VII.

Beginn der Komposition des ›Tristan‹.

[163] Vergebliche Hoffnung auf Liszts Besuch. – Lektüre des Calderon. – Finanzkrisis. – Verkehr mit Wesendoncks, Komposition der 5 Gedichte. – Ausflug nach Paris. – Treppenhaus-Konzert bei Wesendoncks. – Minnas Erkrankung – Großherzog Karl Alexander. – Tausig, Tichatschek, Bülows, Klindworth. – Auflösung des Hausstandes und Trennung von Minna.


Wir sind nicht für das Leben gemacht, sondern dazu, das Leben überdrüssig zu werden. Wer es am ersten wird, erreicht am schnellsten seine Aufgabe. Alle sogenannten Glückwechsel sind eben nur Palliativmittel, die das Übel nur verschlimmern.

Richard Wagner.


Der Eintritt der rauheren Jahreszeit änderte nichts an den Gewohnheiten seines täglichen Lebens, der Arbeiten in den Frühstunden, der nachmittäglichen Spaziergänge, der Lektüre, des nachbarlichen Verkehrs von Haus zu Haus. Den ganzen Oktober hindurch hoffte und wartete er noch auf einen Besuch Liszts, als des großen Einzigen unter seinen Freunden, der ihn noch nicht in seiner neuen Häuslichkeit aufgesucht. Wie viel hatte er mit ihm mündlich zu besprechen und auszutauschen! ›Du bist also nicht gekommen, liebster Franz‹, schreibt er ihm gegen Ende dieses Monates. ›Ohne ein Wort weiter mir deshalb zu sagen – einfach, stillschweigend nicht gekommen! nachdem Du mich in zwei Briefen wiederholt Deinen Besuch hattest verhoffen lassen!‹ Aus gleichzeitigen vertrauten Nachrichten vernehmen wir von Liszts eigener tiefer Verstimmung, in Folge beständiger Beunruhigungen durch seine tausendfachen Beziehungen und Verpflichtungen.1 Sein Geburtstag, der 22. Oktober, zugleich [163] in Florenz der Vermählungstag seiner ältesten Tochter Blandine (S. 159 A.), war auf der Altenburg durch die Aufführung eines Festspieles gefeiert worden; am 7. November fand im Dresdener Hoftheater, in einem Konzert zum Besten des Pensionsfonds, die erste Aufführung seiner › Dante-Symphonie‹ statt,2 die ihn in die Kreise der dortigen künstlerisch-literarischen Geselligkeit warf. Tichatschek, Fischer, Heine, aber auch Auerbach, Gutzkow und ähnliche Geisteshelden der sächsischen Residenz umdrängten ihn. Mitten im Dresdener Trubel gelangte an ihn ein feuriger Seelengruß des einsamen Züricher Freundes in dem Augenblicke, da er zur ersten Aufführung seines Werkes schritt. Wie durch die Ferne abgedämpft, erreichte diesen der Schall aller jener Vorgänge aus einer anderen Welt. In sehnsuchtsvoller Versenkung hatte er inzwischen die Kompositon des Vorspieles und des ersten Aktes seiner neuen Schöpfung aufgenommen und führte sie bis zum Schluß des Jahres, dem 31. Dezember, in einem ununterbrochenen Zuge zu Ende, im Bewußtsein, gerade mit diesem Akte den schwierigsten Teil seiner Arbeit vollbracht zu haben.3 Als einzige Lektüre beschäftigte ihn während dieses ganzen Winters Calderon. Er betrachtete es als ein wahrhaftes Labsal, so im reifsten Alter die Bekanntschaft eines Dichters, wie dieser, zu machen (›ich bin nahe daran, ihn einzig hoch zu stellen‹), und gesteht, daß er sich durch ihn und um seinetwillen am Ende noch verleiten lassen könnte ›etwas Spanisch zu lernen‹. Einstweilen bediente er sich der vorhandenen deutschen Übersetzungen von Schlegel, Gries, von der Malsburg und Martin. Dem Dichter von ›Tristans Ehre – höchste Treu‹ trat in den Schöpfungen dieses Dramatikers eben jener Begriff der ›Ehre‹ als der Ausdruck eines seinen und tief leidenschaftlichen Sinnes der spanischen Nation entgegen. ›Seine ergreifendsten Darstellungen haben den Konflikt dieser »Ehre« mit dem tief menschlichen Mitgefühl zum Vorwurf. Die »Ehre« bestimmt die Handlungen, welche von der Welt anerkannt, gerühmt werden; das verletzte Mitgefühl flüchtet sich in eine fast unausgesprochene, aber desto tiefer erfassende, erhabene Melancholie, in der wir das Wesen der Welt als furchtbar und nichtig erkennen. Dieses wunderbar ergreifende Bewußtsein ist es nun, was in Calderon so bezaubernd schöpferisch gestaltend uns entgegentritt und kein Dichter der Welt steht ihm hierin gleich.‹4 Mit Beziehung auf sein ›Spanisch-lernen‹ fügt er seinem Berichte darüber an Liszt die scherzhaften Worte hinzu: ›Gott gebe nur, daß ich Dir dann nicht auch wie H. Nägeli vorkomme!5 Den Cache-nez hätte ich schon dazu; meine Frau hat mir einen [164] beschert, und dazu einen süperben Teppich mit Schwänen à la Lohengrin. Letzthin hörte ich von deinem Dresdener Leben en Gutzkow, Auerbach etc. etc. O Du Mordskerl, was Du Alles kannst! Mach', daß Du mir nicht auch einmal spanisch vorkommst: dann lache ich Dich aus!‹6

Ach, es war nicht eigene Wahl, was den Freund so wiederholt in diese rauschenden Umgebungen stürzte! Viel lieber wäre er, ohne diese fruchtlosen Stimulationen und Aufregungen, daheim bei der Förderung seiner eigenen hohen Geistesschöpfungen geblieben. Eine zuverlässigere Schilderung seines Lebens als die bisher unter diesem Namen fast einzig uns vorliegende Verherrlichung der Fürstin Wittgenstein in dem bekannten Ramannschen Buche7 wird uns dies einst deutlich lehren; und Wagners Empfinden über seinen großen Freund konnte ihn darüber nicht täuschen. Wir dürfen nicht an der Aufrichtigkeit von Liszts Wunsche zweifeln: ›ach, könnte ich doch bei Dir am Züricher See wohnen und ruhig fortschreiben!‹8 Und: ›ich gestehe Dir offen, daß mir das ganze Leben und Treiben, welches sich mit ähnlichen Produktionen verknüpft, sehr widerwärtig, – und wenn es länger als ein paar Wochen dauert, fast unausstehlich geworden ist.‹9 Von diesem unheilvollen, von außen kommenden und nach außen gerichteten Einfluß seiner unruhigen fürstlichen Freundin haben ihn Wagners, in Ernst und Scherz, unablässig an ihn gerichtete Ermahnungen nicht befreien können, so viel er sich auch darum gemüht hat. Aber auch sonst bildet gerade das Jahr 1857 in Liszts ganzem Dasein und Wirken einen verhängnisvollen Wendepunkt. Die ersten Jahre seines Weimarischen Wirkens waren ein fast unaufhaltsamer Triumph über den stumpfen Widerstand der künstlerischen Zeitgenossen. Im ersten freudig siegreichen Anlauf war manche Festung genommen, und allein die Einbürgerung der Werke Wagners auf den deutschen Theatern, seit der ›Lohengrin‹-Aufführung von 1850, bezeugt die unwiderstehliche Kraft dieses Sieges. Es fehlte gerade nur noch die Verwirklichung des gewaltigen Nibelungen-Unternehmens auf diesem, durch Liszts geniale Begeisterung gewonnenen Boden, um seinem Werke die Krone aufzusetzen und es damit gleichzeitig vor dem Zerbröckeln zu bewahren Ohne diesen Abschluß mußte es dem allmählichen Unterminieren der zersetzenden feindlichen Kräfte erliegen, für die sich der Name der Kunst nicht vom ›Können‹ herleitete, sondern die von überall her, im erdrückenden Gefühl der eigenen Impotenz, mit Neid auf den großen Könnenden blickte. Gleich zu Beginn des bezeichneten Jahres hatte er auf dem Boden Leipzigs einen ungleichen Kampf mit der dort fest [165] eingenisteten Clique zu bestehen. Am 26. Februar hatte er im Gewandhause ein Konzert für den Orchester-Pensionsfonds dirigiert und auf den ungeschickten Rat der Fürstin unter anderen Werken auch seinen ›Mazeppa‹ spielen lassen, der nicht nur abgelehnt wurde, sondern einen höchst unpassenden Lärm hervorrief.10 ›Es war ein förmlicher Kampf zwischen den paar Applaudierenden und der pfeifenden und hohnlachenden Menge, welche, von dem unglücklichen Beckenschlag Mazeppas aufgeschreckt, in eine schmähliche und langanhaltende Heiterkeit ausbrach.‹11 Die Tatsache der Niederlage wurde mit allen Mitteln verbreitet und die rücksichtslose Hetzerei fand gleich darauf in Wien ihre Fortsetzung. An das Wiener Konzert (im März) knüpfte sich noch speziell eine für Liszt bittere Erfahrung, die er an einem seiner früheren Freunde und Bewunderer machen mußte. Das Aachener Musikfest im Juni desselben Jahres schloß sich daran, die Feindseligkeit erreichte während desselben und im Anschluß daran ihren Höhepunkt. ›Als bei der Generalprobe Liszt das Podium betrat, um Berlioz‹ ›l'enfance du Christ‹ zu dirigieren, zog sein ›Freund‹ Hiller im Parkett einen Schlüssel aus der Rocktasche, um ihn darauf auszupfeifen12 und entschädigte sich dann für die Unannehmlichkeit seiner Ausweisung aus dem Lokal durch seine Artikel in der Kölnischen Zeitung über Liszts ›Unfähigkeit‹ als Dirigent. Der plötzliche erklärte Abfall eines bis dahin begeistert ergebenen Jüngers, Joachim (August 1857) konnte nicht vorübergehen, ohne in Liszts großem Herzen eine Wunde zu hinterlassen.13 Der Eintritt Dingelstedts in die Intendanz des Großherzoglich Weimarischen Hoftheaters (September 1857) diente vollends dazu, der Weimarer Bühne ihren siegreich behaupteten Einfluß als Zentrum einer ausgeprägten Richtung, als Sitz einer Schule, Schritt für Schritt zu entziehen.14 Liszt verlor nicht den Mut und die Geduld; aber die siegesgewisse Freudigkeit der ersten schönen Zeit seines Weimarer Wirkens gewann er in den Kämpfen der vier folgenden Jahre nicht wieder!

[166] Nächst der musikalischen Ausführung seines ›Tristan‹ beschäftigten in zwischen den einsam schaffenden Meister in Zürich die Verhandlungen mit Härtels über den Verlag seines neuen Werkes, das er ihnen nun an Stelle des großen vierteiligen Objektes ihrer bisherigen Verhandlungen anbot. Eine Einigung war leicht erzielt, allerdings erst, nachdem er sich dazu verstanden, die Verkaufssumme auf die Hälfte seiner ursprünglichen Forderung herabzusetzen!15 Leider erging es ihm aber wieder einmal nach allen anderen Richtungen hin ebenso. Überall wartete er auf das Eingehen von Geldern, überall ließ man ihn im Stich. Nur einige noch ausstehende Rechnungen für die Einrichtung seines neuen Domizils liefen zum Jahresabschluß mit größter Pünktlichkeit ein. Nach Wien mußte er eine Vollmacht schicken, um seinen dortigen alten Freund, den Direktor Hoffmann, zur Zahlung ziemlich beträchtlicher, ihm schuldiger Summen zu zwingen; aus Berlin, von wo er seit den letzten Jahren nicht unansehnliche Tantiemen zu beziehen gewohnt war, erhielt er zum ersten Male blutwenig : – man hatte den ›Tannhäuser‹ dort im bis herigen Verlaufe des Winters gerade nur einmal gegeben!16 Das Zusammentreffen dieser ungünstigen Verhältnisse, die mannigfachen daraus entstehenden Sorgen machten seine Lage um diese Zeit ›zwar nicht verzweifelt, aber äußerst angreifend und beklemmend‹. Zu ihrer Erleichterung die Aushilfe seines vermögenden Nachbars zu beanspruchen, wehrte ihm einerseits sein unbedingter, von seinem ganzen Wesen unzertrennlicher stolzer Unabhängigkeitstrieb. Andererseits eine, trotz fortdauernden freundschaftlichen Verkehrs aus mancherlei Symptomen erkennbare, gelegentliche Trübung der beiderseitigen guten Beziehungen. Zu ihrer Entstehung trug die Schwierigkeit eines allzu nahen Zusammenlebens auch mit den engsten, vertrautesten Freunden gewiß das Ihrige bei. In wie hohem Maße diese ganz allgemeine, in der Erfahrung begründete Schwierigkeit aber gerade der genialen Persönlichkeit gegenüber sich steigert, – wie oft hat das gerade Wagner an sich erfahren müssen! [167] ›Der Welt wird jede Art von Wohlverhalten gegen Andere gelehrt‹, heißt es in den monologischen Ergießungen des Nachlaßbandes17; ›nur wie sie sich gegen einen Menschen meiner Art zu verhalten hat, kann ihr nie beigebracht werden, weil es eben zu selten vorkommt.‹ Selbst an wahrhaft geliebten und geschätzten Freunden hat er nur allzuoft die bittere Erfahrung machen müssen, daß sie den, eine ganze Welt in sich tragenden Genius mit dem Maßstab ihres eigenen kleinen Einzel-Ichs maßen: ›Du bist doch nur ein Mensch, und ich bin auch ein Mensch, und habe meine Menschenrechte wie Du!‹18 Wäre ihm aber nur, unter so bewandten Umständen, in seiner nächsten häuslichen Umgebung jenes ihm nach seiner ganzen Natur so unentbehrliche ›weiche sanft umschließende Element‹ zuteil geworden, dessen er bedurfte, um sich ›froh zur Arbeit zu fühlen‹! Leider traf auch dieses nicht zu. Es blieb seiner Frau nach dem Stande ihrer Bildung und der Art ihrer intellektuellen Fähigkeiten durchaus versagt, an ihm und seinem Wesen die tröstliche Erhebung zu finden, die ihr zum Ersatz für die Widerwärtigkeiten ihres gemeinsamen Daseins dienen konnten. Unglaube an seinen künstlerischen Beruf, Nervosität, Verzagtheit und Gereiztheit dienten bei jeder neuen Prüfung dazu, daß sie ihm aus seinem Hause, in das er so gern sich zurückzog, nach seinen eigenen Worten oft ›eine Hölle machte‹.

Der Verkehr mit seinen freundlichen Nachbarn und ›Wohltätern‹ (wie er so gern sie nannte!) in diesem ersten und einzigen, in unmittelbarer Nähe und gemeinsamer Abgeschiedenheit von der Außenwelt verbrachten Winter, stellt sich uns von seiner Seite als eine fast ununterbrochene Folge zartester Aufmerksamkeiten dar, denen gewiß ebenso viele entsprechende von der anderen Seite erwiderten. Es geschah dies aus dem wechselseitigen ungehinderten Antriebe guter Menschen, hier Verehrung und Liebe, dort Dankbarkeit und wahre Ergebenheit zum Ausdruck zu bringen; und Beziehungen dieser glücklichen Art würden gewiß lieber aus dem Ganzen und Vollen, als durch bloße Einzelheiten gekennzeichnet, wie sie uns einzig zu Gebote stehen. Obenan steht unter ihnen eine, der innig verständnisvollen Freundin seiner Kunst dargebrachte künstlerische Huldigung: die musikalische Verewigung einer ganzen Reihe ihrer zart und tief empfundenen, durch den Adel ihres sprachlichen Ausdruckes hervorragenden Gedichte. Wie sie entstanden, erfahren wir durch Frau Wesendonck selbst. Er habe, so erzählt sie, jedes einzelne dieser Gedichte gleich, so wie es entstand, an sich genommen, um ihm durch seine Musik die höchste Verklärung und Weihe zu geben. Ihre Zeitfolge vergegenwärtigt sich am [168] besten durch die Mitteilung der genauen Daten. Am 30. November wurde als erstes ›Der Engel‹ komponiert; am 4. Dezember die ›Träume‹, zunächst ohne die einleitenden sechzehn Takte. Tags darauf entstand die zweite, durch den späteren Druck bekannt gewordene Fassung. Am 17. Dezember folgten die ›Schmerzen‹; am 21. Februar: ›Stehestill‹. Das letzte unter ihnen, ›Im Treibhaus‹, ist durch eine längere Zwischenzeit von seinen Vorgängern getrennt, es gehört erst dem Mai 1858 an. Zwei davon (die ›Träume‹ und ›Im Treibhaus‹) sind ausdrücklich als Studien zu ›Tristan und Isolde‹ bezeichnet, – ersteres zum zweiten Akte, letzteres zum Vorspiel des dritten Aktes gehörig. Ihrem dichterischen Inhalte nach berühren sie uns wie intime Tagebuchblätter aus seinem inneren Leben; nur eine wahre liebevolle Sympathie mit dem großen Einsamen konnte sie der Dichterin eingeben. Man beachte nur ihre obige Folge: den zarthingehauchten, leise verschwimmenden inneren Sinn der ›Träume‹; den in festen Zügen markierten ganz Wagnerischen Grundgedanken der ›Schmer zen‹19, die Beziehung von ›Stehe still!‹ und dem ›Treibhaus‹ zu den gleichzeitigen Lebenseindrücken! Aus der gleichen Quelle erfahren wir, wie er einmal, im Dezember, zum Geburtstage der werten Gönnerin, in der Frühe mit 18 auserlesenen Züricher Musikern vor ihrem Schlafgemache erschienen sei, um von diesen unter seiner persönlichen Leitung die ›Träume‹ vortragen zu lassen, nachdem er dieselben zuvor, eigens für dieses kleine Orchester, instrumentiert hatte. Dazu bekundet, wenn wir es sonst nicht wüßten, die reiche Zahl von Andenken, welche – an dichterischen und musikalischen Entwürfen von seiner Hand – in den Besitz sowohl Wesendoncks als auch seiner Gemahlin übergegangen sind, über jeden Zweifel hinaus, wie teuer ihm ihre beiderseitige Freundschaft war. Und doch deuten sich aus seinen eigenen vertrauten Äußerungen schon während dieses selben einsamen Wintermonates die bereits angedeuteten gewissen Differenzen und Spannungen an. Waren diese auch von mindestens ebenso zarter Natur, als jene beiderseitigen Aufmerksamkeiten, so genügten sie doch, um seinem seinen Gefühle eine zeitweilige entschiedene Zurückhaltung gebieterisch aufzuerlegen. In welchem Grade auch hierbei eine triviale Auffassung des nachbarlichen Verhältnisses von Minnas Seite störend mit im Spiele war, läßt sich nach allem Vorausgegangenen leichter ahnen und vorstellen, als mit Einzelheiten belegen. ›Früher‹, so heißt es in einer solchen vertraulichen Mitteilung gerade in den letzten Dezembertagen, nach Erwähnung der eben damals ihn bedrängenden widerlichen Finanzkrisis, ›früher half mir in solchen Situationen mein Herr Nachbar: daß ich diesen nun unbesucht lassen muß, hat tiefe Gründe.‹ Schon [169] um diese Zeit hielt er es für das Angemessenste, sich für 3 bis 4 Wochen lieber ganz von Zürich zu entfernen, und entschied sich nur schwer zum Bleiben. Bald darauf, um die Mitte Januar des neuen Jahres (nachdem er am 13. d. M. auch die Orchesterskizze des ersten Aktes seines ›Tristan‹ zum Abschluß gebracht) hielt ihn nichts mehr zurück und er machte sich plötzlich, wie auf der Flucht, und bei fortdauernder finanzieller Kalamität, nach Paris auf, wozu er gewisse daselbst zu wahrende geschäftliche Interessen mehr zum Vorwand nahm, als daß sie ihn wirklich zu einer persönlichen Vertretung gezwungen hätten. Mit diesen Beziehungen verhielt es sich ungefähr wie folgt.

