D. Die Gottheit als Vogel.

[58] Wir haben bisher bulgarische und vorzugsweise russische Erzählungen behandelt, die zwar im wesentlichen einander ähneln, aber doch mancherlei Unterschiede aufweisen. Wir erklärten diese aus östlichen Einflüssen, die im Bulgarischen nicht im gleichen Maße vorhanden sind. Es bleibt nun noch eine besonders auffallende Einzelheit zu erörtern, die gleichfalls nicht bulgarisch ist, wohl aber auf russischem Gebiet und weiter nach Osten und Nordosten zu in zahlreichen Sagen sich findet. Es ist die Vorstellung von der Gottheit als Vogel, die uns bereits in der Sage vom Tiberiassee begegnet ist. In einem galizischen Weihnachtsliede spielen drei Tauben die Rolle des Schöpfers.[58]

»Als noch nicht Anfang der Welt war, war weder Himmel noch Erde, sondern nur blaues Meer, und inmitten des Meeres ein Ahorn. Auf dem Ahorn saßen drei Tauben. Sie berieten, wie die Welt zu erschaffen sei. Wir wollen auf den Boden des Meeres tauchen und feinkörnigen Sand holen. Den wollen wir umherstreuen, so wird die schwarze Erde entstehen, dann wollen wir goldenen Stein holen, den wollen wir umherstreuen, so wird uns der helle Himmel erstehen, die klare Sonne, der glänzende Mond und die funkelnden Sterne und die andern kleinen Sternchen.«


Kievskaja Starina 1889 I, 231, vgl. Chodzko 374, auch bei Kolberg, Pokucie I, 348 mit der Bemerkung, daß diese Variante vom Dnjestr stammt.

In Varianten dieses Liedes kommen zwei Tauben, zwei Eichen und der blaue Stein vor.

Vgl. Golovazky, Pjesni Galičkoi i Ugorskoi Russi II, 5, Nr. 7 aus dem Sanoker Kreis und Potebnia Objasnienje Malorusskich Narodnich Pjeseň II, 738 bis 739. Älteste Texte dieser Lieder vom Dnjestr bei Šafařik Slovanský Narodopis 1842, 157 und Kostomarov, Ob istorič. značenii Russkoi Nar. Poezji 1843, 66. Auch in einem karpathischen Weihnachtslied tauchen nach Afanasiev, Narodnyja Russkia Legendy 152 zwei Tauben auf den Grund des Meeres und bringen von dort Sand und Steine, woraus die Erde und die Himmelslichter geschaffen werden.


Diese Vorstellung schöpferischer Vögel oder Götter, die im Urmeere auf dem Baume sitzen, weist geradeswegs auf die jesidische Sage, und was den Weltbaum anlangt, auf den Iran. Die Dreizahl der Götter, die im Gegensatz steht zu der Zweizahl Gott und Satanael, entstammt offenbar einem Ideenkreise, der auf zervanitisch-gnostische Lehrsysteme hinweist. Zrvan ist der ursprüngliche Gott, der am Anfang der Welt mit zwei Söhnen erscheint, der gnostische Gott des Neuen Bundes hat die zwei Söhne Satanael und Logos-Christus. (Vgl. oben: Euchiten.) Drei Götter weilen auch in der jesidischen Schöpfungssage im Urmeere.

Die Dreizahl der Schöpfer ist auch in Varianten solcher Weihnachtslieder bezeugt. Freilich treten statt der Vögel, die der Volksempfindung später doch allzu seltsam erscheinen mochten, biblische Gestalten ein. In einem solchen Liede aus der Ukraine erscheinen der Herr, Petrus und Paulus. Am Anfang der Welt sitzen sie auf drei Ahornbäumen im blauen Meere. Gott spricht zu Petrus: »Tauche hinab, hole gelben Sand, streue ihn aus in der ganzen Welt und erschaffe Himmel und Erde, den Himmel mit den Sternen, die Erde mit den Blumen.« Petrus tauchte und konnte weder Sand holen, noch in der Welt ihn ausstreuen, er hat weder Himmel noch Erde geschaffen. Dasselbe wiederholt sich mit Paulus. Da stürzt sich der Herr selbst auf den Meeresgrund, holt gelben Sand, streut ihn aus in der ganzen Welt und erschafft Himmel und Erde.


  • Literatur: (Nowosielski I, 103 f. = Dragomanov, Sbornik VIII, 264 = Strauß, S. 31.)

[59] In einer ukrainischen Erzählung aus dem Olgopolschen Kreise sind die handelnden Personen Christus, Petrus und der Teufel.


Der Herr sagt zu Petrus, daß die Welt geschaffen werden solle. Petrus antwortet: »Man muß den Teufel rufen, damit er Sand und blauen Stein heraufhole.« Als der Teufel erschien, befahl Christus ihm, unterzutauchen und zu erfassen, was ihm in den Weg komme, und dabei zu sprechen: Nicht ich nehme, sondern Gott nimmt. Erst beim dritten Male sagt der Teufel diese Worte und bringt dann Sand und blauen Stein herauf. Daraus schuf der Herr die Welt. Es blieb nur noch übrig, sie zu bekreuzen. Wie soll man das machen? Ich weiß es, sagte Petrus, und befahl dem Teufel, ihn bis zum Wasser zu fahren, wofür er ihm Gehilfen zu schaffen versprach. Der Teufel fuhr Petrus, bekreuzte die ganze Welt nach allen vier Seiten, aber bis zum Wasser kamen sie nicht. So hatten sie also die ganze Welt »bekreuzt«. Darauf zeigte Petrus dem Teufel an, wie man sich Gehilfen macht. Er mußte Sonnabend früh aufstehen, Wasser nehmen und hinter sich spritzen. Soviel Male er spritzte, soviel Teufel entstanden. Der Teufel schuf sich also seine Gehilfen. Seitdem wird auch die Welt immer böser und böser, und der Teufel werden immer mehr und mehr geboren.


  • Literatur: Čubinsky, Trudy I, 142.
Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 58-60.
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