Bologna.58

[141] Mein Hauptgeschäft in dieser Stadt war, den gelehrten Pater Martini, und den berühmten Sgr. Farinelli zu sehn, und ihres Umgangs zu genießen. Der erste wird von ganz Europa als der tiefsinnigste Theorist, und der andere als der größte praktische Tonkünstler dieses oder vielleicht eines jeden Alters und Landes angesehen: da ich nun so glücklich war, von beyden wohl aufgenommen zu werden, so will ich mich deswegen nicht entschuldigen, daß ich in meiner Nachricht von zwey so ausserordentlichen Männern etwas umständlich bin.[141]

Pater Martini ist ein Franziskaner und Kapellmeister bey der Klosterkirche dieses Ordens in Bologna. Er beschäftiget sich seit vielen Jahren mit einer Geschichte der Musik, wovon er bisher nur den ersten Band herausgegeben hat.59 Es wurden zugleich zweyerley Ausgaben zu Bologna 1757, die eine in Folio und die andere in Quart gedruckt; der zweyte Band ist unter der Presse, und der V. denkt das ganze Werk in fünf Bände zu bringen. Der erste Band betrift vornehmlich die Geschichte der Musik bey den Hebräern; der zweyte und dritte wird die der alten Griechen enthalten; der vierte die lateinische und römische Musik, mit der Geschichte des Kirchengesanges; der fünfte und letzte Band aber ist der neuern Musik gewidmet, und wird zugleich Lebens-Beschreibungen der berühmtesten Musiker mit ihren Bildnissen enthalten. Wir verabredeten beyderseitig einen offenen und freundschaftlichen Briefwechsel, und versprachen einander Vertraulichkeit und Beyhülfe. Es ist aber sehr zu bedauren, daß der gute Pater Martini schon so alt und so schwach ist, indem er einen sehr schlimmen Husten, geschwollene Beine hat, und überhaupt kränklich aussieht; so daß man mit Grunde befürchten muß, er werde kaum Leben und Gesundheit genug haben, seinen gelehrten, scharfsinnigen und weitläuftigen Plan auszuführen.[142]

Es ist unmöglich, wenn man sein Buch liest, ein Urtheil von dem Charackter dieses guten braven Mannes zu fällen; er hat bloß den trockensten und dunkelsten Theil seines Werks bearbeitet, wobey er viel Gelegenheit fand, seine Belesenheit und Gelehrsamkeit zu zeigen, die sehr ausgebreitet und gründlich ist, worin er aber die Vortreflichkeit seiner Denkungsart nicht äussern konnte, welche nicht nur Verehrung, sondern auch Liebe einflößt. Er verbindet mit einem unsträflichen Leben und edler Einfalt der Sitten, eine natürliche Gefälligkeit, Sanftmuth und Menschenliebe. Nie habe ich, nach so kurzem Umgange, einen Mann mehr lieb gewonnen. Ich fühlte nach Verlauf weniger Stunden so wenig Zurückhaltung bey ihm, als bey einem alten Freunde oder geliebten Bruder; und man konnte sich kein herzlichers Vertrauen denken, vornehmlich zwischen zwey Leuten, die einerley Absichten hegten. Doch haben wir zwar in Ansehung des Gegenstandes einerley Zweck, allein wir suchen auf verschiedenen Wegen dahin zu gelangen. Ich hatte mich schon zu weit in mein Unternehmen eingelassen, ehe ich sein Werk erhalten konnte, um noch zurückzutreten, und als ich es erhielt, so hatte ich meinen Plan schon soweit in Ordnung gebracht, daß es nicht thunlich war, einen andern an seiner Statt anzunehmen oder nachzuahmen. Ausserdem weil man zu einem Gegenstande auf verschiedenen Wegen gelangen kann, so lässt er sich auch aus verschiedenen Gesichtspunkten betrachten, und folglich können zwey[143] verschiedene Leute ihn gleich treu, und doch sehr verschieden schildern. Ich werde die Gelehrsamkeit und Sammlungen des Pater Martini nutzen, so wie man sich der Brille bedient, ich werde sie bey meinem Gegenstande gebrauchen, so wie er mir in die Augen fällt, ohne meinen Plan zu verändern, und werde weder blindlings in zweifelhaften Fällen seine Meynung ergreifen, noch ihn, wo wir einstimmend denken, ausschreiben.

Ausser der erstaunend großen Sammlung von gedruckten Sachen, welche ihm an tausend Zechinen gekostet hat, ist Pater Martini im Besitze einiger Schätze, die für Geld nicht zu haben sind, nehmlich vieler Manuscripten und Copien der musikalischen Handschriften in der vaticanischen und ambrosianischen Bibliothek, imgleichen in der zu Pisa, und an andern Orten, wozu er ausdrückliche Erlaubniß vom Pabste und andern Großen erhalten hat. Er besitzt zehn verschiedne Abschriften des berühmten Micrologus von Guido Aretinus, und eben so viele, die von verschiednen Manuscripten Johannes de Muris gemacht sind, ausser verschiednen andern sehr alten und merkwürdigen Handschriften. Er hat ein ganzes Zimmer voll davon; und zwey andere sind zur Aufbewahrung gedruckter Bücher bestimmt, wovon er alle Ausgaben hat, die heraus sind; ein viertes ist der praktischen Musik gewidmet, wovon er gleichfalls eine unglaubliche Menge im Manuscript hat. Die Anzahl seiner Bücher beläuft[144] sich auf siebenzehn tausend Bände, und er vermehrt sie noch immerfort, aus allen Gegenden der Welt. Er zeigte mir verschiedene seiner merkwürdigsten Bücher und Manuskripte, worauf ich ihm den Catalogus von den meinigen mittheilte. Er gerieth über einige in Verwunderung und sagte, sie wären sehr rar.60 Er schrieb die Titel dieser Bücher auf, und bey meinem zweyten Besuche hielt er meinen Plan der Mühe werth, ihn von mir zu leihen, und eigenhändig abzuschreiben.


Donnerstags, den 23ten August.

Es wird jedem Liebhaber der Musik, und vornehmlich denen, die ihn gehört haben, angenehm seyn, zu erfahren, daß Sgr. Farinelli noch lebt, und frisch und munter ist. Ich fand ihn dem Ansehn nach jünger, als ich erwartete. Er ist lang und hager, aber dem Aeusserlichen nach gar nicht schwächlich. Als er hörte, daß ich einen Brief für ihn hätte, so war er so gefällig, heute früh[145] mich bey dem Pater Martini aufzusuchen, in dessen Bibliothek ich den größten Theil meiner Zeit hieselbst zubrachte. Als ich in unsrer Unterredung gelegentlich bemerkte, daß ich mir lange die Ehre gewünscht hätte, zwey Personen zu sehen, die durch verschiedene Fähigkeiten in einer Kunst so groß und berühmt wären, und daß mein Hauptzweck in Bologna wäre, diese Wünsche zu befriedigen, so zeigte Sgr. Farinelli auf Pater Martini, und sagte: »Was er thut, wird beständig bleiben, aber das wenige, was ich gethan habe, ist schon dahin und vergessen.« Ich sagte ihm, daß noch itzt in England manche wären, die sich seines Gesanges so gut erinnerten, daß sie keinen andern Sänger hören könnten, daß das ganze Königreich noch immer von seinem Lobe wiederhallte, und daß ich überzeugt wäre, die Geschichte würde es der spätesten Nachwelt überliefern.


Freytags, den 24ten.

Da heute St. Bartholomäus Tag war, so gieng ich in die Kirche dieses Heiligen, woselbst, wie man mir sagte, gute Musik seyn würde; doch fand ich gerade das Gegenthil. Sgr. Gibello war Maestro di Capella, und es sangen verschiedene Castraten, aber weder die Komposition, noch die Aufführung der Musik gefiel mir. Der Komposition fehlten, zu ihrer Empfehlung, alle drey von Buranello's erforderlichen Eigenschaften, [146] vaghezza, chiarezza, e buona modulazione, und die Aufführung war nachläßig und unrichtig.

Ungeachtet itzt keine Oper in Bologna war, so gieng ich doch, um das Theater zu sehen, in die Komödie. Das Haus ist schön, aber nicht groß; doch hat es fünf Reihen Logen, zwölf oder dreyzehn auf jeder Seite. Als ich hinein kam, so wußte ich nicht, was für ein Stück gespielt ward, sondern erwartete, wie gewöhnlich, ein schmutziges Possenspiel zu sehen: als ich zu meiner großen Verwunderung fand, daß es ein italiänisches Trauerspiel, Tomiri betitelt war, welches den Pater Ringhieri zum Verfasser hatte. Dieß war die erste, welche ich sah, und der Anfang gefiel mir sehr, allein die langen Reden und Deklamationen ermüdeten mich bald; sie waren unerträglich langweilig. Thomyris, die Königinn der Amazonen erschien in einem sehr zweydeutigen Anzuge; denn sie hatte, um sich ein kriegerisch Ansehn zu geben, ihren Rock vorn bis über die Knie aufgeschürzet, die sehr deutlich hervorschienen. So sonderbar mir dieß vorkam, so klatschten die Zuschauer doch sehr laut, welches sie überhaupt bey allen schlechten und ganz abgeschmackten Stellen des Stückes thaten. Es kam vieles aus der Religion darin vor, mit solchen Anachronismen, daß von I.C. und der Dreyeinigkeit geredet ward, so wie der freye Wille und die Prädestination nicht vergessen wurden; und als Cyrus[147] an einer in der Schlacht empfangenem Wunde starb, so redete ein jüdischer Priester, (der eine Hauptstelle im Stücke hatte) als Beichtvater ihm zu, fragte ihn über seine Religion, und ließ ihn sein Glaubensbekänntniß hersagen.

Diese Art Schauspiele ist in Italien so sehr vernachläßigt worden, daß sie ganz verlohren zu seyn scheint; und noch itzt scheint sie nach ihrer zweyten Geburt noch in ihrer Kindheit zu seyn. Inzwischen könnte die italiänische Sprache doch große Dinge thun; indem sie ihre Würde ohne die Fesseln der Reime zu erhalten weiß. Auch sind die Schauspieler, was die Richtigkeit und Mannigfaltigkeit der Gesten anbetrift, recht gut; allein in Ansehung der Stimme herrscht hier eben soviel Monotonie, als auf den Kanzeln in Italien. Die Neigung zu musikalischen Schauspielen hat die wahre Tragödie sowohl als die Komödie in diesem Lande zu Grunde gerichtet; allein die Sprache und das Genie der Nation sind so reich, daß eben die Sucht nach Neuigkeiten, welche sie mit solcher Schnelligkeit von einer Schreibart in der Komposition zu der andern fortgejagt hat, wobey sie oft vom Guten zum Schlimmen übergiengen, sie antreiben wird, theatralische Schauspiele ohne Musik zu suchen, so bald sie der Musik herzlich überdrüßig werden, welches wegen des Uebermasses darin vermuthlich bald geschehen wird. In dem Falle werden sie, so bald sie ihre Kräfte auf den Soccus und Cothurn anwenden, und so[148] wohl der Schriftsteller als Schauspieler verbunden sind, alle Nerven der Sprache und des Genies, worin ihre Nation so stark ist, anzustrengen, wahrscheinlicher Weise das übrige Europa in der dramatischen Kunst so übertreffen, als sie in den andern Künsten gethan haben. Doch ehe dieß geschehen kann, muß noch vieles vorhergehen, um den Nationalgeschmack zu verfeinern, welcher durch Farßen, Narrenpossen und Gesang sehr verderbt ist. Die Unaufmerksamkeit, der Lärm und das unanständige Betragen der Zuschauer sind nun völlig barbarisch und unerträglich. Das Stillschweigen, welches in den Schauspielhäusern zu London und Paris während der Vorstellung herrscht, dient dem Schauspieler zur Ermunterung, und ist dem verständigen und empfindenden Zuhörer erwünscht. In Italien sind die Theater unermeßlich groß, und die Akteurs scheinen also beständig fort zu schreyen, um durch den Raum und das Geräusch gehört zu werden. Jede Periode, die so ausgesprochen wird, gleicht mehr einer Anrede eines Generals, der an der Spitze eines Heers von hunderttausend Mann steht, als der gesellschaftlichen Unterredung eines Helden oder einer Heldinn. Es sind hier nur wenige Modulationen der Stimme erlaubt; alle Leidenschaften schreyen gleich laut, die zärtlichen sowohl, als die wüthenden.

