Ueber: Morlacchi's Oratorium »Isacco«,

[138] aufgeführt zu Dresden am heiligen Oster-Vorabend.


(Dresden 20. März 1817.)


Wenn das Höchste und Heiligste des Lebens angeregt wird, und die erhabenen Bilder und Erinnerungen der Religion die Seele durchdringen, – da darf wohl der reinste Aushauch menschlichen Gefühles, die erhebende Tonkunst nicht fehlen.

Sie, die mehr Tochter als Nachahmerin der Natur, in ihrer feierlich geheimnißreichen Sprache, Andacht gebend und erzeugend, unmittelbar auf das Gemüth wirkt, und tiefer Rührung Herrscherin ist.

Wie weise umfassen die kirchlichen Gebräuche die menschliche Empfindung: das höchste Leid in schauerlich feiernder Stille, das wiedergegebene Heil, mit des Tones freiem Aufschwunge zum Schöpfer.

Herrlich und erhaben ist es, für diesen Zweck seine Kraft versuchen zu dürfen, und befriedigend könnte dem Künstler das Bewußtsein, gewirkt zu haben, genügen; aber wohl ist es ihm doch auch nicht zu verargen, wenn er das, was er mit Liebe schuf, auch dem Sinne seiner Zuhörer näher bringen möchte.

Selten erscheinend, schnell vorüberwandelnd ist das Resultat langer Anstrengung. Vergönnt mag es also sein, es gleichsam im Vorüberfluge etwas aufzuhalten, zumal wenn man glaubt, in der Behandlung des Stoffes sich anderer Mittel, als die Vorgänger bedient zu haben, deren Wirkung durch nähere Bezeichnung derselben weniger zweifelhaft den Zuhörer überraschen soll.[138]

Herr Kapellmeister Morlacchi hat Metastasio's Oratotorium: Isacco, Figura del Redentore, neu bearbeitet. Mit freundlich ehrendem Zutrauen hat er den Wunsch geäußert, daß ich in meines Vaterlandes Sprache das Organ sein möge, das seine Ansicht und Absicht bei der Composition dieses Oratoriums den Hörern desselben entwickle, und mit Freude und kunstbrüderlichem Eifer will ich es versuchen, seinem Willen zu entsprechen.

Die Masse der Hörer beurtheilt sehr oft eine Arbeit blos deshalb lieblos oder hart, weil sie nicht den Maßstab anlegt, nach dessen Verhältnissen das Werk geschrieben ist, oder nicht aus dem Gesichtspunkte es sieht, wie der Componist, vermöge seiner Talente, Bildung, und daraus entspringenden Ueberzeugung und Willen, es nothwendig nur sehen kann.

Im gewöhnlichen und allgemeinen Sinne ist deutsches Werk italienischem Sinne so fremd und unbehaglich, wie italienisches dem deutschen. Kunstbildung und Vertrautheit unterscheidet und liebt an jedem das in seiner Art Vorzügliche. Vollen dete Wahrheit aber behauptet in allen Zonen ihre Rechte siegend über alle kritische Ansichten, die am Ende doch auch nur in einer Wahrheit sich auflösen müssen.

Wünschenswerth und wahrhaft befördernd ist aber jene Kritik, die wohlwollend mit den Augen des Componisten sehen will, es ihm aber zugleich sagt, denselben dadurch sich selbst entschleiernd, und ihm sein eigenes Geheimniß enträthselnd, da jedes Wesen in der verzeihlichen und natürlichen Befangenheit des eigenen Gesichts- und Fähigkeits-Kreises lebt.

Rühmlich und volle Anerkennung verdienend ist es schon, wenn, nach dem Kunstglauben und Bedarfe eines fremden Landes gebildet, man fühlen lernt, daß dieses nicht ausreiche auf anderm Boden. Es ist dies schon ein schöner Schritt vorwärts auf der Bahn, und man hat dabei nur die Schwierigkeit hoch zu beachten, die Form nicht für die Sache zu nehmen.

Herr Kapellmeister Morlacchi hat dieses rühmliche Streben[139] schon in seinen letztern Arbeiten an den Tag gelegt, und bei diesem Oratorium vielleicht noch mehr im Sinne und Auge gehabt.

Die frühere Behandlung des Textes war nach seiner Ansicht auch den Forderungen früherer Zeit angemessen. Die Secco Recitativi, vielen Arien und wenigen Chöre verbreiteten eine Leere, die dem an musikalischen Reichthum gewöhnten Ohre der jetzigen Musikwelt kaum genügen würde. Er hat also das Ganze in musikalisch bestimmtere Formen gekleidet; die Worte, außer den sich als Arien, Duetten, aussprechenden Musikstücken, nicht sowohl blos als accompagnirte Recitative behandelt (wo Wahrheit des Ausdrucks doch noch größtentheils das Verdienst des Sängers ist), sondern er hat dieselben an eine bestimmtere musikalisch-rhythmische Deklamation gefesselt, wodurch das Ganze mehr zu einem großen, in verschiedenen Takt- und Tempo-Arten sich bewegenden, Musikstücke wird. Nächstdem lag ihm bestimmte Charakterzeichnung der handelnden Personen am Herzen, und sinnreich suchte er mehrern Stellen des Textes, die nur für Eine Stimme berechnet waren, Stoff zu Duetten, Terzetten und Chören abzugewinnen. Ein Verfahren, was wohl lobenswerth erscheinen kann in dem Gefühle des Bedürfnisses desselben, und da es Frevel gewesen wäre, eines Metastasio Dichtung mit fremden Einschiebseln zu verunstalten, welches weniger durch einige Abkürzung desselben zu befürchten war.

Hiermit glaube ich nun den Willen und die Ansicht des Componisten ausgesprochen zu haben; und es würde mich innig freuen, wenn ich dadurch zur erhöhten Wirkung seiner Absicht beizutragen im Stande war.

Der Weg zum Ziele ist breit und mannigfach gestaltet, wir haben alle Platz darauf; er ist auch steil, wohl uns, wenn wir uns alle die Hände bieten; Freude, Friede und Gedeihen der hohen Kunst seien der Erfolg! So rufe ich im Namen aller es mit ihr redlich meinenden Künstler aus.[140]

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 138-141.
Lizenz:
Kategorien: