnehmen. So und nicht anders antwortet Mozarts Donna Anna auf den jähen Eingriff Don Giovannis in ihr Dasein. Sie tut es außerdem keineswegs in der Art einer rachedürstenden Armida. Es ist deshalb auch ganz verfehlt, ihre Rolle der hochdramatischen Sängerin zu geben101, denn sie ist von Mozart als junges Mädchen gedacht, in dessen Seele der Energie Züge echt mädchenhafter Zartheit und Scheu beigemischt sind. Ergreift sie doch ganz anders als die stets selbständig handelnde Elvira niemals selbst die Initiative, sondern überläßt sie dem Ottavio. Daß dessen seelische Kraft einem Don Giovanni gegenüber nicht ausreicht, ist ihr Schicksal, ohne daß sie sich dessen bewußt wird. Denn an ihrer Liebe zu ihm läßt weder da Ponte noch Mozart einen Zweifel. Nur ist sie nicht von der Art, wie die Liebe Elviras oder Zerlines. Sie ruht nicht auf sinnlichem, sondern auf sittlichem Grunde, wie Annas ganzes Wesen. Damit hat Mozart auch dem Sittengesetz einen Platz in seinem Drama eingeräumt und es damit als eine der Wirklichkeiten des Weltlaufs anerkannt, wenn auch freilich nicht als eine über ihm stehende oder ihm immanente, sondern als eine neben vielen anderen. So fügt sich diese herbe und edle Gestalt, Mozarts eigenste Schöpfung102, der Oper ein, in scharfem Gegensatz zu den übrigen Gestalten und doch demselben Ziele zustrebend wie alle Kräfte, die das ganze Drama bewegen. Man darf nur deren Kreis nicht zu eng fassen: Don Giovannis Dämonie tobt sich nicht bloß innerhalb der geschlechtlichen Sphäre aus, sondern zieht das ganze Gebiet des sinnlichen Lebens in ihren Bereich, sie entfesselt nicht bloß Liebe, sondern alle Kräfte des menschlichen Daseins, sie mit sich reißend oder zum Kampfe herausfordernd. Von diesem Standpunkt hat tatsächlich auch Donna Anna ihren Platz im Drama, ohne daß sie in den allgemeinen, von Don Giovanni entfesselten Liebestaumel hineingerissen werden müßte. Alle jene späteren Deutungen sind nur Beweise für[399] die fast unbegrenzten Möglichkeiten, die in diesem Stoffe schlummern, und es sei ferne von uns, ihre Behandlung in diesem Sinne moralisch schulmeistern zu wollen. Aber mit Mozarts Werk haben sie nichts zu tun.

Donna Anna kehrt mit Don Ottavio zurück und findet ihren Vater als Leiche. Mozarts Meisterhand hat den nun folgenden Vorgang in eine große musikalische Szene zusammengefaßt. Sie verbindet Akkompagnato und freie melodische Sätze mit einer dramatischen Schmiegsamkeit, die freilich ohne den VorgangGlucks wohl nicht möglich gewesen wäre. Zuerst kommt in der echt Mozartschen, kurz und jäh aufzischenden Orchestereinleitung das Entsetzen zum Wort. Man beachte hier die Deklamation: voll Grauen sieht Donna Anna zunächst nur den Leichnam, dann erkennt sie nach dem neuen, gesteigerten Schrei des Orchesters (jetzt in f-Moll!) den Vater; mit fliegendem Atem jagt ihre Stimme den C-Dur-Dreiklang hinauf103. Nun aber erfolgt in der ergreifenden Bläserstelle der Rückschlag in den fassungslosen Schmerz. Viermal ertönt der rührende Klagelaut in den Bläsern, und jedesmal flüstert ihn die Singstimme in der Unterquinte verkleinert nach, das letztemal nimmt ihn mit ungeheurer Steigerung das ganze Orchester auf104. Vergebens späht in dem schönen Bläsersatz über dem Tremolo die Trauernde nach einem Zeichen des Lebens aus, dann wird der Ton gequält und zerrissen, wie schwere Schatten senkt sich's in den Geigen herab: Donna Anna schwinden die Sinne. Und nun beachte man den ganz veränderten Ton beim Eingreifen Ottavios: kurze, abgerissene Phrasen in der Singstimme und im Orchester, und doch auch hier bis zum Erwachen Annas eine fieberhafte Steigerung105 – dieser Ottavio erweist sich bereits hier im Gegensatz zu dem Tatmenschen Don Giovanni als der richtige impulsive, aber willensschwache Sanguiniker, immer voll der besten Absichten, aber ohne die Kraft zur Ausführung und deshalb stets ein Mann des Zuschauens und Redens, nicht des Handelns. Rührend ist seine Liebe zu Donna Anna, die in der letzten Partie durchbricht. Das unmittelbar folgende »Duetto« ist ein Musterbeispiel für Mozarts geniale Freiheit in der Behandlung der Form. Es besteht aus zwei großen, durch ein Rezitativ getrennten Teilen, von denen der zweite in freier Weise wieder auf das Rezitativ zurückgreift. Durchaus frei gehalten ist auch der erste Teil. Er beginnt mit einer Vision Donna Annas, die statt Ottavios den Mörder ihres Vaters zu sehen glaubt. Hart und wild beginnt sie (in d-Moll!) mit einem an Gluck gemahnenden stahlharten Rhythmus106, aber schon im sechsten Takt löst sich ihr Gesang in einzelne abgerissene Phrasen auf; der Schmerz der Tochter behält jetzt auf längere Zeit die Oberhand. Das Orchester übernimmt die Führung, aber[400] nur, um mit den unruhigen Figuren der zweiten Geigen und den nachschlagenden Vierteln in den ersten und den Bratschen gleichfalls ein Bild haltlosester Verzweiflung zu zeichnen. Sehr wahr und schön klingen Ottavios Trostworte darein, zuerst ebenfalls in stockender Erregung, dann aber sich mehr und mehr zu einer warmen Kantilene verdichtend107, und nicht minder wahr ist die Antwort der aus ihrem Wahn erwachenden Donna Anna, deren Musik die Mär von dem ungeliebten Bräutigam schon hier Lügen straft. Unter seinem Zuspruch hat sich ihre ekstatische Verzweiflung zu echt weiblichem Schmerze gemildert, wenngleich das Orchester auch hier nicht von demselben Motiv loskommt und dessen Leidensausdruck sogar immer mehr steigert. Und jetzt beschwört Ottavio selbst noch einmal den alten bösen Schatten herauf. Seine Worte »lascia, o cara, la rimembranza amara« greifen, ein tief poetischer Zug, auf den harten Rhythmus des Anfangs zurück, aber nur, um das Wahngebild auf immer zu verscheuchen, und noch ehe er sein »hai sposo e padre in me« vorbringen kann, klingt's aus Oboen und Fagotten wie rührender Trost:


Don Giovanni

Eine echt Mozartsche Bläsersprache, der kein Italiener etwas Ähnliches an die Seite zu setzen hat108! Der ganze Gegensatz in Ottavios Worten konnte überhaupt nicht überzeugender und dabei nicht kürzer herausgearbeitet werden, man vergleiche nur die Harmonik und die zuerst scharf deklamatorisch und dann schwärmerisch kantabel geführte Melodielinie. Der Schärfe des Kontrastes halber läßt Mozart, um die Wirkung zu vertiefen, diese Partie wiederholen. Dann ermannt sich Donna Anna in einem der bekannten Skalenmotive mit Streichertremolo, das vernehmlich auf das folgende »che giuramento, oh Dei!« hinweist, und fordert kurz und energisch im Rezitativ Ottavio den Schwur ab. Sehr bezeichnend aber ist, daß die Musik bei seinem Eid mehr Wert auf die »occhj tuoi« und den »nostro amor« legt, als auf die zu schwörende Rache – einen ausgesprochenen Willensmenschen hätte Mozart zweifellos in härteren Tönen schwören lassen. Der zweite Teil des Duetts ist zweiteilig mit großer Coda. Dem Gefühlsgehalt nach ist der Satz freilich kein wütendes Rachestück, wie es gewöhnlich aufgefaßt wird. Schon der Text weiß davon nichts, er schildert vielmehr in ziemlich konventionellen und an Metastasio anklingenden Worten109 das wilde Grausen, das die beiden durch die Schreckenstat zu jenem Schwur Gezwungenen vor ihrer eigenen Lage befällt, das Entsetzen über die dämonische[401] Tragik des Lebens, in die sie plötzlich hineingerissen worden sind. Diese Dämonie erwachender menschlicher Urtriebe beherrscht aber auch die Musik. Noch einmal bricht die ganze elementare Wildheit dieses grandiosen Opernbeginns fessellos hervor und zieht die beiden in ihren tollen Wirbel hinein. Gleich am Anfang scheint das unheimliche Motiv:

Don Giovanni

in den imitierenden Bläsern wie aus finsteren Klüften widerzuhallen110, und zur Verstärkung des Eindrucks dient der immer wiederkehrende Orgelpunkt auf A, von dem sich dann der Aufschrei auf »cento« um so greller abhebt. Es ist ganz natürlich, daß bei einem solchen Aufruhr der Gefühle keine Individualisierung der einzelnen Personen mehr aufkommt. Beide werden zusammen in den Strudel hineingezogen, und auch der Schwur Ottavios in der Mittelpartie klingt jetzt nicht etwa heroischer, sondern im Gegenteil infolge der begleitenden chromatischen Terzen gequälter und ängstlicher. In der Coda greift Mozart schließlich noch das Bild des »ondeggiar« auf und schildert die tobende Flut der Erregung bald in wilden Achtelmelismen111, bald in zerrenden Synkopen, bei denen jeder Grund und Boden zu wanken scheint; nur mühsam vermögen sich die Singstimmen dagegen zu behaupten, die in dieser Coda gelegentlich zur Erhöhung der Wirkung imitatorisch geführt werden. Bis in das trotzige Sechzehntelmotiv der beiden Schlußtakte setzt sich die Erregung fort.

Die Szene verwandelt sich; Donna Elvira tritt auf. Wir kennen ihre Abstammung von Molière bereits; aber auch der opera buffa war die Gestalt der »sposa abbandonata« durchaus vertraut. Allerdings nimmt sie stets Partei für den Mann und stellt das Weib mitleidslos als die Geprellte hin. Das klingt auch noch aus Bertatis erster Arie der Elvira »Povere femmine« und aus Gazzanigas Komposition heraus. Auch an ihrer Vorgeschichte hat man im 19. Jahrhundert, diesmal im bürgerlich-wohlanständigen Sinn, herumzubessern versucht112. Vergebens: sie ist einfach, wie da Pontes Textbuch sagt, »abbandonata da Don Giovanni«, und damit eine von den vielen ihresgleichen[402] – freilich zugleich eine Frau, für deren leidenschaftliches Wesen die Liebe zu Don Giovanni nicht bloß eine flüchtige Episode, sondern das entscheidende Erlebnis ihres ganzen Daseins ist. Sie ist von allen Frauengestalten der Oper diejenige, die in ihrem ganzen Wesen Don Giovanni am nächsten steht. Sein Kuß hat auch in ihr den Funken der in ihm lodernden Leidenschaft entfacht. Aber während ihn, den Mann, die sinnliche Begier zu immer neuen Frauen lockt, vermag sie, die Frau, die Erfüllung ihres Sehnens nur bei ihm, dem einzigen Manne, zu finden. Ihr Ziel ist somit nicht Rache, sondern die Wiedergewinnung von Don Giovannis Liebe, die auch bei ihren wütendsten Haßausbrüchen stets im Hintergrunde steht. Und als sie die Unmöglichkeit einsehen muß, dieses Ziel zu erreichen, ist sie einzig darauf bedacht, den Geliebten vor den unseligen Folgen seines Treibens zu bewahren. So kommt sie am Schlusse weder als Betschwester, um ihn dem Himmel zu gewinnen113, noch als Gretchen, um ihn zu »erlösen«, ein Gedanke, der gerade Mozart meilenfern liegt114, sondern einfach, um das Leben des immer noch Geliebten vor der Vernichtung zu retten. In ihrer ersten Arie (3), in die Don Giovanni und Leporello nach echter Buffoart kurze Bemerkungen einwerfen, ohne daß ihr Gang dadurch irgendwie verändert würde, einem einfachen zweiteiligen Stück, spiegelt sich dieser ihr Charakter gleich deutlich wider. Schon das feierliche Pathos der Tonart Es-Dur ist bezeichnend, ebenso das ausgedehnte Ritornell, das allein schon durch seine unvermittelten dynamischen Kontraste auf starke innere Erregung hindeutet. Dazu folgen sich auffallend viele Motive115, die, untereinander stark verschieden, doch derselben seelischen Quelle entspringen und bald diese, bald jene Welle aufglitzern lassen. Keines erhält den Vorrang vor den anderen: die im Tiefsten aufgewühlte Leidenschaft äußert sich bald als gekränkter Stolz, bald als trotziger Hader mit ihrem Los, um zum Schluß in einen verräterisch weichen Ton überzugehen, den alsbald die Singstimme mit dem bekannten empfindsamen Quartenmotiv der Neapolitaner aufnimmt: aller Zorn und Haß ist bei ihr zuletzt doch nichts anderes als enttäuschte Liebe116. So zeichnet diesmal die Singstimme den letzten entscheidenden Zug in das buntbewegte Bild ein. Aber wiederum peitscht das Orchester ihre wütende Leidenschaft auf, mit dem messerscharfen Schleifermotiv und den Synkopen des zweiten Themas. Auch hier hat die Führung der Singstimme zunächst noch etwas Resigniertes; erst bei den Worten[403] »vo' farne orrendo scempio« schlägt ihr Haß in hellen Flammen empor117, um schließlich mit energischem Trotz, fast im Stile der opera seria, sich zu entladen. Und gerade diese Stelle benützt Mozart zu den Zwischenpartien der beiden anderen. Die Wirkung ist von schlagendem Realismus, zuerst spöttisches Schmachten, dann aber regen sich die alten dämonischen Verführungskünste, und namentlich in dem eintönigen Geflüster des Orchestermotives118:


Don Giovanni

steckt bereits ein ganz gefährliches sinnliches Locken; kein Wunder, daß gerade hier Leporello halb schmunzelnd, halb bedauernd die Worte seines Herrn nach seiner Weise glossiert. Bei der Wiederholung entlädt sich Elviras Temperament in einer breit ausladenden Dreiklangskoloratur, die ihrerseits einen wilden Ausbruch des Triumphes im ganzen Orchester hervorruft. Und wieder ertönt, jetzt in hoher Lage und crescendo, jenes süß einlullende Motiv der Geigen, in das Don Giovanni in höchstem Affekt sein berückendes »signorina!« hineinsingt. Aber wiederum biegt die Handlung im Secco unerwartet um; die direkten Vorwürfe Elviras bleiben dem Wortgefecht dieses echten Buffomittels überlassen.

Es ist gut italienisch, daß die arme Verlassene nach diesem heftigen Zusammenstoß der Laune der komischen Figur preisgegeben wird. Schon seit dem Stück von de Villiers spielt dabei das Register der Geliebten Don Giovannis eine große Rolle, das sein Diener mit sich führt; es scheint solchen Anklang gefunden zu haben, daß man es auch in andere Texte übernahm119. Bertati läßt die Szene in einen Zwiegesang Pasquariellos und Elviras ausmünden, um eben den Gegensatz der Situation nach echter Buffoart besonders zu verschärfen. Da Ponte dagegen gibt, so eng er sich auch gerade[404] hier an sein Vorbild anlehnt, sicher nicht ohne Mozarts Zutun, dem Leporello allein das Wort. Denn der Komponist hat mit dieser Arie (4) ganz andere Absichten, als Gazzaniga mit seinem Duett120. Zwar hat man es schon öfter als Mangel empfunden, daß Elvira sich nach dieser Demütigung durch Leporello nicht mehr in einer Arie äußert121, und Rochlitz hat sogar vorgeschlagen, an dieser Stelle die für den zweiten Akt nachkomponierte Arie »Mi tradì quell' alma ingrata« einzufügen – ein unglücklicher Gedanke, da der Gefühlsgehalt dieses Stückes den Charakter Elviras von vornherein gänzlich verzeichnen würde. Aber ist denn jene Demütigung durch Leporello wirklich so empfindlich? Ihre Kränkung durch Don Giovanni hat im Vorhergehenden den höchsten Grad erreicht – kann sie sich da durch den Erguß dieses Schelms, auf dessen Worte sie schon im Rezitativ nur halb hinhört, überhaupt noch besonders beleidigt fühlen? Mag er drauflosschwatzen; an das Unrecht, das ihr sein Herr angetan, vermögen seine spöttischen Worte nicht heranzureichen. Wenn etwas dabei Eindruck auf sie macht, so ist es nicht der pfiffige Hohn dieses Burschen, sondern das Bild Don Giovannis, das ihr auch unter dieser Verzerrung noch deutlich genug entgegenleuchtet. Und damit kommen wir zu der eigentlichen dramatischen Bedeutung dieses berühmten Stückes: es enthält ein Charakterbild Don Giovannis, gesehen durch die Brille des ihm so verwandten und auf der anderen Seite doch so tief im Alltag stehenden Dieners. Es reicht gerade, um uns von der hinreißenden Urkraft, die in Don Giovanni lebt, einen überzeugenden Eindruck zu verschaffen, und zwingt uns doch immer wieder ein Lächeln ab über die Wirkungen, die jene Kraft in dieser kleinen Seele hervorruft. So ist Don Giovanni auch in dieser Arie gegenwärtig, nur gleichsam von einer anderen Distanz aus gesehen. Alle drei Nummern schließen sich auf diese Weise zu einer großartigen Exposition des Charakters des Helden zusammen.

Diese dramatische Absicht erklärt nicht allein den musikalischen Charakter des Stückes, sondern auch die ungewöhnliche Form, die auf einen raschen Satz einen langsamen folgen läßt, statt umgekehrt122. Denn der rasche Teil gibt ein unübertreffliches Bild der elementaren sinnlichen Lebenskraft; aus allen Ecken und Enden scheint sie zu knistern und zu sprühen und reißt den Leporello mehr und mehr in ihren atemlosen Wirbel hinein. Der zweite Teil aber bringt, was der Natur Leporellos noch wichtiger ist, weil es sinnlich greifbar ist und deshalb eine Steigerung für ihn bedeutet, eine Schilderung der äußeren Erscheinung seines Herrn, auf die er ja stets mit neidvoller Bewunderung blickt: seiner Kavaliersnatur in dem vornehmen Menuetton und seiner Zaubergewalt über die verschiedensten Arten von Weiblichkeiten, vom Liebenswürdigen bis zum Dämonischen, und das alles im Lichte des merkwürdig schillernden Humors einer Schelmennatur, die von dem höheren Geiste doch nur das zu begreifen vermag, was ihrer eigenen Natur[405] entspricht. Das Allegro ist frei zweiteilig. Charakteristisch ist dafür die durchgeführte prickelnde Achtelbewegung, die nur einmal, bei dem sprichwörtlich gewordenen »Mà in Ispagna son già mille trè« aussetzt – es ist zugleich die einzige Stelle, wo der leichte Deklamationston dem vollen Gesang weicht. An diesem sprühenden Leben nehmen die Bläser einen äußerst pittoresken Anteil, so gleich die Flöten mit ihrem Schleifermotiv, bei dem Leporello immer wieder eine neue Seite aufzuschlagen scheint; gleich darauf scheint es aus den Oboen und Hörnern zu kichern: »Hab' ich doch meine Freude dran.« Einem ähnlichen Zweck dient der heroische Aufschwung des Orchesters nach dem »mille e trè«. Da in dem ganzen ersten Abschnitt überhaupt nicht moduliert wird, so ist die Steigerung bei dem plötzlichen Ruck nach A-Dur zu Beginn des zweiten um so fühlbarer. Sie zieht aber sofort auch die übrigen Ausdrucksmittel nach sich: die ganze melodische Linie drängt nach aufwärts, begleitet von einem pikanten Konzertieren der Flöten und Hörner mit Oboen und Fagotten, bis zu dem fast brutalen Ausbruch auf »d'ogni forma, d'ogni età«. Darauf werden aber auch noch die Bässe in das groteske Skalenspiel hineingezogen, das von immer neuen Bläserklängen begleitet wird, und schließlich sogar die Singstimme: man merkt deutlich, wie der Geist des Herrn auch den Diener mehr und mehr in seinen wilden Wirbel hineinzieht, bis er schließlich in eine wahre Triumphstimmung hineingerät, gleich als wäre er selber der Held aller dieser Abenteuer. Aber der Schluß auf der Dominante läßt Neues erwarten, und nun tritt aus dem seltsam flimmernden Dunst die Gestalt dessen hervor, von dem die ganze Zauberkraft ausgeht: Don Giovanni, wie er sich in seinem sichtbaren Auftreten der Welt zeigt. Statt der schwebenden, primitiven Motive mit ihrer beständigen Unruhe erscheint jetzt eine gemessene, plastische Melodik. Wiederum bedient sich Mozart der frei variierenden zweiteiligen Form. Die Schilderung des vollendeten Kavaliers beginnt ganz selbstverständlich im Tone des Menuetts. Der Anfang ist nichts weniger als originell, sondern ein sehr bekannter italienischer Melodietypus123; aber er wird es im höchsten Grade durch die weitere Behandlung. Leporello kennt seinen Herrn ausgezeichnet, er weiß, daß schmiegsames Eingehen auf die Art des einzelnen Weibes seine gefährlichste Angriffswaffe ist. So schildert er, nach seiner Natur leise karikierend, die »costanza« der »Braunen« und die »dolcezza« der »Weißen«, während die »Volle« und die »Schlanke«, an denen der Text keine besonderen Eigenschaften hervorhebt, auch in der Musik dasselbe Motiv erhalten, das später in ähnlichem Zusammenhang, nur durch den Triller verstärkt, wiederkehrt – mit seiner fünffachen Wiederholung ein drastisches Sinnbild der Art Don Giovannis, die keine Unterschiede macht. Dagegen entzündet das Bild der »Großen« und der »Kleinen«, also des allereinfachsten Gegensatzes, die malerische Phantasie Leporellos aufs neue. Hier tritt es ganz klar hervor, daß er bei der Schilderung seines Herrn von[406] seinem eigenen Maßstab nicht loskommt: so dick würde im gegebenen Falle er selber auftragen. Der Gegensatz ist mit köstlicher Drastik herausgearbeitet: bei der Großen strebt alles stufenweise in die Höhe, Leporello selbst in langen Notenwerten, bis er sein langes d' mit Hornfanfaren und gewaltigen Orchesterschlägen erreicht hat, dann aber geht's bei »la piccinna« in raschestem parlando, dessen Wirkung im Deutschen kaum wiederzugeben und gleich dem Vorhergehenden ohne ein lebhaftes Gebärdenspiel italienischen Schlages gar nicht zu denken ist, wieder trippelnd hinab124, um sich, wie zuvor, auf einem Orgelpunkt festzulegen. Der zweite Teil bringt gleich im 8. Takt eine höchst bedeutsame Variante bei dem Trugschluß auf B-Dur. Da tut Leporello plötzlich ganz geheimnisvoll; tatsächlich leuchtet aus seinem Geflüster mit einem Male die ganze Dämonie seines Herrn hervor, allerdings nicht ohne jenen Beigeschmack des Ordinären, dessen man sich bei Leporello immer versehen muß. Diesmal liegt er in dem unerwartet auftretenden Staccatomotiv des Fagottes, dessen Klang mit unmißverständlicher Symbolik wirkt125. Bei Leporellos Natur ist es ganz natürlich, daß in seiner Schilderung des Sinnentriebes irgendwann auch einmal die gemeine Lüsternheit zum Ausbruch kommen muß; es ist hier geradezu, als ob er Elvira vielsagend mit dem Ellbogen anstieße. Auch kehrt jenes Fagottmotiv am Schluß des Teiles wieder. Die Coda wendet sich halb mitleidig, halb höhnisch an Elvira, wobei Leporellos plumpe Zudringlichkeit abermals von den Bläsern drastisch aufgenommen und verstärkt wird. Sie findet ihren Höhepunkt in der Synkopenkoloratur:


Don Giovanni

deren versteckte Unverschämtheit bei richtigem Vortrag126 geradezu infam wirkt. Als wahrer Triumphator verläßt Leporello die Szene, nicht ohne der Donna am Schluß noch ein grotesk-ironisches Kompliment gemacht zu haben. Diese geht freilich so wenig wie vorher auf seine Worte ein. Sie hat sie angehört, weil es sich darin um das Bild des Geliebten handelte – die Färbung, die ihm der lose Bursche gab, und seine aufdringliche Art gleiten vollständig von ihr ab. Ihm zu erwidern hat sie nicht nötig. Eine allgemeine Zorn-und Entrüstungsarie aber würde an dieser Stelle die Wirkung der früheren nur abgeschwächt haben. So verläßt Elvira die Szene nach einem kurzen Secco.[407]

Überhaupt war es da Pontes sichtliches Bestreben, zu Beginn seiner Oper sämtliche Gegenspieler seines Helden gleich hintereinander in wirksamen Szenenbildern vorzuführen. So erscheint jetzt der ländlicheHochzeitszug Masettos und Zerlines. Die Musik folgt mit der Gliederung in mehrere Solostrophen und Chorrefrain französischen Vorbildern (5)127. Der Ausdruck ist dagegen italienisch128. Den volkstümlichen Charakter wahren die fast durchgehenden Terzen- und Sextengänge sowie die eingemischten Dudelsackklänge und die handfesten, derben Unisoni am Schlusse des Refrains. Und doch ist es kein Volksgesang gewöhnlichen Schlages. Das beweist der Dreitakter der ersten Periode, der in Verbindung mit dem viermal wiederholten Motiv h' c'' d'' etwas merkwürdig Prickelndes und Erregtes hat. Bemerkenswert sind auch die Varianten in der Strophe Masettos, namentlich in harmonischer Hinsicht129.

Nun muß sich Masetto zu seinem größten heimlichen Ingrimm von seiner Zerline wegschicken lassen. Seine Arie (6) gibt diese Stimmung treffend wieder. Buffomäßig ist gleich ihr Hauptthema: aus seiner Hornfanfare klingt es wie ein herrischer Wink Don Giovannis, dem sich der blöde Bursche, er mag wollen oder nicht, instinktiv beugen muß – nicht umsonst lenkt die Entwicklung immer wieder in dieses Thema zurück. Er möchte jenem wohl zeigen, daß er ihn durchschaut hat, und ihn seinen Spott fühlen lassen, aber es will ihm dem Kavalier gegenüber gar nicht gelingen. Der Spott wird zu aufgeregter Verbissenheit, und besonders in dem Seitenthema (»cavalier voi siete già«) mit seinem schneidenden Querstand bricht sogar sein Schmerz ganz unverhohlen hervor; dazu kommen noch seine ingrimmigen Zwischenrufe an Zerline. Ganz grotesk aber wird der Ausdruck bei dem Unisonomotiv, das bei den Worten »faccia il nostro cavaliere cavaliera ancora te« plötzlich angetänzelt kommt, und dieser Gedanke macht ihn schließlich ganz verbissen, so daß er in der Coda mit ihren widerhaarigen Synkopen gar kein Ende finden kann. Höhnisch ruft ihm das Orchester noch einmal den »cavaliera«-Gedanken nach130. So erhält auch diese Nebenfigur ihr fest umrissenes Charakterbild.[408]

Das Duettino »Là ci darem la mano« (7) hat nicht zufällig eine so ungeheure Popularität erlangt. Denn es erschöpft seinen dramatischen Vorwurf mit so genialer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, daß alles Gewagte und Unwahrscheinliche der äußeren Situation völlig verschwindet. Nur muß man sich zuvor über den Charakter Zerlines im klaren sein. Sie ist weder ein im Kern bereits angefaultes, kokettes Persönchen, wie so manche Darstellerin zu glauben scheint, noch freilich auch eine jener Dorfschönen, die das Entzücken unserer romantischen Großmütter in ihren Romanen waren. Auch mit ihrer »Unschuld der Anmut« sollte man vorsichtig sein131. Zerline hat durchaus nichts mehr von den ländlichen Schönen der Rousseauzeit, die in der volkstümlichen Oper den verderbten Städterinnen gegenübergestellt wurden132. Ebensowenig ist sie aber eine Buffokarikatur im Stile von Bertatis Maturina, sondern einfach eine unverbildete Bäuerin von lebhaftem Temperament, natürlicher Anmut und vor allem von gesunder, starker Triebhaftigkeit. Diese bestimmt ihr ganzes Fühlen und Handeln, das somit den höheren sittlichen Maßstab von Schuld und Unschuld überhaupt nicht verträgt. Mit demselben naiv-sinnlichen Impuls, mit dem sie Don Giovanni ins Garn geht, kehrt sie nach dem Fehltritt wieder zu ihrem Masetto zurück. Mozart hat auch diesen natürlichen, gänzlich reflexionslosen Sinnendrang in seiner Musik aller Erdenschwere entkleidet und dadurch künstlerisch legitimiert. Losgelöst von allem Allzumenschlichen, an dem die kleineren Geister so oft behaglich hängen blieben, gestaltet er den Vorgang von seiner höheren Wirklichkeit aus als ein Stück unmittelbarsten, natürlichen Lebens, das alle Bedenken nicht nur moralischer, sondern auch dramaturgischer Natur zum Schweigen bringt.