Anfang Winters hatte sich ein Mr. Léopold Amat,Directeur des fêtes musicales de Wiesbaden, Homburg, Ems etc., aus Paris darum beworben, ihn dafür zu autorisieren, daß er die nötigen Schritte zur Aufführung des ›Tannhäuser‹ an der Pariser Großen Oper tun dürfe. Da derselbe Unternehmer vor kurzem eine Aufführung dieser Oper in Wiesbaden unter Tichatscheks Mitwirkung zustande gebracht, zu der er die gesamte Pariser Presse eingeladen hatte,20 fand sich Wagner gern dazu bereit, unter der Hauptbedingung der Intaktlassung des Originals, das eben nur treu übersetzt werden dürfe, ohne weitere Bearbeitung oder Verstümmelung. Im übrigen sollte er ihm so viel als möglich Vorteile erwirken, und seinerzeit seinen Anteil daran bestimmen. Bald darauf wendete sich ein Mr. de Charnal, ein junger Literat ohne Ruf, mit der Bitte, eine gute poetische Übersetzung des ›Tannhäuser‹-Gedichtes für eine der ersten Revues von Paris veranstalten zu dürfen. Endlich vernahm er davon, daß Mr. Carvalho, der Direktor des Théâtre lyrique, von sich aus mit dem Gedanken umgehe, dasselbe Werk auf seinem Theater zu bringen. Ohne Zweifel war es für ihn das Vorteilhafteste, zur Wahrung seiner, in Frankreich noch durch nichts geschützten Autorrechte sich mit den entscheidenden Faktoren in ein persönliches Einvernehmen zu setzen. Da nun gleichzeitig seine häuslichen Verhältnisse einmal wieder nur Stacheln und Dornen für ihn zeitigten und seine Leiden dadurch ins Unerträgliche wuchsen, benützte er die Arbeitspause, um sich auf und davon zu machen, so schwer es ihm war, sich dafür auch nur das nötige Reisegeld zu verschaffen. Am 14. Januar reiste er von Zürich nach Basel, wo er aus großer Müdigkeit sich versäumte und dadurch genötigt war, anderthalb Tage und eine Nacht in Straßburg zu verbringen. Ein sonderbares Spiel des Zufalls, denn [170] eben hier, in Straßburg, begegnete ihm ein Abenteuer, das er wegen des großen, ermutigenden Eindruckes, den er davon gewann, noch vier Monate später in einem Briefe an Frau Ritter mit allen Einzelheiten berichtet. ›Wie ich durch die Straßen schlendere, lese ich auf der Theaterassiche ein Stück angezeigt, und darunter mit großen Lettern die Ouvertüre zum »Tannhäuser«, mit welcher die Aufführung begonnen werden sollte. Ich erhielt zufällig einen Platz nahe beim Orchester, aus welchem mich einige Musiker von Zürich her kannten und schnell von meiner Anwesenheit ihren Kollegen und dem Dirigenten Mitteilung machten. Ich erwartete mit banger Spannung die Ausführung: es war das erste Mal, daß ich seit lange ein Orchester wieder hören und überhaupt eine Komposition von mir, von einem Anderen dirigiert, vernehmen sollte. Zu meiner angenehmsten Überraschung wurde aber sehr gut, ja manches vorzüglich gespielt, sein nuanciert und alles schwungvoll vorgetragen, so daß eine heftige Rührung und tiefe Erschütterung über mich kam. Namentlich hatte der ernste Pilgergesang am Schlusse für mich eine tief innerliche Bedeutung. Wie denn nun am Schlusse applaudiert wurde, erhob sich das Orchester, mit seinem Dirigenten an der Spitze, zu mir gewandt mit lautem Beifall und Ovationsbezeigungen, wodurch das Publikum mich gewahr wurde und schnell begriff, wer ich sein mochte, – so daß ich nun, in helle Tränen ausbrechend, mich einer öffentlichen Huldigung ausgesetzt sah, wie ich sie nie erlebt. Schnell mußte ich das Haus verlassen. – Sehen Sie, so geht es einem: immer tief unten und – kommts dann einmal – hoch oben, auf wunderbarer Höhe!‹ –21

Todmüde und angegriffen, kam er am Abend des folgenden Tages (Sonnabend, 16. Januar) in Paris an, wo er im dritten Stock des Hôtel du Louvre Quartier nahm: ›ich fand hier einzig, in die inneren Höfe hinaus, die mir nötige ruhige Lage‹. Doch war seine Stimmung die niedergedrückteste. Die Geldverlegenheit, die ihn daheim bedrängt, verfolgte ihn nun auch hierher. Zwar hatte er von Zürich aus brieflich und zuletzt noch telegraphisch sich an Liszt gewendet; doch, da er bereits fast ohne Kasse war, wurde sein Unbehagen zur Qual. War es ihm doch auch von Liszts Seite ein oder das andere Mal begegnet, daß er ihm in entscheidender Bedrängnis nicht helfen konnte, weil er dazu nicht imstande war. Um so gerührter ist sein Dank für die freundschaftliche Hilfe in der Not;22 man merkt ihm ordentlich an, daß berechtigte Zweifel ihm vorausgegangen waren. Auch besuchte er auf Liszts Empfehlung dessen Schwiegersohn, den Advokaten Ollivier (S. 159) in seiner Wohnung im Faubourg St. Germain, da ihm dieser, durch seine Erfahrung als Sachwalter, auch in seinen geschäftlichen Beziehungen mit Rat und Tat an die Hand gehen konnte. Ollivier, den ich gestern erst antraf, und bei[171] dem ich heute en garçon speise, empfing mich mit einer so liebenswürdigen Aufmerksamkeit, daß ich glaubte, in der Altenburg angekommen zu sein. Er bot mir seine uneingeschränkten Dienste an, unter anderen auch beim Direktor des Théâtre lyrique (Carvalho), der sein persönlicher Freund sei. ›So weit‹, fährt die briefliche Nachricht fort, ›kam ich gestern, als Berlioz mich besuchte. Ich mußte dann fort, und fand bald, daß ich nicht wohl sei; wahrscheinlich infolge einer Erkältung, die mich besonders angreift, da ich seit längerer Zeit mich sehr schlecht ernährt habe, wovon ich schwach und sehr mager geworden bin. Ich mußte Ollivier absagen, um mich auf meiner Kammer im Bett zu halten Nach dieser weisen Mäßigung fühle ich mich etwas besser, und erwarte Ollivier, der mich um 2 Uhr zum Conservatoire-Konzert abholen will.‹23

Die äußere Erscheinung der Seinestadt hatte sich, in den wenigen Jahren seit seinem letzten dortigen Verweilen, durch die von Grund aus umgestaltenden Bauunternehmungen des Seinepräfekten Hausmann in allen Stadtteilen sehr wesentlich verändert.24 Trotzdem empfand der Schöpfer des ›Tristan‹ in all diesem auf Repräsentation berechneten Prunk und Glanz nur das ›rein fremdartig ihm Entgegenstehende‹. ›Bekenne ich Dir offen‹, schreibt er an Liszt, ›daß ich kaum noch mein Auge zu den, allerdings erstaunlichen, Neubauten erheben konnte.‹ Den gleichen Eindruck des ihm von Grund aus Fremdartigen empfing er aufs neue von der Pariser Bevölkerung. ›Diese für die Erkennung des Reizenden, sinnlich Aufregenden, so ungemein bestimmt und sein organisierten französischen Physiognomieen bieten mir das, was ich bei anderen Nationen verwischter, vielleicht unentwickelter wahrnehme, mit einer so unverkennbaren Prägnanz, daß es mir unmöglich wird, nur einen Augenblick zur Täuschung zu gelangen.‹ Bei dieser Sicherheit seiner Stellung zu einer Umgebung, in welcher ihn keine Illusion mehr reizte, empfand er mit ironischem Humor ihr gegenüber eine Ruhe und Gleichgültigkeit, die ihm für die Erreichung dessen, was er in frühester Zeit einst hier vergebens erstrebte, nur vorteilhaft dünken konnte. Seine Anwesenheit in Paris gab dem vielzüngigen Gerüchte in deutschen Zeitungen alsbald Veranlassung zu Vermutungen über eine bevorstehende Aufführung seines ›Tannhäuser‹ an der Großen Oper. Die Übersetzung des Textes, so hieß es, sei schon vollendet, er wolle nur die vorhandenen Kräfte in Augenschein nehmen, um sich darüber zu entscheiden, oder gar, um ›die Proben einzuleiten‹. Er beauftragte den alten Fischer mit der Widerlegung dieser falschen Angaben. Nicht um an der Großen Oper den ›Tannhäuser‹ aufzuführen, sei er hier, sondern um zu verhüten, daß man an anderen untergeordneten Theatern sich damit befasse, ohne ihn zuvor zu befragen. ›Doch‹, fügt er hinzu, ›was nicht ist, kann werden.‹ Einstweilen [172] begnügte er sich, unter dem Beistande Olliviers, mit der Sicherung seiner Eigentumsrechte an den Verlag seiner Werke für Frankreich. Auf dieser Basis gewann er so viel, daß er unbefugte Aufführungen durch seinen Einspruch verhindern konnte. Hierauf allein kam es ihm vorläufig an. Sich der Großen Oper oder irgend einem anderen Theater anbieten konnte und wollte er nicht, um sich nicht die Hände im voraus zu binden, da er seinen ›Tannhäuser‹ auf alle Fälle nur ganz ohne Verstümmelungen aufführen lassen wollte. Immerhin hätte er sich mit minderem Skrupel dazu entschlossen, als ›erstes Entree‹ seinen ›Rienzi‹ preiszugeben, unter der Voraussetzung, daß ihm bedeutende Vorteile dafür zugesichert würden. Für diesen dünkte ihm Mr. Carvalho am Théâtre lyrique der rechte Mann. ›Ich sah sein Theater‹, schreibt er an Liszt, ›es gefiel mir ganz passabel; eine neue Akquisition, ein Tenor, gefiel mir sogar sehr. Wenn dies Theater ganz besondere Anstrengungen macht, die natürlich mir sehr stark versichert sein müßten, so könnte ich ihm den »Rienzi« geben, vorausgesetzt, daß es mir – vielleicht durch Vermittelung des Großherzogs von Baden an den Kaiser der Franzosen – gelänge, ausnahmsweise hier eine Oper ohne Dialog durchzusetzen.‹