Die Scenen und Verzierungen in diesem Stücke waren schön und mit gutem Urtheil gemacht:[149] vornehmlich fiel eine Scene sehr in die Augen, welche einen hohen aber fruchtbaren Berg vorstellte, von welchem Tomyris mit ihren Hofleuten und Garde zu einer Unterredung mit Cyrus herabkam.

Das Orchester war ziemlich schwach und altäglich; und überhaupt, fand ich hier auch die Musik auf den Gassen schlechter und seltener als in Venedig. Doch ward ich bald nach meiner Ankunft in dem Wirthshause, wie jeder Fremder, mit einem Duett bewillkommet, welches auf einer Geige und einem Mandolin sehr gut gespielt ward; und diesen Nachmittag spielte eine herumstreifende Bande unter meinem Fenster vierstimmig verschiedene Symphonien und einzelne schwere Stücke.


Sonnabends, den 25sten.

Heute hatte ich das Vergnügen, meine Zeit bey Sgr. Farinelli auf seinem Landhause, etwa eine englische Meile von Bologna zuzubringen. Es ist noch nicht fertig, ungeachtet er seit seiner Zurückkunft von Spanien daran gebauet hat.61[150] Der Pater Martini ward gebeten, daselbst mit mir zu speisen, und ich kann nicht umhin zu gestehen, daß ich mich für sehr glücklich hielt, in Gesellschaft zweyer so ausserordentlicher Männer zu seyn.

Sgr. Farinelli hat schon lange den Gesang verlassen, doch vergnügt er sich noch immer auf dem Flügel und der Viole d'Amour. Er besitzt eine Menge Clavierinstrumente, die in verschiedenen Ländern gemacht sind; er benennet sie mit den Namen der größten italiänischen Mahler, je nachdem sie bey ihm in Gunst stehen. Sein erster Liebling ist ein Pianoforte, welches 1730 zu Florenz verfertigt worden, auf welchem mit goldenen Buchstaben der Name Raphael d'Urbino steht; hierauf folgt ein Correggio, Titian, Guido u.s.w. Er spielte sehr lange auf seinem Raphael mit feinem Urtheil und Delikatesse; und er hat verschiedne hübsche Stücke für dieß Instrument gesetzt. Sein zweyter Günstling ist ein Flügel, welchen ihm die hochselige Königinn von Spanien geschenkt hat, welche sowohl in Portugall als in Spanien Scarlattis Schülerinn war. Für diese Prinzeßinn setzte er die ersten beyden Samlungen seiner Sonaten, und ihr ward die erste Ausgabe, die zu Venedig herauskam, als sie noch Prinzeßin von Asturien war, dedicirt. Dieser Flügel, welcher in Spanien gemacht ist, hat mehr Ton als irgend einer von den andern. Sein dritter Günstling ist gleichfals ein in Spanien[151] nach seiner Anweisung gemachter Flügel; es ist ein bewegliches Clavier daran, wodurch der Spieler, wie bey dem, das der Graf von Taxis zu Venedig hatte, ein Stück höher oder niedriger transponiren kann. Bey diesen spanischen Flügeln sind die ganzen Töne schwarz, und die halben mit Perlmutter belegt. Uebrigens sind sie nach italiänischer Art, alles ist von Cedernholz, der Sangboden ausgenommen, und sie stehen in einem Futterale.

Sgr. Farinelli war sehr umgänglich und gefällig. Er sprach sehr frey von den alten Zeiten, vornehmlich von der, da er in England war; und ich dächte, daß sein Leben, wenn es wohl geschrieben wäre, dem Publikum sehr interessant seyn würde, da es sehr mannigfaltig und an den vornehmsten Höfen von Europa zugebracht ist. Hier ist nicht der Ort, es zu erzählen, denn ich hoffe, daß es noch lange nicht geendigt seyn wird. Folgende Anekdoten, die ich vornehmlich in seinem und Pater Martini's Umgange aufgesammlet habe, mögen inzwischen fürs erste die Neugierde des Lesers einigermassen befriedigen.

Carlo Broschi, genannt Farinelli, ward im Jahre 1705 zu Neapel gebohren. Sein Vater, Sgr. Broschi, gab ihm selbst seine erste musikalische Erziehung; nachher studierte er unter Porpora, der mit ihm reiste. Er war siebzehn Jahr alt, als er seine Vaterstadt verließ, um[152] nach Rom zu gehen. Hier war, so lange die damahlige Oper im Gange war, alle Abend ein Wettstreit zwischen ihm und einem berühmten Trompeter, der ihm eine Arie mit seinem Instrumente begleitete. Dieser Streit schien anfangs freundschaftlich und bloß scherzhaft, bis die Zuschauer anfiengen Theil daran zu nehmen, und sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen. Nachdem sie verschiedenemal Noten ausgehalten hatten, worin jeder die Kraft seiner Lunge zeigte, und es dem andern an glänzender Fertigkeit und Stärke hervorzuthun suchte, kriegten beyde zusammen eine haltende Note und einen Doppeltriller, in der Terzie, welchen sie so lange fortschlugen, unterdeß daß die Zuhörer ängstlich auf den Ausgang warteten, daß beyde erschöpft zu seyn schienen; der Trompeter, der ganz athemlos war, gab ihn auch in der That auf, und dachte, daß sein Nebenbuhler eben so ermüdet seyn würde als er selbst war, und daß der Sieg unentschieden wäre: als Farinelli, mit einer lächelnden Miene, um ihm zu zeigen, daß er bisher nur mit ihm gespaßt habe, auf einmahl in eben dem Athemzuge, mit neuer Stärke ausbrach, und nicht nur die Note schwellend aushielt und trillerte, sondern auch sich in die schnellesten und schwersten Läufe einließ, wobey er bloß durch das Zujauchzen der Zuschauer zum Stillschweigen gebracht wurde. Hier kann man den Zeitpunkt seiner Vortreflichkeit anfangen, die er seitdem immer vor alle seine Zeitgenossen behauptet hat.[153]

Schon in den frühen Jahren seines Lebens ward er durch ganz Italien vorzüglicher Weise, der Knabe genannt.