Daß Don Giovannis Persönlichkeit hier leichtes Spiel hat, ist von vornherein klar. Aber die Art, wie sich die Annäherung beider vollzieht, bleibt trotzdem ein Meisterstück dramatischer Psychologie. Er weiß, daß er als Kavalier der Bäuerin gegenüber am raschesten zum Ziele kommen wird, und wählt deshalb zu nächst einen chevaleresken Ton, als stünde er seinesgleichen gegenüber. Aber weit wichtiger ist die eigentümliche Wärme und das verhaltene Drängen, das hinter diesem Werben steckt; man denke an den vielsagenden Quartensprung des zweiten Taktes, den man nur durch eine der sonst üblichen Klauseln, etwa mit Seufzermotiv, zu ersetzen braucht, um seinen Affekt voll zu würdigen. Auch daß Don Giovanni zunächst allein durch die Macht seines Gesanges, ohne alle sonstigen Hilfsmittel, wirkt, ist bezeichnend. Nur an den Phrasenschlüssen klingt's aus den Bläsern wie ein schwellender, tiefer Atemzug. Kein Wunder, daß Zerline, in der plötzlich das Weib erwacht, diese Sirenenklänge einfach wie gebannt nachsingt – eine geniale poetische Verwendung des alten Scarlattischen Duettprinzips – und sie am Schlusse sogar in seltsamer Erregung noch weiterspinnt. Über dem Ganzen aber strahlt die ganze verführerische Glut der Mozartschen[409] A-Dur-Stücke133. Und nun verstärkt Don Giovanni in dem steigernden E-Dur, und jetzt auch von den Bläsern unterstützt, seinen Angriff in breit ausladender, glühender Melodik; ein rührender, wenngleich nur kurzer Seitenblick Zerlines auf den armen Masetto ist die Antwort134. Gleich darauf aber flattert sie mit ihrer unruhigen Melodik bereits wie ein gefangener Vogel im Netze umher. Mit unheimlicher Sicherheit, ohne jede Übereilung wird es von Don Giovanni zugezogen: er beginnt einfach noch einmal von vorn. Aber jetzt hat er Zerline bereits so weit, daß sie ihm die Phrasen unmittelbar vom Munde nimmt. Sehr bezeichnend ist auch, daß sich ihm dabei die Flöte135, ihr dagegen das Fagott beigesellt, bis er auf die Worte »Partiam ben mio da quì« alle drei Holzbläser in zweifacher Oktavlage an sich zieht. Immer erregter wird Zerlines Gesang, während von Don Giovannis kurzen Phrasen eine seltsam suggestive Kraft auszuströmen scheint. Sein schmachtender letzter Lockruf »andiam!« bringt ihm denn auch den Sieg. Der zweite Teil des Duettinos136 läßt Don Giovanni, nachdem er seines Opfers einmal sicher ist, in dessen bäuerliche Sphäre herabsteigen, um es durch die gefährlichste seiner Waffen (s.o.) vollends kirre zu machen. Das ist der Sinn dieses pastoralen Satzes von dem Orgelpunkt am Anfang an mit einem behaglich sich wiegenden Glücksgefühl bis zu dem vergnügt hüpfenden Schluß137. Es ist alles ganz aus Zerlines Seele heraus empfunden, wie das Andante ganz unter Don Giovannis Zeichen gestanden hatte. Man hat hier wohl schon mehr Feuer und Leidenschaft verlangt, aber dabei ganz entschieden Don Giovannis Lage verkannt. Für ihn ist diese neue Eroberung gar nichts Besonderes, sondern nur ein pikantes Spiel, das ihn keine Anstrengung kostet. Und auch Zerline faßt die Sache alles eher als hochdramatisch auf; sie ist nur ihrem Triebe gefolgt, und nun, da ihr Befriedigung winkt, freut sie sich mit der ganzen einfachen und warmen Impulsivität ihrer Natur. So kommt dieses zarte Glücksidyll zustande, dessen ländliche Färbung auch dem Verführer einen prickelnden Reiz bereitet. Wieviel packender wirkt doch diese ganze Szene in Duettform, als wenn Don Giovanni zuerst in einer Arie der Zerline seine Liebe erklärt, diese dann in einer weiteren Arie sie erwidert und erst dann ein Duett die Szene beschlossen hätte!

Da tritt Elvira der betörten Zerline in den Weg. Ihre Arie (8) ist in einem ganz merkwürdigen, archaisierenden Stile geschrieben138. Dahin gehört die gedrängte, dreiteilige Form, bei der allerdings der dritte Teil sehr stark variiert und erweitert wird, die Modulationsordnung des Mittelsatzes mit[410] e- und h-Moll, der strenge Orchestersatz über der altertümlichen, an die alten Ostinati gemahnenden Baßführung, die an die alte Musik, z.B. an Händel, erinnernde schwere Kadenzbildung und vor allem der straffe, durchgehende Schritt des punktierten Rhythmus. Alles das unterscheidet die Arie grundsätzlich von Mozarts sonstiger Art, mit wenigen Strichen gleich die verschiedensten Gefühle aufzurühren. Hier herrscht ein ganz auffallend einheitlicher Zug, der auch ein selbständiges Orchesterzwischenspiel nur einmal, bald nach dem Beginn, zuläßt; das Ganze gleicht einer einzigen gewaltigen Temperamentswallung, die sich fortwährend steigert und schließlich in der wilden Koloratur auf »fallace« entlädt. Es ist wohl keine Moralpredigt an Zerline, die hinter diesem Stücke steckt139. Dergleichen wäre recht unmozartisch. Gewiß will der Komponist den schärfsten Gegensatz zu der weichen, sinnlichen Atmosphäre des Vorangehenden zum Ausdruck bringen und häuft daher so viel Herbheit und Härte an, als er nur immer vermag. Das war der Hauptgrund seines Zurückgreifens auf den alten Stil. Aber alles Lehrhafte liegt Elvira fern; trotz den daran anklingenden Textworten verdampft es doch alsbald vor der lodernden Glut der Entrüstung, die ihr beim Anblick des verliebten Paares ins Gesicht schießt140. Leporellos Spott war an ihr abgeglitten, jetzt aber, wo sie den früheren Geliebten auf offener Tat ertappt hat, kommt ihre Leidenschaft zu vollem Ausbruch. Denn wütende Leidenschaft ist die eigentliche Grundsignatur dieses Stückes, das weit weniger Zerline als Don Giovanni gilt. Elvira muß dieses Idyll zerstören, nicht aus Haß oder gar aus Mitleid für die Nebenbuhlerin, deren Person für sie gar nicht in Frage kommt, sondern allein um Don Giovannis alles überflutender Gier sich entgegenzuwerfen.

Es gelingt ihr denn auch, ihm seine Beute fürs erste abzujagen. Da treten Donna Anna und Ottavio auf. Sie sind auf der Suche nach dem Mörder des Komturs, und Don Giovanni, der trotz all seinen Fehlschlägen sofort wieder Herr der Situation ist, sagt ihnen mit vollendeter Ritterlichkeit seine Hilfe zu, ja er macht sich bereits wieder mit verlockender Anteilnahme an Donna Anna heran. In diesem Moment tritt abermals Elvira dazwischen. Das schafft die Voraussetzung für das Quartett (9), das somit nach echt Mozartscher Art an einem Punkt der Entwicklung eintritt, wo alle Beteiligten sich einer ganz neuen Lage gegenübergestellt sehen. Anna und Ottavio wissen nicht, was sie von Elviras Dazwischentreten halten sollen, Elvira aber sucht Don Giovanni zu entlarven, der seinerseits alles aufbietet, um sie durch List zu beseitigen. Das Stück ist zyklisch dreiteilig; der Mittelteil ist allerdings, ganz anders als in der Arie, bei weitem der umfangreichste und gliedert sich in mehrere selbständige Abschnitte, denen nur das Umkreisen der Dominante von B-Dur und das Vermeiden dieser Haupttonart gemeinsam ist. Erst am Schlusse tritt sie wieder mit voller Wirkung heraus. Sehr schön ist die Einführung des das Ganze beherrschenden Hauptgedankens.[411] Elvira beginnt zwar nicht so explosiv, wie vorher Zerline gegenüber, aber doch gleichfalls mit nur mühsam verhaltener Leidenschaft141, und diese hält an bis zu der wehmütigen Schlußphrase:


Don Giovanni

Sie wird von jetzt an zum Losungswort des ganzen Satzes, das durch alle Stimmen und durch das Orchester dahinwandert und schließlich an Don Giovanni selbst zum Verräter wird. Das Mitleid, das Elvira Zerline gegenüber nicht zu fühlen vermochte, stellt sich jetzt Donna Anna gegenüber ein. Ja noch mehr, jene rührende Melodie klingt im weiteren Verlauf wie die trauernde Stimme der von Don Giovanni zertretenen Weiblichkeit überhaupt, denn sie ruft stets auch die Erinnerung an die ursprünglichen Textworte wach. Zunächst steigt sie im Orchester über die Geigen und Klarinetten bis zu den Flöten auf, dann erfaßt sie das im ganzen Stück auch musikalisch unzertrennliche Paar Anna und Ottavio, durch deren Trauer hindurch das Mitleid mit der vornehmen Dame wachrufend. Auch Don Giovanni beugt sich diesem Refrain, wenngleich er den ganzen Vorgang durch Elviras angeblichen Wahnsinn ins Lächerliche zu ziehen sucht. Daher bekommt jenes Motiv in seinem Munde etwas Ironisches, Vornehm-Herablassendes; das Orchester bleibt allerdings hartnäckig bei der ersten Fassung. Aber Elviras Leidenschaft flammt nur um so stärker auf. Sie reißt die Führung jetzt erst recht an sich, und zwar mit immer wechselnden Motiven der Erregung, und zwingt damit auch Don Giovanni beständig, ihr zu folgen. Je mehr sich der Gegensatz zwischen den beiden verschärft, desto stärker wird die Spannung der beiden andern. Wie eine dunkle Wolke legt sich's über alle, aus der nur immer wieder die wilden Figuren Elviras wie Flammen hervorzüngeln. Man begreift, daß Don Giovanni, mehr und mehr in die Enge getrieben, schließlich die direkte Verhandlung mit Elvira vorzieht; in kurzen Sechzehnteln, begleitet vom Unisono des ganzen Orchesters, die deutlich seine Erregung verraten, raunt er ihr sein »siate un poco più prudente« zu. Das ist kein Buffogeplapper, sondern die mühsam verbissene Wut über ihre Halsstarrigkeit. Er erreicht jedoch nur, daß ihm Elvira in demselben wütenden Ton, nur coram publico, entgegnet. Aber gerade dieser erregte Handel verstärkt den Verdacht der beiden andern: der Anfang kehrt zurück und erhebt mit jenem refrainartigen Motiv (»te vuol tradir ancor«) schließlich Donna Annas Ahnung zur Gewißheit.

Dumpf schleicht es im Rezitativ der folgendenSzene (10) in den Bässen heran, dann erfolgt ein greller Ausbruch des Orchesters, sogar mit Trompeten,[412] in schneidenden, akzentuierten Dissonanzen und widerstrebenden Rhythmen – die Erinnerung an das Schreckensbild der vergangenen Nacht, auf das Donna Annas Phantasie denn auch die ganze Szene immer wieder zurückkommt142. Man kann an diesem Rezitativ die verschiedensten Spielarten der Gattung studieren. Zunächst das höchste Pathos mit engster gegenseitiger Durchdringung von Singstimme und Instrumenten, breit ausladenden Bässen und schärfster, in weiten Intervallen sich bewegender Deklamation in dem c-Moll-Satz. Dann folgen sieben Takte reines Secco, hastig geflüstert, über derselben Harmonie, im Tone tiefsten Geheimnisses, das sich nur stockend herauswagt. Ihm schließt sich die eigentliche Erzählung an, in dunklem es-Moll beginnend und dessen Grundharmonie in breiten Zügen auskostend – es liegt ein zwingender Stimmungszauber über diesem Anfang, und ganz folgerichtig tritt bei der Erwähnung des Unbekannten der Harmoniewechsel nach h-Moll ein. Dann aber, bei der Schilderung des eigentlichen Angriffs, treibt das Orchester in einem heftigen Stringendo143 wieder in den Anfang hinein144, um gleich darauf einer unheimlichen Stille zu weichen, die nur durch einzelne brutale Fortes unterbrochen wird. Welchen Apparat hätten die Späteren zur Schilderung dieses Ringens aufgeboten! Mozart gibt nur leichte, aber unmißverständliche Andeutungen, wie das zerrende Synkopenmotiv bei »svincolarmi, torcermi« oder den befreienden Trugschluß auf F bei Ottavios »Ohimè! respiro!« und wirkt, wie stets, durch eine kontrastreiche Dynamik. Der Schluß ist wieder ganz von dem wilden Anfangsmotiv beherrscht, das jetzt nochmals in großer Steigerung auftritt, mit breit ausgereckten Kadenzen und namentlich gegen das Ende mit einer merkwürdigen Spannung der Harmonik. Man weiß tatsächlich bis ganz zum Schlusse nicht, in welcher Tonart diese Entwicklung enden wird: auch die Wiederholung der Worte »compiè il misfatto suo« wirkt ungemein verschärfend. Aus dieser gewaltigen Gefühlsspannung löst sich nun die Arie los, ein schöner Beleg für Mozarts Kunst, alte Formen auf das knappste Maß zusammenzudrängen, um sie dafür mit um so stärkerem seelischem Ausdruck zu erfüllen. So schimmert auch hier die alte Dreiteiligkeit noch hindurch, aber nicht mehr als formale Schablone, sondern als natürliche Einkleidung des Ausdrucks. Die frühere behagliche Redseligkeit weicht einer lakonischen Bestimmtheit, die gerade das Allernotwendigste sagt. Ihrem Empfindungsgehalt nach entwirft die Arie ein scharfes Bild von Annas oben145 geschildertem Wesen. In der Melodik wirkt[413] der Geist der opera seria noch vernehmlich nach, sowohl was den Ausdruck des Rachegefühls in den großen Intervallen des Anfangs als den »Seufzer«-Charakter der unmittelbar folgenden Partie (»che il padre mi tolse«) anbetrifft. Aber zu hohler Theatralik kommt es nirgends146, vor allem dank der höchst eigentümlichen, selbständigen Sprache des Orchesters, das allein schon durch das Fehlen der weichen Holzbläser (Flöten und Klarinetten) dem Ganzen ein herbes Gepräge verleiht147. Statt der üblichen Trommelbässe beginnt die Arie mit einem unruhigen Wogen der Streicher ohne Bässe; erst dann beginnen diese mit ihrem düster-energischen Motiv, dem alsbald in den Bläsern (in auffallend weiter Lage) die Antwort folgt. Auch aus diesem Orchestersatz klingt, wie aus den meisten Stücken der Oper, ein zwingender Naturton heraus, etwas vom Grollen eines fernen Gewitters. Wie wahr wirkt es aber dann, wenn beim Durchbruch der rührenden Schmerzempfindung dasselbe Orchester sich plötzlich aufs innigste mit dem Gesange vereinigt, um, nachdem die weiche Anwandlung vorüber ist, mit erneuter Wucht in den trotzigen Imitationen das Heft aufs neue an sich zu reißen! Der Mittelteil läßt noch einmal jenen dunkeln, visionären Ton von ferne anklingen, den wir schon im ersten Duett aus Annas Munde vernahmen. Noch einmal steigt das blutige Bild vor ihrem Geiste auf, begleitet von dumpfen Naturlauten in Bratschen und Fagotten, aber es weckt kein Grauen mehr, sondern tränenerstickten Schmerz, und der Schluß ist abermals jenes rührende Seufzermotiv, in das Donna Anna nach allen Gedanken der Rache und des Hasses immer wieder ihre ganze Trauer um den Vater hineinlegt. Auch im dritten Teil kommt es zum Wort, obgleich jetzt, nach der Erinnerung an die Schreckenstat, die Glut des Rachegefühls um so höher aufschlägt. Auch jene Erinnerung wird in wenigen erregten Takten in den Strom der Leidenschaft hineingezogen, der in der Coda seine höchsten Wellen wirft. Echt mozartisch ist das Orchesternachspiel, das wie nach übermäßiger Anstrengung schließlich piano in sich zusammensinkt.

Diesem Stücke läßt nun der Meister der Kontraste in Don Giovannis berühmter Arie (12) den denkbar schärfsten Gegensatz folgen. Don Giovanni ist ganz hingenommen von dem Gedanken an das bevorstehende Fest und die Triumphe, die es ihm bringen wird. Die ganze sinnliche Atmosphäre berauscht ihn im voraus; sogar die Tänze, die dabei getanzt werden sollen, »menuetto, follia, alemana« wirbeln ihm schon durch den Kopf. Und vor allem die Aussicht auf die Bereicherung seines Registers! So weit der Text. Ein italienischer Buffonist hätte es dabei sicher nicht an sprühenden Teufeleien fehlen lassen; selbst der von Mozart gewählte Rhythmus war den Italienern ja für solche Zwecke vertraut148. Aber ihre Töne gingen doch stets nur darauf aus, den im Text geschilderten Zustand der Erregung durch die Musik möglichst zu verdeutlichen. Bei Mozart dagegen spielt sich wieder[414] jener Prozeß ab, den wir bereits aus einigen Stücken des »Figaro« kennen149: seine Musik bezeichnet oder verdeutlicht nicht nur mit mehr oder weniger Geist jene Erregung, sondern sie ist sie selbst. Der ganze Sturm des von allen Banden gelösten sinnlichen Lebenstriebes dringt mit voller Wucht unmittelbar auf uns ein und rast, weit davon entfernt, einem wenn auch noch so leidenschaftlichen Arienmonolog zu gleichen, als entfesseltes Naturphänomen vorüber. Daher die bis auf heute unverminderte Wirkung dieses musikalischen Sinnenrausches. Sein Lebensnerv ist darum auch der Rhythmus, der auf der Grundlage einer kaum je aussetzenden Achtelbewegung immer wieder neue melodische Gebilde hervortreibt und nur vor der Rückkehr in die Hauptmelodie jeweils auf längeren Noten triumphierend kadenziert. Der rhythmische Grundtypus 2/4 Don Giovanni besteht aber durchaus nicht aus zwei gleichgeordneten Takten, sondern der erste ist als ideeller Auftakt zu betrachten, so daß der Hauptiktus auf das erste Viertel des zweiten fällt. Nur dadurch kommt jene prickelnde Kraft in das Stück hinein, die ihm sein eigentliches Gepräge verleiht. Sehr charakteristisch sind die Stellen, wo jener Auftakt noch um ein Viertel verlängert wird, so z.B. beim zweiten Auftreten des »chi'l menuetto« usw. Da erfolgt mit einem Ruck eine plötzliche Steigerung der Energie, die in fühlbarem innerem Zusammenhang mit dem folgenden chromatischen Abstieg steht, und ähnlich verhält es sich später mit der Stelle »d'una decina devi aumentar«. Das sind allerhand geheime seelische Widerstände, die die Erregung immer wieder aufs neue aufpeitschen. Auch in der Melodik finden sie sich, besonders in den kleinen chromatischen Partien, die den Ausdruck höchst eigentümlich verschärfen. Sonst bewegt sie sich in lapidarer Diatonik; der Hauptgedanke z.B. baut sich durchaus auf Dreiklangsintervallen auf. Von geradezu faszinierender Wirkung aber ist das bei »Ed io frattanto« eintretende Moll: daraus spricht die ganze Dämonie dieser Herrennatur. Kein Wunder, daß die Form des Stückes bei aller hinreißenden Einheit doch äußerst frei ist. Am nächsten steht sie noch dem Rondo, da Don Giovanni von den verschiedensten Seiten her immer wieder auf sein Hauptthema zurückkommt. Mozarts Kunst hat es fertiggebracht, daß wir dieses immer wieder als einen neuen Höhepunkt empfinden; zu beachten ist dabei besonders auch, daß er die Stimme im Verlauf des Stückes mehr und mehr in die Höhe treibt, bis in die Coda hinein, in der er nach italienischem Brauch, aber mit schlagender psychologischer Wirkung, die Kadenz immer weiter hinausschiebt. Auch setzt die Singstimme im Ganzen nur zwei Takte aus, wo das Orchester den Anfang des Hauptthemas in voller Ekstase herausschmettert. Es ist mit sämtlichen Bläsern außer den Trompeten besetzt und tritt mit Ausnahme kurzer Episoden150 stets geschlossen auf, mit einziger[415] Ausnahme der Flöte, die mit der ersten Geige zu sammen den Gesang fast unausgesetzt zwei Oktaven höher begleitet und die sinnliche Färbung dadurch bedeutend verstärkt151. Charakteristisch ist auch der äußerst volle Klang dieses Orchesters; gleich am Anfang geben z.B. zweite Geigen und Bratschen die volle vierstimmige Harmonie. Nicht zu vergessen ist endlich auch die Dynamik, die abermals keine Übergänge, sondern nur die schärfsten Kontraste kennt. Und zwar ist das Orchester der Träger der wild ausbrechenden Ekstasen im Forte und Sforzato, das bald da, bald dort aufblitzt. Aber niemals deckt es den Gesang, und der Sänger muß sich hüten, die Charakteristik etwa in allzugroßer Stimmentfaltung zu suchen. Die Melodie und besonders der Rhythmus dieses Satzes muß ihm nicht bloß aus der Kehle, sondern aus seiner ganzen Erscheinung dringen, aus jedem Blick seines Auges und jeder Gebärde seines Körpers. Es gibt bis auf den heutigen Tag wenig Stücke, wo der Darsteller dem Komponisten gegenüber einen so schweren Stand hätte, wie dieses.

Im Gegensatz zu diesem Stück, dessen Lebensatem der Rhythmus ist, wirkt die folgende Arie Zerlines (13) hauptsächlich durch melodische Mittel. Es handelt sich darum, den mit Recht durch ihre Szene mit Don Giovanni gekränkten Masetto wieder zu versöhnen, also um ein Thema, das auch den Italienern so geläufig war wie die Anschauung, daß in solchen Fällen die Evastochter dem blöden Manne unbedingt überlegen ist152. So war es auch bei Mozart mit Blondchen und Pedrillo gewesen und ist es jetzt noch mehr bei Zerline und Masetto, da Zerline ihr Erlebnis mit Don Giovanni hinter sich hat. Ihrer Natur bleibt sie auch jetzt getreu. Von Reue oder neu aufflammender Leidenschaft ist so wenig die Rede wie von irgendwelcher Sentimentalität. Ihr Abenteuer mit dem gnädigen Herrn erscheint ihr ebenso natürlich, wie daß dadurch ihr Verhältnis zu Masetto, dem sie auf ihre Art nach wie vor zugetan ist, auf die Dauer nicht getrübt werden kann. Der gutmütige Bursche wird ihr doch nicht widerstehen können, das weiß sie genau. Ist doch bei ihrer Szene mit Don Giovanni gar nichts Schlimmes vorgefallen; daß das freilich nicht ihr Verdienst ist, berührt sie nicht weiter. Die Tatsache genügt ihr jedenfalls, um ihrerseits die Gekränkte zu spielen, und als sie den Masetto dadurch bereits unsicher gemacht hat, geht sie zu stärkeren Mitteln über und sucht durch alle Künste weiblicher Schmeichelei auf seine Sinne zu wirken. Gewiß entspricht das ganz ihrem Wesen, aber die Art und Weise, wie es geschieht, beweist doch deutlich, daß sie von Don Giovanni in diesem Punkte recht viel gelernt hat. Mit einer Zärtlichkeit von sinnbetörender Anmut sucht sie ihn zu fangen, einem genialen Gemisch von wirklicher Neigung und schlauester Berechnung. Es ist, als bekäme[416] hier Masetto auch noch einen Strahl des verführerischen Zaubers zu verspüren, dem seine Braut in der Szene mit Don Giovanni erlegen ist; sind doch die beiden Stücke sich nach Form und Taktarten völlig gleich; auch verhalten sich Andante und Allegro beide Male wie Werbung und Gewährung. Nur ist bei Zerline alles ins Hingebende, Weibliche gezogen, aber man merkt ihr deutlich an, daß sie seit der Berührung mit Don Giovanni sich ihrer Waffen als Weib voll bewußt geworden ist. Sie liebt ihren Masetto gewiß, aber sie hat auch ihre Freude daran, ihn ihre Macht fühlen zu lassen.

Diese an und für sich einfache Situation, die früher besonders das deutsche Singspiel so häufig mit allem spießbürgerlichen Behagen ausgemalt hatte, hat Mozart mit der ganzen berückenden Süßigkeit seiner Kantilene ausgeschmückt und verklärt, ohne ein einziges Mal, sei es in unangebrachtes Pathos oder in falsche Empfindelei, zu verfallen. Er hält auch hier den Grundcharakter des Naturkindes fest. Rhythmik und Harmonik treten zurück hinter der Melodik, und auch diese entbehrt fast jeglicher Chromatik und verläuft stufenweise diatonisch oder in Akkordintervallen. Schon die Hauptmelodie des zweiteiligen Andantes ist bezeichnend dafür mit ihren abwärts strebenden Phrasen und ihrer Neigung für die volkstümlichen Terzklauseln153; wie echt wirkt nicht der Nachsatz, der mit dem f'' gleich den höchsten Punkt der melodischen Linie erfaßt und von hier aus in den einfachsten Akkordintervallen den Harmoniewechsel I V I auskostet! Jede Phrase wirkt hier mit der Kraft einer Gebärde: es ist, als streichelte eine linde Hand immer zärtlicher eine Wange herab. Auch die Harmonik ist in den beiden Arien Zerlines so einfach wie möglich: Tonika und Dominante, nichts weiter. Dagegen reden die Instrumente eine deutliche Sprache des Schmeichelns und Kosens. Schon das Hauptthema wird von den Streichern in Oktaven begleitet und dann im zweiten Teil von sämtlichen Bläsern in dreifacher Oktavverstärkung aufgenommen. Vor allem aber fällt dem Solocello das ganze Stück hindurch die Rolle des Liebeswerbers zu; es umrankt jeden Gedanken der Singstimme mit seiner schmeichlerischen Figuration, die zumeist, wie z.B. am Anfang, eine verdeckte Zweistimmigkeit in sich schließt: eine leise mit dem Gesang parallel gehende melodische Unterstimme und eine immer auf der Quinte c' liegenbleibende Oberstimme. Einmal (»e le care tue manine«) erscheint sogar ein beredtes imitatorisches Zwiegespräch zwischen Singstimme und Cello. Bei der Wiederholung, die übrigens den ersten Auftakt in den Bläsern in höchst individueller Weise erweitert und zugleich durch die Synkopen in den Oboen seinen Ausdruck verstärkt (die abwärts führende Melodielinie wird da durch[417] besonders betont), findet eine leichte melodische Variierung des Themas statt, dann aber beginnt es in den Geigen unaufhörlich zu trillern, als prasselte ein ganzes Kreuzfeuer verliebter Schelmenblicke auf den armen Masetto hernieder. Wie mit Zaubergewalt hält ihn Zerline durch das kleine triumphierende Motiv


Don Giovanni

mit seinen verschiedenen Varianten fest in ihrem Banne und erringt über dem sich nun lustig in Zweiunddreißigsteln tummelnden Cello leicht den Sieg. Von jenem erweiterten Motiv geht nun auch der Satz im 6/8-Takt aus, der nichts anderes ist als ein fortgesetztes Jubilieren über dem gleichfalls ganz aus Rand und Band geratenen Cello, ein Umtanzen und Umwerben des Besiegten voll natürlichen, schalkhaften Triumphgefühls, bald in auf- und niederschwebender Dreiklangsmelodik, bald in jauchzenden Koloraturen. Sie kommt kaum davon los und schaukelt sich zum Schlusse noch graziös auf der Quinte154, bis das Orchester mit dem vergnüglich schnurrenden Cello das Stück beschließt. Die beiden Zerlinen-Arien sind entzückende, warme Sonnenblicke in der finsteren, leidenschaftlichen Welt dieses Dramas.

Das erste Finale (14) kann sich dichterisch nicht mit seinem Vorgänger im »Figaro« messen. Es wächst nicht wie dieses von innen heraus und entwickelt die Handlung nicht konsequent weiter, sondern reiht verschiedene Szenen, wenn auch unter geschickter Steigerung, mechanisch aneinander. Es ist mehr ein durchkomponierter Aktschlußkomplex als ein organisch aufgebautes Finale. Das ergab sich freilich aus dem Reichtum der Handlung an äußeren Begebenheiten. Was aber dem Dichter nicht glückte, gelang dem Komponisten. Er legte das Ganze von Anfang an auf den Höhepunkt, das Ballfest, an. Sein festlicher Lärm klingt schon am Anfang an und tönt auch im Folgenden immer deutlicher zwischen die einzelnen Episoden hinein. Auch diese selbst stehen in ideeller Beziehung zu ihm und spannen, jede nach ihrem mit den übrigen scharf kontrastierenden Stimmungsgehalt, die Erwartung immer höher, so daß wir bereits beim Eintritt in den Ballsaal uns trotz aller festlichen Heiterkeit in einer schwülen Stimmung befinden, wie sie einer Katastrophe vorherzugehen pflegt.

Der erste Abschnitt schließt sich unmittelbar an die letzte Szene an. Zerline hört Don Giovannis Stimme von drinnen und ist sofort wieder in seinem Banne. Natürlich erwacht Masettos Argwohn aufs neue, während sie voll Aufregung einen Ausbruch zu vermeiden sucht. Das bösartige Knurren des Orchesters am Anfang, die dumpfen Motive der Singstimme, unter denen das folgende:


Don Giovanni

[418] sich immer wieder durch alle Stimmen schleicht, schildern die gespannte Lage zur Genüge. Jetzt ist es Zerline, die nach Fassung ringt. Aufgeregt umflattert ihre Stimme den verbissenen Gesang Masettos. Auch in der kleinen Mittelpartie in G-Dur, wo er mit dem Crescendo und dem Motiv in den Trompeten:


Don Giovanni

schon recht deutlich wird, hängt sie sich in höchster Angst an seine Gesangsphrasen. Die Wiederholung steigert die Spannung mit allen Mitteln. Masettos Trompetenmotiv erscheint jetzt kleinlaut in den Flöten:


Don Giovanni

und schließlich ganz verzweifelt in den Geigen:


Don Giovanni

Da kündigt sich das Ballfest zum erstenmal an in dem uns aus dem Bisherigen sattsam bekannten anapästischen Festrhythmus. Don Giovanni lädt die ländliche Gesellschaft zu sich ein und gibt seinen Dienern noch rasch die letzten Anweisungen. Diese wiederholen die Einladung in nicht minder ritterlichem Tone; auch sie haben ihm die Kavaliersmanieren gut abgelauscht. Dann leitet der langsam verhallende Chorgesang155 zu der folgenden Szene über, der ersten wichtigeren Episode des Finales, die darum auch einen Tempo-, Takt- und Tonartenwechsel bringt. Sofort befinden wir uns wieder in jener verführerischen Atmosphäre sinnlichen Verlangens, die wir vom Duettino (7) her kennen. Geheimnisvoll und süß beginnt das Zwiegespräch zwischen Streichern (ohne Bässe) und Flöten; der etwas unsichere Ton, in dem Zerline beginnt, vermag uns nicht darüber zu täuschen, daß sie dem Zauberer bereits wieder zu erliegen beginnt, und als dieser mit einem kurzen, vom ganzen Orchester begleiteten Griff ihre Hand faßt, da wiederholt sich das alte Spiel. Don Giovanni beginnt ihr alle Phrasen nachzusingen. Aber er braucht jetzt nicht mehr den ländlichen Liebhaber zu spielen, denn Zerline zittert bereits vor heimlicher Begierde, so daß er ihr nur ihre eigenen, verlegen gestammelten Worte zu deuten braucht. Die Situation ist dem Duettino gegenüber viel gespannter geworden und quillt[419] beim Zusammentreten der Stimmen von Verlangen fast über156, wozu besonders auch die Bläser mit ihrem unausgesetzt herabrieselnden Sechzehntelmotiv mitwirken. Mit den immer noch ängstlich flatternden Sechzehnteln Zerlines scheint ihr Widerstand endgültig besiegt. Da tritt plötzlich Masetto aus seinem Versteck hervor. Die Musik, die diese Überraschung begleitet, ist das Seitenstück zu der Szene im »Figaro«, wo der Graf den Pagen plötzlich auf dem Stuhle findet157. Kein Losbruch im Orchester, kein Takt- und Tempowechsel, nicht einmal ein Forte, wohl aber dasselbe Erstarren auf einem einzigen Motiv, das zugleich eine unverhoffte Wendung nach d-Moll bewirkt:


Don Giovanni

dazu ein weiteres in den Hörnern auf a, das mit seinem Rhythmus


Don Giovanni

verdächtig an Masettos oben angeführtes Trompetenmotiv erinnert. Auf dieser Kombination bleibt die ganze Entwicklung einfach stehen, als gäbe es überhaupt nichts weiteres mehr; die Überraschung äußert sich statt aller Exaltation einfach in einer allgemeinen Lähmung. Bei Don Giovanni dauert sie indessen nicht lange. Als wäre nichts geschehen, führt er Masetto seine Zerline zu, wobei es im Orchester von allen Seiten her spöttisch kichert. Die letzte Phrase »non può più star senza di te« lallt ihm der stumpfsinnige Tölpel sogar einfach nach. Abermals macht sich das Fest von drinnen bemerkbar (es ist der Kontertanz, den Don Giovanni später mit Zerline tanzt158), und die Spannung darauf läßt den vorangegangenen Zwist verschwinden. Ein prickelnder Satz vereinigt alle drei, als hätte die eben gehörte Tanzmusik sie plötzlich in eine ganz andere Sphäre versetzt.