›Man faselte viel davon, daß die Pariser Theater sich nächstens mit mir würden befassen müssen; doch konnte ich diese Notwendigkeit nicht erkennen‹, so rekapituliert er brieflich seine Pariser Erlebnisse.25 ›Ob sie mich suchen werden, muß ich sehr dahingestellt sein lassen, wogegen ich nur das Eine bestimmt weiß, daß ich – sie nicht suchen kann. Doch machte ich einige angenehme Bekanntschaften, die mich für diesmal etwas mit dem französischen Geiste versöhnten.‹ Unter diesen nennt er Madame Erard, die Witwe des kürzlich (1855) verstorbenen Pianofortefabrikanten.26 Die würdige alte Dame erfüllte ihm einen längst gehegten Wunsch, indem sie ihm einen ihrer herrlichen Flügel in Aussicht stellte, den der Meister mit Recht als ein ›unschätzbares Geschenk‹ bezeichnen konnte.27 Schon vor 2 Jahren, als er aus Mornex heimkehrend, Liszts Besuch erwartete, hatte er dessen Intervention dafür – vergeblich – angerufen,28 und einstweilen sowohl seinen ›Siegfried‹, als den [173] ersten Akt des ›Tristan‹ an seinem alten, ausgespielten und klanglosen Dresdener Flügel geschaffen! Ferner wurde er, durch Ollivier, mit der Familie des verstorbenen Komponisten Herold in Beziehung gesetzt, in deren Kreise er (23. Januar) einen angenehmen Abend verbrachte. Eigentümlich berührte es ihn bei solcher Gelegenheit, in französischen Familien Exemplare des vollständigen Klavierauszuges seines ›Tannhäuser‹ auf dem Flügel liegend anzutreffen.29 Die Frau des Hauses, ihre Tochter und ihr Schwiegersohn waren voll Enthusiasmus über eine von ihnen in Wien im Anfang Oktober besuchte Aufführung dieser Oper im Josefstädter Theater. Noch ganz erfüllt von der Wärme, dem Feuer und der Lebhaftigkeit dieser Aufführung, lobten sie ganz besonders die Leistungen des Orchesters und spendeten zugleich einem Gastdarsteller der Titelrolle die größte Anerkennung. Ganz voll von diesem Eindruck hätten sie kurz darauf eine Aufführung desselben Werkes in Berlin besucht und seien über die Leblosigkeit, Schlaffheit und Ausdruckslosigkeit derselben ganz erschrocken gewesen, trotzdem sie von einer außerordentlich glänzenden und charakteristischen szenischen Ausstattung unterstützt war. Es war dies dieselbe Berliner Aufführung, deren wir schon zuvor (S. 167) als der einzigen gedachten, die Berlin in diesem Winter an das Lampenlicht gefördert hatte; und wohl konnte sich der Meister nach diesen Schilderungen erklären, weshalb sie die einzige hatte bleiben müssen! Doch erneuerte der empfangene günstige Bericht sein Vertrauen in die Wiener Aufführung, da er bisher über ihren eigentlichen Charakter, trotz mancher günstig lautender Nachrichten, immer noch im Ungewissen gewesen war. Er nahm daraus Anlaß, dem Dirigenten derselben (Kapellmeister Stoltz) seinen lang aufgesparten Dank in herzlicher Weise zum Ausdruck zu bringen; noch mehr, auch dem Direktor Hoffmann, seinem sonst so wohlbewährten alten Bekannten, auf diese alte Freundschaft hin, auch seinen ›Lohengrin‹ unter Bedingungen anzutragen, die, für jenen äußerst vorteilhaft, für ihn selbst wenigstens den Gewinn einer momentanen Befreiung aus einer bedrängenden Lage gehabt haben würden. ›10000 Francs in einem halben Jahre haben mir nicht halb den Wert, den die gewünschten 3000 in diesem Augenblicke haben.‹ Für diesen letzteren Preis wollte er ihm nicht allein das volle Aufführungsrecht des ›Lohengrin‹ für sein Theater, sondern auch den ganzen Rest der sich an den ›Tannhäuser‹ noch knüpfenden Zahlungen für immer bewilligen. ›Sie sehen hieraus, wie gerne ich Ihnen ferner meine Opern überlasse,30 aber auch, wie nötig ich Geld brauche.‹

[174] Noch in den letzten Tagen seines kaum dreiwöchentlichen Pariser Aufenthaltes wurde der Meister durch seinen Zimmerkellner um den Rest seiner Habe bestohlen. ›Man sorgt für meine Zerstreuung‹, schreibt er darüber an Liszt. Wie die nächsten Nachforschungen ergaben, war der Dieb nach Jena gegangen, wohin er auf kurze Zeit wegen Militärpflichtigkeit reisen mußte. Es scheint aber trotz dieser vorhandenen Spur nicht geglückt zu sein, seiner habhaft zu werden. Die Angelegenheit findet sich in seiner Korrespondenz mit Liszt nicht weiter berührt, und glücklicherweise kann es sich auch nicht um einen großen Verlust gehandelt haben. Der soeben erwähnte Brief an Hoffmann ist bereits nach diesem Vorfall, am Tage seiner Abreise geschrieben. Gegen Ende der ersten Februarwoche traf er wohlbehalten von seiner Pariser Digression in Zürich wieder ein, wo er sich nach der ersten geselligen Begrüßung mit dem dortigen Freundeskreis sofort in die Einsamkeit zurückzog, um die Instrumentation des ersten Aktes seines ›Tristan‹ im Laufe des Frühjahrs zu Ende zu führen.

Es war eine Zeit schwermütig banger Beklemmung, ohne einen Hoffnungsstrahl von außen oder innen. Noch immer zählte er für eine erstmalige Aufführung seines neuen Werkes auf Karlsruhe, wo noch kürzlich (3. Dezember 1857) zum Geburtstage seiner fürstlichen Gönnerin, der Großherzogin Luise, sein ›fliegender Holländer‹ zum erstenmal über die Bühne des Hoftheaters gegangen war. München brachte (28. Februar 1858) den ›Lohengrin‹; in Dresden bereitete sich, nach längerer Zwischenzeit, durch die Wiederaufnahme seiner Werke, zunächst des ›Tannhäuser‹, ersichtlich ein Umschwung vor; auch meldeten sich noch einige verspätete Bühnen für das eine oder das andere seiner Werke. Aber all diese Nachzügler unter den deutschen Theatern gewährten ihm keine wesentliche Förderung seiner Subsistenz; er konnte sich am Ende diejenigen leicht an den Fingern herzählen, die den ›Tannhäuser‹ oder ›Lohengrin‹ noch nicht gebracht hatten. Deshalb mußte es ihm doppelt leid tun, daß sein ›Rienzi‹, anstatt in altem Glanze wieder über die Dresdener Bühne zu gehen, aus unerfindlichen Gründen bis zum Herbst hinausgeschoben wurde. In der Hoffnung auf diese, ihm schon seit lange angekündigte erneuerte Vorführung seines – damals so gut wie verschollenen – Jugendwerkes, hatte er selbst eine Anzahl von Theatern, zu denen er Fühlung hatte (Hannover, Breslau, Frankfurt a. M.), zu schneller Aufführung der Oper angeregt. Natürlich warteten diese Theater erst die Dresdener Wiederaufnahme [175] ab, um danach den zu verhoffenden Erfolg zu bemessen. Und doch war ihm damals so viel daran gelegen, noch vor dem Erscheinen seines neuen Werkes das ältere ›so schnell wie möglich noch zu Gelde zu machen‹.31 Er beabsichtigte deshalb, um mit diesen merkantilen Beziehungen so wenig als möglich zu tun zu haben, den Verkauf der ›Rienzi‹-Partitur an die Bühnen einem Agenten zu überlassen. Ihm wollte er ein genaues Verzeichnis der Forderungen an die verschiedenen Theater, nach dem Maßstabe des ›Tannhäuser‹, geben; der Agent sollte dann die Oper, mit 25 Prozent Gewinnanteil, den vorgezeichneten Honorarforderungen gemäß, an die einzelnen Theater verkaufen und ihm vierteljährliche Rechnung darüber zustellen, zunächst aber zu seiner Sicherstellung 1000– 1500 Taler ihm sofort vorschußweise hinterlegen. War ihm dieser Plan durch die Dresdener Verzögerung zunichte gemacht, so wurde ihm diese letztere aber auch für seine Pariser Hoffnungen auf das Théâtre lyrique hinderlich.32 Und auch über seine Rückkehr nach Deutschland herrschte allseitig tiefstes Schweigen. ›Gott, wer gedacht hätte, daß noch nach neun Jahren an keine Amnestie für mich zu denken wäre!‹ ruft er dem alten Fischer zu, nachdem er ihm seinen soeben erwähnten Verpachtungspian für den ›Rienzi‹ auseinandergesetzt. Kurze Zeit darauf (19. Februar) übersandte er demselben alten Freunde einen Brief an den Prinzen Albert von Sachsen, einen letzten Versuch zu seiner Begnadigung durch dessen Fürsprache, mit der Bitte, ihn entweder eigenhändig oder durch eine geneigte und einflußreiche Mittelsperson in die Hände des hohen Adressaten gelangen zu lassen. ›Ich kann's wenden und wägen, wie ich will: ohne eine baldige Aussicht auf Amnestie geht es doch endlich mit mir aus; ich muß die Erfrischung haben, meine Werke aufzuführen, – oder ich packe endlich ein.‹

An eigenen brieflichen Kundgebungen des Meisters aus dieser Zeit seiner Arbeit an der instrumentalen Ausführung seines ersten ›Tristan‹-Aktes (Monat März) fehlt es fast gänzlich; nur aus dem Reflex brieflicher Mitteilungen teilnehmender vertrauter Freunde untereinander deutet sich uns manches an. ›Aus Zürich sehr trostlose Nachrichten‹, meldet z.B. Bülow, der damals die Orchesterskizze des ›Tristan‹ behufs Anfertigung des Klavierauszuges erwartete, um die Mitte März an Alexander Ritter. ›Wagner sitzt in einer schrecklichen Geldklemme; ich ahne, daß mit Wesendoncks etwas vorgefallen [176] sein muß.‹33 Es war, wenigstens damals, mit Wesendoncks durchaus nicht eigentlich ›etwas vorgefallen‹; nur daß der Meister, gerade in jener Zeit eines engeren nachbarlichen Zusammenlebens, aus guten Gründen es vorzog, über manche früher ihm erwiesene Verbindlichkeit hinaus die Gefälligkeit seines geschätzten Freundes und Nachbars nicht weiter in Anspruch zu nehmen. Es war so wenig etwas Bestimmtes, äußerlich Störendes vorgefallen, daß sich vielmehr gerade damals im Wesendonckschen Hause eine besondere Festlichkeit vorbereitete, die des Meisters Mitwirkung stark in Anspruch nahm. Noch hatte das seit Jahr und Tag bewohnte neue Haus seine ihm zugedachte künstlerische Weihe nicht empfangen, und diese sollte sich nun in der Woche vor Ostern, am 31. März,34 durch ein feierliches Instrumental-Konzert im stattlichen Treppenhause der Villa Wesendonck vollziehen, dessen Programm ausschließlich aus einer – dem Zwecke angemessenen – bedeutungsvollen Zusammenstellung symphonischer Fragmente aus Beethovens Werken bestand:


I.1) Menuett,2) Scherzandoaus der 8. Symphonie

in F-dur.

3) Adagio,4) Scherzo,aus der 4. Symphonie

in B dur.

II.5) Andante,6) Scherzo,aus der 7. Symphonie

in A dur.

7) Andante,aus der 5. Symphonie

in C moll.

8) Finale,aus der 3. Symphonie

in Es dur.

III.9) Scherzo,10) Adagio,aus der 9. Symphonie

in D moll.