Von Rom gieng er nach Bologna, wo er das Glück hatte, den Bernacchi (einen Schüler des berühmten aus dieser Stadt gebürtigen Pistocco) zu hören, welcher damals der erste Sänger sowohl an Geschmack als an Einsicht in Italien war; und dessen Schüler nachmals die bolognische Schule sehr berühmt gemacht haben.

Von da gieng er nach Venedig und von Venedig nach Verona, wo man durchgehends seine Fähigkeiten als ein Wunderwerk ansah. Er selbst erzählte mir, daß zu Wien, wo er dreymal war, wo ihm Kaiser Carl der VI. die größte Ehre erwieß, eine Erinnerung dieses Fürsten ihm mehr nützte als alle Lehren seines Meisters, oder alle Beyspiele seiner Mitwerber um die Unsterblichkeit. Seine Kaiserliche Majestät würdigte ihn einstmahls, ihm mit vieler Gnade und Herablassung zu sagen, daß er bey seinem Singen, weder das Bewegen noch das Stillstehen anderer Sterblichen habe, sondern daß alles übernatürlich sey. »Jene gigantischen Schritte, (sagte er,) jene unendlichen Noten und Gurgeleyen (ces notes qui ne finissent jamais) überraschen uns, und itzt ist es Zeit für sie zu gefallen; sie sind mit den Gütern, die ihnen die Natur verliehen hat, zu verschwenderisch; wenn sie die Herzen einnehmen[154] wollen, so müssen sie einen ebenern, simplern Weg gehen.« Diese wenigen Worte brachten eine gänzliche Veränderung in seiner Singart hervor; von der Zeit an vermischte er das Lebhafte mit dem Pathetischen, das Simple mit dem Erhabenen, und auf diese Weise rührete er jeden Zuhörer sowohl, als er ihn in Erstaunen setzte.

Im Jahre 1734 kam er nach England. Jeder der ihn gehört hat, oder ihn nur aus dem Gerüchte kennt, weiß, was für eine Wirkung seine erstaunenden Talente auf die Zuhörer thaten. Alle waren hingerissen, entzückt, bezaubert.

In der berühmten Arie Sono qual Nave, die sein Bruder gesetzt hatte, fing er die erste Note so sanft an, schwellte sie durch ganz unmerkliche Grade zu einer erstaunlichen Stärke und linderte sie auf eben die Weise wieder, daß man ihm völlig fünf Minuten klatschte. Sodann fieng er mit einer so glänzenden raschen Fertigkeit an fortzusingen, daß es dem damaligen Orchester schwer ward, mit ihm Takt zu halten. Kurz er übertraf alle Sänger so sehr, als das berühmte Rennpferd Childers alle andere Renner übertraf. Doch war er nicht nur an Geschwindigkeit ihnen überlegen, sondern er vereinigte in sich aller grossen Sänger Vortreflichkeiten. In Ansehung seiner Stimme: Stärke, Annehmlichkeit und weiten Umfang; in seiner Singart: Zärtlichkeit, Anmuth und Fertigkeit. Er hatte Vorzüge, dergleichen[155] man weder vor noch nach ihm bey irgend einem Menschen zusammen antraf; Vorzüge, deren Kraft man nicht widerstehen konnte, und die jeden Zuhörer, den Kenner und Nichtkenner, Freunde und Feinde besiegen mußten.

Mit diesen Talenten kam er im Jahr 1737 nach Spanien, mit dem ernstlichen Vorsatze, bald wieder nach England zurück zu kehren, wo er sich mit dem Adel, der damals die Opern gab, in Verbindungen eingelassen hatte, um in der nächsten Schauspielezeit zu singen. Unterweges sang er vor dem Könige von Frankreich zu Paris, wo er, dem Riccoboni zufolge, sogar die Franzosen bezauberte, welchen damals überall die italiänischen ein Abscheu war. Als er zum erstenmal vor dem Könige und der Königinn von Spanien sang, ward sogleich beschlossen, daß man ihm in Dienste des Hofes nehmen wolle, dem er sich nachher gänzlich widmen mußte, indem ihm nicht ein einzigmal wieder erlaubt ward, öffentlich zu singen. Man gab ihm einen jährlichen Gehalt von 2000 Pfund Sterling.

Er erzählte mir, daß er die ersten zehn Jahre seines Aufenthalts am spanischen Hofe, so lange Philipp der Fünfte lebte, diesem Monarchen alle Abend die nehmlichen vier Arien vorsingen muste, worunter zwey von Hassen gesetzt waren, nehmlich Pallido il Sole undPer questo dolce amplesso.62 Die andern beyden habe ich vergessen;[156] doch die eine war eine Menuet, welche er nach Gefallen zu verändern pflegte.

Nach Philip des fünften Tode blieb er bey dessen Nachfolger Ferdinand dem Sechsten in gleicher Gunst, welcher ihn auch 1750 mit dem Orden von Calatrava beehrte. Doch wurden seine Arbeiten nunmehr weniger anhaltend und ermüdend, indem er diesen Fürsten beredete, Opern zu halten, welches ihm eine grosse Erleichterung war. Er machte ihn zum einzigen Direktor dieser Schauspiele; und gab ihm die damaligen besten Componisten und Sänger aus Italien. Metastasio war Dichter der Oper. Er zeigte mir in seinem Hause vier der vornehmsten Scenen in der Didone und Niterti, von Amiconi gemahlt, der ihn zuerst nach England und darauf nach Spanien begleitet hatte, wo er starb.