Da stockt die muntere Bewegung mit einem jähen Ruck: in den Bläsern scheint es sich wie ein dunkler Schleier herniederzusenken, und das bisherige F-Dur weicht im nächsten Satz dem tragischen d-Moll, das in dieser Oper ja stets seine besondere Bedeutung hat. Diese zweite Episode vereinigt Elvira, Donna Anna und Ottavio, die gekommen sind, um Don Giovanni auf seinem eigenen Feste zu entlarven. Auch sie sind maskiert, und das Orchester, das auf die Sechzehntelbewegung der vorhergehenden Szene bis in einzelne Wendungen hinein zurückgreift, zeigt auch sie in voller Spannung auf das Fest. Nur ist sie bei ihnen natürlich ganz anderer Art. Hinter ihren Masken lauert die fieberhafte Unruhe vor der entscheidenden Aktion. Der ganze Satz kommt aus den Molltonarten (d- und g-Moll)[420] nicht heraus, so daß das F-Dur des Menuetts später auf den Hörer wie eine Erlösung wirkt, und der immer wiederkehrende Rhythmus 2/4 Don Giovanni steigert nur noch die Beklemmung. Auch die Melodik folgt einem Typus, der in den Mozartschen d-Moll-Stücken häufig wiederkehrt und sowohl die Singstimmen als die Begleitung beherrscht159:


Don Giovanni

Es ist ein feiner Zug, daß Elvira in diesem Satze, der sich noch zu keinem vollen Ensemble verdichtet, die Führung hat und Don Ottavio auch melodisch ins Schlepptau nimmt, während Donna Anna alsbald ihre eigenen Wege geht. Aber sie tut es nicht im Sinne des Beginns ihrer Rache-Arie, obwohl sie ja nunmehr ihrem eigentlichen Lebensziel bedeutend näher kommt, sondern sieht mit echt weiblichem Zagen der Entscheidung entgegen und bangt vor allem auch um ihren Bräutigam. Das beweisen die chromatischen Sextengänge der Fagotte, die ihre Worte einleiten, und besonders die g-Moll-Partie mit ihrem Seufzen und Zagen. So kommen alle Gefühle, die der kritische Augenblick in allen Beteiligten wachruft, mit schlagender Kürze zum Ausdruck. Da erklingt aus dem Saale das Menuett, diesmal noch in F-Dur, und damit tritt abermals das Ballfest in den Vordergrund. Über der Tanzmelodie spielt sich nun in äußerst lebendiger Weise, zum Teil parlando, der Dialog zwischen Don Giovanni und Leporello, der Widerhall ihres Auftretens bei den Übrigen und endlich Leporellos Einladung an sie ab. Es ist eine Art der Behandlung, wie wir sie schon beim Hochzeitsmarsch des »Figaro« trafen160, und wie sie seither in unzähligen Szenen nachgebildet worden ist. Auch hier treten einzelne Züge charakteristisch hervor, so Don Giovannis übermütiges »dì che ci fanno onor«, dann Leporellos trefflich naturwahrer Anruf und seine chevalereske Einladung, die Ottavio hinwiederum als vollendeter Kavalier erwidert. Aber kaum ist Leporello verschwunden, so verändert sich die Szene von Grund aus, und zwar mit einem kurzen, spannenden Orchestermotiv, das jenem vor dem d-Moll-Satz entspricht. Ist doch dieses berühmte Maskenterzett im Grunde dessen ideelle Fortsetzung, deren überraschender Eintritt und tiefe Wirkung durch den dazwischen geschobenen Tanzsatz meisterhaft vorbereitet wird. Mozart hat das Stück bei aller Kürze in jeder Hinsicht dergestalt von seiner Umgebung abgehoben, daß es fast der Mittelpunkt des ganzen Finales, jedenfalls aber der Kernpunkt von dessen »innerer Handlung« wird. Es nimmt innerhalb des ganzen Komplexes eine ähnliche Stellung ein wie der A-Dur-Satz in dem Quartett der »Entführung«, der übrigens in ähnlich feierlicher Weise eingeleitet wird161. Es ist, als zöge Mozart den[421] letzten Schleier von dem Innenleben seiner Personen hinweg und zeigte es uns im Lichte höchster Verklärung. Sie bleiben gewiß in ihrem Wesen dieselben, und der große Charakterschilderer, der die einzelnen Charaktere im Widerspiel miteinander entfaltet, verleugnet sich auch hier nicht. Aber es ist, als fiele alles Zufällige, Bedingte, Unfreie hier plötzlich von ihnen ab. In dem d-Moll-Satze lastete noch die ganze Schwere der äußeren Situation auf ihnen, jetzt, nachdem die gegnerische Welt ihnen die Entscheidung aufgedrängt hat, löst sich der Bann von ihrer Seele, und mit voller Klarheit und Reinheit des Empfindens treten sie dem Schicksal entgegen. So faßt Mozart dieses Gebet auf, in dem er ganz vernehmlich auch den religiösen Ton anklingen läßt. Zum ersten Male in diesem Finale entwickeln die Singstimmen ihre ganze Ausdrucksgewalt, die durch die Bläserbegleitung (ohne Streicher) ganz eigentümlich gehoben wird; schon der Eintritt der Stimmen erfolgt überhaupt a cappella, ohne jede instrumentale Grundlage. Donna Anna hat ihre Zuversicht wiedergefunden. Aber wiederum ist es kein wilder Racheschrei, den sie zum Himmel sendet. Das liegt hinter ihr; je weiter das Drama fortschreitet, desto abgeklärter, man möchte fast sagen desto ätherischer ist der Ausdruck ihres Empfindens, desto lockerer werden die Fäden, die sie mit dieser Welt der elementaren Leidenschaften und Triebe verknüpfen. Schon in diesem Terzett findet sie Töne von einer merkwürdig hochgestimmten Inbrunst und Innigkeit. In breit ausladender Melodik schwebt ihr Gesang auf und nieder, und auch die Skalengänge und kleinen Verzierungen dienen nur dazu, den Eindruck einer aus vollem Herzen frei hervorströmenden Zuversicht zu verstärken. Ottavio ist auch in diesem Stück ihr getreuer Begleiter. Zwischen beiden aber rankt sich die zackige melodische Linie der auch hier weit leidenschaftlicheren Elvira empor. Sie ist es und nicht Anna, die selbst in diesem Augenblick dem Rachegedanken offen Ausdruck gibt, gegen den Schluß (»vendichi, vendichi il giusto cielo«) sogar mit einer Phrase, die an die entsprechende in Donna Annas Rachearie anklingt. Bis auf die Schlüsse geht ihr Gesang seinen eigenen Weg neben dem der beiden übrigen her und setzt immer erst ein, wenn jene mit ihren Phrasen zu Ende kommen, und meist bringt ihr Eintritt auch eine Verschärfung des Affekts, wie besonders bei dem freien Einsatz des as''. Die Bläser werfen mit ihren diskret angebrachten vollen Akkorden einen leuchtenden Glanz über das Ganze; nur im fünften Gesangstakt (»protegga il giusto cielo«) beginnt, unterstützt von einem scharf markierten Motiv des ersten Fagotts, die zweite Klarinette mit einer akkordischen Figur in Sechzehnteln, die sich später zu Sechzehnteltriolen steigern, in tiefer Lage – ein ganz eigentümlicher Klangeffekt, dessen dunkle Farbe gerade diese steigernde Wiederholung der Gebetsworte ganz besonders wirksam heraushebt. Am Schlusse nehmen die Instrumente Donna Annas letzte Phrase auf.

Der nächste Abschnitt führt mitten in das Ballfest mit seinem buntbewegten Treiben hinein, eine der italienischen opera buffa wohlvertraute[422] Situation162. Die Gestaltung ist denn auch ganz italienisch: ein wirbelndes brio mit festlichem Lärm und Geflüster und Gekicher dazwischen, die Schilderung des bunten Gewühls, das eine Tanzpause hervorbringt. Kaffee, Schokolade, Sorbet werden herumgereicht – kurz, wir befinden uns nach den Höhen des Terzetts wieder mitten im tollsten Leben des Alltags drin und zugleich in der üppigen, sinnlich erregenden Atmosphäre Don Giovannis. Wiederum ist das Orchester der selbständige Träger der Stimmung, die Singstimmen gehen in kurzen Phrasen bald mit, bald rufen sie, meist in leichtem parlando, dazwischen, kurz, das bewegte Bild entfaltet sich mit voller Naturtreue. Nur der eifersüchtige Masetto steht beobachtend beiseite; rührend klingt sein zweimaliges »Ah Zerlina, giudizio«!, und in seinem kurzen Zwiegesang mit ihr fängt es im Orchester bereits bedenklich zu knistern an. Da setzen sich die Bässe plötzlich 14 Takte lang auf B fest: Don Giovanni streckt abermals seine Hand nach Zerline aus, und Leporello, der bei solchen festlichen Gelegenheiten besonders gern den Kavalier herauskehrt, macht es ihm bei andern Mädchen nach; wieder sind die Flöten, jetzt von den Klarinetten unterstützt, Giovannis treue Begleiter. Abermals steht Masetto, obwohl er in seiner Blödigkeit nur einzelne abgerissene Sätze stammelt, als das Haupthindernis im Mittelpunkt. Zerline zeigt sich schon sehr erbost darüber; die beiden andern aber ziehen mit dem unnachahmlichen163:


Don Giovanni

sofort ihre Konsequenzen: Masetto muß beschäftigt werden. In einer erregten Wiederholung der Schlußpartie des ersten Teils klingt der Handel aus.

Bisher hatte die Musik zu Ehren der anwesenden Landbevölkerung einen primitiven, bäuerlichen Charakter getragen. Jetzt, beim Eintritt der drei Masken, nimmt sie plötzlich einen Aufschwung ins Hocharistokratische. Nicht nur die Tonart schlägt mit einem Male um, im Orchester gesellen sich auch Trompeten und Pauken hinzu. Es ist ein offizieller, zeremoniöser Empfang hoher Gäste, bei dem Mozart manches fürstliche Haus in Wien Modell gestanden haben mag. Selbst Leporello, der hier als Haushofmeister[423] fungiert, beginnt seine Rede als vollkommener Grandseigneur, und auch die Antwort der Ankömmlinge entspricht mit ihrer preziösen Zierlichkeit der Adelssitte. Mit weltmännischer Liebenswürdigkeit wiederholt Don Giovanni mehrere Male seine Worte »è aperto a tutti quanti, viva la libertà«, und das hat nun seltsamerweise den Anlaß zu einem ganz unvermittelten Hoch auf die politische Freiheit gegeben, an dem im Verlauf der Zeit der Chor, ja schließlich in einzelnen Fällen auch noch das Publikum im Zuschauerraum teilnahm! Aber dem Aristokraten Don Giovanni fällt es nicht ein, da plötzlich für die politische Freiheit zu demonstrieren. Er meint lediglich die Maskenfreiheit, und wenn die vornehmen Gäste auf diesen Gedanken eingehen, so liegt darin abermals eine formelle Artigkeit gegen den Hausherrn; sie wollen ihm an gesellschaftlichem Schliff nicht nachstehen. Das Bauernpack aber hat bei diesem Zeremoniell der Vornehmen überhaupt zu schweigen. Gerade dadurch, daß Mozart dieses Zeremoniell mit solcher Naturtreue herausgearbeitet hat, rückt er die Szene für den Zuschauer, namentlich den damaligen, in das Licht schneidender Ironie.

Nun gibt Don Giovanni das Zeichen zum Wiederbeginn des Tanzes, in dessen Verlauf sich der lange angehäufte dramatische Zündstoff schließlich entlädt. So viele Ballszenen die Oper auch vor-164 und nachher aufzuweisen hat, die Mozartsche ist weder dramatisch noch musikalisch überboten worden. Ihr reales Motiv, der Tanz, ist rein musikalischer Natur, aber Mozart verquickt es gleich dadurch mit einem dramatischen, daß er drei Tänze zusammenkoppelt. Dadurch findet Don Giovanni Gelegenheit, die Personen zu verteilen und sich denen zu entziehen, von denen er nicht belästigt sein will. Seine vornehmen Gäste treten zum Menuett an, er selbst tanzt mit Zerline den Kontertanz, Masetto wird von Leporello in den Wirbel des »Teutschen« hineingezogen. Demgemäß sind auch drei Orchester beschäftigt: die Vornehmen bekommen die gut besetzte Hauskapelle, die Don Giovanni sich wie jeder angesehene Aristokrat in Wien hält; für die Dörfler genügen zwei zweistimmige Bauernorchester mit Violinen und Baß165. Diese auch räumlich scharf hervortretende Dreiteilung wird zur Voraussetzung der sich entwickelnden Handlung. Die drei Tänze bilden die Hauptsache; die einzelnen Personen müssen sich ihnen unter allen Umständen anpassen,[424] ausgeführte Stimmungsbilder sind deshalb von Anfang an ausgeschlossen. Die Kombination der drei nach Charakter und Rhythmus völlig verschiedenen Tänze ist allein schon ein kontrapunktisches Meisterstück. Wohl ist die Gleichung: zwei 3/4-Takte = drei 2/4-Takte an und für sich einfach und ebenso: ein 3/8-Takt = ein Viertel in Triolen. Ein großes Kunststück aber ist es, die drei Tänze so zu kombinieren, daß jeder sein selbständiges Gepräge wahrt und ihr Zusammentreffen bei allem Wohlklang doch als zufällig erscheint. Sehr realistisch ist das sukzessive Eintreten der drei Tänze geschildert: beide Nebenorchester bereiten sich zuerst durch Stimmen vor, die leeren Saiten werden in Quinten angestrichen, pizzicato angegriffen, ein kleines Trillerchen versucht, einmal über alle Saiten gerissen, der Baß stimmt in ähnlicher Weise ein – das alles paßt sich dem bisherigen Gange ganz natürlich an166. Das Menuett selbst ist ein richtiges, feierliches Tanzmenuett und unterscheidet sich sehr scharf z.B. von den Sinfoniemenuetten. Der prächtige Festrhythmus 3/4 Don Giovanni geht durch das ganze Stück hindurch167, und auch die alle achttaktigen Perioden (Einschiebsel kennt dieses Menuett nicht) beschließende steif-gfavitätische Kadenz Don Giovanni verstärkt den strengen Tanzcharakter. Dagegen wird bei den beiden anderen Tänzen die strenge Symmetrie nicht durchgeführt (so entspricht gleich bei dem Kontertanz dem viertaktigen Vordersatz ein sechstaktiger Nachsatz), jedoch ohne daß der ungezwungene Fluß dadurch gestört würde168. Auf diesem glänzenden Hintergrund spielt sich nun die eigentliche Handlung ab, meist in kurzen, halb unterdrückten Ausrufen, die sich nur hie und da zu längeren Phrasen verdichten. Aber auch hier wird die Charakteristik streng gewahrt. So zischt gleich zu Anfang Donna Elvira in mühsam unterdrückter Leidenschaft der Donna Anna ihr »Quella è la contadina« mit dem scharfen übermäßigen Quartensprung zu, diese, die der Anblick gleichfalls auf das stärkste erregt, antwortet mit dem ebenfalls kaum beherrschten Schmerzensschrei »io moro!«, worauf Ottavio beide energisch zur Ruhe mahnt. Dann tanzt Don Giovanni mit Zerline, während sich Leporello höchst lebendig mit dem übelgelaunten und bockbeinigen Masetto zu schaffen macht. Erst gegen Schluß, als Don Giovanni die nun gleichfalls geängstete Zerline mit sich fortreißt, schließen sich auch die drei Gegner in Erwartung der nahenden Katastrophe wieder[425] zusammen. Diese erfolgt denn auch mit dem Schrei der Zerline. Alsbald verändert sich mit dem plötzlichen Eintritt des Es-Dur die Szene; die Tanzmusik bricht jäh ab, und das ganze Orchester (jedoch ohne Hörner, Trompeten und Pauken) malt in einem wilden, realistischen Unisono mit heftigen Sforzati die allgemeine Verwirrung. Dieser Allegroabschnitt ist vollständig frei gehalten. Auch die Harmonik schwankt beständig, sie führt von b-Moll über c-Moll nach einem sehr spannenden Halbschluß auf der Dominante von d-Moll. Charakteristisch sind auch die kleinen Crescendi, die den mehrstimmigen Partien vorangehen, während Zerlines immer höher ansteigender Angstruf von Geigensynkopen im piano begleitet wird. Auch hier verharren alle Stimmen im Unisono169, dessen beide vorangehenden Orchestertakte mit den langen Noten als ein gewaltiger, spannender Auftakt wirken. Erst am Schlusse teilen sich unter Hinzutritt Masettos die Stimmen wieder. Aber statt des erwarteten, Unheil verkündenden d-Moll erscheint beim Auftreten Don Giovannis und Leporellos F-Dur. Die beiden spielen, vom Orchester nach Kräften unterstützt, den übrigen eine große pathetische Szene vor. Don Giovanni beginnt mit einem aus der opera seria wohlbekannten theatralischen Schleifermotiv, energischen, punktierten Rhythmen und dem an die ältere Musik gemahnenden unisonen Triller der Streicher170. Dann geht die Komödie weiter mit herrischen Akkorden der Streicher, denen das arme Opfer Leporello unter ängstlichen Rufen der Bläser antwortet. Aber die Gegner lassen sich durch dieses Spiel nicht täuschen. Sie demaskieren sich, und zwar sehr drastisch hintereinander auf dasselbe Motiv (eine schlagende Verwendung der Imitation!), und bereits verkünden auch die Streicher mit ihrem kurzen Tremolo, daß Don Giovanni seine Fassung völlig verloren hat. Er kann nur noch einzelne Worte stammeln, und hübsch ist, daß gerade hier die Musik an Leporellos Angst in der vorigen Komödie anklingt171. Dann beginnt eine neue Gruppierung: auf der einen Seite Zerline und Masetto, auf der anderen Ottavio mit den beiden Damen, immer eindringlicher bis zu dem viermaligen drohenden »tutto!« Und nun erfolgt, eingeleitet von dem bekannten tragischen Motiv im Unisono des ganzen Orchesters, der volle Ausbruch der Empörung in einem übersichtlich gegliederten, zweiteiligen Satz mit Coda, der motivisch mehrfach mit dem Vorhergehenden zusammenhängt. Da ist zunächst die elementare Spannung der ersten fünf Takte mit ihren schweren f-Moll-Klängen auf dem Orgelpunkt, der durch einen Paukenwirbel, die Stimme des Donners, verstärkt wird. Aber auch dieses Crescendo wird plötzlich unterbrochen, bei den Worten Don Giovannis und des ihm jetzt auch musikalisch eng verbundenen Leporello. Don Giovanni fühlt sich indessen durchaus nicht etwa zerschmettert, nur der Kopf wirbelt ihm zunächst ob all diesem Mißgeschick, und es ist ein[426] feiner Zug, daß ihm gerade jetzt statt allem Pathos der Gedanke an sein so schön begonnenes Fest durch den Sinn schießt172. Abermals dringt die geschlossene Masse seiner Gegner auf ihn ein, das rollende Unisono des ersten Allegros taucht wieder auf, nur in C-Dur, ebenso der spitze Oktavensprung, aber alles ist orchestral ungemein gesteigert und nimmt mehr und mehr den Charakter eines ausbrechenden Gewitters an, namentlich auch wegen der sich einschleichenden Triolen in den Geigen, die im weiteren Verlauf in Unisonofiguren das ganze Saitenorchester erfassen. Jetzt gerät auch Don Giovanni ins Wanken. Eine fühlbare Steigerung tritt bei Donna Annas lang ausgehaltenem g'' auf »trema« ein, unter dem sich die Mittelstimmen in chromatischen großen Terzenschritten wild nach aufwärts drängen. Das ruft sofort auch bei Don Giovanni und Leporello eine Steigerung der Erregung hervor. In fieberhafter Eile jagen ihre beiden Stimmen die ganze C-Dur-Skala hinauf, um alsbald bei der scharfen Dissonanz auf unbesiegbaren Widerstand zu stoßen173 – die Stelle darf durchaus nicht buffomäßig, sondern nur im Sinne gewaltsamen, verzweifelten Anstürmens aufgefaßt werden. Ganz folgerichtig erreicht jetzt die Empörung der Gegner ihren Höhepunkt: in mächtigem Unisono drängen sie auf Sequenzen nach aufwärts, wobei im Orchester nun auch die Bässe in Bewegung geraten, und enden auf der charakteristischen Phrase:


Don Giovanni

mit dem schneidenden verminderten Terzenintervall, die schon den ersten Teil beschlossen hatte. Darauf wird der ganze Komplex wiederholt. Die Coda dagegen bringt den Höhepunkt: Don Giovanni ermannt sich und schlägt sich siegreich durch die ganze Schar seiner Widersacher hindurch. Abermals bekommen wir in dem kräftig ausholenden Motiv der ersten Geige und der glitzernd herniederfahrenden Skala der Bläser einen Hauch seines Geistes zu verspüren174:


Don Giovanni

[427] Und wie mit jenem Schleifermotiv der Aufruhr gegen ihn sich erneuert, schleudert er den Gegnern sein horazisches »se cadesse ancora il mondo, nulla mai temer mi fà« entgegen (Più stretto), und zwar mit einer herausfordernden Fanfarenmelodie, mit der er die drei Frauen sofort – ein sicher beabsichtigter Zug – imitatorisch hinter sich herzieht, während die beiden Männer, Ottavio und Masetto, für sich eine Gruppe bilden; Leporello schlägt sich natürlich auf die Seite seines Herrn. Auch in diesem Teil des Finales kennt Mozart keine Mitwirkung des Chors. Das ist auch ganz natürlich. Die Bauern hüten sich, in den Handel der Vornehmen einzugreifen; sobald die Sache bedenklich wird, verlassen Musikanten und Tänzer den Saal und lassen die übrigen ihren Span allein ausfechten. Man soll den »Don Giovanni« so wenig zur Großen Oper Meyerbeerschen Schlages herabwürdigen wie die »Zauberflöte«.

Nochmals ist Don Giovanni aller ihm von Menschenhand drohenden Gefahren siegreich Herr geworden. Von den Frauen, das weiß er, wird sich keine an ihm vergreifen. Bei Ottavio aber bleibt es wie gewöhnlich bei guten Vorsätzen und Drohungen mit Worten; gegen diesen Tatmenschen kommt er nicht auf. Masetto endlich ist ein viel zu schwerfälliger Tölpel und außerdem viel zu sehr in der Furcht des Herrn aufgewachsen, als daß er die Initiative ergreifen könnte. Der einzige, der die Zeche bezahlen muß, ist Leporello, der auf diese neue üble Erfahrung hin wieder einmal den Entschluß faßt, diesen gefährlichen Dienst aufzugeben. Von ferne aber läßt sich in dem Donnerrollen die Stimme einer stärkeren Macht vernehmen – ein Zug, der auf die romantische Oper hinweist. Wird die in Don Giovanni lebende Elementarkraft auch ihrer Herr werden?

Mit dem zweiten Akt beginnt das bereits erwähnte Nachlassen der dichterischen Kraft des Librettisten. Unfähig, den großen dramatischen Zug durch neue Motive festzuhalten, begnügt er sich damit, die alten zu dehnen und zu strecken und sucht diese Blöße durch allerhand Episoden wesentlich buffonesken Charakters zu verdecken, die zwar keineswegs originell erfunden, aber doch wenigstens geschickt ausgeführt und vor allem musikalisch sehr dankbar sind. Erst in der Kirchhofszene findet er mit dem Anschluß an Bertati zugleich auch die frühere Höhe wieder. Das Verdienst des Musikers aber ist es, auch für jene lockeren Einschiebsel die Anteilnahme des Zuhörers wachgehalten zu haben, und zwar dadurch, daß er sie weit besser als der Dichter mit der Haupthandlung zu verbinden verstand.

So leuchtet er gleich in dem kleinen Duett (15) sehr drastisch in das innere Verhältnis zwischen Herrn und Diener hinein. Der über seine Rolle bei den letzten Vorgängen äußerst erboste Leporello will seinem Herrn allen Ernstes den Dienst kündigen. Aber dieser weiß nicht nur die Weiber, sondern auch die Männer zu führen. Im Grunde wendet er bei Leporello dasselbe Mittel an wie bei jenen: er läßt sich bewußt in dessen Gefühlssphäre herab und macht ihn dadurch kirre. Er spielt also hier höchst ergötzlich mit[428] seiner gefährlichsten Waffe. Der Unterschied ist nur, daß er von Anfang an den Buffoton angibt175 und den Burschen Phrase für Phrase wie am Narrenseil hinter sich herzieht. Die Komik des Stückes liegt darin, daß er sich nur zum Spaß gehen läßt, während es dem Leporello bitter Ernst ist. Wie witzig klingt z.B. das Gekicher in den Bläsern bei Don Giovannis Worten »che sei matto«, denen Leporello dann seinen ersten selbständigen Gedanken, das ingrimmige »No«, mit dem Streicherunisono entgegensetzt. Es ist dasselbe, das sich zum Schlusse nochmals im Orchester aufrafft, freilich erfolglos, denn Leporello ist bereits, wenn auch widerwillig, zu Kreuze gekrochen. Hätte er überhaupt noch welche Bedenken, sie müßten fallen vor der Erfüllung seines Herzenswunsches, selbst einmal den Herrn zu spielen. Denn das soll er auf Geheiß seines Gebieters Donna Elvira gegenüber, die eben auf den Balkon heraustritt. Don Giovanni selbst will ihm seine Stimme leihen, um sie dadurch zu beschäftigen und sich selbst die Bahn zu ihrer Kammerzofe frei zu machen. So ergibt sich die Situation für das Terzett (16), das von jeher als eine Perle Mozartscher Ensemblekunst gepriesen worden ist. In seiner Dreiteiligkeit (mit variiertem da capo des ersten Teils) äußerst übersichtlich gegliedert, ist es auch motivisch besonders einheitlich, denn es besteht mit Ausnahme des etwas freier ausgreifenden Mittelsatzes aus ganz wenigen Grundmotiven, die immer wiederkehren. Und doch gehen Drama und Musik wieder einmal in geradezu wunderbarer Weise ineinander auf. Aber nicht nur die Gedanken und Empfindungen der handelnden Personen sprechen aus diesen Tönen zu uns, sondern auch die sie umgebende Natur. Wir empfinden schon nach den ersten acht Takten, was Elvira auf den Balkon herausführte: der Einklang zwischen ihrem Gefühl und der weichen, lockenden, südlichen Sommernacht. Hier stehen wir wieder vor einem der durchaus modernen Naturbilder, die ohne jede rokokohafte Malerei die geheime Bewegung der Natur unmittelbar in der Musik offenbaren176. Dieser unfaßbare Duft und Hauch, der um das Stück schwebt, ist der beste Bundesgenosse Don Giovannis. Alles wirkt hier zusammen, die Tonart A-Dur, die weiche Instrumentation, bei der – zum ersten Male in der Oper – die Oboen fehlen, und der sanft schwebende, leise zitternde Gang der Hauptmelodie. Elvira gibt jetzt, da sie sich allein weiß und keine Stürme von außen ihre Seele erschüttern, ihrem innersten Gefühl, der Liebe zu Don Giovanni, Ausdruck, die sie bisher als unmittelbare Zeugin seiner Untreue nur im Gewande des Hasses hatte äußern können. Sehnsüchtig lauscht sie in die Nacht hinaus und pflegt Zwiesprache mit ihrem Herzen, das trotz aller Untreue noch in alter, heißer Liebe für ihn schlägt. Aber auch hier bleibt sie Elvira: bei dem Ge danken an den »empio traditore« schießen in den Geigen plötzlich die leidenschaftlichen Skalen auf, die wir schon in ihrer allerersten Arie antrafen, und ergreifend[429] klingt der Zwiespalt ihres Herzens bei ihren Worten »è colpa aver pietà« hindurch. Dann erscheint in Leporellos Munde das zweite Hauptmotiv des Satzes177:


Don Giovanni

mit seinem geheimnisvollen, schleichenden Charakter der treffende Ausdruck der dunkeln Machenschaften, die da unter dem Schleier der Nacht angezettelt werden. Don Giovanni greift für seine Puppe Leporello ein. Er macht es wie immer und beginnt mit derselben Melodie wie Elvira, nur in dem steigernden E-Dur und mit einem stärkeren Zusatz von sinnlicher Glut. Nunmehr erfaßt jenes unheimliche Motiv auch Elvira (»Numi! che strano affetto«); es ist meisterhaft, wie Mozart auf Grund jener beiden Stimmungsgegensätze die Fäden des Truggespinstes immer enger schlingt. Ein typisch Mozartscher, kurzer Übergang mit überraschender Modulation und chromatischer Melodik auf einem kleinen, in ein piano ausgehenden Crescendo – und wir stehen plötzlich in C-Dur. Jetzt singt Don Giovanni nicht mehr im Tone Elviras, sondern in seinem eigenen. Es ist wohl die verführerischste Weise, die wir aus seinem Munde hören, und ihr Anfang fällt sicher nicht zufällig mit dem der folgenden Canzonetta zusammen178. Nur darf man daraus nicht schließen, Don Giovanni meine bereits hier die Kammerzofe der Elvira179. Es ist vielmehr, als käme hier unter dem Banne der äußeren Situation Don Giovannis sinnliche Glut als solche, ohne ein bestimmtes Objekt, zum Ausdruck, als gälte dieser berückende Gesang nicht mehr einer Einzigen, sondern dem Weibe schlechtweg, und wenn er gleich darauf dem Kammerkätzchen gegenüber unter Mandolinenklang und Tanzrhythmen wieder auf diese Stimmung zurückkommt, so liegt darin entschieden eine Herabstimmung des Gefühls, die wie Selbstironie klingt. Und wie meist bei Mozart folgt auf diesen glühenden Ausbruch die ebenso heftige Wirkung: Elviras letzter Widerstand mit einer leidenschaftlich erregten, scharf akzentuierten Melodik zum Tremolo der Streicher. Mit den Synkopen in den Geigen bei ihrem letzten »non ti credo« (wiederum Crescendo mit folgendem piano!) erreicht das Ringen seinen Höhepunkt. In demselben Moment bricht bei Don Giovanni mit seinem pathetischen,[430] »fast weinenden« »o m'uccido!« der Zyniker hervor, der nun seinerseits den Leporello zu seinem köstlichen, echt italienischen »io rido« veranlaßt. Während dieses vergnügten Insichhineinlachens des Schelms hat sich aber die Niederlage Elviras vollendet. Wiederum deckt sich die rein musikalische Entwicklung, das Zurückmodulieren von C-Dur nach A-Dur, aufs engste mit der dramatischen, der Umstimmung Elviras, und die wieder erreichte Grundtonart vereinigt mit dem Hauptthema alle drei. Sehr schön wirkt dabei namentlich das Zusammengehen Elviras mit Leporello, der angesichts dieses krassen Falles doch etwas wie Mitleid mit dem Opfer fühlt, während Don Giovanni sich spöttisch seines Sieges freut. Aber freilich, auch jenes unheimliche Motiv kehrt wieder, und zwar ergreift es jetzt in rollenden Terzen allmählich Singstimmen und Orchester. Dazu spannt sich ein großes Crescendo an- die Entwicklung scheint mehr und mehr einem Höhepunkt der Erregung zuzutreiben, da biegt sie abermals ins piano um. Ein Stakkato des Orchesters auf einem Motiv von nur zwei Tönen gibt das Schwankende des ganzen nächtlichen Vorgangs mit genialer Feinheit wieder. Echt mozartisch! Er geht den groben dramatischen Explosionen überhaupt gerne aus dem Weg und fühlt vollends hier mit sicherem Instinkt, daß das Schwebende, Romantische der Situation, die weibliche Hingabe und rücksichtslosesten männlichen Egoismus in seiner verführerischsten Form so eigentümlich mischt, dergleichen am allerwenigsten vertrüge. Zugleich deckt er aber damit auch über das Krasse des Vorgangs und über den buffonesken Zug, den der Dichter hineingebracht hat, einen Schleier, nicht um es zu vertuschen, sondern weil er eben mehr dahinter sieht als jener, dem wie allen Alltagsnaturen das als das Wirklichste erschien, was er zuerst sah, und das als das Lebendigste, was am meisten Effekt versprach. Für einen Italiener wäre die Maskerade die Hauptsache gewesen, für Mozart ist es das Spiel der inneren, seelischen Kräfte, ihr Sichanziehen und Abstoßen, umwoben von der geheimen Bewegung der Natur. Wo hätte in diesem Bilde das Dumpfe, Grobe, »Zugkräftige« noch einen Platz finden können?