In dem großen, akustisch günstig gebauten Vestibüle der Villa war das Orchester von einigen dreißig auserlesenen Züricher Musikern aufgestellt, welches unter der persönlichen Leitung des Meisters die obige kombinierte Folge von Symphoniesätzen zum Vortrage brachte. Es waren über hundert Gäste ein geladen und zugegen, das Ganze ein ›wundervolles, unvergleichliches, nie dagewesenes Fest, welches allen, denen es vergönnt war, dem seltenen Konzerte beizuwohnen, unvergeßlich im Gedächtnisse blieb.‹35 Ohne Zweifel repräsentierte eine derartige künstlerische Opfergabe des Genius an das Haus seiner werten Gönner den Gipfel- und Höhepunkt jenes (nach [177] den bereits zitierten Worten der Frau Wille) ›fast verklärten Daseins für alle, die in der schönen Villa auf dem grünen Hügel zusammenkamen‹, des beiderseitigen guten Verhältnisses, das ›unter wechselnden Stimmungen und Erlebnissen, auf Freundschaft und gute Regungen gegründet, wie unter einem reineren Himmel sich entfaltete.‹ Und doch war die Luft unter diesem Himmel bereits mit gewitterschwangeren Dünsten gesättigt. Das unbestimmte Vorgefühl des jungen Freundes in der Ferne war nicht ohne Grund, eine Lösung der bestehenden harmonischen Beziehungen stand bevor. Den Anstoß dazu gaben keineswegs die Bewohner des Nachbarhauses: weder Wesendonck, den Wagner als freundlichen Gönner und schlichten ehrenhaften Charakter stets zu schätzen wußte, noch die liebenswürdige junge Frau, die, vom reinsten Enthusiasmus für sein Schaffen erfüllt, für sein Wohlergehen stets einen rührenden Eifer bewies, den er ihr mit dankbarer Zuneigung erwiderte. Am allerwenigsten der vielgeprüfte Meister selbst, der die Menschen so wohl kannte und unter allen den ›wechselnden Stimmungen und Erlebnissen‹ eines solchen Freundschaftsbündnisses, bei allen unvermeidlichen Konflikten und Reibungen eines nahen Zusammenlebens von Person zu Person, ein gutes Einvernehmen stets zu bewahren und wieder herzustellen gewußt haben würde. Er wurde vielmehr von seiner eigenen beklagenswerten Lebensgefährtin gegeben. Das unheilbare Unverständnis der künstlerischen Bedeutung ihres Mannes, seines ganzen Lebens und Schaffens, rächte sich schließlich an ihr auch durch ein Unverständnis, ja beleidigendes Mißverständnis seiner, von ihr unbegriffenen persönlichen Beziehungen. Aus dieser trüben Quelle, dem erregten Vorstellungsvermögen einer kranken Frau, die selbst keine Begeisterung für ihren großen Gatten besaß, stammt das, seitdem durch tausend Zungen fortgepflanzte üble Gerücht von einer ›romantischen Freundschaft zwischen Wagner und Frau Wesendonck, worüber Minnas Eifersucht in helle Flammen ausgebrochen sei‹, welchem wir noch in jüngster Zeit in einer ernsthaften Biographie Wagners36 durch einen sehr ehrenwerten Amerikaner wiederbegegnen, nachdem es uns eigens aus dem ›Amerikanischen‹ in das jedem Liebhaber des Trivialen weit besser verständliche ›geliebte Deutsch‹ zurückübertragen worden ist, dem es seinen ersten Ursprung verdankt.

Mit der Vollendung des ersten, ›Tristan‹-Aktes (in den ersten Tagen des April 1858) begann durch diesen Einfluß eine schmerzliche Leidensepoche für alle Beteiligten; die einzelnen qualvollen Stationen derselben führten endlich mit unerbittlicher Notwendigkeit zu einer völligen Losreißung aus dem kaum begründeten Lebensverhältnis. ›Sie können nicht ahnen, welche Leiden ich wieder durchlebt habe,‹ läßt sich der Meister darüber gegen Frau Ritter vernehmen, [178] ›wie traurig, trotz des lachenden Frühlings, alles um mich herum aussieht.‹ Das ausgeprägte Herzleiden seiner Frau hatte sie zu Schwarzsichtigkeit und übler Laune, diese zu mancherlei bedauerlichen Mißgriffen geführt. Die üblen Folgen davon ließen nicht auf sich warten. Zum ersten Male drohte dadurch eine wirkliche Spannung zwischen Wesendoncks und – wenn auch gewiß nicht dem Meister, so doch seinem Hause einzutreten. Dazu war ihre Gesundheit erschüttert: Schlaflosigkeit und Aufgeregtheit bewirkten eine zunehmende Schwäche. Schon vierzehn Tage nach der eben erwähnten schönen Feier mußte sie zu ihrer Wiederherstellung in das benachbarte Brestenberg (Aargau) in die Heilanstalt eines Dr. Erismann. Seine Bemühungen um ihre Gesundheit zogen sich, mit einer kürzeren Unterbrechung, durch drei Monate hin. In dieser Zeit (Anfang Mai) traf der verheißene Erardsche Flügel ein. ›Er ist bei mir angekommen‹, schreibt Wagner, ›wie der Schwan des Grals, um mich wieder in das Land zurückzuführen, in dem ich einzig heimisch sein soll. Nun habe ich auch die zuletzt noch lange unterbrochene Komposition des Tristan mit dem zweiten Akte wieder aufgenommen. O könnte ich ungestört bis zur Vollendung dieser so sehr mir an das Herz gewachsenen Arbeit darein mich versenken und nichts von den gemeinen und schrecklichen Qualen meines Daseins wenigstens bis dahin empfinden!‹37 Den ganzen Mai und Juni hindurch beschäftigte ihn die Skizzierung dieses zweiten Aktes. Dazwischen entstand, am Vorabend seines 45. Geburtstages, das letzte der ›Fünf Gedichte für eine Frauenstimme‹. ›Im Treibhaus‹, mit seiner schwülen trauerschweren Stimmung. Aus seinem leitenden Thema klingt ein in schmerzlichem Banne gefesseltes, hoffnungsloses Sehnen aus den innersten Tiefen des Seins uns entgegen: das träumende Sehnen der Pflanze aus dem dumpfen Raum nach ihrer fernen sonnigen Heimat, das Sehnen des todwunden ›Tristan‹, aus dem Vorspiel des dritten Aktes. Die Sorge um Minnas Gesundheit trug nicht zum mindesten dazu bei, ihn auch während ihrer Abwesenheit in beständiger Gespanntheit zu erhalten. Häufig richtete er auch seine Spaziergänge nach dem etwa anderthalb Stunden entfernten Ort ihrer Pflege. Ihr Zustand war am Beginn ihrer Kur durch übertriebenen Opiumgenuß (vermeintlich gegen Schlaflosigkeit!) arg verschlimmert. Während zweier Monate war er eigentlich täglich auf ihre Todesnachricht gefaßt. Trotzdem gelang es ihm, im Verkehr mit Wesendoncks, auch mit Herwegh, sich in einer, seiner Arbeit förderlichen, milden und selbst heiteren Stimmung zu erhalten. ›Ich sehe Wagner oft‹, schreibt z.B. Letzterer an die Fürstin Wittgenstein, ›dank der Abwesenheit seiner Frau, seines Papageis und selbst seines Hundes. Er ist vollkommen gut, sanft, teilnehmend.‹38 Aus dieser trüben bedrückten Zeit ist einer [179] persönlichen Begegnung mit seinem fürstlichen Gönner, dem Großherzog Karl Alexander von Weimar zu gedenken. Da es der Würde Sr. K. Hoheit jedenfalls nicht angemessen gewesen wäre, ihn unmittelbar an seinem Wohnort, in Zürich zu besuchen, so wurde Wagner die Nachricht zuteil, der Großherzog sei auf der Durchreise in Luzern und wünsche daselbst seine Bekanntschaft zu machen. Natürlich ermangelte der Meister nicht, dieser gnädigen Einladung Folge zu leisten. Bei dieser Gelegenheit war denn wieder einmal von allen den schönen Möglichkeiten die Rede, an welche er längst schon den Glauben verloren, die aber späterhin doch gerüchtweise wieder die Luft durchschwirrten (wenn es z.B. noch im folgenden Jahre verlautete, es solle in Weimar an den Bau des Nibelungentheaters geschritten werden).39 ›Das wollten S. K. Hoheit jedenfalls hören, ob ich, wenn er mir die Rückkehr nach Deutschland gewänne, nach Weimar gehen oder etwa ein anderes »Engagement« vorziehen würde, worauf ich ihm denn auseinandersetzte, daß ich von meiner Amnestie mir eben nur den Vorteil erwartete, periodisch Deutschland besuchen zu können, und dafür mir Dein (Liszts) Haus, eben weil es Dein Haus ist, zum Ruhepunkt erwählt hätte. Damit war er denn ganz zufrieden.‹ Noch erwähnt Wagner die hübsche Weise, in welcher der Großherzog ihm seine Grüße an Liszt abverlangte, da er seinerseits es doch nicht für schicklich gehalten habe, so von sich aus ihm ›Grüße aufzutragen‹.40 – Auch scheint es, er habe sich hierbei in dem guten Andenken des Meisters bis auf weiteres durch die Überreichung einer silbernen Tabaksdose zu befestigen gesucht, – wir werden dieser weiterhin (S. 199) noch begegnen.