Als der jetzige König von Spanien den Thron bestieg, so sah Farinelli sich genöthigt das Königreich zu verlassen; doch ward ihm sein Gehalt noch jährlich ausgezahlt, und er bekam die Erlaubniß seine Sachen mitzunehmen. Sein Haus ist sehr prächtig ausmöblirt, und zwar meistentheils mit Sachen, die ihm von grossen Herren geschenket worden. Er schien es sehr zu bedauren, daß er noch einen neuen Aufenthalt suchen müssen, nachdem er vier und zwanzig Jahr in Spanien gelebt, und daselbst viele Freundschaften und Verbindungen, die ihm sehr lieb waren, errichtet hatte.[157] Es ist ein grosser Beweis seiner Klugheit und Mäßigung, daß er in einem Lande und an einem Hofe, wo Eifersucht und Stolz immer geherrschet haben, so lange des Königs Günstling geblieben ist, ohne bey diesem gewöhnlich so verhaßten Vorzuge, mit irgend einem Spanier den geringsten Zank zu haben.

Als er im Jahre 1761 nach Italien zurückkehrte, so waren alle seine alten Freunde, Verwandten und Bekannten entweder todt, oder von den Orten, wo er sie verlassen hatte, weggezogen; er mußte also ein zweytes Leben beginnen, ohne daß er durch Reizungen der Jugend seine Freunde hätte an sich ziehen, oder durch seine vorigen Talente neue Beschützer erwerben können.

Er sagte, daß Metastasio und er, Zwillinge der Gunst des Publikums wären, die zu gleicher Zeit in der Welt auftraten, indem er in der ersten Oper dieses Dichters sang. Als er mir sein Haus zeigte, wies er mir ein Originalgemählde von Amiconi, welches um die Zeit gemacht war, und die Bildnisse des Metastasio, des Farinelli selbst, der berühmten Sängerin Faustina, und des Amiconi enthielt.

Aus seinem Umgange schien zu erhellen, daß der spanische Hof ihm Bologna zu seinem Aufenthalte bestimmt hatte; ungeachtet die Italiäner sagen, daß er zuerst Willens gewesen, sich in[158] Neapel, seiner Geburtsstadt niederzulassen, wovon er aber durch die häufigen und lästigen Ansprüche seiner Verwandten abgehalten worden. Doch dem sey wie ihm wolle, so hat er doch eine Schwester mit zwey Kindern bey sich, wovon das eine noch ganz klein ist, in welches er, ungeachtet seines Eigensinnes, seiner Kränklichkeit, Unartig- und Häßlichkeit, dennoch innig verliebt ist. Inzwischen ist dieß unter andern ein Beweis, daß ihn die Natur zu gesellschaftlichen Beschäftigungen und häuslichen Freuden bestimmt hatte. Er beklagte es in seinem Umgange, daß er aus politischen Ursachen nicht in England sich hätte niederlassen können; denn nächst Spanien, sey dieß das Land, wo er am liebsten seine übrige Lebenszeit zuzubringen gewünscht hätte.

Er spricht viel von der Ehrfurcht und Dankbarkeit, die er den Engländern schuldig ist. Ich aß bey ihm von einem zierlichen Silberservies, welches er bey seinem Aufenthalte in England hatte machen lassen. Er zeigte mir verschiedne Porträts von sich, welche damals gemahlt wurden, das eine von Amiconi ist in Kupfer gestochen. Von eben dem Mahler hat er einen englischen Schornsteinfegeriungen, der mit einer Katze spielt, und ein Apfelweib mit einer Tragbahre. Auch besitzt er eine merkwürdige englische Wanduhr, mit kleinen Puppen, die auf der Cither, Violine, und dem Violonschell mit einander spielen, deren Arme und Finger immer von der Uhr selbst beweget werden.[159]

Sein Saal, worin ein Billiard stehet, ist voller Bildnisse von grossen Herren, und zwar meistentheils von Regenten, welche seine Gönner gewesen sind, worunter zwey Kaiser, eine Kaiserin, drey Könige von Spanien, zwey Prinzen von Asturien, ein König von Sardinien, ein Prinz von Savoyen, ein König von Neapel, eine Prinzeßin von Asturien, zwey Königinnen von Spanien, und der Pabst Benedikt der vierzehnte sich befinden. In den andern Zimmern sind verschiedne reizende Gemählde von Ximenes und Morilo63, zwey spanischen Mahlern vom ersten Range, und vom Spagnoletto.

Sir Benjamin Keene war sein grosser Gönner, und er spricht von seinem Tode nicht nur als von einem Unglücke sowohl für den englischen als spanischen Hof, sondern auch als von einem unersetzlichen Verluste für ihn und seine Freunde. Er zeigte mir verschiedne in England verfertigte Gemählde, von einem Künstler der sie im Gefängnisse, worin er Schulden halber saß, gemacht hatte; seinen Namen habe ich vergessen. Lord Chesterfeld hatte ihm dieselben auf die höflichste Art von der Welt geschenket.

Als ich ihm meinen Wunsch bekannt machte, sein Leben zu beschreiben, oder wenigstens einige[160] besondere Nachrichten davon in meine Geschichte einzurücken, so antwortete er mir mit einer wirklich zu weit getriebenen Bescheidenheit: »Wenn sie ein gutes Werk schreiben wollen, so bringen sie keine Nachrichten von so unwürdigen Dingen, wie ich bin, hinein.« Doch theilte er mir alle besondre Umstände von Dominico Scarlatti mit, die ich wünschte, und diktirte sie mir so gar.

Er hat noch immer einige englische Wörter behalten, die er während seiner Anwesenheit in Londen sich gemerkt hatte, und er unterhielt mich den größten Theil dieses Tages mit Nachrichten von seiner Aufnahme und Begebenheiten daselbst. Er wiederhohlte eine Unterredung, die er mir einstmahls mit der Königinn Carolina, über die Faustina und Cuzzoni hatte; und erzählte mir, wie er zum erstenmahle bey Hofe vor Sr. Majestät dem hochseligen Könige Georg den zweyten gesungen habe, wobey ihm die königliche Prinzessin, nachmahlige Prinzessin von Orange mit dem Flügel begleitete, welche verlangte, daß er zwey von Händels Arien vom Blatte wegsingen sollte, die in einem Schlüßel und in einer Schreibart gesetzt waren, welche er gar nicht gewohnt war. Ferner erzählte er mir von seinem Aufenthalte auf dem Lande bey dem Herzoge und der Herzoginn von Leeds und bey dem Lord Cobham; von der Fehde zwischen den beyden Opern; von dem Antheile, welchen der hochselige Prinz von Wallis an der nahm, welche vom Adel dirigirt ward, indem[161] die Königin und die königliche Prinzeßin es mit der hielt, die unter Händels Aufsicht war.