Über den Zusammenhang des Terzettes mit derCanzonetta (17) ist bereits gesprochen worden. Wiederum stehen wir vor einem Stück Musik des damaligen täglichen Lebens; derartige Serenaden waren in Wien in lauen Sommernächten auf der Straße etwas ganz Gewöhnliches. Auch die begleitende Mandoline war Mozart sicher daher bekannt. Er selbst hatte ja ebenfalls schon Lieder zur Mandoline geschrieben180; in der Oper war sie ihm von Paisiello undGrétry her vertraut181. Die Volkstümlichkeit zeigt sich aber nicht allein in der Instrumentation, sondern auch in der einfachen[431] Form des Strophenliedes182 und der streng symmetrischen Gliederung der Perioden183. Alles das ist auf die Kammerzofe berechnet. Trotzdem handelt es sich nicht um das nächste beste Gassenständchen. Sei es, daß man an ein bekanntes oder an ein von Don Giovanni erst improvisiertes Ständchen denkt – seine eigene Gefühlswelt verleugnet sich auch hier keineswegs. Ein Lied von solcher berauschenden sinnlichen Glut kann überhaupt nur er singen. Der Anklang an das Terzett aber besagt allein, daß Don Giovanni sich noch in derselben Gefühlssphäre befindet. Nur bekommt sie durch die volkstümliche Einkleidung eine ironische Färbung, die der übertriebene Text mit »pianto, morire« u. dgl. noch unterstützt. Der Sänger empfindet gewiß, was er singt, aber er freut sich zugleich bewußt seiner Überlegenheit, die ihm in diesem Falle einen leichten Sieg verheißt. Auch dieses übermütige Spiel gehört zu seinem Wesen.

Indessen werden seine Pläne auch diesmal durchkreuzt. Masetto kommt mit seinen Bauern, um nach seiner Art an dem Störer seines Glücks Rache zu nehmen. Der Text treibt hier völlig ins Fahrwasser der opera buffa hinein: der als Leporello verkleidete Don Giovanni, die prügellustigen Bauern – das alles sind oft erprobte Stücke aus dem ältesten Hausrat der Gattung. Don Giovanni wird es natürlich solchen Widersachern gegenüber leicht, die Situation zu beherrschen. Er übernimmt einfach als Leporello die Führung der ganzen Aktion. Diese Arie (18), die er in der Maske seines Dieners singt, ist einer der geistreichsten Einfälle der ganzen Oper. Der Text begnügt sich damit, die äußere Situation zu schildern: Posten werden ausgestellt, der Feind genau beschrieben – ein musikalisch ziemlich magerer Vorwurf. Auch Mozart bedient sich dabei natürlich der Buffosprache und schildert alles Äußerliche mit drastischer Deutlichkeit. Aber er erfüllt dieses Gerüst zugleich mit einem inneren Leben von unerhörter Fülle und Beweglichkeit. Denn Don Giovanni fühlt sich in der Maske Leporellos[432] zwar äußerst behaglich, aber er liebt es auch, mit ihr sein überlegenes Spiel zu treiben und sie immer wieder zu lüften, natürlich ohne daß die dummen Kerle etwas davon merken; er schwelgt geradezu in seiner ironischen Selbstcharakteristik und peitscht die dumpfen Instinkte der Bauern stets aufs neue auf. Vor allem aber bricht immer wieder seine dämonische Gewaltnatur hindurch, die unbändige Lust, diesen Tölpeln, die sich an ihn heranzumachen erdreisten, zu dem ihnen gebührenden Denkzettel zu verhelfen. So ist dieses Stück eine echt Mozartsche Schöpfung, einheitlich und doch von einer fast unerschöpflichen Fülle der Empfindungen. Die äußere Form ist dementsprechend. Die Grundlage bildet die dreiteilige Arie, dazu stellen sich aber auch Züge des Rondos ein, insofern im da capo neue Themen erscheinen, während das Nachspiel wieder auf den Hauptgedanken zurückgreift. Dieser beginnt leise, aber spannend zu einem langgezogenen Hörnerton und Synkopen der Geigen, in energischem Kommandoton, den das Orchester durch herrische Winke unterstützt. Aber schon im 11. Takt wechselt das Bild: in den köstlichen Terzengängen der Fagotte und den Trillerchen der Oboen und Geigen schildert Don Giovanni, zunächst noch ganz im Stile Leporellos, den gewöhnlichen Hergang bei seinen Liebesabenteuern. Indessen scheint bereits in den unheimlichen Synkopen bei »ferite pur« sein eigenes Antlitz hinter der Maske hervorzublitzen184. Dann beginnt, in C-Dur, jene ironische Selbstschilderung Don Giovannis, bei der, wie überhaupt im ganzen Stück, den Instrumenten der Hauptanteil zufällt. Da steht er leibhaftig vor uns mit seinen wallenden Federn auf dem Hut. Aber auch hier reizt es ihn, wieder recht den Teufel zu spielen. Die Stelle:


Don Giovanni

mit dem diabolischen Triller geht weit über den Ton Leporellos hinaus. Auch im Folgenden geht dieses Doppelspiel immer weiter. Drastisch ist, wie er nach der Wiederkehr des Anfangs die Bauern mit gebieterischer Geste an ihre Plätze scheucht, um sich dann in einer charakteristischen Wendung nach der Unterdominante mit Masetto allein zu beschäftigen. Ihm gegenüber tut er sich noch weniger Zwang an. Er hält ihn zunächst sehr bestimmt zurück, um ihm dann in dem bezeichnenden185:


Don Giovanni

[433] in doppelter Oktavlage der Streicher ohne volle Harmonie ganz unverblümt eine Nase zu drehen; auch das schnippische Echo in den Bläsern gehört dazu. Immer toller wird der Hohn; das unaufhörlich wiederholte Terzenmotiv c'a wirkt geradezu infam, zumal da es auch vom Orchester in mannigfacher Einkleidung aufgenommen wird. Dem Stück folgt noch ein längeres Nachspiel auf Grund desselben Motivs, mit dem Don Giovanni am Anfang den Bauern ihre Plätze angewiesen hatte. Die beiden machen sozusagen einen kleinen Patrouillengang in die Nebenstraßen, auf den ihnen die Musik der Arie halb spöttisch, langsam verhallend nachklingt. So verschwindet dieses seltsame Maskenstück, das von allen Beteiligten wieder einen erheblichen Aufwand an mimischer Kunst erfordert, wie ein Spuk im Dunkel.

Bei Masetto aber schlägt gleich darauf das Gewitter, das sich über seinem ahnungslosen Haupt zusammengeballt hat, ein; er bekommt von Don Giovanni die Prügel, wie sich's für seinesgleichen in der opera buffa gebührt. Da erscheint als Trösterin Zerline mit ihrer Arie (19). Sie ist weder entsetzt noch besonders gefühlvoll, sondern hat volles Verständnis für die Komik des geprügelten Bräutigams, dem sie den Denkzettel für seine Eifersucht auch wohl gönnt. Aber alte Liebe rostet auch bei ihr nicht, und das Mittel, mit dem sie ihn zu kurieren verheißt, entspricht durchaus ihrem Wesen. Der Text bringt es denn auch mit der in der opera buffa üblichen Unzweideutigkeit zum Ausdruck. Mozart dagegen geht auf solche Handgreiflichkeiten so wenig ein, wie im Duett zwischen Papageno und Papagena. Er läßt zwar die Sinnlichkeit als Grundton durchklingen, wozu namentlich die weiche Färbung der Instrumentation beiträgt (Flöten, Klarinetten, Fagotte und Hörner ohne Oboen!); auch aus der Melodie mit ihren zärtlichen weiblichen Vorhaltsklauseln186 klingt's wie Verheißung nahen Liebesglücks. Aber er wirft über das Ganze doch den Schleier holdester Anmut, die das Allzumenschliche überhaupt nicht aufkommen läßt, und verwandelt auch hier mit der Hand des Genies Natur in Kunst. Alle grelleren Lichter fehlen, kaum einmal wird die Grundtonart flüchtig verlassen. Die Arie besteht aus zwei Teilen. Der erste, nach Ausdruck und Gliederung der Themen durchaus volkstümlich gehalten187, bringt die Grundempfindung des Ganzen zum Ausdruck, er enthält eine Menge musikalischer Liebkosungen, wie gleich die Cellophrase des dritten und vierten Taktes, die zahlreichen kleinen Trillerchen und vor allem die entzückende Sprache der Bläser, deren Behandlung in diesem Stück einen besonderen Genuß gewährt. Der zweite, auf den langen Liebesblick mit der Fermate folgende Teil greift textlich und musikalisch auf das seit Pergolesis Tagen immer neu variierte Bild des[434] klopfenden Herzens zurück. Aber auch hier ist Mozart die Tonmalerei nicht die Hauptsache. Er verstärkt, wie schon die Unisonofigur der drei Bläser über dem zitternden Orgelpunkt beweist, das sinnliche Drängen Zerlines ganz entschieden, wie überhaupt dieser zweite Teil als beträchtliche Steigerung des ersten gedacht ist. Die Instrumente übernehmen die Führung; eine geniale Stelle ist z.B. gleich das sanfte Herabstreicheln der Violinen in Oktaven gegenüber dem pochenden staccato der Bläser. Aber auch in der Singstimme steigert sich der Affekt mit dem nach der Septime hinaufstrebenden Motiv, das schließlich bei dem letzten »sentilo battere, toccami quà« auf der genannten Orchesterbegleitung die Sehnsucht kaum mehr zu bezwingen scheint; bei dem wiederholten »quà!« stellen sich wieder die kosenden Triller des ersten Teils ein. Aber weiter geht Mozart mit diesem sinnlichen Zuge nicht: ein schalkhaftes Stakkatogeschaukel der Bläser noch, und die Grazie behält die Oberhand. Das Stück endet mit einem überaus warmen Ausbruch des ganzen Orchesters, das hier die Themen beider Teile miteinander verbindet und dann, wie so häufig bei Mozart, im pp verhallt.

Das Sextett (20) schließt diese Buffoepisode des zweiten Akts ab. Mit seinen nächtlichen Verwechslungen, der Schürzung des »imbroglio« durch den Hinzutritt immer neuer Personen gerade im kritischen Augenblick und der Bedrohung des geängstigten Schelms gibt es sich dichterisch gleichfalls als echtes Erzeugnis dieses Geistes kund. Da Pontes Ausführung entspricht dem durchaus, namentlich auch darin, daß er die Wirkung des »imbroglio« auf die Beteiligten im zweiten Teil mit ganz allgemeinen, abgegriffenen Phrasen abmacht. Hier war für die Italiener der Platz für einen sprühenden und namentlich auch musikalisch dankbaren Ausklang der ganzen Verwicklung.

Mozarts Komposition dieser Szene hat von jeher die größte Bewunderung erregt. Die ihm eigene Verschmelzung von Tragik und Komik feiert hier einen ihrer glänzendsten Triumphe. Erhabenes und Lächerliches, tiefste und trivialste Empfindung gehen beständig nebeneinander her. Aber auch dramatisch ist der Satz weit mehr als ein Buffostück. Was bei da Ponte nur ein Mittel gewesen war, seinen zweiten Akt zu füllen, ist bei Mozart ein organisches Glied der großen dramatischen Handlung geworden. Denn der eigentliche, wenngleich unsichtbare Held seiner Komposition ist nicht Leporello, sondern Don Giovanni. Nicht allein weil er durch seinen Diener vertreten wäre, obgleich gerade hier bei dem kläglichen Schiffbruch, den dieser in seiner Herrenrolle erleidet, das Scheinhafte seines Wesens gegenüber seinem Herrn besonders deutlich hervortritt. Aber auch die übrigen stehen fühlbar unter dem Banne Don Giovannis. Zum letzten Male vor seiner Katastrophe vereinigen sich alle seine Widersacher in dem gemeinsamen Hasse gegen ihn, dessen Hand sie auch in dieser neuesten Komödie wittern, aber auch im Gefühl der Ohnmacht gegenüber seiner Dämonie. Es ist der letzte Sieg, den er, ohne es zu ahnen, über seine Feinde davonträgt,[435] ehe ihn sein unersättlicher Drang einer auch ihm überlegenen Macht in die Arme treibt. Die Musik aber, in der sie ihrer Trauer im zweiten Teile Ausdruck geben, rührt mit ihren ergreifenden und sich bis zu verklärter Mystik steigernden Tönen die tiefsten menschlichen Empfindungen auf und erhebt sich über jede Theatralik, auch im besten Sinne, hinaus zu den reinsten Höhen der Kunst. Wahrlich, eine bessere Folie hätte das gewaltige zweite Finale nicht erhalten können als dieses Ensemble, das auch Don Giovannis Feinde zur Höhe echtesten Menschentums emporführt! Neben dieser Entwicklung läuft nun aber beständig das Geschick Leporellos her. Auch von seinem Innern fällt unter dem Drucke der höchsten Not der letzte Schleier: nackt und bloß, als ein erbärmlicher Alltagsmensch steht er da, der um des lieben Lebens willen alles andere preisgibt, selbst die äußere und innere Maske seines Herrn, auf die er doch sonst so stolz war. Genialer konnte das Bühnenrequisit des alten Spaßmachers, dessen Hauptberuf es ehedem gewesen war, zwischen Bühne und Publikum zu vermitteln, nicht dem wirklichen Drama eingegliedert werden. Ein feiner Zug ist es überdies, daß Leporello nach seiner Entdeckung den übrigen immer gleichgültiger wird. Sie haben mit dem armen Schächer nichts mehr zu schaffen188.

Die musikalische Gestaltung ist von größter Einheitlichkeit. Wir haben zwei große Teile in derselben Tonart Es-Dur, ein Andante und ein Allegro molto. Um so freier ist der innere Bau, namentlich im Andante. Seine Einheit wird, abgesehen von der Wiederholung einzelner Partien, namentlich durch die Wiederkehr derselben Orchestermotive hergestellt, so daß etwas wie eine frei gestaltete Rondoform herauskommt. Nach einer Einleitung von nur zwei Takten, wie sie Mozart liebt, um den Hörer auf das Folgende zu spannen, beginnt Elvira voll Angst über den finsteren Ort, an den sie der vermeintliche Geliebte geführt hat. Ihr heißes Temperament verleugnet sich auch hier nicht, wie der Septimensprung mit Sforzato im vierten Takt, die uns aus Elviras früheren Gesängen bekannte leidenschaftliche Geigenfigur im siebenten und namentlich der Abschluß mit dem unheimlichen chromatischen Orchesterunisono im elften beweisen; doch hat namentlich der Anfang zugleich etwas Rührendes, das uns sofort zum Mitleid stimmt189. Um so schärfer hebt sich davon die Partie des unsicher umhertastenden und tappenden Leporello ab, der nur einen Gedanken kennt, den der Flucht aus dieser fatalen Lage. Zuerst ist ihm recht bänglich zumute, aber als er endlich die »verdammte Türe« gefunden hat, da erhebt sich im Orchester ein vergnügliches Trillern und Schmunzeln, und mit einem jener vielsagenden Mozartschen Unisonos faßt er den kühnen Entschluß, zu entwischen: man sieht ihn förmlich voll Aufregung auf den Zehen nach dem Ausgang[436] zutrippeln. Aber er verfehlt leider die richtige Türe. Mit einer ebenso raschen wie unerwarteten Modulation (enharmonische Umdeutung von B-Dur als Dreiklang auf der erniedrigten sechsten Stufe von D-Dur) treten Donna Anna und Ottavio mit ihren Fackelträgern ein und vereiteln seine Flucht. Dieses D-Dur wirkt mit seinen hellen Trompetenklängen fast mit physischer Gewalt: plötzlich fällt's wie ein heller Lichtstrahl über die Szene, der nicht nur dem Leporello das Entweichen unmöglich macht, sondern auch alle dunkeln Mächte der Lüge und List verbannt190. Mit der ganzen Innigkeit seines Gefühls, die Ottavios besondere Stärke ist, spricht er der Geliebten Trost zu; es ist dieselbe edle und warme Art der Kantilene, mit der er schon zu Beginn des ersten Aktes als Tröster aufgetreten war. Während die erste Geige nach Buffoart an demselben Motiv festhält, das auch sonst häufig bei Mozart vorkommt, spiegelt die zweite mit ihren Sechzehntelfiguren die tiefe Bewegung seines Innern wider. Aber Donna Annas Schmerz wird erst im Grabe Ruhe finden. Es ist ungemein fein beobachtet, wie sie zunächst auf den Ton des Geliebten einzugehen sucht – bleibt doch auch die Orchesterbegleitung bei ihrer Antwort dieselbe –, wie aber dieser Ton in ihrem Munde sofort ein ganz anderer wird. Nicht allein das d-Moll ist dafür bezeichnend, sondern vor allem die melodische Linie ihrer Anfangsphrase:


Don Giovanni

die schon zweimal, in ihrem ersten Duett und dann im ersten Finale, das Symbol ihrer Herzenswunde gewesen war191, beide Male gleichfalls in d-Moll, ein weiterer Beweis dafür, wie einheitlich Mozart seine Charaktere gestaltet. Der helle Glanz des D-Dur erlischt denn auch alsbald. Donna Annas Kantilene treibt, ganz ihrem Wesen entsprechend, mehr und mehr in ein leidenschaftliches Pathos hinein (man beachte das beredte zweimalige Melisma auf »sol«) und endet in schmerzlichster chromatischer Klage auf c-Moll. Damit beginnt die eigentümlichste Partie des ganzen Teils, die in ihrer Realistik geradezu etwas Fürchterliches hat, denn das Komische ist hier zugleich tragisch und das Tragische streift ans Groteske. Elvira und Leporello treten wieder in den Vordergrund, und zwar mit folgendem Orchestermotiv, das fortan in dem Andante immer wieder auftaucht:


Don Giovanni

Mit seiner chromatisch sich abwärts windenden melodischen Linie und dem[437] zuckenden Rhythmus192 ist es merkwürdig doppeldeutig und schillert sowohl ins Tragische als ins Komische. Tatsächlich begleitet es unmittelbar nacheinander Elvira, deren Los sich hier ins Tragische wendet, indem sie den vermeintlich wiedergewonnenen Geliebten aufs neue zu verlieren fürchtet, und Leporello, der abermals in gesteigerter Aufregung zu entwischen sucht und schließlich sein früheres Unisonomotiv, aber jetzt bedeutend kleinlauter in Moll, wieder aufnimmt. Man fühlt deutlich, wie die dramatische Entwicklung allmählich einem Höhepunkt zutreibt. Äußerlich tritt er mit dem Auftreten Zerlines und Masettos ein, das unmittelbar Leporellos Entdeckung nach sich zieht. Sofort nimmt auch die Musik einen pathetischeren Ausdruck an193. Alle außer Elvira vereinigen sich zu wilden Rufen nach Rache an dem Verräter. Da tritt zum allgemeinen Erstaunen Elvira für den Geliebten ein: »è mio marito! pietà!« In höchster Angst stößt sie die Worte hervor, begleitet von jenem chromatischen Motiv, dessen tragischer Ausdruck jetzt durch die Führung der Bratschen noch verschärft wird. Ihre Gestalt erreicht in diesem Ausruf wirklich den Höhepunkt der Tragik: ihre ganze heiße Leidenschaft für Don Giovanni, der eigentliche Inhalt ihres Wesens, liegt in diesen wenigen Tönen. Der Widerhall im Herzen der übrigen bleibt denn auch nicht aus. Ihre Homophonie lockert sich zu freierer, zuerst imitatorischer Stimmführung, wobei die einzelnen Charaktere scharf unterschieden werden; das Orchester dagegen hält unentwegt an dem alten Motiv fest. Erst bei dem plötzlichen Forte mit dem Eintritt des ganzen Orchesters schließen sich die Stimmen wieder zur kompakten Masse zusammen und verkünden in dem grausamen, unisonen Septimensprung ihr »morrà!« Nochmals wiederholt Elvira in gesteigerter Verzweiflung ihren Ruf um Gnade: vergebens. Und jetzt erst, als Leporello selbst seine Stimme erhebt, tritt die seit langem vorbereitete, aber immer wieder durch Trugschlüsse hinausgeschobene Tonart g-Moll ein. Auch er entschleiert nun unter dem Drucke der Not sein innerstes Wesen, wie zuvor Elvira. Diesem Ansturm sind seine in Don Giovannis Schule erlernten Künste nicht mehr gewachsen. Er wirft die Maske seines Herrn wie äußerlich, so auch innerlich ab und steht als der klägliche Schelm da, der um das nackte Leben winselt. Das geschieht in geradezu grotesker Weise. Was er da »quasi piangendo« singt, ähnelt mehr einem Geheul als einem Gesang. Es bleibt an einzelnen Phrasen hängen, deren jede zweimal wiederholt wird und die zunächst auf langgezogenen Tönen liegen bleiben. Und doch ist der Ausdruck im einzelnen aufs schärfste wiedergegeben: zuerst das kleinlaute Winseln um Gnade mit seinem chromatischen Umspielen der Tonika, dann das angelegentliche Bekenntnis »quello io non sono« mit der Dominantwendung und schließlich das Wichtigste: »viver lasciatemi per carità«,[438] krampfhaft in die Unterdominante aufsteigend (man achte auf das crescendo!), dann auf der scharf dissonierenden None piano mit dem Septimensprung plötzlich umknickend und schließlich auf Grund dieses Septimenmotivs in ein klägliches Gewinsel ausmündend. Dazu bleiben die Bässe zunächst ganz steif, wie gelähmt, auf langen Noten liegen, die Geigen gehen in Oktaven mit der Singstimme194, in den Bläsern aber rieselt fünfmal hintereinander wie eine Gänsehaut dasselbe weinerliche chromatische Motiv in doppelter Oktavverstärkung hernieder195. Erst beim letzten »per carità« verläßt den Leporello auch seine bisherige orchestrale Stütze, und nur die Oboen, die bisher geschwiegen haben, gesellen sich seiner letzten Bitte zu. Über allem aber schwebt Mozarts Schmerzenstonart g-Moll, die hier gleichfalls in ironischer Färbung erscheint. Auch diese Partie Leporellos findet ihren Widerhall in dem übrigen Ensemble, nur daß es hier von Anfang an geschlossen auftritt. Echt mozartisch ist das sotto voce, in dem sich die allgemeine Überraschung zunächst kundgibt: nur der unerwartete modulatorische Ruck und das veränderte Bild im Orchester offenbaren den Umschlag der Situation. Dieses sotto voce wirkt hier weit wahrer und natürlicher als ein theatralischer Entrüstungssturm im Forte. Erst zwei Takte darauf bricht in scharfer Rhythmik die Empörung über die Täuschung hindurch. Der Gegensatz wiederholt sich eine Tonstufe höher, wobei der gesteigerte Affekt des Wortes »Leporello«! besonders zu bemerken ist. Zum Schlusse des Teils aber stellt sich jenes chromatische Motiv wieder ein, das in höchst poetischer Weise das Schwankende und Gespannte der ganzen Lage noch einmal zusammenfaßt. Befürchten doch alle Teilnehmer eine neue arge List Don Giovannis. Mit einer bangen Frage auf der Dominante von c-Moll schließt das Andante ab.

Das monumentale Molto Allegro gibt die Antwort. Allerdings nicht im Sinne einer befreienden Lösung des seelischen Drucks. Der Urheber der ganzen Situation, Leporello, tritt für die übrigen mehr und mehr zurück. Um so stärker bricht, wie schon bemerkt, bei ihnen das Gefühl der Enttäuschung und Ohnmacht hindurch, das sie bei diesem neuen, unheimlichen Streich Don Giovannis empfinden. Es äußert sich echt mozartisch nacheinander in impulsivem Erstaunen, leidenschaftlichem Schmerz und stiller Trauer. Und gerade auf diese legt Mozart besonderen Wert, wie die getragenen Partien der Singstimmen, vor allem die wunderbare polyphone Stelle der Coda lehren. Da verklärt sich der Schmerz zu tiefster Wehmut über die Tragik des Menschenloses überhaupt. Es sind zugleich Stellen, wo Mozart wiederum statt allen Lärms, der bei seinem Texte so nahegelegen hätte, den stillen Ton tiefster Innerlichkeit vorzieht (sotto voce und piano!). So wird dieser Teil aus einem geräuschvollen Ausklang, wie ihn der italienische Brauch gefordert hätte, zum Höhepunkt des ganzen Sextetts.[439]

Aber auch hier läßt der große Realist die Komik nicht aus den Augen. Er verstärkt sie insofern sogar noch, als er zunächst dem Leporello die Führung übergibt. Denn der beginnt wohl zu merken, daß der Wind zu seinen Gunsten umzuschlagen beginnt, und schöpft trotz aller Todesangst, die er immer noch empfindet, wieder frischen Mut. Die Begleitung, in der, wie so oft bei seinem Herrn, die Flöte mit der Singstimme geht, zeigt deutlich, daß seine Lebensgeister allmählich wieder zu erwachen beginnen. Ja, es glückt ihm sogar, die übrigen mit seinem eigenen verkleinerten Motiv hinter sich herzuziehen196, denn auch bei ihnen herrscht zunächst das Gefühl fesselloser Verblüffung vor. Aber ihr Ausbruch bringt nun wieder ihn selber gänzlich aus der Fassung: in hastigem Geplapper jagt er, abermals unisono begleitet, in einem großen Crescendo nach dem hohen b hinauf. Jetzt nimmt der Gesang des Ensembles dunklere Farben an. Mit voller Wucht übermannt sie (»Che giornata« usw.) der Schmerz darüber, aufs neue dem Unheimlichen preisgegeben zu sein. Und abermals zeigt sich die Wirkung auf Leporello, der natürlich von der eigentlichen Gefühlssphäre der andern keine Ahnung hat, sondern aus allem nur eine fortdauernde Bedrohung seiner Person heraushört. Auch ihm wird's recht unheimlich, aber nach seiner grotesken Art; das lehrt sein parlando auf den beiden Tönen a und b zu den auf engstem Raume miteinander konzertierenden Streichern und Bläsern, die sich ihm wie ein Alp auf die Brust legen. Darauf folgt die erste jener sotto-voce-Stellen mit den herabsinkenden Skalenschauern in den Geigen, ein merkwürdiges Gemisch von Trauer und Beklemmung. Leporello tritt jetzt mehr zurück, behält aber natürlich seine Selbständigkeit und folgt der neuen Wendung, nur auf seine Weise. Wie gebannt bleibt das Ensemble in schweren Rhythmen auf dem Es-Dur-Akkord liegen, bis es ihm, auch musikalisch eine »impensata novità«, ganz unvermittelt den Des-Dur-Akkord im Forte folgen läßt, ein plötzlicher Ausbruch des Entsetzens von niederschmetternder Wirkung. Selbst den Leporello durchfährt's; wie vom Entsetzen geschüttelt stößt er noch nachträglich sein hohes des' heraus. Das Ensemble spaltet sich hier überhaupt in einzelne Gruppen, und innerhalb dieser machen sich wiederum die einzelnen Individualitäten bemerkbar. So löst sich gleich bei Donna Anna die Erstarrung in eine mit höchstem Schmerzensaffekt ins piano niedersteigende breite Koloratur auf. Abermals flammt bei dem wiederholten »mille torbidi pensieri« die Erregung voll empor; diesmal ist es Elvira, deren heißes Temperament seine eigenen krausen Wege geht. Dann wird die ganze große Partie von Leporellos erstem Parlando ab wiederholt, und nun folgt, von einem Trugschluß spannend eingeführt, die große Coda, in der Leporello ganz im Ensemble verschwindet. Hier erhebt die Musik, indem sie den eigentlichen Abschluß immer wieder durch Einschiebsel verzögert, wie bereits bemerkt, den[440] Schmerz ins Verklärte, Mystische, zuerst an der Stelle, wo unter den das f'' festhaltenden Oberstimmen die Bässe das B umkreisen. Hier kommt in der langgedehnten Kadenz mit ihrer strengen, kirchlichen Polyphonie auch das religiöse Gefühl zum Ausdruck. Die folgende Partie mit den abgerissenen Vierteln und der scharfen Betonung des »novità« steigert nur noch den Eindruck des Geheimnisvollen, und gleich darauf erreicht der Satz in der genialen a-cappella-Stelle seinen inneren Höhepunkt: hier liegt die Buffooper meilenfern hinter uns, und sehr bezeichnend ist, daß Leporello daran nicht teilnimmt. Erst in der Schlußpartie tritt er wieder merklich hervor, und so kehrt das geniale Stück schließlich wieder zu der äußeren Situation zurück, von der es ausgegangen war.