Eine wohltätig ablenkende Zerstreuung wurde ihm gegen Ende Mai durch den Besuch des jungen, damals kaum siebzehnjährigen Karl Tausig. Liszt schickte ihm diesen als ›Wunderkerl, der seinen Erard gehörig bearbeiten solle‹, von der Altenburg zu, der nun eines Morgens mit einem Empfehlungsschreiben des Weimarer Freundes bei ihm eintrat. ›Das ist ein[180] schrecklicher Junge,‹ sagt Wagner über ihn,41 ›bald staune ich über seinen eminent entwickelten Verstand, bald über seine rasende Art. Mit seinem fürchterlich starken Zigarrenrauchen und Teetrinken, bei gänzlichem Mangel aller Aussicht auf Bart, erschreckt er mich, wie die jungen Enten die Henne die sie aus Versehen ausgebrütet, wenn sie ins Wasser gehen. Schnaps und Rum bekommt er bei mir aber nicht.‹ Er hätte ihn ›unbedingt ganz zu sich ins Haus genommen, wenn sie sich nicht gegenseitig mit dem Klavierspiel geniert hätten‹. So brachte er ihn denn, hundert Schritt von seiner Wohnung entfernt, in einer benachbarten Wirtschaft unter, wo er eben nur schlafen und arbeiten sollte, um in allem Übrigen Wagners Gast zu sein. ›Meiner, trotz Strohwitwerschaft, ganz erträglich soutenierten Tafel tut er aber wenig Ehre an: er setzt sich fast jedesmal mit der Erklärung, gar keinen Appetit zu haben, zu Tisch, was mir um so weniger Freude macht, als ich weiß, daß dies vom vielen zuvor genossenen Käse oder Zuckergebäcke kommt. In dieser Art martert er mich eigentlich beständig, ißt mir einzig meine Zwiebacke weg, mit denen selbst mich meine Frau kurz hält. Spaziergänge sind ihm ein Greuel; dennoch behauptet er gern mitzugehen, wenn ich ihn zu Haus lassen will. Nach der ersten halben Stunde streitet er dann, bereits vier Stunden gegangen zu sein. So ist denn plötzlich meine kinderlose Ehe mit einer reichen Katastrophe gesegnet worden und ich genieße in rapiden Zügen die Quintessenz der Vatersorgen und -Nöten. Und das hat mir jetzt oft recht wohlgetan; es war eine süperbe Diversion. Natürlich macht mir der Junge auch außerdem noch große Freude: wenn er sich wie ein Bube benimmt, redet er doch meistens wie ein Alter, und zwar von scharfem Kaliber. Ich kann mit ihm alles und jedes Thema vornehmen; er wird mir bestimmt mit Helligkeit und großer Rezeptivität zu folgen wissen. Dabei ist es denn ebenso rührend und ergreifend, wenn dieser Junge mir dann ein so tiefes, zartes Gefühl und eine so weit hin empfindende Sympathie zeigt, daß er mir unwiderstehlich nahe kommt. Musikalisch ist er jedenfalls enorm befähigt, und sein rasendes Klavierspiel macht mich schaudern.‹ Mehr als zwei Monate weilte der junge Titan unter dem Dache des Meisters; und von dem ›jungen Menschen, der sonst so schonungslos über Gott und alle Welt sich ausläßt,‹42 weiß uns Frau Wesendonck manchen zarten Zug zu vermelden. Er sei rührend in seinem Bestreben gewesen, die Wünsche des Meisters ihm an den Augen abzulesen, und habe einmal (als Minna durch eine kurze Anwesenheit ihre Kur unterbrach) ›nach dem Mittagessen mit der aufgeregten, kränkelnden Frau eine Stunde lang – Domino gespielt (!), damit das Mittagsschläfchen Wagners nicht gestört würde.‹43 So bekennt auch Bülow, der ihn bald darauf noch in Zürich antraf, seine Verwunderung über die Frühreife seines Geistes, mit [181] der er während dieses zweimonatlichen Aufenthaltes bei Wagner ›Schopenhauer ziemlich verdaut‹ und ›den jungen Siegfried ganz famos für das Klavier arrangiert habe, soweit die Partitur existiert.‹44

Neben der so viel näheren, unablässigen Sorge um die Gesundheit seiner Frau fand noch eine andere, zwar etwas entferntere, dennoch aber ihm am Herzen liegende Raum: die Ungewißheit über das Befinden seines alten Freundes Tichatschek. Dessen Gattin hatte nämlich auf einer Reise in oder durch die Schweiz ihn in Zürich besucht, und gerade in seinem Hause die beunruhigende Nachricht von der Erkrankung ihres Mannes empfangen, ohne diese deshalb für besonders gefährlich zu halten. Da sich Wagner ebenfalls gern dieser hoffnungsvollen Annahme hingab, erschreckte ihn bald darauf um so mehr eine Zeitungsnachricht entgegengesetzten Inhaltes, die an dem Aufkommen Tichatscheks, namentlich für die Kunst, zweifeln ließ. Eben damals, bei der endlich wieder aufgenommenen Pflege seiner Werke zu Dresden, und in Erwartung der bevorstehenden Auferstehung seines ›Rienzi‹ wäre ein solches Schicksal des alten Sänger-Freundes ihm noch in ganz besonderer Weise nahe gegangen. Somit wurde er denn eines schönen Tages durch die ganz unerwartete telegraphische Benachrichtigung von seiner Genesung und seinem Wiederauftreten im ›Tannhäuser‹ auf das Angenehmste überrascht. ›Während ich eben‹, so meldet er selbst den Eindruck der empfangenen Nachricht, ›in schlimmster Spannung auf eine Nachricht der guten Frau Pauline (Tichatscheks Gattin) warte, kommt plötzlich Deine Sonntags-Depesche an. Ehe ich sie erbrach und somit wußte, woher? verfiel ich in einen neuen Schreck, denn ich glaubte eine Nachricht vom Arzte meiner Frau zu erhalten, der mir natürlich auch nur etwas sehr Schlimmes hätte mitteilen können. Nun denke Dir dagegen mein Entzücken, als ich Deine Unterschrift las und den flotten Inhalt dazu: und hätte ich mein Haus in Brand stecken müssen, ich mußte Dir sogleich wieder telegraphieren. Hoffentlich kam meine Antwort noch zu rechter Zeit, vor der Aufführung an?‹ Überraschend bald nach dieser guten Nachricht folgte ihr Tichatschek selbst in eigener Person auf dem Fuße, um einige Wochen seines Urlaubes in Wagners Fremdenstübchen und in seiner Gesellschaft zu verbringen, und ihm dabei den augenscheinlichen Beweis seines allervortrefflichsten Wohlseins zu liefern. Zu jeder anderen Periode wäre ein solcher Besuch dem einsamen Meister auf das herzlichste willkommen gewesen; nur nicht in dieser Zeit einer eigentlich ununterbrochenen bangen Spannung. Dieser kindlich liebenswürdige Mensch, dem er eben wegen seiner Anhänglichkeit eine so aufrichtige Freundschaft schenkte, hätte ein Jahr früher kommen sollen, wo er Monate lang auf Reisen war und Wagner ihn nach vorausgegangener Ankündigung seines Besuches wirklich [182] fast täglich erwartete.45 Es war dies in der ersten Woche des Juli, nicht lange darauf (am 10. oder 11.) erschien nun aber auch auf ein paar Tage der Sänger Albert Niemann mit seiner Braut, der Schauspielerin Marie Seebach, zum Besuch. Dieser hatte schon vor zwei Jahren den Meister in Zürich vergeblich gesucht, während dieser in Mornex weilte; dann hatte ihn Wagner brieflich zu seinem zukünftigen ›Siegfried‹ ernannt und zu sich eingeladen,46 aber den ganzen vorigen Sommer hindurch, gerade wie Tichatschek, vergeblich erwartet. Daß beide Letzteren, nämlich der junge Sänger und seine Braut, vor Wagners Augen ›Gnade gefunden‹, erwähnt bald darauf Bülow, mit dem Hinzufügen: er sei sonst im Allgemeinen im Umgang weit ›difficiler‹ geworden, ›ohne daß seine von Grund aus noble Natur darunter gelitten hätte.‹ Dagegen habe Tichatschek seinen Wirt ›durch seine kindische Heiterkeit ennuyiert‹. Auch sei er ›zum Singen leider nicht zu bewegen gewesen.‹ Im Betreff Minnas schien sich alles günstig zu fügen; die Zeit ihrer, mittlerweile fast vierteljährigen, Kur war dicht am Ablaufen. Doch konnte er sich darüber nicht täuschen, daß eine starke Herzerweiterung nur durch große Ruhe und Entfernthaltung alles Excitierenden erträglich zu machen sei. ›So erwachsen mir denn auch hieraus neue Pflichten, über die ich meine eigenen Leiden zu verwischen suchen muß.‹47

So kam, bei fortdauernder Anwesenheit Tichatscheks, um die Mitte des Monates Juli der Zeitpunkt ihrer Rückkehr. Aber nur, um auf der Stelle, fast durch ihr bloßes Wiedererscheinen, zu neuen Reibungen, neuen Mißverständnissen und Verstimmungen Anlaß zu geben. Jetzt erst stand es für den Meister fest, daß die Position nicht länger zu halten sei, und seine ›von Grund aus noble Natur‹ schwankte keinen Augenblick über die Art der Lösung des Konfliktes. Sein Entschluß war gefaßt: die einzig würdige Lösung war – die Auflösung des kaum erst für die ganze Lebenszeit begründeten Heims. Genau an dem Tage, da er Minna aus Brestenberg abholte, 15. Juli, hatte er den Besuch eines ihm bis dahin unbekannten jungen Verehrers, Wendelin Weißheimer aus Mainz, zu empfangen, der, mit einem Empfehlungsschreiben Schindelmeißers ausgerüstet, an seine Tür klopfte.48 Unmittelbar darauf, mitten hinein in die durch Minnas Rückkehr verursachten neuen Konflikte, erschien nun aber auch, dem gegebenen Versprechen gemäß (S. 150), das junge Bülowsche Paar, in der Absicht, einige glückliche Wochen in seinem Umgang zu verbringen, und – zum völligen Überfluß des Guten gerade in diesem Augenblick! – von Paris her die Gräfin d'Agoult. Letztere, [183] um, wie sie zu Frau Wesendonck sagte, in Zürich, die Bekanntschaft großer Männer zu machen, (pour faire ici la connaissance de grands hommes), in der Hauptsache aber wohl, um sich ein Rendezvous mit ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohne zu geben. Bülow, der sie persönlich noch nicht kannte, empfing von ihr einen großen unerwarteten Eindruck. ›Noch immer wunderschön und edel an Gestalt und Zügen in ihrem weißen Haar, frappierte sie mich namentlich durch die unverkennbare große Ähnlichkeit mit Liszts Profil und Ausdruck, so daß Siegmund und Sieglinde mir unmittelbar in den Sinn kamen.‹49 Auch sie blieb bis in die letzten Tage des allgemeinen Abschiedes dem Kreise angehörig, der sich unter so verhängnisvollen Umständen um den Meister sammelte. Dazu – bei 260 Hitze – noch ein mehrtägiges eidgenössisches Sängerfest mit aller davon unzertrennlichen Unruhe, ›vom musikalichen Standpunkt aus nur heftigen Ekel einflößend, vom nationalen aus dagegen große Achtung vor den patriotischen Opfern, vor der allgemeinen Festfreude, der anständigen Ordnung, mit der alles vor sich ging.‹50 Bülows Briefe benachrichtigen uns über die Vorgänge dieser letzten traurigen Zeit; und wir entnehmen ihnen an dieser Stelle, was sein Zartgefühl dem vertrauten Freunde über die vorgefundenen ›eigentümlich komplizierten, in den ersten Tagen unleidlichen und auf die Spitze getriebenen Verhältnisse‹ mitzuteilen gestattet. Da Tichatschek immer noch Wagners Gastzimmer innehatte, mußten sie fast eine volle Woche in einem wenig empfehlenswerten Züricher Gasthof (Hotel Billharz) logieren. ›Nun sind allmählich die Dinge und Personen einigermaßen möglich geworden, seit Mittwoch (21. Juli) bin ich mit meiner Frau hier installiert und unter den verlebten Stunden sind bereits einige ganz interessante aufzuzählen, obgleich die Luft noch schwül und gewitterschwanger‹. ›Tausig wohnt einhundert Schritte von uns. Sein großes Talent, seine wirklich bedeutende Intelligenz und endlich sein Humor haben ihm Wagners Zuneigung in hohem Grade erworben.‹ ›Ferner erwarten wir jede Stunde die Ankunft Klindworths, der seinen Besuch angekündigt und nach Empfang von Wagners zusagender Antwort sofort London verlassen würde.‹ ›Carvalho [184] korrespondiert mit Wagner, der durch Lüttichau arrangiert hat, daß Ende dieses Monats eine ordentliche Aufführung des »Tannhäuser« in Dresden stattfindet, damit Carvalho die Oper kennen lernt.‹ ›Vom »Tristan« ist der zweite Akt erst skizziert; Wagner hat mehrere Monate nicht arbeiten können. Vom ersten Akt ist die Partitur schon gestochen Du wirst staunen, Mensch, über die Neuheit, Kühnheit und Mannigfaltigkeit dieses Werkes. Der Musiker Wagner wächst immer höher.‹ ›Karl Ritter war, endlich durch mich mit Wagner versöhnt, in voriger Woche‹ (ca. 3.-6. August) ›hier. Aber wir Alle, Tausig, Klindworth (ein prächtiger, liebenswürdiger Mensch), meine Frau und ich, vermochten wenig zu Wagners Erheiterung oder Zerstreuung zu tun. Immer Gewitterschwüle. Einige schöne Lichtpunkte waren die mehrmaligen Klavieraufführungen des »Rheingold« und der »Walküre«. Klindworth spielt famos, hinreißend; Wagner sang alle Partieen mit einer kolossalen Selbstvergessenheit, unter Aufwand aller Kräfte.‹ Zum Schluß: ›Von hier aus ist nur Trauriges zu melden: Wagner verläßt binnen acht Tage seine schöne Villa, anderwärts Ruhe zu suchen in größerer Ferne, zuvörderst in Venedig oder Florenz. Frau Wagner geht nach dem Verkauf und der Einpackung der Möbel nach Deutschland (Zwickau, Dresden, Berlin, Weimar).‹