Er bestätigte mir gleichfalls die Wahrheit folgender sonderbaren Geschichte, welche ich oftmals gehört hatte, aber noch nicht zuverläßig wußte. Senesino und Farinelli waren zu gleicher Zeit in England, allein da sie auf verschiedenen Theatern, und zwar an eben denselben Abenden spielen mußten, so hatten sie noch nicht Gelegenheit gehabt, einander zu hören. Bey einer plötzlichen Theaterrevolution, dergleichen oft und allemal unerwartet vorfallen, kamen sie beyde als Sänger auf einem Theater zusammen. Senesino hatte die Rolle eines wütenden Tyrannen, und Farinelli einen unglücklichen Helden in Ketten vorzustellen. Allein, gleich bey der ersten Arie erweichte er das Herz, das harte Herz des aufgebrachten Wüterichs so sehr, daß Senesino seine Theaterrolle vergaß, und in eigener Person zum Farinelli lief und ihn umarmte.


Montags, den 22sten.

Heute machte ich der Doctorin Laura Bassi, nachdem ich das hiesige Institut besehen hatte, meine Aufwartung, und ward sehr gütig aufgenommen. Als ich ihr den Padre Beccaria nannte, und ihr seine Empfehlung in meinem Taschenbuche zeigte, waren wir gleich gute Freunde. Dies Frauenzimmer ist fünfzig bis sechzig Jahr[162] alt; sie ist gelehrt und hat viel Genie, aber giebt sich gar kein männliches oder stolzes Ansehn. Wir sprachen von den berühmtesten Gelehrten Europens. Sie war sehr höflich gegen die Engländer und pries einen Newton, Halley, Bradley, Franklin und andre ungemein. Sie zeigte mir ihre electrische Maschine mit dem Zubehör. Die Maschine ist simpel, bequem und leicht von der Stelle zu bringen. Sie besteht aus einer blossen senkrecht gestellten gläsernen Platte; die beyden Küssen sind mit rothem Leder überzogen; der Ableiter ist eine dünne in eine Gabel ausgehende Röhre; diese Gabel, welche am Ende Zacken hat, liegt zunächst an der Glastafel. Sie ist sehr geschickt und erfinderisch in ihren Versuchen, und war so gefällig mir einige davon zu zeigen. Sie erzählte mir, daß ihr Gemahl, Sgr. Verati unmittelbar nach Dr. Franklin bewiesen, daß der Blitz ein elektrisches Feuer sey, und zugleich seine Methode die Häuser vor den Wirkungen desselben durch eiserne Stangen zu bewahren, bekannt gemacht habe. Es sey hierauf eine Conductor auf dem Hause des Instituts errichtet worden: allein die Bologneser wären so bange vor den Stangen gewesen, und hätten gefürchtet, sie würden den Blitz vielmehr herlocken, als ableiten, so daß er die Stangen wegnehmen müssen. Benedict der vierzehnte, einer der einsichtsvollesten und erleuchtetsten Päbste, der in Bologna gebohren war, und vorzüglich dieser ihm unterthänigen Stadt wohl wollte, schrieb ausdrücklich einen Brief diese[163] Conductors zu empfehlen; allein es war so sehr den Neigungen der Einwohner zuwider, daß Sgr. Verati ganz von seinem Vorhaben abstund, und seitdem sind sie hier niemals wieder gebraucht worden.

Es ist in dem Institute ein eignes Zimmer nebst einem Vorrathe von Instrumenten für die Elektricität; allein die Maschinen sind alt, und viel schlechter als die in England üblichen. Es ist sonderbar, daß diese Universität keine Correspondenz nach England hat, und nicht im Stande ist, unsre philosophischen Transactionen zu kaufen. Die Besoldungen sind sehr geringe, und alles Geld, welches zur Unterhaltung des Instituts bestimmt wird, ist schon versagt. Dieß erzählte mir der Aufseher oder Custode, welcher mir die Zimmer zeigte. Mein Besuch bey der gelehrten Sgra. Bassi war mir sehr angenehm, und sie war so gefällig, mir einen Brief an Sgr. Fontana zu Florenz, einen der größten Mathematiker in Europa, anzubieten.

Man macht in Bologna von den Braviorbi, oder blinden Geigern viel Wesens; sie waren aber nicht in der Stadt, als ich da war. Alle Meister bewundern sie in ihrem Fache sehr, vornehmlich Jomelli, der sie allezeit kommen und vor sich spielen lässt, wenn sie in einer Stadt mit ihm sind. Sie reisen in Sommer herum nach Rom, Neapel und andern Orten: der eine spielt die Geige, und[164] der andere, welcher Spacca Nota, oder der Notenklauber genannt wird, das Violonschell.

Am Donnerstage, worauf ein Festtag fiel, war in der Klosterkirche des heil Augustinus Musik. Der Komponist war Sgr. Caroli, Maestro di Capella del Duomo zu Bologna. Das Musikchor war stark, alleine die Musik empfahl sich weder durch Gelehrsamkeit noch Geschmack noch durch Neuheit. Sie bestund aus alten Sätzen, die plump zusammen geflickt waren, ohne daß sie im Geringsten durch muntere Einfalle wären belebt worden. Das Singen machte die Musik noch widriger, denn es war unter dem Mittelmäßigen.

Diesen Nachmittag nahm ich von dem Cavaliere Farinelli einen traurigen Abschied. Er drang sehr gütig in mich, länger in Bologna zu bleiben, und schalt mich sogar wegen meiner frühen Abreise. Ich traf ihn bey seinem Raphael an, und er spielte mir zu Gefallen noch eine ziemliche Zeit lang: er singt dazu mit unbeschreiblich vielem Geschmacke und Ausdrucke. Es that mir wirklich leid, diesen außerordentlichen, liebenswürdigen Mann zu verlassen. Er verlangte von mir, daß ich durchaus an ihn schreiben sollte, wenn er in Italien etwas für mich thun, oder mir etwas verschaffen könnte. Ich blieb so lange bey ihm, daß ich in Gefahr war, von der Stadt Bologna ausgeschlossen zu werden, weil man hier[165] die Thore alle Abend schliesst, sobald es dunkel wird.