Mozart hat in diesem Sextett einen gewöhnlichen Buffospaß zu einem Seelengemälde ausgestaltet, das hoch erhaben über alles, was in der damaligen Oper Tragik und Komik hieß, an die letzten Fragen des menschlichen Daseins rührt. Und abermals ist die Gestaltung nicht nur dramatisch, sondern auch musikalisch vollendet zu nennen. Das Allegro ist ein zweiteiliger Satz mit einer Art von Einleitung und einer Coda. Der Stimmungsgehalt ist so mannigfaltig, daß die Wiederholungen nicht nur nicht als abschwächend, sondern sogar als dramatisch notwendig empfunden werden. Die Gruppierung: Leporello gegen alle Übrigen, wird mit bewundernswerter Symmetrie durchgeführt. Sie tritt nicht nur in der Instrumentation, sondern auch in der Harmonik zutage. Das Ensemble verläßt die Grundtonart Es-Dur niemals197, während Leporello immer wieder nach der Dominante hindrängt, ohne daselbst freilich auf die Dauer Fuß fassen zu können. Das Stück ist überhaupt ein deutlicher Beleg dafür, mit welch geringen harmonischen Mitteln Mozart sehr häufig auskommt. Melodik, Rhythmik, Stimmführung, Orchestration und nicht zuletzt die Dynamik spielen eine weit größere Rolle. Daß er aus dieser Sparsamkeit in der Harmonik nicht etwa eine Regel gemacht hat, beweist das Andante unseres Sextetts mit seiner weit größeren modulatorischen Beweglichkeit. Aber dort handelte es sich auch um eine Weiterführung der Handlung, während der Grundcharakter des Allegros lyrischer Natur ist und eine und dieselbe Grundstimmung in mannigfacher Abschattierung festhält. Vorübergehende Ausweichungen auf einzelne Worte wie »novità« (s.o.) heben die Wirkung der Grundtonart nicht auf, sondern verstärken sie eher.

Leporellos Arie (21) führt die Situation des Sextetts, soweit sie ihn betrifft, zum Abschluß. Der Druck ist von ihm genommen, und alsbald steht der ganze verschmitzte und aalglatte Schlaukopf wieder vor uns. Nur am Anfang scheint ihm der Kopf noch einigermaßen zu brummen, denn die ersten Takte knüpfen deutlich an ein Motiv des Sextetts an. Es ist eine echte Buffoarie, die sich nacheinander an alle an deren wendet und viel »Aktion« erfordert. Die Form ist zweiteilig, mit freier Anordnung der Motive, wobei[441] das verschmitzte Thema von Takt 8 ff. die Hauptrolle spielt und ihm schließlich sogar zur Flucht verhilft. Höchst ergötzlich sind einzelne Episoden, wie »il padron con prepotenza l'innocenza mi rubò« mit dem trotzigen Beginn und der frömmelnden Fortsetzung; auch richtet sich die Musik immer nach dem Charakter der Person, an die er sich gerade wendet. Nur gegen den Schluß, wenn er bei Ottavio angelangt ist, nimmt sie, von dem grotesken Kanon zwischen Streichern und Bläsern ab, ein geheimnisvolles Wesen an. Man glaubt zu sehen, wie er sich allmählich sachte nach der rettenden Türe hintastet und schließlich dadurch entwischt.

Nun hat auch Ottavio erkannt, daß sein Standesgenosse Don Giovanni den Komtur erschlagen hat; er beschließt zur Rache zu schreiten, wozu er als Mann und Kavalier ja auch einzig berufen ist. Daß er ihn freilich den Gerichten übergeben will, mutet uns frostig, wenn nicht gar komisch an. Don Giovanni hat die Ehre seiner Braut angetastet, er hat außerdem den Komtur nicht hinterrücks ermordet, sondern in ehrlichem Zweikampf getötet. Für die Bestrafung erscheint somit nach Kavaliersbrauch nicht das bürgerliche Gericht, sondern allein der gute Degen des Beleidigten zuständig. Daß es freilich nicht minder gefährlich ist, Don Giovanni vor den Richter zu bekommen, weiß Ottavio, wie der Text seiner Arie lehrt, sehr wohl, es fehlt ihm also bei seinem Entschluß keineswegs an Mut. Trotzdem wäre es weit natürlicher gewesen, wenn da Ponte auf die Idee mit den Gerichten verzichtet hätte.

Don Ottavio hat den Erklärern der Oper überhaupt schon viele Schmerzen bereitet198. Daß der Dichter nicht über die Figur eines bläßlichen Sekundariers hinausgekommen ist, liegt auf der Hand. Trotzdem fallen die Mängel seiner Charakteristik im ersten Akte nicht so sehr auf. Er benimmt sich zwar stets passiv, aber durchaus edel und vornehm und gewinnt durch seine innige Liebe zu Donna Anna unsere Teilnahme. Daß er im ersten Finale nicht schon gegen Don Giovanni vom Leder zieht, ist durchaus nicht so widersinnig. Denn er ist von Don Giovannis Schuld da noch keineswegs überzeugt und hat darum auch keinen Grund, diesen wegen des Attentats auf die Bauerndirne vor die Klinge zu fordern199. Im zweiten Akt ist freilich er es in erster Linie, der bei dem bereits gerügten Stocken der eigentlichen Handlung die Zeche zu bezahlen hat. Er verblaßt mehr und mehr zum[442] weichen Tröster und Liebhaber und kommt mit seinem endlichen Entschluß zur Tat für unser Gefühl entschieden zu spät.

Daß Mozart die Schwächen dieser Figur nicht zum Bewußtsein gekommen wären, ist ausgeschlossen. Auch er behandelt ihn als Sekundarier, wenn auch nach seiner Art. Das Grundmotiv alles Handelns ist bei seinem Ottavio die Liebe, wie bei Don Giovanni, aber während sie bei diesem alle Lebenskräfte bis zur höchsten Anspannung entfesselt, lähmt sie sie bei Ottavio ebenso gründlich. Neben seiner Liebe zu Donna Anna haftet kaum ein anderer Gedanke in seiner Seele, und die Schläge des Schicksals, das sich um ihn vollzieht, dringen nur gedämpft wie von ferne an sein Ohr. Darin liegt aber auch der ihm eigene Mangel an energischer Initiative. Wo er dazu gezwungen wird, geschieht es mit dem Verstande, nicht mit dem Willen; es bleibt bei einem rasch verflackernden Strohfeuer, weil das Innerste seiner Persönlichkeit nicht in Mitleidenschaft gezogen wird, und wie immer bei dergleichen Naturen müssen redlich und warm gemeinte Worte die Tat ersetzen. Darin liegt bei dieser zwischen Gestalten wie Don Giovanni und Donna Anna gestellten Figur zweifellos eine bewußte Ironie ihres Schöpfers, die manchen Komponisten zu einem wenn auch noch so leichten Karikieren verleitet hätte. Mozart dagegen fühlt sich auch hier nicht als Richter seiner Geschöpfe. Er läßt diese Gestalt nur durch sich selbst und ihr Verhältnis zu ihrer Umgebung wirken. Er gibt ihr sogar die edelsten und wärmsten Kantilenen der ganzen Oper, die man nur mit den entsprechenden Don Giovannis zu vergleichen braucht, um den Unterschied im Liebeswerben beider zu verstehen. Dabei wird Ottavio niemals im üblen, weibischen Sinne sentimental. Was er empfindet, ist echte, innige Mannesliebe, und seine Schwäche besteht nur darin, daß er von jenem ersten Schwur an von diesem Gefühl so völlig erfüllt ist, daß alle Regungen der Kraft und Energie dagegen verkümmern. Nur der Sinn für die Äußerlichkeiten des kavaliermäßigen Auftretens ist auch bei ihm stark betont. So ist auch er eine wahr geschaute Figur, die dadurch noch in ein besonderes Licht tritt, daß sie mit ihrem Charakter ganz allein in diese Welt wilder Leidenschaften hineingestellt ist. Er steht durchaus nicht als die Verlegenheitsperson inmitten des Dramas, zu der ihn so viele ungeschickte Darsteller machen, sondern als ein organisches Glied der Handlung, das sowohl mit Donna Annas als Don Giovannis Geschick unlöslich verflochten ist.

Die Arie (22) spiegelt sein Wesen noch einmal mit besonderer Treue wider200. Er ist durch die Situation gebieterischer denn je zum Handeln gezwungen und sich des ihm bevorstehenden schweren Kampfes voll bewußt. Dennoch ist seine Liebe abermals sein erster Gedanke201, und er gibt ihr im[443] ersten Teil der zweiteiligen Komposition mit ganz besonderer Innigkeit und Süße, ohne jedes Pathos (andante grazioso ist vorgeschrieben), Ausdruck. Die edle Lyrik, die für seine ganze Partie bezeichnend ist, erreicht hier ihren Höhepunkt. Der Rücksicht auf den Tenor Baglioni verdanken wir offenbar einzelne virtuose Züge, wie das lang ausgehaltene f'202 und die verschiedenen Koloraturen. Indessen treten sie keineswegs selbstherrlich hervor, ja bei der Rückkehr in den Anfang ist der Übergang von der heroischen Stimmung des zweiten Abschnitts zum ersten Thema durch die Koloratur besonders fein ausgedrückt. Aber auch jener Aufschwung zur Kraft ist für sein Wesen bezeichnend. Zwar entfaltet das Orchester eine große Energie, aber die Singstimme bleibt merkwürdig schwankend und drückt jedenfalls die neue Empfindung lange nicht mit derselben Überzeugungskraft aus wie die vorhergehende. Das ist früher203 wohl als ein Mangel der Arie betrachtet worden; tatsächlich paßt es aber ausgezeichnet zum Charakterbild des Mannes. Auch bei der den Ausdruck im einzelnen steigernden Wiederholung dieses Teils liegen die Dinge nicht anders; die Koloratur streift hier mit ihren großen Intervallen sogar den krampfhaften Kulissenstil der Neapolitaner. Um so wahrer greift das Nachspiel wieder auf die weiche Stimmung zurück.

In der Kirchhofszene gewinnt da Ponte den Anschluß an Bertati wieder, der hier manchmal bis in die Diktion hinein kopiert wird. In Don Giovannis Schicksal spinnt sich jetzt die entscheidende Wendung an. Sie erfolgt nicht mehr, wie bisher, durch einen Zusammenstoß mit der irdischen Welt, der sich der dämonische Held stets als überlegen gezeigt hat. An die Stelle der Liebesabenteuer tritt ein neues Motiv, der Frevel an dem Toten204. Einen Bruch mit dem Vorhergehenden vermag darin allerdings nur der zu erblicken, für den sich das Wesen Don Giovannis in seinen Liebeshändeln erschöpft. Aber seine Welt reicht viel weiter: wo sich immer Kräfte des sinnlichen Lebens regen, fühlt er sich als Herrscher. Aus demselben Grunde sind aber auch die der Sinnenwelt entrückten Toten für ihn einfach nicht vorhanden; er empfindet ihnen gegenüber weder Furcht noch Ehrfurcht, und auch der Kirchhof ist für ihn ein Ort wie jeder andere, um seinen Geist in leichtem Geplauder sprühen zu lassen. Nicht übel hat da Ponte hier einen neuen Streich, das Attentat auf Leporellos Geliebte, eingefügt. Da fängt plötzlich die Statue des Komturs an zu reden. Die Musik weist dabei unmittelbar auf das Orakel in Glucks »Alceste205« und über dieses Vorbild hinweg auf Rameau zurück. Dem entspricht die Deklamation auf einem Ton, die außergewöhnliche Orchestrierung und die ganze eigentümliche Art des Pathos. Aber Mozart wahrt sich auch hier seine Selbständigkeit. Sie liegt[444] nicht bloß in dem Wechsel der Takt- und Tonart, sondern vor allem in der genialen Färbung von Wehmut, die bei aller Starrheit aus den Worten des Geistes spricht; man verfolge im zweiten Adagio nur einmal die chromatische Linie des ersten Fagottes. Auch der harmonische Gang entspricht dem: der Geist beginnt in dem tragischen d-Moll und schließt in g-Moll206!

Damit tritt eine Macht in Don Giovannis Leben ein, die seiner eigenen, der sinnlichen Welt, entrückt ist, ein Dämon, wie er, nur daß er nicht an die ihm gesteckten Grenzen des Menschentums gebunden und ihm deshalb von Anfang an überlegen ist. Daß der Geist nicht als Bote der sittlichen Weltordnung im gewöhnlichen Sinne eingreift, wurde schon öfter bemerkt, und es wäre verfehlt, den dramatischen Gang dieses Stücks noch an seinem gewaltigen, letzten Höhepunkt moralisch verdünnen zu wollen. Gewiß liegt in dem Untergang Don Giovannis ein sittliches Moment, aber im weiteren Sinne einer Wertung der Wirklichkeit. Es wird keine Schlußmoral verkündet, sondern der Entscheidungskampf zweier ungeheurer Gewalten geschildert. Wir fühlen den letzten Zusammenhang auch des leidenschaftlichsten und bewegtesten Menschendaseins mit dem Ganzen der Welt, die Einheit von Schicksal und Mensch.

Bei Leporello rufen die Worte des Geistes sofort abergläubische Furcht hervor. Don Giovanni dagegen, der kein Jenseits kennt, hält das Ganze für den Scherz eines Draußenstehenden, auf den er mit seiner Einladung in guter Laune eingehen will. So wird auch die letzte Katastrophe ganz buffomäßig eingeleitet und die Ironie noch dadurch verstärkt, daß Leporello, den schon die blasse Furcht gepackt hat, die Statue einladen soll. Das gibt den äußeren Anlaß zu dem merkwürdigen Duett beider (24), an dem schon die Tonart E-Dur mit ihrer stechenden Schwüle auffällt. Für die romantische Oper hätte hier wohl der dunkle genius loci und das Schreckhafte der Situation durchaus im Vordergrund gestanden. Gerade damit aber hält Mozart sehr zurück und läßt es nur an der äußersten Peripherie erscheinen. Sein überirdisches Wesen hat der Mann von Stein im Vorhergehenden deutlich genug enthüllt, im Finale wird er die ganze Szene beherrschen – hier im Duett sollen den Zuhörer allein Leporello und Don Giovanni beschäftigen. Der Beginn scheint sogar dem Don Giovanni Recht zu geben, der das Ganze als belustigendes Gaukelspiel auffaßt. Leporello zwingt sich wieder zu dem Ton des Haushofmeisters, mit dem er schon im ersten Akt die drei Masken eingeladen hatte. Allerdings ist schon sein Zusammenknicken im vierten Takte verdächtig, und vollends im Nachsatz mit dem Septimensprung207:
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Don Giovanni

ist's mit seiner Fassung zu Ende. Voll Ungeduld herrscht Don Giovanni den Feigen an, dessen Ängste ihm zusehends mehr Freude bereiten. Nochmals beginnt, jetzt in dem steigernden H-Dur, Leporello seine Anrede, aber bedeutend kleinlauter, wogegen sein Schrecken um so mehr wächst. Da sieht er den Degen seines Herrn blitzen und rafft in der Todesangst, wiederum in einem Streicherunisono, seine letzten Kräfte zur dritten Anrede zusammen, die sich in besonders spannender und grotesker Weise vollzieht208.[446] Die Bässe setzen aus, von einem pochenden Orgelpunkt auf der Dominante von H-Dur in den Bratschen hebt sich ein kurzes flüsterndes Motiv in den Geigen und dann mit einem sprechenden Synkopenruck auch in den Bläsern ab. Später teilen sich sowohl Geigen als Bläser, und es kommt zu Vorhalten von ganz eigentümlicher Schärfe. Leporello selbst aber hat alle Würde vergessen, er stammelt seine Anrede nur auf zwei Tönen heraus, und als er vollends die Statue nicken zu sehen glaubt, da faßt ihn eiskaltes Entsetzen. Bei diesem Trugschluß auf G nimmt auch die Musik mit einem Male aus der Buffosphäre einen Aufschwung ins Ernste, der merklich auf das Finale vorausweist. Auf Don Giovannis ungestümes Drängen rückt Leporello mit seiner Wahrnehmung heraus (»colla marmorea testa« usw.), wobei er, vom Schreck übermannt, getreu das Nicken nachahmt. Don Giovanni parodiert ihn alsbald mit schneidendster Ironie, aber dann regt sich bei ihm die alte Energie: ob Scherz oder Ernst, er muß der Sache auf den Grund kommen. Seine von dem unheimlichen Trugschluß auf C-Dur eingeleitete Anrede an die Statue reißt auch ihn aus dem Buffoton heraus209 und läßt ihn Töne der Kraft finden, die bereits an sein späteres heroisches Auftreten dem Geiste gegenüber gemahnen. Diese unerwartete Modulation schafft tatsächlich eine ganz andere Atmosphäre. Der prickelnde Buffogeist scheint verflogen210, nur auf die beiden Hörner gestützt beantwortet die Statue die mit emphatischer Dominantwirkung vorgebrachte Frage mit ihrem »sì« auf der Tonika. Das ist alles, was Mozart zur Wiedergabe des[447] Unerhörten hier für notwendig erachtet: die Statue soll vor allem durch ihre Stimme wirken. Aber jener Hornruf zieht sich wie ein schweres Schicksal in das Folgende hinein und ruft auch die übrigen Bläser auf den Plan. Das unvermutete Hinzutreten der großen Unterterz C, die hier so ganz anders wirkt als elf Takte zuvor, namentlich weil sie die Harmonie ganz im unklaren läßt, verstärkt den unheimlichen Ein druck bedeutend – selbst Don Giovanni kommt von seiner sich ziemlich unsicher hin und her windenden Phrase nicht los. Aber schon schleicht sich auch das Buffoelement wieder ein, das den Satz von jetzt an in ein seltsam zwiespältiges Licht rückt. Während Don Giovannis Gedanken bereits bei den kommenden Tafelfreuden weilen und Leporello nichts sehnlicher wünscht, als von diesem Ort des Grauens wegzukommen, erhebt sich im Orchester ein merkwürdig erregendes Prickeln und Flimmern, das mit seiner nervösen Hast die aufs äußerste gespannte, zwischen Grauen und toller Lustigkeit schwankende Stimmung auf die Spitze treibt und schließlich mitsamt den beiden im nächtigen Dunkel verschwindet211. Man darf Mozarts Auffassung nur mit der Gazzanigas vergleichen, in der das Grauen des Ortes nur als pikantes Illusionskunststück auftritt, oder mit ähnlichen Szenen der späteren Romantiker, in denen es im Sinne der Naturromantik als die Hauptsache behandelt wird, um ihre ganze Genialität zu erkennen. Das Psychologische steht durchaus im Vordergrund, die Geisterwelt ragt nur so weit herein, wie nötig ist, um die beiden Personen in jene eigentümlich prickelnde Erregung zu versetzen, die uns auf den weiteren Gang des Verhängnisses im höchsten Maße spannt, ohne jedoch dessen übermenschliche Gewalt hier schon vorwegzunehmen. Auch formell ist das Stück sehr merkwürdig; es folgt dem Gang der Szene in durchaus freier Weise, und nur Leporellos Septimensprungmotiv erweist sich durch seine häufige Wiederkehr, und zwar in immer neuer Gestalt, als eine Art Bindeglied. Auch die Harmonik entspricht durchweg jener Grundauffassung: der grelle Glanz von E-, H- und Fis-Dur wird nur an den Höhepunkten, die auf den letzten Konflikt vorausweisen, vorübergehend durch schwere, unheimliche Schatten getrübt.

Die folgende Szene Donna Annas (25) ist dramaturgisch zweifelsohne eine Schwäche der Oper. Sie wurde wohl eingeschoben, um Zeit für die Aufstellung des letzten, ebenfalls die ganze Tiefe der Szene beanspruchenden Bühnenbildes zu gewinnen. Mozart hat aus dieser Not eine Tugend gemacht, indem er den Lückenbüßer dazu benutzt, unmittelbar vor Don Giovannis Katastrophe auch Donna Annas Charakterentwicklung zum Ende zu führen. Er gewinnt dadurch zugleich auch musikalisch einen äußerst wirksamen Kontrast zum Vorhergehenden wie zum Folgenden. Ottavio freilich bleibt dabei problematischer denn je; seine ersten Worte[448] deuten zwar darauf hin, daß er beim Gericht auch wirklich Anzeige gemacht hat, aber sein eigentliches Fühlen und Denken ist nach wie vor von seiner Liebe zu Donna Anna erfüllt212.

Eingeleitet wird die Arie durch ein Akkompagnato, das nach italienischen Vorbildern213 die Hauptmotive des ersten Arienteils vorwegnimmt. Der Form und Behandlung nach, namentlich durch die fast solomäßige Führung der Bläser und die reiche Anwendung der Koloratur, steht sie der herkömmlichen italienischen Arie näher als alle übrigen Arien der Oper, dient jedoch dessenungeachtet der musikalischen Charakteristik214. Ottavios erneutes Werben weckt in ihrer Seele Töne von ergreifender Zartheit, die die immerhin schwierige Aufgabe, ihm ihre Liebe zu erklären und doch den letzten Wunsch zu versagen, in vollendeter Weise lösen. Das Bewußtsein der Pflicht gegen den ermordeten Vater hat sie auch jetzt nicht verlassen, aber es hat sich, wie bereits gezeigt wurde, allmählich, ohne an innerer Stärke zu verlieren, zu wehmütiger Resignation abgeklärt. Hier trifft es nun mit ihrer Neigung zu Ottavio zusammen und ruft in ihrer Seele einen zart verschwiegenen Konflikt hervor. Eine Natur wie die ihre vermag ihren Lebensinhalt nicht zu teilen: sie kann sich dem Bräutigam nicht voll hingeben, solange der Schatten des Vaters nicht gerächt ist. Das verkündet sie dem Ottavio mit wunderbarem, echt Mozartschem Herzenstakt, der ihre Neigung, aber auch ihre ganze geheime Herzensnot durchklingen läßt. Gleich das Hauptthema mit dem abwärts nach der Quinte führenden Leitton und der Oktavenbewegung in den zweiten Geigen und Bratschen ist von rührender Innigkeit, ohne jede Spur von Empfindsamkeit, und für Mozarts Art bezeichnend ist vor allem auch der ganz neues Material bringende Nachsatz. Hier, wo sie ihm unumwunden ihre Liebe gesteht, erfährt der Ton eine merkliche Steigerung in dem drängenden Paisielloschen215 Orchestermotiv und der Aufnahme ihres Melismas durch die Bläser. Das weiche Seitenthema der Klarinetten leitet auch ihre flehentliche Bitte an Ottavio ein, in deren weiterem Verlauf ihre innere Not in ganz modernen Zungen durchbricht:


Don Giovanni

Die Wiederholung läßt das Seitenthema ganz weg und drängt auch den zweiten Abschnitt des Hauptgedankens stark zusammen, seinen Ausdruck[449] dafür modulatorisch ungemein steigernd. Dann beginnt das Allegretto moderato, das ja nicht zu schnell genommen werden darf. Hier mischt sich ein weiteres Gefühl ein, das durch das Vorhergehende wohlvorbereitet ist: die Hoffnung auf das Mitleid des Himmels mit ihrer Not. Zunächst scheint ihre Seele ganz leise und heimlich in Wallung zu geraten; sehr ausdrucksvoll ist die Fortführung des Streichergedankens durch den affektvollen Bläsersatz. Die Singstimme bringt bald eine Koloratur, die wahrscheinlich durch die Rücksicht auf die Sängerin veranlaßt wurde, aber darum doch nicht vom heutigen koloraturfeindlichen Standpunkt aus einfach verdammt werden darf. Denn sie dient zweifelsohne dem Ausdrucke, und zwar der Hoffnung, die sich da in glitzernden Strahlen aufschwingt und allmählich wieder herabsenkt; auch die beständig im Gleiten befindliche Harmonik mit ihren Trugschlüssen und Quintsextakkordharmonien verleiht ihr etwas Schwebendes, Entrücktes, bis sie schließlich den Quartsextakkord von F-Dur erreicht und diesen nun in voller Schwärmerei auskostet. Es kommt nur darauf an, wie diese Stelle gesungen wird! Gleich darauf, in der Synkopenstelle, kommt übrigens noch einmal die alte Energie Donna Annas zum Ausdruck, die nach einem kurzen Augenblick wehmütigen Bangens den Satz beschließt. Er ist viel verkannt worden, gehört aber ganz notwendig zum Charakterbild dieser Gestalt.

Mit bedeutendem dramatischem Geschick, auch dichterisch, ist das zweite Finale aufgebaut (26)216. Noch einmal sehen wir Don Giovanni und seinen[450] Schatten Leporello, umgeben von allen Genüssen des irdischen Daseins217. Gleich am Anfang umfängt uns in dem glänzenden D-Dur die ganze festliche Atmosphäre eines damaligen vornehmen Prunkmahls. Dann beginnt die bei solchen Gelegenheiten in Wien nie fehlende Hauskapelle, in diesem Falle ein Harmonieorchester, dessen Bläserklang allein schon eine humoristische Färbung erzeugt. Auch hier handelt es sich um einen »musikalischen Spaß«, nur von weit feinerer Art, und es läßt sich wohl begreifen, daß der Einfall dieser Tafelmusik Mozart erst bei den Proben kam218. Die ersten beiden Stücke, die er spielen läßt, sind ziemlich leirige Sätzchen aus den genannten Opern, die sich aber eben deshalb großer Beliebtheit ererfreuten – Mozart kannte das liebe Publikum. Höchst witzig ist ferner die Persiflage der Texte durch Umdeutung auf die gegenwärtige, höchst materielle Situation; wenn die Singstimmen ab und zu mit der Melodie gehen, so klingt das wie eine Verspottung der alten Parodien, wie sie Mozart ja von seinem Jugendnotenbuch her bekannt waren219. Dann aber warten die Musikanten mit dem Figarothema auf. Auch hier wird die Schilderung des jungen Aristokraten Cherubin in sehr ergötzlicher Weise auf den hastig kauenden Leporello und besonders auf das Lob des ausgezeichneten Kochs übertragen.

So geht dem Eingreifen des Überirdischen ein Bild recht irdischen Alltags aus dem Leben eines Vornehmen voraus, über dessen Hauptreizen, Essen, Trinken und Musik, Don Giovanni und sein Diener die Statue längst vergessen haben. Da schlägt beim Auftreten Elviras der Ton jäh um. Die »letzte Probe ihrer Liebe«, die sie dem Ungetreuen geben will und die er ihr durch sein frivoles Benehmen schwerer macht als alle früheren, soll die Warnung vor den Folgen seines Treibens sein, die gerade sie, als die seinem Wesen innerlich am nächsten Stehende, klar voraussieht220. Es ist der alte Molièresche Gedanke: unter dem Drucke der höchsten Angst um das Leben des Geliebten kennt ihre Liebe nur noch den einzigen Wunsch, ihn vor der Vernichtung zu bewahren. Der Gedanke ist ebenso einfach wie schön, und man sollte sich hüten, ihr auch noch eine Gretchenrolle aufpacken zu wollen, die namentlich von Mozarts Gesichtskreis meilenweit abliegt221. Mit richtigem psychologischem Blick hat er deshalb das leidenschaftliche Grundwesen Elviras nicht etwa zu überlegener Resignation abgedämpft, sondern im Gegenteil zu ungeahnter Glut gesteigert – welcher Gegensatz zu der Entwicklung Donna Annas! In atemloser Hast, meist mit abgerissenen Phrasen,[451] die häufig wie bloße Schreie klingen, flutet ihre Melodik dahin, durch Don Giovannis Widerstand immer wieder zu neuer Leidenschaft aufgepeitscht. In keinem Stück der Oper tritt ihre innere Verwandtschaft mit seiner elementaren Natur so deutlich hervor; es ist, als ob sich da noch einmal ein Stück seines eigenen Wesens gegen ihn aufbäumte. Aber auch bei ihm ruft der unerwartete Widerstand alle Kräfte auf den Plan. Seine Überlegenheit äußert sich in eiskaltem Hohn, und nur seine ebenfalls kurz abgerissene Melodik verrät, daß auch er stark erregt ist. Sein Hohn wirkt deshalb um so erschreckender, weil er niemals ins Widerwärtige fällt; er bleibt auch hier stets der überlegene Kavalier. Seinen Höhepunkt erreicht dieser Spott in dem mehrfach wiederholten, sich auch orchestral von dem sonstigen Vollklang durch nackte Zweistimmigkeit abhebenden Thema:


Don Giovanni

Das streift fast an die Sphäre des Gassenhauers222. Man beachte auch, daß Don Giovanni im Texte auf Elviras Worte überhaupt nicht eingeht. Zuerst lädt er sie zum Mitspeisen ein, dann läßt er die Frauen leben – der letzte Rest des sonst hier üblichen Toastes. Musikalisch ist der Satz ein glänzendes Beispiel für Mozarts geniale Freiheit in der Behandlung der Form, einer jener Sätze, die unmittelbar aus der dramatischen Situation herauswachsen und doch die formalen Gesetze der musikalischen Gestaltung niemals verkürzen. Er erreicht dies durch sinngemäße, freie Wiederholung einzelner Hauptmotive, die er immer wieder neu fortspinnt. Ein weiterer Träger der musikalischen[452] Einheit ist das Orchester, das ein Motiv mit dem Rhythmus Don Giovanni in den verschiedenartigsten melodischen Gestaltungen durchführt. Er bildet die Ergänzung zu dem in den Singstimmen meist in gleichen Vierteln wuchtig dahinschreitenden Grundrhythmus. Wird doch im ganzen Stück rein syllabisch deklamiert, mit Ausnahme der beiden Melismen Elviras auf »pietade« und »cangi«, in denen sie mit größter Wirkung ihr ganzes Gefühl wie in einem Brennpunkt zusammenfaßt, und dem dumpfen Gemurmel Leporellos (»Se non si muore« etc.), der hier, wie schon einmal223, mit Elvira wirkliches Mitleid empfindet. Einheitlich ist endlich auch die harmonische Struktur, die im ganzen, wild erregten Satze den Kreis der beiden Dominanten nie überschreitet; erst bei Elviras letztem Schrei gerät auch die harmonische Grundlage gleichsam ins Wanken. Um so mächtiger wirken innerhalb dieser engen Grenzen einzelne Züge, wie z.B. gleich am Anfang das mächtige Aufwärtsdrängen der Bässe mit dem folgenden Orgelpunkt und der entschiedenen Wendung nach der Dominante bei Elviras Melisma. Psychologisch feiner und eindringlicher konnte ihre erste, atemlose Rede nicht wiedergegeben werden. Schon der Eintritt des vollen Orchesters (aber ohne die Trompeten und Pauken des festlichen Finalebeginns) ist nach der vorhergehenden Harmoniemusik von schlagender Wirkung. Aber auch die Dynamik ist bemerkenswert. Der ganze Satz ist besonders reich an jähen Umschlägen von ƒ und p, an Sforzatos und kleinen, in ein Piano auslaufenden Crescendos; es ist die echt Mozartsche, auf Mannheimer Grundlage erwachsene Sprache der starken Leidenschaften. Nur einmal erfolgt eine schärfere Crescendospannung: in jener erschreckenden Stelle, wo Elvira ihre Anklage gegen Don Giovanni elf Takte lang auf f'', zuerst mit seiner unteren Oktave, hinausschreit, während er voll Übermut seinen Preis der Frauen wiederholt. Hier ballt sich der Konflikt zu einem furchtbaren Höhepunkt zusammen; auch das ganze Orchester ist in wilder Erregung, und um so schneidender wirkt der zynische Hohn des Folgenden (s.o.). Auch dem Leporello wird diese Haltung seines Herrn zuviel. Er nähert sich durch seine Teilnahme Elvira, und seine Achtelpartie im Anschluß an die Wiederkehr des Anfangs zeigt deutlich den Eindruck, den dieses gewaltige Schicksal auf seine Seele macht.