Das Erschütternde dieser letzten Katastrophe auf dem ›grünen Hügel‹ tritt uns aus diesen schlichten, bei tiefstem Mitempfinden in so leidenschaftsloser Ruhe gehaltenen, knappen Andeutungen eines unmittelbaren Augenzeugen mit schneidender Eindringlichkeit entgegen. ›Die Krankheit meiner armen Frau war nicht zu bändigen‹, schreibt der Meister selbst wenige Monate später an Frau Julie Ritter, deren Güte und Nachsicht die Leidende in rührender Weise empfehlend. ›Ihre Gemütsstimmung wurde so peinigend für sie und ihre Umgebung, daß an eine gründliche Änderung der Situation gedacht werden mußte, wenn wir uns nicht alle sinnlos aufreiben wollten.‹ So wurde zunächst ein getrennter Aufenthalt beschlossen. Aber nicht in der Form einer einseitigen Verbannung des einen Teiles, sondern der Auflösung ihres gemeinsamen Hausstandes, nach kaum sechszehnmonatlicher Dauer desselben in der so hoffnungsvoll bezogenen neuen Umgebung. War das tiefe Unverständnis seines Wesens durch sie, die ihm am nächsten stehen sollte, dem nun wieder heimatlosen armen Meister ein Grund zu höchster Pein geworden, so finden wir doch in seinen gesamten Äußerungen über sie kein hartes verurteilendes Wort, kein einziges, das nicht von seinem tiefsten Mitgefühl für sie ein lautredendes Zeugnis ablegt. ›Ich gestehe‹, so sagt er vielmehr, ›daß mein Verhältnis zu dieser armen, vielgeprüften und nun so leidenden Frau mir zu einem steten Sporn zur Bewährung meiner moralischen Kräfte und ihrer Ausbildung geworden ist. In allen meinen Beziehungen zu ihr leitet mich nur noch das tiefste Mitgefühl mit ihrem Zustande, und ich hoffe zuversichtlich, es wird mich immer [185] mit der andauernden Geduld waffnen, mit der ich die Folgen ihrer Krankheit nicht nur zu ertragen, sondern auch zu lindern mich berufen fühle.‹ Durch welch giftige Verleumdungen andererseits dieses, einer Schwerkranken gebrachte Opfer sowohl dem Meister, wie nicht minder seinen treuen Freunden, durch eine scheelsüchtige, alles begeifernde, skandalfrohe Presse gelohnt wurde, das – wurde in der Folge auch ein Stück seiner Lebenserfahrungen am deutschen Publikum! – – –

Eine ungeahnt reichhaltige Ergänzung haben die Angaben des vorstehenden Kapitels, sowie aller ihm noch folgenden bis zum Schluß dieses Bandes, inzwischen durch ein, in aller Händen befindliches Buch gefunden: die seit einem Jahr an das Licht der Öffentlichkeit getretenen Briefe Richard Wagners an Mathilde Wesendonck.51 So manches, was auf den acht letzten Seiten dieses Kapitels bisher schicklicherweise bloß angedeutet werden konnte, findet sich dort klar und unverhüllt ausgesprochen. So vor allem das ganz bestimmte Vergehen Minnas (S. 179), welches dem Zartgefühl des Meisters ein ferneres Verweilen in dem trauten Asyl unmöglich machte.52 Welcher Art die Freundschaft zwischen dem ›Meister‹ und dem ›Kinde‹ gewesen sei, welcher Ernst der Resignation dieses reine und zarte Verhältnis von beiden Seiten erfüllte, das entnimmt der Leser am besten jenen Briefen und Tagebüchern selbst. Wir haben deshalb für die gegenwärtige ›unveränderte‹ Neuausgabe dieses Bandes getrost darauf verzichten dürfen, unsere Erzählung durch die Hereinbeziehung des dort gebotenen reichhaltigen Materials zu erweitern; sowie umgekehrt das rein Tatsächliche der Voraussetzungen jener Briefe sich am besten aus der eingehenden Erzählung seines äußeren Lebens ergibt, – so daß Biographie und Briefe einander hier vollständig ergänzen.

Fußnoten

[186] 1Je me consume‹, heißt es in einer derselben ›toute mon âme n'est que langueur et mes journées passent dans un immutable accablement. Il m'a été impossible de me remettre à mon travail durant tout ce mois, ce qui me rend fort discord.‹ Liszts Briefe III, S. 99.


2 Bekanntlich war König Johann von Sachsen ein besonderer Dante-Verehrer und hatte noch vor seiner Thronbesteigung (1854) unter dem Namen Philalethes eine sehr schätzbare Übersetzung seines bevorzugten Lieblingsdichters in drei Teilen erscheinen lassen (1828–1849).


3 An Liszt, 1. Jan. 1858 ›gestern endlich wurde ich mit der Komposition des ersten Aktes fertig‹.


4 An Liszt II, S. 188.


5 Eine Anspielung auf irgend eine Bemerkung Liszts während seines vorigjährigen Besuches in Zürich, vermutlich mit Bezug auf ein Portrait des damals längst nicht mehr lebenden Veteranen und Begründer des Schweizer Chorgesanges.


6 An Liszt II S. 184.


7 Erst seit kurzem ist neben diesem eine in der Auffassung minder einseitige, aber dafür in ihrem Umfang doch mehr nur skizzenhafte Darstellung in Eduard Reuß ›vortrefflichem, Leben Liszts‹ hervorgetreten (›Franz Liszt, ein Lebensbild‹, Dresden und Leipzig, 1898).


8 Briefwechsel II, S. 182.


9 Ebendas. S. 197.


10 Eduard Reuß, a. a. O. S. 299.


11 Weißheimer, Erlebnisse S. 12.


12 Er suchte sich nachträglich damit herauszureden, daß er nicht Liszt, sondern Berlioz habe auspfeifen wollen.


13 ›Mit dem Abfalle eines bisher warm ergebenen Freundes, eines großen Violinvirtuosen, auf welchen das Medusenschild (des »Judentums in der Musik«) doch endlich auch gewirkt haben mochte, trat jene wütende Agitation gegen den nach allen Seiten hin großmütig unbesorgten Franz Liszt ein, welche ihm endlich die Enttäuschung und Verbitterung bereitete, in denen er seinen schönen Bemühungen, der Musik in Weimar eine fördernde Stätte zu bereiten, für immer ein Ziel steckte.‹ (Ges. Schriften VIII, S. 306/307.) Die laut redenden Dokumente dieses ›Ab falles‹ liegen nun auch vor, in den ›Briefen hervorragender Zeitgenossen an Franz Liszt‹, herausgegeben von la Mara. Leipzig, Breitkopf und Härtel 1897. Vgl. dazu Eduard Reuß ›Franz Liszt, ein Lebensbild‹ S. 300/303.


14 Dingelstedt hatte keinen Künstlerglauben; seine Ziele waren: Reklame, Karriere und Kasse. Daß er Weimar nur als Fußschemel benutzte, um sich weiter zu poussieren, hat er bewiesen, nachdem er Liszt aus Weimar hinaus intriguiert (Richard Pohl, Autobiographisches S. 25).


15 Schon im Herbst 1857 machte Dr. Härtel dem Meister, eigens zum Zwecke einer Vorbesprechung, einen Besuch in Zürich und ging mit großer Bereitwilligkeit auf Wagners Vorschläge hinsichtlich des Verlags von ›Tristan und Isolde‹ ein. Die eigentliche offizielle ›Offerte‹ des neuen Werkes durch Wagner, mit Angabe seiner Bedingungen, sowie die endgültige Beantwortung derselben seitens des Leipziger Hauses fällt aber erst in den Monat Januar 1858.


16 Daß sich dieses negative Verhältnis unter der musikalischen Oberleitung eines Taubert und Dorn für die ganze Saison 1857–58 gleichmäßig fortsetzte, entnehmen wir den teilnahmvoll empörten Privatäußerungen Bülows an Alexander Ritter, in denen auch Johanna Wagner wegen ihrer Indolenz gegen die Interessen ihres Oheims einem scharfen Tadel nicht entgeht. ›Fast möchte ich glauben, daß Taubert der Onkel Deiner Frl. Schwägerin, da sie sich so lebhaft für‹ (dessen verunglücktes elendes Opus ›Macbeth‹) ›verwendet, als ob verwandtschaftliche Rücksichten im Spiele wären. Wohingegen sie nicht eine Vorstellung des »Tannhäuser« vor ihrem Urlaub veranstalten wollte, obgleich Wagner sehnlichst nach einer Tantieme mehr lechzte!‹ Vgl. S. 177, A. dieses Bandes.