Auf Anrathen des P. Martini blieb ich zwey Tage länger, als ich Willens war, zu Bologna, um bey einem Wettstreite derjenigen Komponisten in dieser Stadt gegenwärtig zu seyn, die Mitglieder der im Jahre 1666 gestifteten philharmonischen Gesellschaft sind.

Die jährliche öffentliche Probemusik des Morgens und Abends, ist den 13ten August in der Kirche St. Giovanni in Monte.64 Dieß Jahr war Sgr. Petronio Lanzi Principe oder Präsident. Das Orchester war sehr stark besetzt, und bestund fast aus hundert Stimmen und Instrumenten. Es sind zwey große Orgeln in der Kirche, auf jeder Seite des Chors eine; ausserdem war vorwärts eine kleine zu dieser Gelegenheit gerade hinter dem Komponisten und den Sängern errichtet worden. Die Spieler stunden auf einer Emporkirche, welche einen halben Cirkel ums Chor herum machte.

In der Messe oder Vormittags-Gottesdienste war das Kyrie und Gloria von Sgr. Lanzi, der zum zweytenmale Präsident war, in Musik gesetzt.[166] Seine Arbeit war ernsthaft und majestätisch; sie fieng mit einer ziemlich langen Einleitung an, nach Art einer Anfangssymphonie, welche er nachmals zur Begleitung der Stimmen in einem sehr guten Chore gebrauchte. Es kommen auch einige schöne Arien darin vor, und eine fleißig gearbeitete Fuge.

Das Graduale war von Antonio Caroli in eben dem trockenen, gar nicht anziehenden Styl gesetzt, als die oben angeführte Musik, und selbst vor sechzig Jahren hätte man sie für abgedroschen und abgeschmackt gehalten.

Das Credo hatte Sgr. Lorrenzo Gibelli, einen Schüler den Padre Martini zum Verfasser, und verdiente in Ansehung der Harmonie gelobt zu werden.

Die Messe ward mit einer Symphonie, worin Solostellen vorkamen, geschlossen. Sgr. Giovanni Piantanida, erster Violinist zu Bologna, spielte die letztere, und setzte mich wirklich in Verwunderung. Dieser Geiger ist über sechzig Jahr alt, und hat doch noch alles jugendliche Feuer mit einem guten Tone und neuem Geschmacke. Ueberhaupt schien er mir (obgleich seine Bogenhand einen plumpen, verkehrten Anstand hatte) die Geige mehr in seiner Gewalt zu haben, als irgend einer, den ich bisher in Italien gehöret hatte.

In der Vesper oder Abendmusik war das Domine von Sgr. Antonio Fontana di Carpi, einem Priester gesetzt; es war ein reizendes Stück, das immer in einem Zeitmaße fortgieng.[167]

Das Dixit war von dem Abt Giov. Calisto Zanotti, einem Neffen des gelehrten Bibliothekars dieses Namens; und seine Komposition hatte alle Zeichen eines originalen und gebildeten Genies. Die Stücke in verschiedener Bewegung, und sogar die Passagien waren gut contrastiret; und um in der Mahlersprache zu reden, so waren darin nicht bloß Licht und Schatten, sondern sogar die Halbschatten gut ausgedruckt. Er gieng von einem zum andern durch so leichte unmerkliche Stuffen über, daß man alles für ein Werk der Natur ansah, da es doch mit der größten Kunst war ausgeführet worden.

Die Instrumentalbegleitung war mit vielem Urtheile hinzugesetzt, die Ritornelle drückten allzeit etwas aus; die Melodie war neu und geschmackvoll, und das Ganze mit vielem Bedacht und sogar mit Gelehrsamkeit zusammengesetzt. Kurz ich habe selten in meinem Leben größer Vergnügen von einer Musik empfunden, als diese mir verschaffte; und doch wurden die Singstimmen nicht ausserordentlich ausgeführt, weil itzt zu Bologna keine große Sänger waren. Inzwischen waren ihrer ein Paar ganz gute, vornehmlich ein Altist, Sgr. Cicognani, der in einer ernsthaften Oper einen guten zweyten Sänger abgeben würde; und ein Discantist, Casoli, ein Knabe von etwa dreyzehn oder vierzehn Jahren, mit einer angenehmen aber schwachen Stimme, der viel Geschmack und Ausdruck hatte. Sgr. Zanotti[168] ist ein Schüler des Pater Martini, und einer von den Maestri di Capella der St. Petronius-Kirche.

Der Komponist, welcher nach ihm die Ausführung des Orchesters übernahm (denn jeder schlägt bey seiner eigenen Komposition den Takt) war Sgr. Gabrielle Vignali. Unter den Theilen der Kirchenmusik war ihm das Confirebor zugefallen; und er hatte es auf eine so schuldlose Art gesetzt, daß der schärfste Richter sich durch keine Fehler, so wie der neidischte Kritiker durch keine Schönheiten beleidigt fand.

Beatus Vir war von D. Giuseppe Coretti, einem verehrungswürdigen Priester, der in Bologna als Kontrapunctist einen grossen Namen hat, sehr gelobet. Seine Musik war sehr meisterhaft, und hatte in Ansehung der reinen Harmonie und regelmäßigen Modulation unbeschreibliches Verdienst.

Laudate Pueri hatte Sgr. Bernardo Ottani, gleichfals ein Schüler des Pater Martini gesetzt, der noch jung ist, und als Komponist viel verspricht. Sein Stück war voll sinnreicher artiger Gedanken; so wie das folgende von D. Franzesco Orsani, einem jungen Priester, der ebenfalls bey P. Martini die Komposition gelernt hatte.