Mit Elviras Schrei ändert sich das Bild. In erregtem chromatischem Anstieg stürmt das Orchester auf den verminderten Akkord auf H los, der sowohl durch sich selbst als durch die mit ihm verbundenen Synkopen unmißverständlich auf die folgende Geistermusik vorausweist. Das Ganze wiederholt sich eine Stufe höher und führt uns bereits bis an die Pforten der Schicksalstonart d-Moll. Aber noch ist's nicht Zeit dazu: zwischen die beiden entscheidenden Sätze schiebt der Meister der Gegensätze noch einmal die komische Figur ein224. Der F-Dur-Satz mit seinem hämmernden[453] Orgelpunkt, dem Zittern der Geigen und der chromatischen Sextenbegleitung der Bläser lenkt zwar die Erregung aus der Bahn seines Vorgängers heraus, steigert sie aber noch wirksamer als jener, weil das Tragische hier in komischer Form dargestellt ist. Wie anders drückt sich außerdem Leporellos Angst hier aus als z.B. im Sextett! Das Grauen hat seine sonst so flinke Zunge völlig gelähmt, und um so härter heben sich die heftigen Zwischenrufe Don Giovannis von seinem Gestammel ab. Nach dem Pochen des steinernen Gastes mit den Schauern zwischen den einzelnen Schlägen ergreift Don Giovanni in einem finsteren Unisono, in dem ihm die Erinnerung an seine Einladung erst wiederzukehren scheint, selbst die Initiative, während Leporello mit derselben Melodie unter den Tisch kriecht.

Nach dieser meisterhaften Vorbereitung, die den Hörer von dem lärmenden Treiben des Alltags über alle Höhen und Tiefen menschlicher Leidenschaft hinweg bis an die Pforte des Ewigen führt, tritt nun unter erschütternden Klängen225 der steinerne Gast auf. Die Macht, die sich in ihm symbolisiert, ist von Anfang an Don Giovannis Sphäre entrückt. Sie kennt keine irdischen Leidenschaften, weder Zorn, noch Mitleid, noch Liebe. Der elementare Lebensdrang, der Don Giovanni bisher überall zum Siege geführt hat, ist diesem Gegner gegenüber machtlos, und so ist die Entscheidung in diesem Kampfe zwischen Dämon und Dämon von vornherein nicht zweifelhaft. Trotzdem erhebt sich Don Giovanni durch die bis an die letzten Grenzen seiner Kraft gehende Energie, mit der er seine ganze Persönlichkeit einsetzt, zu voller tragischer Größe. Auch im Untergang ragt er über das menschliche Maß hinaus, und wir sind erschüttert durch die Gewalt und Furchtbarkeit des Geschehens als solchem, ohne dahinter erst den Fingerzeig der göttlichen Gerechtigkeit suchen zu müssen.

Über den allgemeinen Charakter der Musik ist bereits bei der Ouvertüre gesprochen worden. Das schwere Pathos des Komturs mit seinem ehernen Rhythmus und der bald auf einem Ton verweilenden, bald in gewaltigen Intervallen sich bewegenden Melodik ist Gluckschen Geistes, dem Mozart[454] sich schon im »König Thamos« genähert hatte226. Gestützt wird sie beständig durch den lastenden Rhythmus Don Giovanni, bald im Orchester, bald im Basse allein, sowie durch die Begleitung des vollen Orchesters, das nur auf kurze Strecken aussetzt, um dann gleich mit verdoppelter Wucht wieder einzufallen, wie z.B. bei der Stelle »non si pasce di cibo mortale« mit dem fremdartigen, herben Unisono, und dann bei den Worten »dammi la mano in pegno«, deren geheimnisvoller g-Moll-Akkord sich plötzlich zum wildesten ff emporreckt. Dabei ist dieses Orchester in sich auf das mannigfaltigste abschattiert. Die auf und nieder rieselnden Skalen z.B., die wir schon aus der Ouvertüre kennen, entfalten jetzt erst, bei den Worten »altre cure più gravi«, ihre ganze Ausdrucksgewalt und lassen, gestützt auf eine ungewöhnliche drängende Harmonik, den Hörer alle Schauer des Ewigen ahnen.

Den stärksten Kontrast dazu bildet die Partie Don Giovannis. Seine Betroffenheit über den unheimlichen Gast, den er vorher noch für ein Trugbild gehalten und ganz vergessen hatte, spiegelt sich deutlich in den Synkopen und der raunenden Figur der zweiten Geige wider und pflanzt sich in gesteigertem Grausen auch noch auf den zitternden Leporello fort. Aber gleich bei seiner zweiten Entgegnung trennen sich ihre Wege: während Don Giovanni, freilich immer noch mit etwas krampfhafter Energie, den Geist nach seinem Begehren fragt, beginnen dem Leporello in der Triolenstelle schon die Zähne zu klappern. Überhaupt ist die Rolle, die der winselnde Alltagswicht in diesem Kampf auf Leben und Tod spielt, wohl die höchste Leistung von Mozarts Kunst, Tragik und Komik zu verschmelzen, ein Mittel von grauenvoller Tiefe, das Tragische in komischer Form darzustellen. Plappert Leporello doch nicht bloß zwischen die Worte seines Herrn, sondern auch noch zwischen die des Geistes hinein. Immer stärker wird das Drängen des Komturs. In dem mächtigen chromatischen Aufstieg über den kühnsten Harmoniefolgen scheint seine Gestalt ins Riesengroße zu wachsen, und abermals jagt es wie ein Schauer über Don Giovanni hin227. Aber gleich darauf ermannt auch er sich zu voller Größe. Während der Geist in fürchterlichen Intervallen228 sein »risolvi! verrai?« singt und Leporello abermals sein unbeschreibliches:


Don Giovanni

dazwischenwirft, gibt Don Giovanni in jener merkwürdig streng gehaltenen,[455] punktierten Orchesterpartie seinen letzten Entschluß kund. Hier bricht mit voller Wucht der Don Giovanni hervor, den man über dem Mädchenverführer meist vergißt: der Held des unbändigsten sinnlichen Lebenstriebes, der die Selbstvernichtung der freiwilligen Aufgabe auch des kleinsten Teiles seiner Kraft vorzieht. Nach diesem Entschluß beginnt das Più stretto, für das Mozart seine höchsten Trümpfe aufgespart hat. Die Gestaltung wird hier merklich anders schon dadurch, daß Rede und Gegenrede sich jetzt in kurzen Sätzen, ja schließlich in bloßen wilden Rufen folgen. Der punktierte Rhythmus klingt nur noch in dem Gesang des Komturs und – Don Giovannis an, der hier nach Überwindung eines abermaligen kurzen Schauers sich im Augenblicke seiner höchsten Kraftanspannung der Ausdruckssphäre seines übermenschlichen Gegners nähert. So nimmt der Kampf beider Gewalten ein über alles Irdische hinausreichendes Maß an. Was sich hier vollzieht, ist weit mehr als die Bestrafung eines Verbrechens, ein elementares Schicksal, das mit der Wucht eines Gewitters über uns dahinrollt. Das Bläserorchester begleitet denn auch über dem Streichertremolo mit grausigen Schlägen auf Paukenwirbeln. Unten im Basse aber stürmen unablässig gewaltige Skalen in die Höhe. Sie mögen gewiß zunächst an die analoge Stelle im Zweikampf des ersten Aktes gemahnen229, unterscheiden sich aber von dieser doch sehr stark nicht allein durch das Fehlen der Imitation, sondern auch durch den folgenden charakteristischen Septimensprung


Don Giovanni

so daß man nicht an einen absichtlichen Anklang denken darf. Auch hier arbeitet die Dynamik mit den schärfsten Gegensätzen, ohne jedes Crescendo; nur der Wechsel von f und p wird im Verlaufe rascher. Leporello ruft in diesem Teil, kurz vor der Entscheidung, nur noch einmal in höchster Angst sein »sì! sì!« dazwischen. Gleich darauf fallen die zwei mächtigen Schläge von Don Giovannis letztem »no!«, gefolgt von dem unheimlichen pp-Unisono des Geistes vor seinem Verschwinden. Es ist die letzte und höchste Zuspitzung des Konflikts. Das Allegro läßt bereits die Stimme des Inferno vernehmen, vertreten durch einen unisonen Männerchor Gluckschen Stils. Im Basse dröhnt am Anfang noch der punktierte Rhythmus des Geistes nach, dann aber gibt sich das Orchester mit seinen flammenden Figuren und wild zerrenden Synkopen ganz der Schilderung des Aufruhres in der Natur hin. Daß die Natur nunmehr auch noch ihre Stimme erhebt, bedeutet weit mehr als eine äußere Steigerung. Das Finale bekommt dadurch, man möchte fast sagen etwas Mythisches, und mit Grauen empfinden wir die Einheit von Schicksal, Natur und Mensch. Nach Don Giovannis Verschwinden legt sich in einer schönen plagalen Wendung der Sturm, dessen Wut nur noch in der chromatischen Führung der Mittelstimmen[456] leise nachzittert. Dann geht's in mächtigem Crescendo auf den D-Dur-Akkord los, der hier von ganz unvergleichlicher Wirkung ist, freilich nicht im Sinne einer »heiteren« Lösung, sondern kalter, unerbittlicher Majestät230.

Bis auf heute gilt dieser Teil des Finales als einer der nicht zu überbietenden Höhepunkte musikalischer Dramatik überhaupt. Sehr schön und treffend drückt sich Jahn aus231: »Den Ton des Erhabenen, Übernatürlichen, dem wir uns rückhaltslos unterwerfen, hält Mozart während der verhältnismäßig langen Szene so unerschütterlich fest, daß der Zuhörer, den er mit gewaltiger Faust von seinem sicheren Boden emporgehoben hat, in atemloser Spannung, aber ohne Schwindel über dem Abgrunde schwebt.« Nur muß darauf gesehen werden, daß die erschütternde Wirkung der Musik nicht durch allerhand Bühnenspektakel, wie Feuerwerk, Höllenlarven, Brand und Einsturz des Palastes u. dgl. abgeschwächt wird. In Prag selbst verboten dies schon die bescheidenen technischen Mittel des Theaters232, aber bald darauf bemächtigten sich die Theaterdirektoren dieser »dankbaren« Szene und statteten sie mit allerhand grobem, den volkstümlichen Spielen entstammendem Geschütz aus233; noch später ließ man die in der romantischen Oper erprobten Maschinenkünste spielen, das Haus Don Giovannis einstürzen und dafür den Kirchhof mit der Reiterstatue wieder erscheinen usw.

Zum Teil hängt das mit der Frage zusammen, wie man sich zu den nun noch folgenden Sätzen des Finales verhält. Daß diese nach der Geisterszene einen schweren Stand haben, ist bald gefühlt worden. Der Originalpartitur liegt ein Kürzungsversuch bei, der das Larghetto, soweit es die einzelnen Personenverhältnisse angeht, ganz beseitigt234. Mozart trug sich also sicher schon in Prag mit dem Gedanken, die Szene wenigstens zu kürzen. In Wien wollte er die Verfolger noch im letzten Augenblick auf die Bühne bringen und auf den D-Dur-Akkord einen Schrei des Entsetzens ausstoßen lassen. Dann verzichtete er auch darauf; wir wissen nicht, ob dieser Gedanke überhaupt verwirklicht worden ist235. Jedenfalls schloß hier die Oper, wie von jetzt ab fast allgemein, mit der Katastrophe Don Giovannis ab. Eine Ausnahme mit dem vollen Schluß machte noch bis 1836 Dresden236. In der Romantik kamen daneben aber auch höchst unglückliche Versuche auf, den[457] Schluß überhaupt abzuändern. Bei der Pariser Aufführung sah man nach Don Giovannis Sturz den Sarg Donna Annas inmitten von Leidtragenden, wozu das »Dies irae« aus Mozarts Requiem gesungen wurde237. Daraufhin schlug Gugler vor, die Szene in die Grabkapelle des Komturs zu verwandeln und zu dessen Leichenfeier den Chor aus Mozarts Requiem singen zu lassen »lux perpetua luceat ei« (nicht »eis«, »weil es sich nur um eine Person handle«), »domine, cum sanctis tuis quia pius es«, worauf des »passenden« Abschlusses halber das »Osanna in excelsis« folgen sollte238. Nach dem allerneuesten Vorschlag vonSchurig239 endlich stürzt Don Giovanni nach dem Versinken des Geistes mit Leporello auf den Kirchhof, um zu sehen, ob die Statue noch auf ihrem Sockel stehe. Er findet sie auch in phantastischer Beleuchtung. Aus dem Dome tönt frommer Gesang. Don Giovanni, von innerer Glut zerwühlt, stirbt schließlich »ungebeugt« mit einem Preis seines Paradieses, der Liebe, während Leporello »betend in die Knie sinkt«, der Tag anbricht und der fromme Gesang abermals ertönt. Mehr kann man an moderner »Stimmung« wirklich nicht verlangen. Nur bleibt die Musik, die sich der Verfasser dazu denkt, ganz im unklaren.

Dieses Register der Sünden, die an dem Schlusse der Oper begangen wurden, mag genügen, um darzutun, daß auch die Modernen keinen Grund haben, auf ihr sicheres Stilgefühl besonders stolz zu sein. Wir haben kein Recht, Mozarts Meisterwerk durch einen knalligen Schluß, sei es im Meyerbeerschen oder im allermodernsten Geschmack, zu entstellen. Ernsthaft kann es sich doch nur um die Alternative handeln: vollständiger Originalschluß oder Abschluß mit der Höllenfahrt. Dramatisch ist gegen diesen nichts einzuwenden, da man über das Schicksal der übrigen Personen hinreichend aufgeklärt ist und die Oper mit ihrem Höhepunkt abschließt. Allerdings behält so die Tragik, und zwar in ihrer schärfsten Form, das Wort. Die neuesten Bearbeitungen dagegen kommen, den historisierenden und stilkritischen Neigungen unserer Zeit gemäß, wieder auf den vollen Schluß zurück und betonen dabei besonders scharf den Charakter der opera buffa. Das ist von dem sicher richtigen Gefühl eingegeben, daß nach dem schauerlichen Nachtstück ein beruhigender Ausklang der Oper am Platze sei. Indessen ist ein solcher Schluß ohne Zweifel nur dann berechtigt, wenn er das Ganze organisch zu Ende führt. Dazu verhilft uns aber weder die sog. historische Treue, die die Oper in diesem Falle zu guter Letzt noch auf das Gebiet des rein Artistischen hinüberführen würde, noch der reine Buffocharakter italienischen Stils, denn er würde Mozarts ganze Auffassung zum Schluß noch im Sinne der bereits von ihm überwundenen Italiener verengern. Indessen bedarf es gar keiner solchen äußerlichen Hilfsmittel, um diesen Schluß zu rechtfertigen, sobald man nur jene Auffassung Mozarts von seinem Stoffe[458] nicht aus den Augen verliert. Was geht denn in diesen drei Sätzen überhaupt noch vor? Nach dem Sturze des dämonischen Mannes finden sich alle seine Opfer zusammen, schildern den Eindruck, den die Katastrophe in ihnen erweckt, und ziehen daraus, jeder für sich, die praktische Nutzanwendung für ihre eigene Zukunft. Das einzige Gefühl, was schließlich in ihnen zurückbleibt, ist die moralische Genugtuung über den endlichen Sieg des Guten. Da Ponte hat diese Szene, wo die Welt des Alltags über das Ungemeine zu Gericht sitzt, wie wir sahen240, auch völlig ernst gemeint. Wenn dagegen Mozart nach dem nächtlichen Dämonenkampf die liebe Sonne des Alltags wieder scheinen läßt, so tut er das mit dem seiner ganzen Dramatik eigentümlichen ironischen Humor. Am deutlichsten zeigt sich dieser bei den beiden einander so entgegengesetzten männlichen Figuren des Leporello und Ottavio. Jener, an dem das ungeheure Schicksal in nächster Nähe vorübergeschritten ist, ohne ihn auch nur zu beachten, darf nach seiner Art, und nicht ohne Stolz, darüber berichten – er, der Erzphilister, über den Ausnahmemenschen. Ottavio aber setzt nach diesem Bericht wieder mit seinen süßen Liebesmelodien ein, als wäre nichts geschehen, und muß sich von Donna Anna abermals auf ein Jahr vertrösten lassen! Nicht als würden damit sämtliche Beteiligten mit einem Male auf dieselbe Stufe gestellt. Sie bleiben vielmehr, wie besonders Donna Anna lehrt, nach wie vor auf verschiedenen Flächen im dramatischen Raume stehen. Aber das Grundgefühl bleibt doch bei allen dasselbe und äußert sich nur in verschiedenen Spielarten. Ja, zum Schlusse kommt es in der kirchlichen Färbung des Prestosatzes sogar noch zu so etwas wie einer Feierstunde des Alltags, die bei dem Gedanken an eine göttliche Vergeltung die Herzen höher schlagen läßt. So blickt Mozart hier wieder einmal mit ironischem Lächeln auf seine eigenen Geschöpfe herab; er fühlt ihre Befangenheiten selbst mit und stellt sie dabei doch von einem höheren, überragenden Standpunkte aus dar241.

So aufgefaßt, verlieren die drei Sätze alsbald den Charakter eines bloß äußerlich angeklebten Anhängsels und schließen die Oper organisch und in echt Mozartschem Sinne ab. Auch der oft gehörte Vorwurf, sie »fielen musikalisch gegen das Vorhergehende ab«, wird damit hinfällig. Die Sphäre, in der wir uns hier befinden, verträgt nun und nimmer einen Höhenflug der Phantasie wie die überweltliche der vorangehenden Szene. Einen wirksamen Schluß hat sich Mozart keineswegs entgehen lassen, aber auch dieser wächst, ganz anders als die übermütigen italienischen Schlußgesänge, aus dem Rahmen des Ganzen in eigentümlicher Weise heraus.

Die drei Sätze hängen deutlich miteinander zusammen. Der erste und dritte dient vorwiegend dem geschlossenen Ensemble, der mittlere den Solisten. Im Grunde genommen ist das das französische Vaudevilleprinzip, nur daß die drei Abschnitte völlig selbständig ausgestaltet sind. Der erste, dessen G-Dur an den vorhergehenden Plagalschluß anknüpft, ist frisch und[459] lebendig gehalten und führt den etwas konventionellen Beginn mehr und mehr ins Individuelle hinüber, zuerst mit der Erzählung Leporellos, in der wirklich noch etwas von den Schrecken der Katastrophe nachklingt, und namentlich bei deren Eindruck auf die übrigen; in den letzten elf Takten übermannt sie ganz deutlich das Grauen. Von bestrickender Lieblichkeit ist das Larghetto, das zunächst Donna Anna und Ottavio in den Vordergrund bringt. Aber die Ironie, mit der Ottavios Liebesglück noch einmal um ein Jahr hinausgeschoben wird, wird noch dadurch verstärkt, daß im unmittelbaren Anschluß daran mit Elviras Worten der Ton mehr und mehr ins Buffomäßige übergeht und bei »resti dunque quel birbon con Proserpina e Pluton« sogar eine parodistische Färbung annimmt. Hübsch ist, wie sich die drei Vertreter des niederen Volkes schließlich in behaglichem Volkstone der »antichissima canzon« zuwenden.

Als es freilich zu deren Vortrag kommt, nehmen ihnen die beiden vornehmen Frauen das Wort vom Munde. Mozart wollte sein Werk durchaus nicht nach italienischen Mustern im Buffotone schließen und die Akteurs vor die Rampe treten und lächelnd die Masken abnehmen lassen, sondern wahrt auch diesen Gegnern Don Giovannis ihr dramatisches Recht in einem der nur ihm eigentümlichen Sätze voll schwungvoller, feuriger Energie, die den Zuhörer unmittelbar packt. Auch der erwähnte Anklang an den strengen Stil der Kirche wird nur so weit durchgeführt, als es die geschilderte Grundauffassung der ganzen Szene erfordert242.

Von den für Wien nachkomponierten Stücken stellt sich gleich die Arie Ottavios (11) dramatisch als ein arger Schädling dar243. Sie steht allein schon mit dem vorhergehenden Rezitativ im Widerspruch, wo Ottavio von seiner Rachepflicht redet, ganz abgesehen davon, daß sie nach der schweren seelischen Erschütterung Donna Annas nicht am Platze ist. Gewiß entspricht ein solcher zärtlicher Liebeserguß an und für sich dem Charakter des Mannes, indessen ist es durchaus nicht Mozarts sonstige Art, derartige Züge so primitiv, ohne Rücksicht auf die Situation, dem Drama einzufügen. Man merkt bereits hier ganz deutlich, daß er jener Wiener Bearbeitung innerlich unfrei gegenüberstand. Wie weit die Rücksicht auf den Sänger oder auf die Vorliebe des Wiener Publikums für schmachtende Liebhaber mitwirkte, mag dahingestellt bleiben. Von jenem Grundmangel abgesehen, ist freilich die Arie einer der schönsten Liebesgesänge Mozarts, eine Verklärung der empfindsamen italienischen Liebesarien, doch ohne jede falsche Sentimentalität.[460] Auch die zweiteilige Form wird mit echt Mozartscher Freiheit gestaltet. Der erste Teil verbraucht den ganzen Text, indem er die echt italienische g-Moll-Partie mit den »sospiri« in den Bläsern als zweiten, steigernden Abschnitt behandelt und dann in einer genialen Modulation über h-Moll zum Anfang zurückführt. Der zweite Teil dagegen greift nicht mehr auf die »sospiri« zurück, sondern führt allein den Hauptgedanken mit höchst poetischen Erweiterungen durch. Von schöner Wirkung ist endlich auch die kleine Coda, in der die Singstimme plötzlich mit dem Basse geht.

Nicht besser steht es um die zweite Änderung für Wien, der wir das Duett zwischen Leporello und Zerline »Per queste tue manine« und die bekannte Arie Elviras (23) verdanken; Ottavios Arie (22) fiel dafür weg244. Das Duett ist nicht nur dramatisch fehl am Ort, sondern auch rein musikalisch höchst unbedeutend; kein einziger Zug darin weist auf Mozart hin. Elviras Arie dagegen, dramatisch ebenfalls ein Lückenbüßer und nur im Zusammenhang mit dem ganzen Einschiebsel überhaupt verständlich245, hat musikalisch wenigstens zu einem Satze von eigentümlichem Reize Anlaß gegeben, wenngleich er mit dem Gesamtcharakter Elviras nicht recht harmonieren will. Gewiß ist ihre Wandlung von dem früheren leidenschaftlichen Wunsch, den Geliebten sich wieder zu erringen, zum Mitleid mit dem Verlorenen psychologisch wohl berechtigt. Aber das Ergebnis entspricht der eigentlichen Elvira keineswegs. Diese hätte vielmehr nach gut Mozartscher Art jenen Kampf selbst mit allen seinen Gegensätzen zum Ausdruck gebracht und mit dem ganzen ihr eigentümlichen Feuer durchgefochten, statt sich mit diesem merkwürdig gefaßten Bekenntnis ihres seelischen Leidens zu begnügen. Nur das Rezitativ deutet jenen Konflikt in ihrem Innern an. Ja, die allmähliche Wandlung von heftiger Leidenschaft zu stillem Schmerz246, die in seinem Verlaufe das Hauptmotiv durchmacht, ist ein besonders schönes Beispiel Mozartscher Akkompagnatokunst. Die Arie selbst ist ein voll ausgeführtes Rondo, aber die damit gegebene Möglichkeit von Kontrasten wird keineswegs ausgenutzt. Im Gegenteil, der Satz ist besonders einheitlich dadurch, daß das Hauptmotiv beständig wiederkehrt. Die niemals aussetzende Achtelbewegung verleiht ihm sein eigentliches Gepräge: es ist ein fortwährendes Fluten der Erregung, ohne eigentliches Ziel und ohne Gegensätze. Das Charakteristikum aller dieser Einlagen, die Anlehnung an bereits vorhandene Typen, fehlt auch hier nicht; schon das Hauptmotiv[461] war eine den Italienern sehr vertraute Gestalt247. Der solistische Charakter der Begleitung aber, der im »Don Giovanni« einzig dasteht, weist schon auf »Così fan tutte« voraus.

Die Seccorezitative entsprechen, wie die des »Figaro«, durchaus dem Buffostil und haben somit ihre Hauptmerkmale mit jenen gemein. Ja, verschiedene davon sind noch stärker ausgeprägt als dort, wie z.B. der Ausdruck der Frage durch den Terzschluß in der Melodik (der leichteste Fall), durch Sekundakkord harmonie oder endlich durch Trugschlußwendung mit frei eintretendem Baß248. Neu dagegen und von großer Wirkung ist der Rezitativschluß, der im Basse nicht durch den stereotypen Quintensprung, sondern stufenweise, von der oberen Sekunde die Tonika erreicht (die Tenorklausel der älteren Theoretiker). Auf diese spannende Art leitet Zerline ihre erste Arie und Elvira das Sextett ein. Überhaupt ist die Harmonik der Seccos, dem Charakter des Dramas gemäß, charakteristischer und herber als im »Figaro«. So findet sich z.B. jene Glucksche Deklamation in aufsteigender Sequenzenmelodik über chromatisch ansteigenden Bässen in Partien von wachsender Erregung249 weit häufiger, auch in halb komischem Sinne, wie z.B. am Anfang von II 9, wo alle nacheinander auf den unglückseligen Leporello eindringen. Daneben liebt Mozart in dergleichen Fällen die Sekundakkorde samt Auflösung, deren er nicht selten mehrere aufeinanderfolgen läßt. Charakteristisch für seine Seccoharmonik bei gesteigertem Affekt ist Elviras leidenschaftliche Rede nach ihrer ersten Arie: »Cosa puoi dire dopo azion si nera?« usw. bis zu dem phrygischen Schluß250, und in anderer Weise das kleine Rezitativ vor Ottavios eingelegter Arie, wo der Gedanke des »nero delitto« den sonst sehr seltenen verminderten Septakkord auf den Plan ruft251. Auch seiner B-Dur-Arie geht ein Rezitativ von höchst affektvoller Harmonik voraus. Wenn endlich vor dem Quartett (9) Don Giovanni, nachdem er sich gefaßt hat, mit seiner Freundschaftsbeteuerung Donna Anna gegenüber immer weiter in die B-Tonarten hineintreibt, bis ihm Elvira emphatisch das Wort abschneidet252, so ist das gleichfalls ein sehr wirksamer und sicher beabsichtigter Zug.

Daß die Ruhe der Bässe durch kleine bewegte Motive unterbrochen wird, kommt häufig vor, wenn auch nicht, wie im »Figaro«, auf längere Strecken. Die Minderzahl dient der Verstärkung des Affekts253, die meisten haben die Bedeutung einer musikalischen Gebärde254 oder bereiten einen besonderen Vorgang vor255.

Alle diese Dinge beweisen, daß Mozart auch hier wieder innerhalb der durch den Stil des Seccos gezogenen Grenzen betrebt war, die einzelnen[462] Charaktere auseinanderzuhalten. Typisch dafür ist der Dialog zwischen Herr und Diener auf dem Kirchhof. Das sprudelt nur so heraus (die Sechzehntel überwiegen!), wie Bälle fliegen Rede und Gegenrede hin und her und weisen dabei deutlich auf das lebhafte Gebärdenspiel hin. Nur ab und zu mischt sich ein ironisch gefärbter, stärkerer Affekt ein, wie bei Don Giovannis »Leporello mio caro«. Don Giovanni hat überhaupt seine eigentümliche Art zu deklamieren, die ihn auch im Secco von den übrigen scheidet. Er ist auch hier stets der Überlegene, mag er seine Herrennatur oder seine übermütige Laune hervorkehren. Die dem Secco eigene Neigung, die syntaktisch wichtigen Wörter der Rede auf die Töne des zugrundeliegenden Akkords singen zu lassen, ist bei ihm ganz besonders ausgeprägt, vgl. den Anfang der genannten Szene:


Don Giovanni

Diese einfache, man möchte fast sagen fanfarenhafte Melodie, ist für Don Giovanni charakteristisch. Einmal wird sie sogar sehr ergötzlich von Leporello persifliert (I 15):


Don Giovanni

Don Giovanni

[463] Auch rhythmisch geht es in Don Giovannis Reden besonders bestimmt und energisch zu; Daktylen und Anapäste herrschen vor, und sehr drastisch wirkt es z.B., wenn bei der Durchprügelung Masettos die Partie:


Don Giovanni

gleich darauf eine Tonstufe höher wiederholt wird. Demgegenüber greift Leporellos melodische Linie weit weniger aus, falls er sich nicht gerade als Herrn der Lage fühlt und seinen Gebieter zu kopieren versucht256. Auch rhythmisch hat seine Partie etwas Unruhiges, Plapperndes und bewegt sich mit Vorliebe in Sechzehnteln. Nur einmal, wenn er die Inschrift lesen muß, erhebt er sich zu einem starken Pathos. Von den Frauen hat Elvira im Secco die schärfste Charakteristik erhalten. Der harmonischen Führung entspricht die melodische, die sehr im Gegensatz zu Don Giovannis lapidarer Art ein weit komplizierteres, gewundeneres Gepräge trägt und hie und da unmittelbar an die Konzentik streift. Man vergleiche dazu den Beginn von I 12 mit dem Sprung und der Fermate:


Don Giovanni

In II 3 hat sie auf die Worte »mio tesoro!« sogar einen kleinen Seufzervorhalt257. Auch in ihrer vielgestaltigen, erregten Rhythmik kommt ihr leidenschaftliches Wesen immer wieder zum Ausdruck. Donna Annas Anteil am Secco ist überhaupt nicht groß, sie zieht das Akkompagnato und die voll musikalischen Formen vor. Dagegen tritt Don Ottavios gefühlvolles Wesen ganz deutlich auch im Secco hervor, und ebenso hebt sich Zerlines naives Wesen fühlbar sowohl von Don Giovannis als von Masettos Art ab.

So tragen auch diese Partien das Ihre zur Geschlossenheit des Ganzen bei. Voraussetzung ist dabei freilich, wie immer, daß die Darsteller sich nicht[464] allein vollständig in ihre Rollen eingelebt haben, sondern sich auch gründlich auf die »Aktion« verstehen. Es ist ja freilich richtig, daß das echt italienische Gewächs des Seccorezitativs sich niemals mit demselben Erfolg auf den Boden der deutschen Sprache wird versetzen lassen. Immerhin läßt sich aber bei richtiger Schulung doch bedeutend mehr erreichen, als durchschnittlich auch noch auf den modernen deutschen Bühnen geboten wird. Der früher beliebte Ersatz der Seccopartien durch gesprochenen Dialog aber kuriert das Übel im Stile des Doktor Eisenbart und ist mit Recht in neuerer Zeit fast allgemein aufgegeben worden.