17 ›Entwürfe, Gedanken, Fragmente‹, Leipzig 1885, S. 92.


18 Vgl. hierzu H. v. Wolzogens wahrhaft tiefsinnige, unendlich vielsagende, Betrachtungen im Anschluß an die zuvor zitierten Äußerungen des Meisters, in den ›Bayreuther Blättern‹ 1885, S. 287. Natürlich haben weder die einen, noch die andern eine spezielle Beziehung auf die Züricher Freunde!


19 An Frau Ritter, 7. April 1859: ›Wer nur noch lebt, weil selbst das höchste selbst empfundene Leiden sich ihm immer wieder als neu zu schaffendes Kunstwerk vorführt, der – braucht die Aufmunterung der Welt, ja selbst seiner eignen Kunst nicht mehr.‹


20 Der Erfolg davon war, daß die französische Kritik bei diesem Anlaß zuerst mit dem Werke bekannt wurde und sich desselben eifrigst zur Besprechung bemächtigte, im verhältnismäßig günstigen Sinne. Im ›Courrier de France‹ hatte sich Ernest Royer, im ›Moniteur‹ Theophile Gauthier, im ›Figaro‹ Emile Solié, in der ›Revue et Gazette musicale‹ Leon Durocher, im ›Siècle‹ Gustave Chadeuil, im ›Pays‹ – – – Dieser oder Jener, zum Teil recht anerkennend darüber ausgesprochen. Von einer prinzipiellen Bekämpfung des deutschen Meisters war damals keine Rede, – der Anstoß dazu mußte eigens erst noch gegeben werden.


21 Brieflich an Frau Ritter, 11. Mai 1858.


22 An Liszt II, S. 187, Nr. 254.


23 An Liszt, Band II, Seite 190/191.


24 Vgl. darüber Band I, Seite 286.


25 An Frau Ritter 11. Mai 1858.


26 Pierre Erard (1796–1855), Neffe und Erbe des Begründers der berühmten Pianoforte- und Harfenfabrik, des Elsässers Sebastian Erard († 1831 auf seinem Schloß Muette bei Paris).


27 An Frau Ritter, a. a. O.


28 An Liszt, Ende Juli 1856: ›Du mußt mir einen Erardschen Flügel verschaffen!! Schreib' an die Witwe, ... es sei für sie ein Ehrenpunkt, daß in meinem Hause ein Erard stünde.‹ Worauf Liszt, 1. August 1856: ›Ob Mme. Erard einen Flügel so vorteilhaft placieren wird, ist eine fragliche Frage, über welche ich gelegentlich bei ihr anfragen werde.‹ Und wiederum Wagner vierzehn Tage später nochmals auf den Punkt hindrängend, ca. 16. August: ›Schreibe doch der Erard, sie solle mir augenblicklich einen Flügel schicken, ich will jedes Jahr 500 frs. abzahlen.‹ Die Reihenfolge der betreffenden Briefe ist die hier angegebene: Nr. 220. 222. 221. (Briefwechsel, Band II Seite 137/139.)


29 Brieflich an Fischer S. 348.


30 Es war dies zugleich der endgültige Bescheid auf Hoffmanns, bereits im Oktober an ihn ergangene Bewerbung um die Partitur des ›Lohengrin‹. Damals hatte ihm Wagner, weil er über die wahre künstlerische Beschaffenheit der Wiener Aufführungen noch nicht im Reinen war, ausweichend geantwortet: er hoffe im nächsten Jahre (1858) amnestiert zu werden und wolle dann seinen ›Lohengrin‹ den Wienern unter seiner persönlichen Leitung vorführen. Bekanntlich war damals der Umbau des Wiener Hofopernhauses im Werden. Da Hoffmann auf das obige Anerbieten des Meisters bei eigener schwieriger Lage nicht eingehen konnte (es war lediglich an die sofortige umgehende Zusendung der gewünschten 3000 Francs geknüpft), kam er ganz um den ›Lohengrin‹, mit dessen erstmaliger Aufführung vielmehr – wenn auch nicht unter des Meisters Leitung! – das umgebaute Hofoperntheater am 18. August 1858 eröffnet wurde.


31 An Fischer S. 348.


32 ›Mr. Carvalho scheint Jagd auf mich zu machen‹, schreibt er an Liszt (II, S. 192); ›soll es durchaus mit ihm zu etwas kommen, so bin ich entschieden, ihm den »Rienzi« preiszugeben; mir wäre dies eine reineaffaire d'argent, und als solche würde sie gewiß gar nicht übel ausfallen.‹ Was sich damals, im frischen Anschluß an seine eben gewonnenen Pariser Beziehungen, verhältnismäßig leicht gemacht hätte, verzögerte sich nun um ein volles Jahrzehnt: die ganze Direktion Carvalho lag dazwischen. Die Aufführung des ›Rienzi‹ am Théatre lyrique fand i. J. 1869 statt, unter der Direktion Pasdeloup. Sie erlebte 25 Wiederholungen, dann ward der Krieg von 1870 ein neues Hindernis.


33 Derselbe Brief enthält eine erneute bittere Klage über die Gleichgültigkeit Johannas gegen Wagners Interessen: ›Deine Schwägerin hat, trotz meines in ständigen Bittens, einige »Tannhäuser«-Vorstellungen noch während dieser Zeit (vor dem Antritt ihres Urlaubes) zu veranlassen, keine Schritte dafür getan, sondern singt Nibelungen (Dorn!), Macbeth (Taubert), Tankred – es ist greulich!‹ (Bülow an A. Ritter, 15. März 1858, vgl. S. 167 Anm. des gegenwärtigen Bandes).


34 Das abweichend überlieferte Datum dieser denkwürdigen Privatfeier ist auf Grund des vorliegenden ›gedruckten Programmes‹ angegeben durch A. Heintz (Allg. Musikzeitung 1887, Seite 328).


35 Allg. Musikz. 1887, S. 275. Nicht anwesend war Gottfried Keller, der mit einem Pflaster auf der Nase zu Hause sitzen mußte, zur Buße einer begangenen Unvorsichtigkeit auf einem städtischen Frühlingsmaskenfeste! Er beklagt es nachträglich bitter, das ›elegante Konzert‹ in der Villa Wesendonck verloren zu haben, das ›für eine Privatgeschichte in Zürich ganz unerhört war!‹ (Baechtold S. 419).


36 H. T. Fink, Wagner und seine Werke (Deutsch von G. v. Skal), Band II, S. 44. Vgl. hierzu die erläuternde Bemerkung am Schluß des gegenwärtigen Kapitels (S. 186).


37 An Frau Ritter 11. Mai 1858.


38 Der Brief ist vom 15. Mai und in französischer Sprache abgefaßt: ›Je vois Wagner souvent – grace au départ de sa femme, de son perroquet et même de son chien! Il est parfaitement bon, doux, sympathique. In demselben Brief meldet er als neuestes Ereignis die Ankunft des Erardschen Flügels!


39 Vgl. die Notiz der N. Berl. Musikzeitung vom 23. Febr. 1859. ›Der Großherzog hat dem Dr. Dingelstedt als Theaterintendanten und Dr. Liszt als Musikdirektor den Befehl gegeben, für das Frühjahr 1860 die Aufführung von Richard Wagners Quadrilogie(sic!), nämlich dervier Opern: »Rheingold«, »Die Walküre«, »Siegfried« und »Siegfrieds Tod« vorzubereiten. Zu diesem Ende soll ein eigenes provisorisches Theater erbaut werden. Die ersten Gesangskünstler Deutschlands sollen mit den Hauptrollen betraut werden, deren jede eine doppelte Besetzung erhalten wurde, um jedes Hindernis zu beseitigen. Der Großherzog beabsichtigt zu diesem deutschen Gesangsfeste (!), für dessen großartige und prachtvolle Ausstattung die umfassendsten Geldmittel angewiesen sind, die deutschen Fürsten und alle Notabilitäten der Kunst und Wissenschaft einzuladen.‹


40 An Liszt II, S. 19899. Vgl. S. 201, und die spätere Erwähnung Liszts (S. 271), wonach sich der Großherzog jedenfalls wiederholt mündlich und schriftlich beim Könige von Sachsen für Wagner verwendet habe.


41 Wagner an Liszt II, S. 199.


42 An Liszt Il, 202.


43 Allg. Musikz. 1896, S. 94.


44 Bülows Briefe an R. Pohl in der ›Neuen Deutschen Rundschau‹ 1894, S. 468.


45 Vgl. an Fischer S. 340/41.


46 In einem Briefe vom 25. Januar 1857, kurz nach Vollendung der Komposition des ersten ›Siegfried‹-Aktes.


47 An Liszt II, S. 200.


48 Weißheimers anschauliche Schilderung dieses Besuches siehe im Anhang. Sie ist in allem Äußeren ziemlich getreu; nur von der verhängnisvollen Bedeutung dieser Tage ist darin nichts zu spüren, da er, stets ganz von sich eingenommen, dafür keine Empfindung hatte.


49 ›Dabei‹, fährt er fort ›diese Würde und Hoheit ohne alle Strenge – dies elegante seine Laisser-aller, was den Gegenübersitzenden in die behaglichste geistig freieste Stimmung bringt, die ihm auch die möglichst günstige Entfaltung seines Wesens gestattet – ich gestehe, daß ich nach dem Allen ganz bezaubert bin und meine Gedanken gar nicht mehr soweit im Zaum halten kann, um nicht an die unsägliche Befriedigung zu denken, mit welcher mich die Vorstellung erfüllen würde, diese schöne bedeutende Frau, die in zehn Jahren das Ideal einer geistig frischen Matrone repräsentieren wird, neben dem Einzigen zu sehen, dessen olympisches Wesen gesellschaftlich ergänzend. Ich darf nicht daran denken! Und doch – wie ungerecht wäre es, gegen die andere Frau‹ (Fürstin Wittgenstein) ›zu eifern, die so vielen Anspruch auf Verteidigung seitens Derer besitzt, die sie einigermaßen kennen gelernt‹. (Bülow an Pohl, 24. Juli 1858) (›N. deutsche Rundschau‹ 1894, S. 469).


50 Bülow a. a. O.


51 ›Richard Wagner an M. Wesendonck‹, 11. Aufl. Berlin 1904.


52 Sie hatte einen an Frau Wesendonck gerichteten – ihr unverständlichen! – Brief des Meisters hinter seinem Rücken heimlich aufgefangen und eigenmächtig eröffnet. Alles Nähere a. a. O., besonders in der »Einführung« S. XXV/XXVI.

Quelle:
Glasenapp, Carl Friedrich: Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern. Band 3, Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1905, S. 163-187.
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