Den Beschluß machte ein Magnificat des Sgr. Antonio Mazzoni, zweyten Kapellmeisters an der Dohm- oder Cathedralkirche, welcher auch Opernkomponist hieselbst ist, und als solcher[169] zu Neapel, Madrid und Petersburg gestanden hat. Man sagt, daß er viel Feuer und Einbildungskraft besitzt, welche man aber in diesem Stücke, das aus lauter Chören bestund, nicht merkte; es gründete sich durchgehends auf einen Grundbaß, der von allen Instrumenten gespielt ward, und mir zu mühsam und gezwungen schien.

Alle Kritiker aus Bologna und den benachbarten Städten waren bey dieses Musiken gegenwärtig, und die Kirche war ungemein voll. Im Ganzen fand ich sehr gute Unterhaltung; die Mannigfaltigkeit des Styls, und die meisterhaften Kompositionen machten nicht nur der philharmonischen Gesellschaft, sondern auch der Stadt Bologna selbst Ehre, welche allezeit sehr fruchtbar an Genies gewesen ist, und eine Menge geschickter Leute in allen Künsten hervorgebracht hat.

Ich muß meinen musikalischen Lesern nicht verschweigen, daß ich bey diesen Musiken Herrn Mozart und seinen Sohn, den kleinen Deutschen vorgefunden habe, dessen frühzeitige und stets übernatürliche Talente uns vor einigen Jahren zu London in Erstaunen setzten, als er kaum über seine Kinderjahre hinaus war. Seit seiner Ankunft in Italien ist er zu Rom und Neapel sehr bewundert worden. Se. päbstl. Heiligkeit hat ihn mit dem Speron d'oro, oder goldenen Sporn beehret, und man trug ihm zu Mayland auf, die Oper für das nächste Carneval zu komponiren.[170]

Ich kann diese Stadt nicht verlassen, ohne noch einmal zu dem guten Pater Martini zurückzukehren. Nach dem vorhin beschriebenen Wettstreite, gieng ich zu ihm ins Kloster, wohin er mich bestellt hatte, um von ihm Abschied zu nehmen, weil ich Bologna des Tages darauf früh verlassen wollte. Er wartete in seiner Studierstube auf mich, ungeachtet es schon spät und nach der Zeit war, wo die Mönche Gesellschaft annehmen. Er hatte die Güte gehabt, Empfehlungsschreiben nach Florenz, Rom und Neapel für mich fertig zu machen; und hatte noch mehr merkwürdige Bücher ausgesucht, um sie mir zu zeigen, wovon ich mir die Titel aufschrieb, in Hoffnung, sie künftig einmal irgendwo anzutreffen. Er hatte mir des Tages zuvor gesagt, daß er bey der philharmonischen Versammlung nicht gegenwärtig seyn könne, und sich daher auf mein Urtheil und Erzählung, wie die Stücke ausgefallen wären, verlassen wolle. Er verlangte demnach von mir, ihm jede Komposition zu beschreiben; welches ich auch auf das getreulichste that. Ich wollte mich empfehlen, als er zu mir sagte: »Wollen sie nicht warten, bis der Text zu diesen Kanons hinzugeschrieben worden?« – Ich hatte nehmlich am vorigen Tage mit einem jungen Franziscaner, seinem Schüler aus einem gewaltig dicken geschriebenen Buche voll seiner Kanons, einige gesungen, wovon ich ein Paar zu haben wünschte; der vortrefliche Pater, welcher sich daran erinnerte, hatte jemand kommen lassen, der noch saß und[171] daran schrieb, als ich in das Zimmer trat; weil er aber gewöhnlich einige Amanuenses daselbst hatte, so achtete ich auf diesen nicht.65 Endlich nahmen wir Abschied von einander; ich auf meiner Seite mit Betrübniß, und er mit dem Auftrage, oft an ihn zu schreiben.

58

S. Volkmann. B. 1. S. 377.

59

S. kritische Briefe über die Tonkunst. B. 2. S. 239. ff.

60

Ich hatte oftmals verschiedene Buchhändler auf dem festen Lande durch die Liste weiner die Musik betreffenden Bücher in Verwunderung gesetzt, doch hier mußte ich selbst erstaunen. Ungeachtet dem Pater Martini viele Geschenke von raren Büchern und Msstn. gemacht worden, so hat er doch oftmals andere sehr theuer bezahlen müssen, vornemlich ein spanisch geschriebenes vom Jahr 1613, welches ihm zu Neapel, wo es gedruckt ist, hundert Dukaten kostete.

61

Das ganze Land umher ist flach; allein ungeachtet die Gegenden um die Stadt vielleicht die fruchtbarsten in Italien sind, so scheinen doch die Einwohner gar keine Spur vom Geschmacke in Anlegung ihrer Gärten zu haben. Sgr. Farinelli's Landhaus hat inzwischen eine schöne Aussicht nach Bologna, und den kleinen Hügeln, die nahe dabey liegen.

62

Beyde aus Artaserse.

63

Er heißt eigentlich Murillo und unter diesen Namen muß man ihn sowohl in Füesli's Künstler-Lexikon, als beym Dargensville (Leben der Mahler 2. B.S. 343. der deutschen Ausg.) suchen.

64

Diese Kirche ist durch den Besitz zweyer der besten Gemählde in Bologna oder vielleicht gar in der Welt berühmt, nämlich der heil. Cäcilia von Raphael und der Madonna mit dem Rosenkranze des Domenichini. Sie stehen in zwey Kapellen, die gegen einander über sind, zwischen welchen ich gerade in der Mitte und also gerade vor diesen Gemählden saß, indem ich der Musik zuhörte.

65

Pater Martini hat eine erstaunende Menge gelehrter und gedankenreicher Kanons gemacht, worin er alle Arten von künstlicher Verwickelung und Erfindung, welche irgend bey dieser schweren Art Komposition Statt finden können, glücklich überwunden hat. Viele davon stehen als Vignetten in seiner Geschichte der Musik.

Quelle:
Carl Burney's der Musik Doctors Tagebuch einer Musikalischen Reise. [Bd. I]: durch Frankreich und Italien, Hamburg 1772 [Nachdruck: Charles Burney: Tagebuch einer musikalischen Reise. Kassel 2003], S. 141-172.
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