Daß Mozart binnen Jahresfrist zwei Meisterwerke schaffen konnte, die, auf derselben geschichtlichen Grundlage erwachsen, ihrem Gehalt und ihren Zielen nach so himmelweit verschieden sind, wie »Figaro« und »Don Giovanni«, ist einer der glänzendsten Beweise für die Universalität seines Genius. Der »Figaro« entrollt ein trotz allen vorüberhuschenden Schatten im Grunde helles und daseinsfreudiges Weltbild, über dem außerdem noch der Schimmer der versinkenden Adelskultur schwebt, er schließt zugleich eine ganz bestimmte Phase in Mozarts äußerer und innerer Entwicklung ab, die ihren reinsten Ausdruck in den Klavierkonzerten gefunden hatte. Dem »Don Giovanni« dagegen gehen Werke wie die großen Streichquartette voraus, in denen sich der Schwerpunkt des Schaffens merklich vom aufnehmenden Teil, dem Publikum, auf den Schöpfer verschiebt. Das künstlerische Band mit der Außenwelt löst sich; mag auch die Arbeit auf Bestellung weitergehen, bei der Ausführung gewöhnt sich der Meister doch mehr und mehr daran, der inneren Stimme zu gehorchen. Es ist die Zeit, wo er außerdem, bereits leise kränkelnd, sich in sein Inneres zurückzieht und über allerhand Probleme nachdenkt. Mit Recht hat man in neuerer Zeit seinen letzten Brief an den Vater mit den Betrachtungen über den Tod zu der gleichzeitigen Komposition des »Don Giovanni« in innere Beziehung gebracht258. Nur muß man die Oper in dieser Hinsicht als gegensätzliche Ergänzung des Briefes betrachten. Dem Vater stellt Mozart den Tod als gütigen Freund des Menschen dar, während die Musik des »Don Giovanni« alle seine Schauer entfesselt. Man sieht deutlich, daß er damals Stunden erlebte, wo sich allen freimaurerischen Lehren zum Trotz die an der Sinnenwelt hängende, Goethe verwandte Seite seines Wesens regte.

Diese seelische Wandlung erklärt es zur Genüge, daß es ihm jetzt nicht mehr wie im »Figaro« darauf ankam, das Spiel der seelischen Kräfte, das sich in der menschlichen Tragikomödie vollzieht, mit lächelnder Ironie darzustellen. Was ihn nunmehr fesselt, ist das Schicksalshafte jenes Kräftespiels. So gelangt er dazu, alles ins Ungemeine zu erheben, alle Leidenschaften bis zum Zerspringen anzuspannen und sogar die übersinnlichen Mächte zu beschwören, mit denen er damals wohl in mancher stillen Stunde Zwiesprache[465] gepflogen haben mag. Merkt man der Musik des »Figaro« die wärmende Freude ihres Schöpfers an, so entspringt die des »Don Giovanni« einer ungeheuren Energie, die nur ein Ziel kennt, ihren Stoff bis auf das Letzte zu erschöpfen. Man begreift wohl, daß sie die Zeitgenossen befremdete, ja abstieß. Diese Oper war wirklich keine »Belustigung« mehr, auch nicht im besseren Sinne, sondern hielt den Hörer mit ihren wohlberechneten, schneidenden Gegensätzen andauernd in fieberhafter Spannung. Die bis zum Erschrecken harte Deutlichkeit des Ausdrucks spricht allein schon aus der Instrumentation, die merklich von der des »Figaro« abweicht, noch mehr aber aus der Dynamik, die hier wie in keiner zweiten Mozartschen Oper den Hörer erbarmungslos zwischen den grellsten Gegensätzen hin und her schleudert und Übergänge kaum kennt. In grausiger Wildheit stürmt diese Musik über alle Höhen und Tiefen des menschlichen Schicksals weg; sie führt uns in eine Welt, deren düstere Erhabenheit den Herzschlag stocken macht, und gleich darauf in die eng umzirkte, trübe Sphäre des Alltags, die durch die Wahrheit der Schilderung sogar dessen Vertretern im Publikum ein Lächeln abzwingt. Mozarts Kunst, seine Gestalten beständig aufeinander zu beziehen und die von ihnen vertretenen Wirklichkeiten aneinander zu messen, feiert hier ihre höchsten Triumphe; sie offenbart sich ganz deutlich als die Hauptquelle seiner genialen Verschmelzung des Tragischen mit dem Komischen.

Bei allem diesem Streben nach Realistik kommt es aber niemals zu einer Vergewaltigung oder Veräußerlichung des musikalischen Ausdrucks. Viel wurde dem damaligen Hörer zugemutet, aber durchaus nichts Widermusikalisches. Mag die Form häufig auch mit einer Freiheit behandelt werden, die den damaligen Konservativen schwere Stunden bereitete, so kann doch von Formlosigkeit gerade bei Mozart am allerwenigsten die Rede sein. Er machte nur von dem natürlichen Rechte des Genies Gebrauch, für den neuen Inhalt seines Erlebens auch eine neue Form zu finden. Daß er sich dabei voll bewußt blieb, was in seiner Kunst notwendig und zweckmäßig war, versteht sich von selbst. Auch die fessellosesten Ausbrüche der Leidenschaft unterliegen bei ihm dem festen und sicheren Willen zu bilden und zu gestalten und die Natur in Kultur, in die höchste Kunst zu verwandeln. So gelang ihm ein Werk, das sich zu seinen Vorgängern verhält wie Goethes »Faust« zu den älteren Behandlungen der Sage. Die Frage, ob es zur tragischen oder komischen Oper gehöre, die den späteren Erklärern so viel Kopfzerbrechen machte, hat ihn selbst nie berührt. Sie ist überhaupt müßig, denn mag der »Don Giovanni« in seinem äußeren Stil auch noch so viel Berührungen mit der opera buffa haben, so ist er doch weit mehr geworden als das. Die Bausteine mögen dieselben sein, das Gebäude aber, das Mozart daraus errichtet hat, ist sein Werk, das Werk des Genies und damit ein Typus für sich, den in eine herkömmliche Schablone zwängen zu wollen vergebliche Mühe ist.

Teils die Verschiedenheit in der Grundauffassung, teils die bühnentechnischen Schwierigkeiten der Aufführung haben es verschuldet, daß diese[466] Oper so viel »bearbeitet« worden ist wie wenig andere259. Einen Teil dieser Versuche, die den Schluß betreffen, haben wir bereits kennengelernt, andere, die das Werk zu allerhand »wirksamen« Einlagen für das liebe Publikum benutzten, wie z.B. die Schikanedersche von 1792, die die volkstümliche Figur des Pilgers einführte, mögen nur nebenbei erwähnt werden260. Derlei Entgleisungen sind ja heute wohl endgültig überwunden. Ungelöst dagegen ist bis auf den heutigen Tag, wie beim »Figaro«, die schwierige Frage nach einer alle Ansprüche befriedigenden deutschen Übersetzung261. So ziemlich alle Versuche, die hierin gemacht wurden, sind zugleich mit mehr oder minder einschneidenden »Bearbeitungen« verbunden gewesen. Die ältesten Übersetzungen von Schmieder, Spieß, Girzik, Neefe und Schröder sind uns bereits begegnet262. Die erfolgreichste der früheren war die von Fr. Rochlitz, erschienen 1801 zu Leipzig, die auf Neefe und Schröder fußt und in ihrer Geschmacklosigkeit ein Musterbeispiel dafür ist, wie leicht man es in jener Zeit mit dem Übersetzen nahm263. Von den späteren seien noch genannt: die von W. Viol in Breslau 1858, A.v. Wolzogen in Schwerin 1860, Bernh. Gugler in Breslau und Franz Grandaur in München 1871264. Diese beiden sind die ersten, die nicht nur den sprachlichen Ausdruck zu heben, sondern auch dramatisch Ordnung und Logik wiederherzustellen suchten. Auf die Übersetzung von Karl Niese 1872 (für die Gesamtausgabe) folgte 1886 in Wien die bisher gelungenste von M. Kalbeck265, der sich namentlich Don Ottavios anzunehmen gesucht hat. Kalbecks Übersetzung war angeregt durch den Zusammentritt einer Kommission deutscher Bühnenleiter unter dem Vorsitz von Perfalls-München, die sich zur Aufgabe setzte, einen authentischen Text der Oper für alle deutschen Bühnen herzustellen; Grandaurs Fassung sollte dabei zugrundegelegt werden. Der Versuch hatte noch weniger Erfolg als der ähnliche im Jahre 1913; es scheint nun einmal unabwendbar, daß fast jede größere Bühne heutzutage ihre eigene Don-Juan-Bearbeitung hat. In den neunziger Jahren folgte eine Reihe zum Teil glänzender Neuinszenierungen des Werkes, die alle Errungenschaften der modernen Technik, aber nicht im Sinne äußerer Spektakelwirkung, sondern mit dem Zwecke, die der älteren Aufführungspraxis noch anhaftenden bühnentechnischen Mängel zu beseitigen. Dafür wurde die 1896 zu[467] München durch E. von Possart266 und H. Levi geschaffene Neubearbeitung maßgebend. Sie ging auf die Prager Fassung zurück und verlegte das Ganze aus den großen Opernhäusern in den intimen Raum des Münchner Residenztheaters. Demgemäß wurde auch das Orchester auf den Bestand der Zeit Mozarts zurückgeführt und dagegen die Gesangspartien mit durchweg ersten Kräften besetzt. Ein besonderer Dienst aber wurde dem Werke durch die Lautenschlägersche Drehbühne geleistet, die die störenden langen Zwischenakte beseitigte und dadurch die Wirkung des Ganzen bedeutend steigerte. Die Grandaursche Übersetzung endlich wurde durch H. Levi einer gründlichen Revision unterzogen. Diese Münchner Bearbeitung hat das große Verdienst, das Werk dem alten Opernschlendrian entrückt267 und das Stilgefühl den klassischen Opern gegenüber in den weitesten Kreisen geweckt und gestärkt zu haben. So kamen die reformatorischen Ideen R. Wagners mittelbar auch der Einstudierung der klassischen Oper zugute268. Eine völlig neue Übersetzung des »Don Giovanni« erschien 1904 von E. Heinemann. Sie hat mit der Levischen die Bühnen lange Zeit beherrscht, bis 1913 der Deutsche Bühnenverein ein Preisausschreiben erließ, dessen Ergebnis für alle deutschen Bühnen verbindlich sein sollte. Der Preis wurde der Übersetzung K. Scheidemantels in Dresden zuerkannt269, indessen begegnete dieser Spruch sowohl bei der Kritik als bei einzelnen Bühnenleitern starkem Widerspruch, und zwar nicht mit Unrecht, da auch diese neueste Übersetzung keineswegs dem Ideal einer solchen entspricht. So sind wir nach wie vor auf Kompromisse angewiesen. Von den neuesten Inszenierungen haben die Stuttgarter (Gerhäuser) und die Leipziger (Lert) besonders von sich reden gemacht270.

Fußnoten

1 Das Hauptstück der Literatur über die dichterische Seite ist A. Farinelli, Don Giovanni, Giornale storico della letteratura italiana Turin-Rom, Bd. 27, 1896, S. 1 ff. Vgl. außerdem K. Engel, Die Don-Juan-Sage auf der Bühne, Dresden-Leipzig 1887. G. de Bévotte, La légende de Don Juan, Paris 1911. Über den Ursprung der Sage vgl. die Aufsätze von Zeidler und Bolte in Kochs Zeitschrift f. vergleichende Literaturgesch. N.F. Band 9 und 13 sowie Th. Schröder, Die dramat. Bearbeitungen der Don-Juan-Sage, Zeitschr. f. roman. Philol., 36. Beiheft, Halle 1912. Über die neuere Zeit vgl. H. Heckel, Das Don-Juan-Problem in der neueren Dichtung, Stuttgart 1915.


2 Besonders von Farinelli a.a.O., dagegen Bévotte a.a.O. Gestützt auf die zweite erhaltene Fassung des Stückes mit dem Titel »Tan largo me lo fiáis«? versucht Schröder die Autorschaft sogar Calderon zuzuschreiben. In deutscher Übersetzung von H. Ossig liegt der »Burlador« in Reclams Univ.-Bibl. Nr. 3569 vor.


3 Was es mit dieser »opera tragica in prosa« für eine Bewandtnis hat, bleibt dunkel. Zum mindesten macht es diese Bezeichnung sehr zweifelhaft, daß es sich um eine Oper handelt.


4 Über diesen Titel vgl. Schröder, S. 131.


5 Neu ist die Figur des Pilgers (Eremiten), die sich auch in Molières »Pauvre« und in den deutschen Volksschauspielen findet. Noch in Mozarts Oper wurde diese Szene lange eingelegt, so von Schikaneder in seiner Wiener Aufführung von 1792, Heckel S. 12. Neu ist auch das abstoßende Verhältnis des Helden zu seinem Vater Don Alvaro.


6 Sein Jammerruf bei Dom Juans Tod: »Mes gages! mes gages!« erregte schon bei der ersten Aufführung starken Anstoß. Über das Ganze vgl. M.J. Wolff, Molière, München 1910, S. 346 ff.


7 Das Original erschien erst 1841 im Odeon und 1847 im Théâtre français wieder auf der Bühne.


8 Die Handlung ist hier vorsichtshalber in die heidnische Zeit verlegt, um den »Atheisten« ungestraft prahlen lassen zu können.


9 D. Erskine Baker, Biographia Dramatica, London 1782, II 188.


10 J. Te Winkel, Tijdschrift I 107 ff.


11 C. Heine, Johannes Velten, Halle 1887, S. 37.


12 I 718 f.


13 Dieser Don Philippo tritt zwar bei Dorimond und de Villiers ebenfalls auf, aber als ernste, dem späteren Don Ottavio entsprechende Gestalt. Man hat daraus schon Schlüsse auf die Quellen des verlorenen Wiener Stücks ziehen wollen. Indessen wie käme Prehauser zu dieser ernsten Rolle? Sollte sich hinter dem hochtönenden Namen nicht die Wiener komische Gestalt des Lipperl verbergen? Vgl. auch Müller, Abschied, S. 63. Farinelli, p. 63. Werner, Der Laufner Don Juan, in Litzmanns Theatergesch. Forschungen III, 1891, S. 72 ff.


14 Sonnenfels, Ges. Schr. III 139. Nach Pohl bei J II4 389 hieß der Titel: Das steinerne Gastmahl oder die redende Statue samt Arie, welche Hanswurst singet, nebst denen Versen des Eremiten und denen Verzweiflungsreden des Don Juans bei dessen unglückseeligem Lebens-Ende.


15 Meyer, L. Schröder I 153; II 2, 55, 144.


16 Don Joann, ein Schauspill in 4 Aufzigen. Verfaßt von Herrn appen Beter Metastasia. K.K. Hofboeten. Vgl. Werners genannte Schrift. Metastasio ist natürlich bloß ein Aushängeschild fürs Publikum.


17 Scheible, Das Kloster III 699 ff. Engel, Deutsche Puppenkomödien, 3. Bd., 1875.


18 Ein Stück daraus bei Engel a.a.O.


19 J. Zeidler, Die Ahnen Don Juans, Wiener Ztg. 1886, Nr. 135.


20 Inhalt bei Bulthaupt, Dramaturgie der Oper I 164 f.


21 Memorie I 29, p. 163.


22 Mem. a.a.O.


23 Farinelli, p. 77. Bulthaupt S. 162 f.


24 Perruccis opera tragica (s.o.) mag als ganz unsicher aus dem Spiel bleiben.


25 Dictionn. des théâtres II 540 f.


26 I 529 ff.


27 Mém. sur les spectacles de la foire I 153 f.


28 E.H. Müller, A. und P. Mingotti, Dresden 1917, S. 8 und CXXXIVf. Daß A. Mingotti der Dichter gewesen, ist durch nichts bewiesen.


29 A. Rille, Gesch. des Brünner Stadttheaters, Brünn 1885, S. 28 ff.


30 R. Engländer im Gluckjahrbuch I 1913, S. 71 f.M. Arend, Das Szenarium zu G.'s Ballett Don Juan, NZfM 1905, S. 293 ff.


31 Farinelli, p. 260.


32 Meyer, Schröder II 2, 55, 144.


33 Wiel, Teatri musicali, p. 331.


34 Florimo, Scuola musicale IV 74.


35 Briefwechsel I 406 f. In der Italienischen Reise steht auffallenderweise kein Wort davon.


36 Vgl. A. Schatz, Giov. Bertati, Vj V 261.


37 Wiel p. 403.


38 Schatz S. 260.


39 Grundlegend darüber F. Chrysander, Die Oper Don Giovanni von Gazzaniga und von Mozart, Vj IV 351 ff., wo auch das Vorspiel zum Teil, der Text der Oper vollständig abgedruckt ist. Einige Takte von Gazzanigas Musik bei Chrysander, Franc. Urio, AMZ 1878, S. 577 und Bulthaupt, Dramaturgie, Anh. S. 52 ff. Über einzelnes Chrysander und Gugler, AMZ 1870, S. 69, 110, 126, 132.


40 Chrysander S. 409.


41 Engel a.a.O. S. 126, 242.


42 Da Ponte, Mem. II 1, 28. Chrysander S. 410 f.


43 Die Londoner Partitur besaß Chrysander. Weitere Handschriften befinden sich in Bologna (Bibl. des Liceo musicale), Mailand (Ricordi) und Wien (Bibl. der Gesellschaft der Musikfreunde). Angabe der Handlung nach Jahn.


44 Hier muß das Quartett »Non ti fidar o misera« eingelegt worden sein, welches Cherubini für die Aufführung in Paris 1792 komponierte (Scudo, Crit. et litt. mus. I, p. 181, not. de manuscr. autogr. de Cherubini, p. 12, 101.)


45 Das wurde natürlich je nach der Stadt der Aufführung geändert. Der Toast erfreute sich noch in weit späterer Zeit auch in Mozarts Oper großer Beliebtheit, so brachte ihn in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Stuttgart Don Giovanni regelmäßig auf – Mozart, »den teuren Meister«, aus.


46 Mem. I 2, p. 175 ff.


47 I 374.


48 Chrysander, S. 420.


49 S.o.S. 32.


50 Schurig II 170 f. Schurig weist im weiteren Verlauf sicher mit Recht darauf hin, daß da Ponte in dramatisch ungleich wirksamerer Weise die Erzählung Donna Annas von Don Giovannis Überfall hinter die Erkennungsszene verlegt habe. Dabei tadelt er es aber an Mozart als »die einzige musikalische Schwäche des Don Juan«, daß er diesen Höhepunkt im »Seccorezitativ« behandelt habe. Das ist ein arger Irrtum, denn dieses vermeintliche Seccorezitativ ist vielmehr ein Accompagnato großen Stiles, gehört also gerade der Form an, die sich die damaligen Komponisten für besondere Höhepunkte aufsparten! Schurigs Schlußfolgerung, die Stelle beweise, »daß Mozart kein zielbewußter Dramatiker gewesen sei«, schlägt also genau in ihr Gegenteil um.


51 I 533 f. Zur unfreiwilligen Komik wird diese Schlußmoral noch in der deutschen Übersetzung von Rochlitz gesteigert: »Lasterglück flieht schnell wie Rauch; wie man lebt, so stirbt man auch.« Das hätteWilhelm Busch nicht besser machen können.


52 Das wollte schon manchen Sängern der damaligen Zeit nicht in ihren Kram passen, S.o.S. 347. Bertati gibt seinem Helden in der Szene mit Ximena (9) eine Arie, die da Ponte zum Duett (7) erweitert hat.


53 Gespräche mit Eckermann II 87 (12. Februar 1829).


54 Ebenda II 329 f. (20. Juni 1831).


55 Im wesentlichen nach Jahn II4 399 ff.


56 Das liegt in den Worten »Ah già cadde il sciagurato« und vollends in ihrer Musik; es wirkt auch noch leise in Don Giovannis Worten in der zweiten Szene nach. Über die psychologische Begründung vgl. unten.


57 Von einer Ehe oder einem Brautstand mit Don Giovanni weiß da Ponte nichts: er nennt sie einfach »abbandonata da Don Giovanni«, während sie bei Bertati als »sposa promessa di D.G.« erscheint.


58 Der angebliche Wahnsinn Elviras stammt aus Goldoni und Bertati und ist ein der Buffooper überhaupt seit alters vertrauter Zug. Aber da Ponte hat ihn geschickt benutzt, um die einander zum Teil fremden Personen zusammenzubringen und die Erkennung Don Giovannis herbeizuführen.


59 In Hamburg verlangten bei den Maskenbällen die Mitglieder der vornehmen Familien, daß außer den englischen Tänzen abwechselnd Menuetts gespielt würden, »weil sie sich dem Haufen nicht beigesellen wollten« (Meyer, L. Schröder I, S. 150 f.). Mozarts Worte: »Don Ottavio balla minuetto con Donna Anna« stehen nicht im Prager Textbuche. Deshalb und aus inneren Gründen glaubte Wolzogen (Don Juan, S. 96) sich gegen das Tanzen der vornehmen Gäste aussprechen zu sollen. Auch Gugler hat Mozarts Worte weggelassen, wozu wir jedoch wohl keine Berechtigung haben [D.].


60 Vgl. A. Thürlings, Der Donner im ersten Finale des Don Juan, Berner Bund 1903, Nr. 80.


61 »Atrio terreno oscuro in casa di Donna Anna« heißt es ausdrücklich in da Pontes Textbuch. Edw. J. Dent, Mozarts Opern, Deutsche Ausgabe, Berlin 1922, S. 150 f., vermutet, daß da Ponte die ganze Oper ursprünglich dreiaktig angelegt und das Sextett (20) als zweites Finale gedacht habe; auch Mozart habe bei seiner Komposition des Sextetts ein Finale im Auge gehabt. Da jedoch die Zeit drängte, sei dieser gemeinsame Plan nicht mehr zur Ausführung gelangt.


62 Diese Szene wurde bei der ersten Wiener Aufführung geändert oder vielmehr erweitert, S.o.S. 354 f. Leporello ist erwischt, wird von Zerlina an den Haaren herbeigezogen und auf einem Stuhle festgebunden; allein gelassen, reißt er sich los und entflieht; Zerlina, Masetto und Elvira kommen zurück, Masetto berichtet von einer neuen Untat Don Juans; jene beiden eilen weg, um es Ottavio mitzuteilen, Elvira bleibt und bricht, zwischen Rachegefühl und Mitleid geteilt, in Klagen aus.


63 Die Arie ist mitgeteilt Niederrhein. Musikzeitg. II. 413 f. Sie ist von Mozart von A- nach B-Dur transponiert und etwas verkürzt. Beide Stücke in Guglers Partitur, Anhang. Vgl. MBM 1899, Heft 7, S. 210 f. Über die Arie aus »Cosa rara« Genée, MBM 1896, Heft 2, S. 63 f.


64 II1 405 f.


65 S.o.S. 3 ff.


66 J II4 407.


67 Über die Originalpartitur vgl. zuerst G. Weber, Cäcilia XVIII 91 f., der die Frage nach den Einlagen klarstellte. Sie wurde von Frau Viardot erworben und nach ihrem Tode der Pariser Konservatoriumsbibliothek vermacht. Vgl. »Le grand, Progrès artistique« 1889, Nr. 598. Über eine zweite angebliche Originalpartitur, die aber wahrscheinlich eine unter Mozarts Augen in Prag angefertigte Abschrift ist, vgl. Prochazka, S. 132 ff. Zur Kritik vgl. B. Gugler, AMZ 1866, Nr. 8–10, 12, 38. 1867, Nr. 1–3, 7. 1868, Nr. 38 (über die Seccorezitative). 1869, Nr. 4. 1876, Nr. 2, 49, 50. Die erste Partiturausgabe nach dem Autograph veranstaltete B. Gugler, Breslau bei Leuckart 1870 (vgl. dazu Chrysander und Baumgart, AMZ 1870, Nr. 9 und 1871, Nr. 2–4). Ihm folgte Jul. Rietz, Breitkopf & Härtel 1872. Diese Bearbeitung liegt in revidierter Gestalt auch der Gesamtausgabe zugrunde (vgl. den R.-B. und Chrysander, AMZ 1876, Nr. 34). Im allgemeinen vgl. über die Musik Ch. Gounod, Le Don Juan de Mozart, Paris 1890, deutsch von Klages, Leipzig 1890. G. Engel, Eine mathematisch-harmonische Analyse des Don Giovanni von Mozart, Vj III 491 ff. J. Tiersot, Etude sur Don Juan, Ménestrel (Paris) 1897. E. Heinemann, Mk 1904, Oktoberheft. Über die verschiedenen Übersetzungen und szenischen Einrichtungen s. unten am Schluß der Besprechung der Oper.


68 Vgl. E.T.A. Hoffmann, Phantasiestücke I 4. Ulibischeff, Mozart III 105 f.H. Merian, Mozarts Meisteropern, Leipzig o.J., S. 169. Gounod S. 7. J II4 408 ff. Sehr treffend R. Wagner, Ges. Schr. I 196 ff., 199 ff. Eine ausführliche musikalische Analyse bei Lobe, AMZ XLIX 369, 385, 417, 441.


69 S.o.S. 245 f.


70 Schon Mozarts erste »tragische« Ouvertüre, die zur »Betulia liberata«, steht in d-Moll, vgl. I 239.


71 Darum unterscheidet sich diese »Introduktion« in ihrem Verlauf auch merklich von ihresgleichen in Mozarts Instrumentalwerken, S.o.S. 162.


72 Hier wird man nicht mit Unrecht einen NachhallGluckschen Geistes annehmen dürfen.


73 Die ganze Gestaltung erinnert von ferne an die bei den Italienern und auch bei Gluck, z.B. in der »Alceste«, öfter vorkommenden Szenen vor oder in der Unterwelt mit ihren pittoresken Schilderungen der unheimlichen, erstarrten Natur und den »orribili« oder »flebili accenti« der Geisterwelt in den Bläsern. Nur ist bei Mozart die ursprüngliche Situationsmalerei ganz ins Psychologische, rein Gefühlsmäßige gewandt.


74 Das erstemal in der einfachen Form


Don Giovanni

das zweitemal in der vergrößerten


Don Giovanni

Die Mittelform


Don Giovanni

schließt den Teil ab.


75 Vgl. die Monsignysche Anregung I 545 f.


76 Auch der dritte Akt (der erste des Allegros) läßt mit seiner leeren Quintharmonie das eigentliche Tongeschlecht noch in der Schwebe und spannt die Aufmerksamkeit auf das Folgende nur durch das leise hämmernde d' in Bratschen und Celli.


77 Der Urheber aller dieser Deutungen ist E.T.A. Hoffmann.


78 Man vergleiche dazu die oben mit Buchstaben und Klammern bezeichnete Gliederung.


79 Auch das Motiv a ist ein »Generalauftakt« im Sinne H. Riemanns.


80 In den früheren Drucken steht vor dem h'' des vierten Taktes ein ?, das im Original nur der dritte Takt aufweist. Darüber ist viel gestritten worden; Gugler z.B. setzt beide Male das ?, Rietz beide Male h, und ihm folgt die G.-A. Vgl. AMZ 1871, 50; 1876, 537, 769 f. Beides ist willkürlich. Im dritten Takt handelt es sich um eine Begleitstimme, die chromatisch leicht alteriert werden konnte, zumal da ihr b durch das c des zweiten Taktes wohlvorbereitet ist, im vierten aber um das Hauptthema, das seine ursprüngliche Gestalt behält. Mozarts Notierung ist gewiß »auffällig«, aber sie hat ihren guten psychologischen Grund, und wir haben kein Recht, sie um einer wasserklaren Korrektheit willen zu ändern. Vgl. J II4 409 f.


81 I 75.


82 Merian a.a.O. sieht in dieser Partie Don Giovannis Abenteuer mit Zerline!


83 Die angebliche Herkunft dieses Motivs samt seiner imitatorischen Führung aus dem »Kyrie« von Stölzels »Missa canonica«, die die Norddeutschen Marpurg und Kirnberger (Von der Fuge II 77, Taf. 35 f., Kunst des reinen Satzes II 2, S. 18 f.) zu erkennen glaubten, ist längst als platte Reminiszenzenjägerei erkannt.


84 Vgl. dazu das dumpfe Murmeln in den Geigen und namentlich das übermäßige Quartenintervall in den Flöten.


85 Nur das Schlußmotiv wird in die beiden hinaufschleifenden Viertel verändert, wodurch eine entfernte Ähnlichkeit mit den entsprechenden Partien im ersten Satz der g-Moll-Sinfonie entsteht.


86 An die Stelle des früheren sf ist hier ein wirkliches f getreten.


87 Die Harmoniefolge dieses Teils ist B-gV-gI (= d IV)-dV-dI (= aIV)-aV- AI. Man beachte die Molltonarten.


88 Daß dieses Motiv in dem Stück immer wieder in anderer Instrumentation erscheint, ist nicht unwesentlich.


89 Nägeli, Vorl. S. 157, 160, tadelt dieses »übertriebene, ausschweifende Kontrastieren«, das freilich in diesem Stück aus guten Gründen bis in die einzelnen Themen hinein geht, aufs strengste und findet S. 168 auch T. 36 und 197 als überflüssige Störer der Eurhythmie; dagegen schon Kahlert, NZfM XIX 97 f. Ein vollständiger Schluß, offenbar von Mozarts Hand rasch hingeworfen (13 Takte statt der jetzigen 11), liegt dem Autograph bei. Part. S. 354, R.-B.S. 92. Es handelt sich wohl um eine Bearbeitung für das Konzert.


90 So noch bei Jahn II4 411 f., dagegen richtig bei Schurig II 110.


91 I 374.


92 I 352. Man beachte auch das Aufhören der Triolen- und Hörnerbegleitung.


93 S. Anhang VI. Vgl. auch Chrysander, AMZ 1878, S. 577.


94 Er zieht seinen Degen offenbar erst bei den schwirrenden Zweiunddreißigstelskalen der Geigen nach seinen ersten Worten.


95 Die Übersetzung der G.-A. »Mitleid fühl' ich« bringt somit einen ganz falschen Zug hinein.


96 Man vergleiche die kräftigen Oktavenschritte der Geige mit den kleinen Intervallen des Basses. Ähnlich ist die Schilderung in Glucks Ballett. Das Vorbild beider ist wohl bei den Franzosen zu suchen.


97 Auch dieses geht nicht über c'' (ganz am Schlusse) hinauf.


98 Die Ähnlichkeit des Anfangs seines Gesanges mit Donna Annas vorhergehendem »Come furia disperata« ist wohl nur zufällig. Bei Gazzaniga ist dieser Abschnitt weit breiter ausgeführt.


99 Vgl. Gounod S. 16.


100 Marx, Berl. Mus.-Ztg. I 319 f. Rellstab, Ges. Schr. VI 251 f. Auch einzelne Sängerinnen wie die Bethmann und die Schröder-Devrient schlossen sich dieser Auffassung an. Vgl. Genast, Aus d. Tagebuch e. alten Schausp. III 171 f., und A.v. Wolzogen, Wilh. Schröder-Devrient, S. 163 f. Von den Neueren vgl. Kierkegaard, Ges. Werke, Bd. I, Jena 1911, Schurig II 110 f. Cohen, Die dram. Idee in Mozarts Operntexten, S. 85 f. Dagegen Bulthaupt, Dramaturgie der Oper, S. 180 ff. J II4 442.


101 Die Urheberin dieser Praxis ist die Schröder-Devrient, die erstmals statt der Elvira die Anna sang.


102 Sie ist die »seria«, die sich Mozart von Varesco für seine opera buffa erbat, S.o.S. 32.


103 Von Bedeutung ist, daß sie in der ganzen Szene von den häufig wiederholten Worten »mio padre« immer das erste betont.


104 Man beachte hier die Kreuztonarten, die sich bis zu dem brennenden Fis-Dur steigern.


105 Mozart verwendet bei »Cercatemi, recatemi qualche odor« das wirksame Glucksche Mittel chromatisch aufsteigender Bässe mit darüberliegender Sequenzenbildung, vgl. I 709.


106 Man achte hier besonders auch auf den schweren Auftakt auf »fuggi« und »lascia«.


107 Auch der allmähliche Übergang nach F-Dur ist hier von schöner Wirkung.


108 H. Kretzschmar, Ges. Aufs. II 278.


109 Vgl. die Arie »Fra cento affanni e cento« im »Artaserse« I 2.


110 Das folgende


Don Giovanni

bringt nur eine ungeheure Dehnung des ersten Auftaktviertels.


111 Man braucht diese »Koloraturen« nur mit den ständigen Wellenkoloraturen der Neapolitaner zu vergleichen, um sich des gewaltigen Unterschiedes bewußt zu werden. Schon die scharfe Reibung des Halbtonschrittes ist charakteristisch.


112 Gugler und Wolzogen nehmen an, daß sie von Don Giovanni durch eine Scheinehe getäuscht und somit seine »rechtmäßige Gemahlin« sei. Gegen diesen unmöglichen Gedanken wendet sich mit Recht Bulthaupt a.a.O. S. 189 f. Aber auch das von Jahn angenommene Eheversprechen ist, wenn es sich dabei um eine bürgerliche Verlobung handeln soll, ein unglücklicher Gedanke. Überhaupt ist der Begriff der »sposa« in der Buffooper sehr dehnbar; es braucht sich dabei durchaus nicht immer um eine wirkliche »Braut« zu handeln. Im allgemeinen vgl. über Elvira C. Adelmann, Donna Elvira als Kunstideal und in ihrer Verkörperung auf der Münchner Hofbühne, München 1888.


113 Schurig II 163.


114 Cohen S. 89 ff.


115 Vgl. zum Beginn den Anklang an Grétry I 555.


116 Es ist das erstemal, daß Mozart in dieser Oper Klarinetten verwendet.


117 Die großen Intervallsprünge sind schon von den Italienern aus der opera seria in die buffa übernommen worden. So singt Arsinda in Traëttas »Cavaliere errante« I 9:


Don Giovanni

und Corrado in Piccinnis »Sposalizio di Don Pomponio« II 10:


Don Giovanni

118 Vgl. dazu Piccinnis »Corsara« I 354.


119 In Piccinnis »Incostante« I 4 verleugnet der Liebhaber seine Geliebte, worauf der Diener Pierotto zu der Verlassenen bemerkt: »nel suo catalogo dove tien registrate tutte l'inammorate, questa Giulia non v'è.«


120 Als Beispiel der Gazzanigaschen Buffokunst im Anhang VII abgedruckt.


121 Vgl. Schurig II 122 f.


122 Paisiello war hier vorangegangen. Vgl. I 363.


123 I 791.


124 Auch dieser Passus ist italienischen Ursprungs, vgl. I 359.


125 Offenbar hat hier die Erinnerung an Paisiellos »Barbier« I 5 (Duett Rosinas und Bartolos) nachgewirkt, wo gleichfalls ein solches Akkordmotiv mit Staccato im Fagott erscheint, allerdings in rein humoristischer Absicht.


126 Lablache sang sie nach Jahn II4 420 etwas durch die Nase und mit einem Seitenblick auf Elvira. Das ist zweifellos richtig, wie denn überhaupt die Rolle des Leporello einen ebenso vollendeten Darsteller wie Sänger erfordert.


127 Gleich der Arie Masettos (6) ist sie auf einem besonderen Bogen geschrieben. Das beweist aber nicht etwa eine spätere Einlage, sondern nur die endgültige Redaktion während der Proben in Prag.


128 S. I 352 (Piccinni).


129 Auch ist diese Strophe um einen Takt länger.


130 Man vergleiche dazu übrigens folgende beiden Partien aus Biagios Arie bei Gazzaniga:


Don Giovanni

131 Cohen S. 88.


132 I 532, 750.


133 Vgl. das Terzett Nr. 16, das einzige A-Dur-Stück außer Nr. 8 in der Oper.


134 Die Schleiferfigur in den Geigen ist gleichfalls eine halb komische Erinnerung an Masetto.


135 Die Flöte spielt in Don Giovannis Gesängen überhaupt eine charakteristische Rolle, s. das Folgende.


136 Er hat in der Originalpartitur keine Tempobezeichnung. Tatsächlich bedarf es einer solchen auch nicht, da der Wechsel im Takt und ganzen Charakter zur Steigerung genügt.


137 Er erinnert an die vorletzte Nummer; auch die Bläserbesetzung ist dieselbe. Die Klarinetten fehlen ebenso wie in den ländlichen Chören des »Figaro«.


138 Mozarts angebliche Überschrift »Nello stile di Haendel« gehört allerdings ins Reich der Fabel (Rochlitz, AMZ I 116. Seyfried, Cäcilia XVIII 72).


139 J II4 433 f. Ambros, Grenzen der Musik und Poesie, S. 61 f.


140 Gounod S. 42.


141 Der ganze erste Takt ist ein schwerer Auftakt, und die Dreiviertelnote auf »Non« hat denselben heftigen Akzent wie das »fuggi« im ersten Duett der Oper.


142 Das c-Moll-Motiv der Bläser:


Don Giovanni

ist zum Ausdruck wilder Leidenschaft aus dem ersten Satz der c-Moll-Sonate, K.-V. 457 bekannt, s.o.S. 201.


143 Man beachte hier auch die atemlose, zerrissene Deklamation.


144 Nur bei diesem Hauptgedanken treten stets die Bläser hinzu.


145 S. 398 f.


146 Bezeichnend dafür sind die Skizzen, s.o.S. 107.


147 Es ist unerfindlich, wie Marx (Kompositionslehre IV 259) sie kleinlich finden und sogar Süßmayr zuschreiben konnte, was freilich schon durch das Autograph widerlegt wird.


148 I 361.


149 S.o.S. 253, 293 f.


150 Dazu gehört vor allem der schnalzende Forteschlag der Bläser mit Vorschlag bei der ersten Erwähnung der Tänze, bei der hier und im Folgenden stets auch die Bässe in Bewegung geraten.


151 Vgl. dazu das Duett (7). In der »Entführung« (14) und der »Zauberflöte« (13) ist die Pikkoloflöte die Trägerin der sinnlichen Färbung; freilich handelt es sich dabei auch um Gestalten wie Osmin und Monostatos. Bezeichnend ist, daß in unserem Stück die Klarinette nur zur Abschattierung des Klangs dient, ohne solistisch hervorzutreten.


152 H. Abert, JP 1913, S. 32 (über Piccinnis »Locandiera di spirito«).


153 Die beiden Phrasen des Vordersatzes sind einander metrisch gleich, melodisch aber verschieden. Die zweite biegt die Linie nach oben um und erreicht dadurch schließlich die tonale Terz mit dem liebenswürdigen, echt Mozartschen Vorhalt von der Quint aus:

Don Giovanni

154 Vgl. dazu Anfossi I 374.


155 Fein beobachtet ist, wie sich der punktierte Rhythmus in den Geigen sechs Takte vor dem Schluß bei dem allmählichen Verhallen in die Achtelfigur umwandelt und gewissermaßen verwischt.


156 Das Motiv Don Giovannis »Vieni un poco« entspricht Almavivas »Son venuti a vendicarmi« im ersten Finale des »Figaro«; beide Male drückt es den Triumph des vornehmen Herrn aus, der am Ziele seiner Wünsche steht.


157 S.o.S. 256 f.


158 Nur sind wieder wie beim Figaro-Marsch (s.o.S. 287) die beiden Anfangstakte unterdrückt.


159 Vgl. im »Don Giovanni« das erste Duett »Fuggi crudele« (s.o.), ferner den Beginn des d-Moll-Klavierkonzertes (K.-V. 466). Auch im letzten Satz von Beethovens Sonate op. 31, Nr. 2 tritt er hervor.


160 S.o.S. 287.


161 I 792 f.


162 Vgl. z.B. Piccinnis »Donne vendicate« I 9, wo die Erschienenen ebenfalls ihren Dank aussprechen.


163 Es klingt deutlich an Figaros »Non più andrai« an.


164 Von den italienischen Zeitgenossen sei nur Galuppi mit dem zweiten Finale seiner »Partenza e ritorno dei marinari« hervorgehoben, der seine Tanzszene gleichfalls mit einem Menuett einleitet und auf Grund dieser Tanzmelodie die Handlung weiterführt (1765), und das erste Finale von Piccinnis »Viaggiatori«, wo ebenfalls ein »Tempo di Minuè« den äußeren Rahmen abgibt.


165 Verschiedene Orchester waren, von Gluck abgesehen, auch den Italienern bereits vertraut, s. I 361 (Paisiello) und 380 (Galuppi). Gegen eine völlige Dreiteilung der Tanzlokalitäten spricht sich mit Recht bereits Wolzogen S. 93 f. aus, ebenso gegen die willkürliche Ausdehnung dieser Szene an der Pariser Oper, vgl. AMZ 1876, S. 289 (gegen de la Génévais ebenda S. 147 f.). Von einer nationalen Färbung der Tänze, wie im Fandango des »Figaro«, hat Mozart diesmal ganz abgesehen. Der Musik nach gehört dieses Fest eher in das Palais eines österreichischen Magnaten als in das Landhaus eines vornehmen Spaniers.


166 Das Stimmen auf den leeren Saiten war auch bei den Italienern ein beliebter Witz vgl. I 374. Von den Späteren vgl. Webers Bauernmusik in der ersten Szene des »Freischütz«.


167 Vgl. die A-Dur-Violinsonate oben S. 134. Genau derselbe Rhythmus bei Guglielmi, vgl. I 369.


168 In Prag scheint es an Musikern gefehlt zu haben. Das übliche Bauernorchester ist nicht zwei-, sondern dreistimmig (vgl. I 14). Zur Vervollständigung der Harmonie nimmt Mozart deshalb die Bläser des Hauptorchesters zur Hilfe; so geben z.B. beim Eintritt des sehr naturgetreu durch das dreimalige g'' mit Vorschlag eingeführten »Teutschen« die Hörner dessen Rhythmus drastisch wieder. Zweifellos hätte Mozart, wenn er nicht an die Prager Kräfte gebunden gewesen wäre, die Bläser entweder den einzelnen Orchestern beigesellt oder die beiden Bauernorchester wenigstens zur Dreistimmigkeit ergänzt.


169 Dieselbe rollende Unisonofigur findet sich, nur in C-Dur, im Finale des 2. Aktes von Grétrys »Evènements imprévus«.


170 Er findet sich ganz ähnlich auch in der Arie des Grafen Almaviva (17).


171 Sogar die Bläserbegleitung ist dieselbe.


172 Die Musik ist dieselbe wie zu seinen Worten »Sù svegliatevi da bravi« zu Beginn des Finales (Part. S. 132), selbst die Trillerchen in den Geigen fehlen nicht.


173 Man bemerke hier auch die gegensätzliche Richtung in der Melodielinie.


174 Charakteristisch ist, daß in diesem Moment Leporello sich aus dem Zusammensingen mit seinem Herrn loslöst und wieder in seinen angestammten Buffoton zurückfällt.


175 Über den Anklang an D. Fischiettis »Mercato« vgl. I 375.


176 Vgl. die Gartenarie Susannes oben S. 292 f.


177 Der Quartensprung am Schluß fehlt den Instrumenten. Später, als sie ihn aufnehmen, zeigt sich, daß seine zweite Note eigentlich als Auftakt der folgenden Wiederholung gedacht ist.


178 Sogar der Vorhalt auf der Quart mit vorschlagender betonter Quint fehlt im zweiten Gliede nicht. Vgl. oben Zerlines Arie (13) S. 417.


179 Flieg. Bl. für Musik III 11 f. Auch Schurig II 147 neigt dieser Meinung zu. Indessen muß man mit solchen Erinnerungsmotiven im 18. Jahrhundert vorsichtig sein. S.o.S. 260 f.


180 I 671.


181 I 358 (zuletzt im Barbier I 6), 554. Vgl. auch die Canzonetta in Traëttas »Feste d'Imeneo«, DTB XIV, 1, S. 99 ff. Vgl. E. Fueter, Mk VI 5. Bemerkenswert ist immerhin, daß Mozart von den sonst so beliebten raschen zirpenden Tonwiederholungen der Mandoline ganz absieht.


182 In Anfossis »Geloso in cimento«, Introduzione, beginnt das Ständchen:


Don Giovanni

183 Nur die Zwischenspiele sind, jedoch ebenfalls nach volkstümlichem Brauch, zweitaktig Auch die Modulationsordnung hält sich streng an den einfachen Liedcharakter. Der erste Teil moduliert nach der Dominante, der zweite kehrt über die Molltonart der Unterdominante und diese selbst nach der Tonika zurück, wie in zahllosen italienischen Ständchen.


184 Schon in Philidors »Blaise«, Szene 5, erscheinen zu Blaisines Worten »il me bat le scelerat« Synkopen im Orchester.


185 Mozart notiert im zweiten Takte, wie gewöhnlich, inkorrekt as statt gis.


186 Schon der 7. und 8. Takt strahlt mit dem unerwarteten Bläsereintritt eine besondere Wärme aus.


187 Deutsch ist darin der innige Ton; der Melodietypus selbst mit seinem Rhythmus 3/8 Don Giovanni ist aber durchaus italienisch und z.B. bei Majo und Piccinni in analogen Stücken äußerst häufig.


188 Schaul, Briefe über den Geschmack in der Musik, S. 51, führt das Sextett unter den Beweisen dafür an, wie oft Mozart gegen die gesunde Vernunft gesündigt habe, weil es im tragischsten Stil geschrieben sei, da es doch Halbcharakter sein müßte.


189 Der Anfang gemahnt an Leonores große Arie im ersten Akt des »Fidelio« (Komm, Hoffnung, laß den letzten Stern).


190 Vgl. den Schlußsatz der c-Moll-Serenade I 741 f. Zu der ähnlichen Stelle in der »Finta giardiniera« vgl. I 395.


191 Part. S. 36 und 141.


192 Es tritt zudem stets in Oktavverdopplung und nur in den Streichern auf.


193 Das Violinmotiv des zweiten Taktes ist mit den Elviramotiven verwandt (s.T. 7 des ganzen Sextetts).


194 Sehr drastisch wirkt dabei das kleine Ornament bei der zweiten Phrase.


195 Das kleine crescendo darf dabei nicht übersehen werden.


196 Die Verkleinerung erstreckt sich bis in die metrische Gliederung hinein: dem Fünftakter Leporellos entspricht der Dreitakter der übrigen.


197 Die Modulation nach Des-Dur ist nur vorübergehend.


198 Chrysander vermutet a.a.O. S. 426, daß auch bei seiner Gestaltung der Einfluß Mozarts maßgebend gewesen sei, wie bei Donna Anna, was sicher wahrscheinlich ist. Wenn er aber meint, da Ponte habe aus dem Bertatischen Manne einen Schwächling gemacht, so geht das entschieden zu weit. Denn bei Bertati verhält sich Ottavio genauso passiv, nur daß er weit skizzenhafter gehalten ist. Von den Neueren hat ihn M. Kalbeck in seiner Bearbeitung (Vorwort S. XIV) im Sinne größerer Aktivität zu heben gesucht, während Schurig ihn als tragikomische Gestalt auffaßt (II 134, 144). Von den Älteren vgl. Ulibischeff III 113 f. Lobe, Flieg. Bl. f. Musik I 221 f. J II4 445 ff.


199 Unglücklich ist der Gedanke, ihn hier mit der Pistole dem Helden entgegentreten, aber sie nicht abdrücken zu lassen. Das macht ihn zwar »aktiver«, wirft aber auf seinen Mut ganz ohne Not ein bedenkliches Licht.


200 Nur muß man hier wieder einmal von der in ihrem Gestammel geradezu hahnebüchenen und den Charakter gänzlich verzeichnenden »deutschen« Übersetzung: »Tränen vom Freunde getrocknet« usw. absehen.


201 Daß der Held seine Geliebte, die er verlassen muß, der Obhut seiner Freunde anvertraut, ist ein bei Metastasio sehr beliebter Gedanke.


202 Rubini pflegte, statt das f' voll auszuhalten, den Triller der Violinen auf a'' mitzusingen. Ob diese Steigerung des Virtuosen wirklich in Mozarts Sinne war (J II4 451), bleibe dahingestellt. A. Schebest, Aus dem Leben einer Künstlerin, S. 203.


203 So J II4 451.


204 Als Vorbilder der Szenerie vermutet Schnerich a.a.O. S. 107 mit Recht die Scaligergräber in Verona.


205 Vgl. Notenbeilage VIII.


206 Ed. Mörikes prachtvolle Dichterworte über diese Stelle lauten: »Wie von entlegenen Sternenkreisen fallen die Töne aus silbernen Posaunen, eiskalt, Mark und Seele durchschneidend, herunter durch die blaue Nacht.«


207 Zu diesem, der auch im Sextett eine große Rolle spielt, vgl. Galuppi I 378 f.


208 Man vergleiche dazu die echt italienische Einladung Pasquariellos bei Gazzaniga:


Don Giovanni

Don Giovanni

209 Bei Gazzaniga steht an dieser Stelle ein langsamer Siziliano in d-Moll, dem die solistische Verwendung der Bläser ein höchst pittoreskes Gepräge verleiht.


210 Die punktierten Schläge bei Don Giovannis Frage stehen auch bei Gazzaniga, der freilich die Wucht der phrygischen Frage dadurch abschwächt, daß er ihr noch eine zweite Frage auf Dominante und Tonika anhängt.


211 Ein malerischer Zug ist die Vergrößerung des letzten Motivs in den Bratschen vom dritten Takte vor dem Schlusse an. Die Sechzehntelbewegung findet sich an dieser Stelle auch bei Gazzaniga, aber als einfaches Tremolo. Auch die schauerliche Stelle »mover mi posso appena« fehlt bei ihm.


212 Früher setzte man an die Stelle seines Auftretens einen Brief, den er Donna Anna geschrieben habe, was die Situation nur verdunkelt, ohne ihm selbst aufzuhelfen (daher der Name »Briefarie«). Gugler, Morgenbl. 1865, Nr. 33 f., S. 780 f. Kalbeck a.a.O. S. 73 läßt ihn berichten, daß er Don Giovanni zum Zweikampf herausgefordert habe, und motiviert Donna Annas Weigerung, sofort die Ehe zu schließen, besser.


213 S. schon Jommellis »Fetonte« DT 32/33, S. 71 ff.


214 Die Bezeichnung Rondo trägt sie in demselben Sinne wie manche früheren Arien, s.o.S. 216.


215 I 364 f. Mozartisch ist dagegen der Beginn auf der Quint statt der Terz.


216 Die Gestaltung dieser Szene bei Gazzaniga ist weit lockerer. Sie beginnt überhaupt im Seccorezitativ. Das erste Musikstück ist das »Concertino« der Tafelmusik, dessen Beginn:


Don Giovanni

Wiener Serenadenton anschlägt; das Mittelsätzchen bringt nach französischer Art Oboensoli mit baßführenden Geigen. Dann folgt ein Akkompagnato, und erst bei Don Giovannis Worten »Far devi un brindisi alla città« beginnt das eigentliche Finale (Allegro non tanto C 3/4). Pasquariellos Toast auf Venedig (Andante sotto voce C Don Giovanni, mit einem solennen Tusch der Hörer) und auf die venezianischen Schönen (F 6/8 Andantino) schließt sich an. Darauf macht sich das Klopfen des steinernen Gastes bemerkbar, den Lanterna voll Entsetzen anmeldet (Andante D Don Giovanni, dann Allegro A Don Giovanni ). Ein Akkompagnato (Largo d-Moll, wie bei Mozart) geht dem Auftreten des Geistes voraus, der seine Rede in feierlichem Es-Dur beginnt. Gerade hier zeigt sich freilich der Abstand von Mozart ganz deutlich. Das Tempo wird zwar gesteigert, aber es fehlt der Rede des Geistes an wuchtiger Geschlossenheit, sie bewegt sich in kurzen Akkompagnati gewöhnlichen Schlages. In einem mit »Furia« überschribenen Es-Dur-Satze erfolgt Don Giovannis Katastrophe, worauf in einem heiteren Satz (Allegro G Don Giovanni ) das ganze Ensemble die Oper in der oben S. 373 f. angegebenen Weise beschließt.


217 Mozart spricht in seinem Übersetzungsfragment von schönen Mädchen, die die einzelnen Stücke der Tafelmusik mit Tänzen begleiten. Text und Partitur wissen nichts davon. Jedenfalls dürfen sie als bloße Dekorationsstücke nicht am Mahle selbst teilnehmen. Don Giovanni erwähnt sie mit keinem Wort, was sehr auffallen muß. Man pflegt sie deshalb mit Recht in neuerer Zeit auch wegzulassen. Nur die Stuttgarter Bearbeitung (Gerhäuser) benützte die Gelegenheit zu modernen Tänzen. Vgl. auch Schnerich S. 107.


218 S.o.S. 347.


219 I 29.


220 Daß sie ihn »bußfertig sterben sehen möchte« (Schurig II 163), geht aus dem Text durchaus nicht hervor.


221 Cohen S. 89 ff.


222 Tatsächlich greift Mozart damit bewußt oder unbewußt auf altes Volksgut zurück. In J.F. Dreyßers »Dantzbüchlein« von 1720 (vgl. I 27) findet sich auf S. 14 folgender Tanz:


Don Giovanni

Bekannt ist die noch ältere Lieblingswendung im Liede des 16. Jahrhunderts, z.B. bei J.H. Schein:


Don Giovanni

223 S.o.S. 431.


224 Sie hatte auch zu Beginn des ersten Aktes die Katastrophe des Komturs eingeleitet.


225 Der Eintritt der Posaunen ist ein bis heute noch nicht mit Sicherheit gelöstes Problem. Im Autograph stehen sie nicht. Das ist indessen noch kein gültiger Beweis gegen ihre Authentizität, denn in zahlreichen alten Partituren sind die Blechblasinstrumente auf besonderen Blättern notiert gewesen. In unserem Fall hat sich kein solches Blatt erhalten, weder für die Posaunen, noch für Trompeten und Pauken, doch teilteJ. Rietz, AMZ 1867, Nr. 4, mit, daß er 1834 und 1836 ein solches bei André in Mozarts Handschrift gesehen und öfter in der Hand gehabt habe; 1865 habe er es bei Frau Viardot bereits vermißt. Die Prager Abschrift aus L. Bassis Nachlaß enthielt die Posaunen. B. Gugler (AMZ 1867, Nr. 1–3, 7, S. 59, Vorrede der Ausg. S. XV) sucht nachzuweisen, daß sie vielleicht für Wien nachträglich hinzugefügt seien, und zwar nicht von Mozart, sondern von Süßmayer, dessen Handschrift ja bekanntlich der Mozartschen so sehr ähnlich war. Dagegen O. Jahn, AMZ 1867, Nr. 19, S. 155. Es ist kaum denkbar, daß der angebliche Süßmayersche Zusatz nachträglich in die Originalpartitur gebracht wäre. Von den Neueren tritt Merian a.a.O. 212 ohne neue Beweisgründe auf Guglers Seite. J II4 418 entscheidet sich für die Echtheit, Schurig umgeht die Frage, ebenso Komorzynski, Mozarts Kunst der Instrumentation, S. 38, der die Posaunen einfach als authentisch hinnimmt.


226 I 681.


227 Im italienischen Text ist hier ein Überbleibsel aus den älteren Fassungen der Sage stehen geblieben, nämlich die Einladung des steinernen Gastes an Don Giovanni, bei der ihn sein Geschick ereilt. Das stimmt nicht zu der weiteren Fortsetzung da Pontes, wo Don Giovannis Untergang gleich nach dem Verschwinden des Geistes in seinem eigenen Hause erfolgt.


228 Allen Ernstes hat man mit Meyerbeer (1822) schon vorgeschlagen, den Komtur auf der Bühne nur agieren, seine Partie aber hinter der Szene durch ein Sprachrohr singen zu lassen! AMZ XXIV 230 f.


229 Bulthaupt, S. 178.


230 Richtig erkannt von A. Heuß, ZIMG VII 180. Dieser Charakter wird erzeugt durch die vorher fast allein verwandten Molltonarten.


231 II4 461.


232 Schnerich, ZIMG XII 101 ff., S. 107.


233 In Bern brach bei der Aufführung von 1810 eine Panik aus, als sich zu den sechs engagierten Teufeln noch ein freiwilliger siebenter gesellte; zwei davon verunglückten. Kretzschmar, Ges. Aufs. II 272. Gesch. der Oper, S. 243.


234 Abgedruckt G.-A.S. 368. Gugler vermutet (AMZ 1866, S. 93 f., Ausg. S. XII) Süßmayer als den Urheber der Kürzung. Dagegen mit Recht Jahn, AMZ 1867, S. 155. Baumgart bei Freissauff S. 67.


235 Rietz vermutet (R.-B.S. 97), daß die Schlußszene schon in Prag weggelassen worden sei, da ja der Komtur und Masetto von demselben Sänger dargestellt worden seien und ein Umkleiden nicht mehr möglich gewesen sei; es müßte denn ein Stellvertreter eingesprungen sein.


236 Engel S. 114.


237 Castil-Blaze, Molière musicien I 338.


238 Argo, 1854, I 365 f. Gantter, Ulibischeffs Mozart, III 361. Auch Viol ist für dieselbe Trauerszene, aber zur Musik des Mozartschen Originalschlusses (!!). Don Juan S. 25 f.


239 II 167.


240 S.o.S. 376 f.


241 S.o.S. 8 f.


242 Ähnlich ist der Schlußteil des Quartetts in der »Entführung« gearbeitet, bis in die begleitenden Figuren und Skalen der Violinen hinein. Auch der lang ausgehaltene Akkord auf dem Wort »morte« und der Qrgelpunkt auf »sempre ugual« gemahnen an den kirchlichen Stil.


243 Vincents Vorschlag, sie vor dem Quartett im ersten Akt singen zu lassen (wobei das Rezitativ wegfällt), ist von Wolzogen, Grandaur und Kalbeck angenommen worden, ohne daß das Übel damit erheblich gebessert würde. Es bleibt nichts übrig, als die Arie aus der Oper ins Konzert zu verweisen. Die G.-A. verfährt übrigens inkonsequent, indem sie sie gleich der Arie Elviras (23) im Text bringt, statt gleich dem Duett »Per queste tue manine« im Anhang.


244 S.o.S. 381, Anm. 2.


245 Elvira hat hier von der neuen Schändlichkeit Don Giovannis erfahren. Läßt man aber die Szene, wie billig, weg, so steht die Arie in der Luft. Auch als Antwort auf Ottavios Arie paßt sie nicht, vollends unglücklich aber ist der Rochlitzsche Vorschlag, sie nach Leporellos Registerarie im ersten Akte singen zu lassen. Auch nach der »Briefarie« ist sie nicht am Platze, wohin sie Schurig II 155 verlegt. Somit bleibt nichts übrig, als sie gleichfalls in den Konzertsaal zu verweisen.


246 Der Keim dazu liegt bereits in ihm selbst mit seinem heroischen Beginn und dem merkwürdig fragenden Schluß.


247 Vgl. I 364.


248 S.o.S. 301 ff. Die »phrygische Frage« kommt auch im »Don Giovanni« nur einmal vor, bezeichnenderweise im Munde Elviras I 5 (Part. S. 54, Syst. 7 »che t'amai cotanto«) und hier nicht einmal als Frage, sondern als Vorwurf.


249 S.o.S. 303.


250 Part. S. 52, Syst. 3–7.


251 Part. S. 107, Syst. 2–3.


252 I 11 (S. 84, Syst. 5–7).


253 S. 52, Syst. 1.


254 S. 53, Syst. 7 (das Aufrollen des Registers), S. 205, 6 (Vorbereitung zum Ständchen).


255 S. 273, Syst. 2 (ehe Leporello die Inschrift am Sockel der Statue liest).


256 Das ist namentlich vor der Registerarie der Elvira gegenüber der Fall, s. Part. S. 53, Syst. 6–8.


257 S. 205, Syst. 3.


258 Lert S. 386. Schurig II 108.


259 Über die szenische Urgestalt der Oper vgl. besonders A. Schnerich, Wie sahen die ersten Vorstellungen von Mozarts Don Juan aus? ZIMG XII 101 ff.


260 S.o.S. 354 f., 365. Auch der Stuttgarter Toast im zweiten Finale (S. 372) gehört hierher.


261 Mozart selbst hat nach Lyser, Mozartalbum 1856, S. 86 einen Versuch gemacht, der aber nur Fragment geblieben ist. Lyser will das jetzt verschollene Autograph im Jahre 1834 gesehen haben und verwahrte sich später nachdrücklich gegen den Vorwurf der Mystifikation. Er kopierte es und veröffentlichte die vollständigen Nummern in der NZfM XXI 174 ff., XXII 133 ff. Man findet sie neu abgedruckt bei J1 IV 757 ff. und Batka, W.A. Mozarts Gesammelte Poesien S. 42 ff.


262 S. 355 ff.


263 Die Rezitative wurden seit 1845 meist in der gleichfalls ungehobelten Übersetzung von Joh. Ph. Sam. Schmidt gesungen.


264 Vgl. dazu Bulthaupt I 211 ff.


265 Mozarts Don Juan, Wien, Guttmann 1886.


266 Über die Neueinstudierung und Neuinszenierung des Mozartschen Don Giovanni, München, Bruckmann 1896.


267 Einen Vorläufer hatte sie in den Karlsruher Mozartaufführungen unter Ed. Devrient, der ebenfalls unter Ausmerzung aller späteren Zutaten auf die Originalgestalt zurückging und den Dialog durch Mozarts Secco ersetzte.


268 Wagner selbst sagt Ges. Schr. X 97: »Wie dürfte es uns beikommen, z.B. am Don Juan etwas ändern zu wollen ...? Fast jeder Opernregisseur nimmt sich einmal vor, den Don Juan zeitgemäß herzurichten, während jeder Verständige sich sagen sollte, daß nicht dies Werk unserer Zeit gemäß, sondern wir uns der Zeit des Don Juan gemäß umändern müßten, um mit Mozarts Schöpfung in Übereinstimmung zu geraten.«


269 Im selben Jahr erschien auch A. Schurigs Versuch in seinem Mozart II 108 ff.


270 Beschrieben in den öfter zitierten Werken beider Autoren.


Quelle:
Abert, Hermann: W. A. Mozart. Leipzig 31955/1956, S. 468.
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