7. Kapitel.

Die Reue der Vertriebenen.

[223] 1. Arabische Sagen:


a) Aus Adams Reuetränen, die er auf dem Berge Serândîb (in Hindustan) weinte, entstanden große Bäume wie Myrobolanen verschiedener Arten und andere ähnliche, die alle ihre besonderen Vorzüge haben, die man noch heute als Heilmittel verwendet. Aus Adams Freudentränen, als Gott ihm vergibt, entstehen Pflanzen, wie die Narzisse, das Ochsenauge, Amarant und ähnliche. Eva wurde nach Djidda, sieben Parasangen von Mekka, ans Meeresufer geworfen, die Schlange nach Ispahan, Eblîs nach Simnân (jenseits des Jordan). Der Schlange nahm Gott die Füße und ließ sie auf dem Bauche kriechen und sich von Erde nähren. Tabarî 1, 82 (Menzel, christl. Symbolik 2, 183 nennt die Palme als den Baum, der auf der Insel Ceylon aus Adams Reuetränen erwuchs).


b) Adam war auf den höchsten Berg gefallen in Ceylon, der noch heute seinen Namen trägt. Reuevoll blieb er auf seinem Gesichte liegen und vergoß Tränen der bittersten Reue. Aus seinen Tränen sprossen alle die großen Bäume Indostans wie der Kokosbaum, die Myrobolane und andere.


  • Literatur: Hammer, Rosenöl S. 26.

c) [Nachdem erzählt ist, daß Adam in der Einsamkeit auf Serendib vor Kummer einen Bart bekam – vgl. S. 230 – heißt es weiter:]


Adam vergoß so viele Tränen, daß alle Tiere und Vögel davon getränkt wurden, und die, welche in die Erde drangen – weil er noch die Säfte der Paradiesesnahrung in sich hatte – brachten die kostbarsten Gewürze und wohlriechendsten Bäume hervor. Evas Tränen aber, welche ihrerseits in Djidda sich verlassen fühlte, verwandelten sich im Meere in Perlen1, und wo sie das trockene Land befruchteten, sprossen die herrlichsten Blumen hervor. Beide jammerten so laut, daß die Winde ihnen ihre Klagen zutrugen. Die ganze Natur weinte mit Adam, und die Tiere und Vögel, welche ihn bisher wegen seiner Sünde geflohen, wurden jetzt von seinen Klagen gerührt[223] und kamen alle herbei, um ihm ihr Mitleid zu bezeugen. [Endlich findet er, nachdem Gott beide begnadigt hat, Eva in der Nähe von Mekka wieder, sie bauen einen Tempel, zu dem der Engel Gabriel den schwarzen Stein, die Kaaba, mitbringt.]


  • Literatur: Weil, Bibl. Legenden.

d) Als Adam vom Paradies auf die Erde kam, landete er auf der Insel Serendib und Eva bei Jedda. Als nun Adam allein war, begann er sein Geschick so sehr zu beklagen, daß der Cherubim davon gerührt wurde und es dem lieben Gott erzählte. Da sandte Gott die Schwalbe, die zu Adam flog und ihn um ein paar Haare aus seinem Schnurrbart bat. Einige Geschichtschreiber sagen, daß Adam im Paradiese weder Schnurrbart noch Backenbart hatte und daß diese erst wuchsen, als er vom Angesicht des Herrn vertrieben wurde. Wie dem aber auch sein mag, als die Schwalbe einige Haare von ihm bekommen hatte, flog sie nach Jedda, wo sie auch einige Haare von Eva nahm, und so tat sie die ersten Schritte zu ihrer Wiedervereinigung. Zur Belohnung für diese Dienste darf sie ihr Nest an den Wohnungen der Menschen bauen.


  • Literatur: Swainson, Folklore of British Birds, p. 54. Jones, Credulities, Past and Present, 436.

e) Als Adam aus dem Paradiese vertrieben war, weinte er auf dem festen Lande und auf dem Meere. Die Tränen, die auf die Erde fielen, brachten die Nelke hervor; die, welche in das Meer flossen, Fische, denn er hatte das Paradies durch die Pforte der Reue verlassen. Eva weinte ebenfalls. Die Tränen, die auf die Erde flossen, ließen den Henna (Strauch) entstehen, und die, welche ins Meer fielen, die Perlen; denn sie war aus dem Paradiese durch die Pforte der Barmherzigkeit heraus gegangen. Die Schlange weinte ebenfalls; auf der Erde brachten ihre Tränen den Skorpion hervor, im Meere den Krebs, weil sie das Paradies durch die Pforte des Ärgers verlassen hatte. Der Pfau vergoß auch Tränen, welche auf der Erde zu einer Wanze wurden und im Meere zu einem Blutegel. Endlich weinte auch Iblis, und die Tränen, welche zur Erde fielen, wurden zu Dornen, die, welche ins Meer flossen, zu Krokodilen, denn er hatte das Paradies durch die Pforte des Zornes Gottes verlassen.


  • Literatur: Revue d. trad. pop. XII, 403, Nr. 32 = El Qualyoubi, Naouâdir, Le Quaire, 1302 hég. S. 98.

f) Eva trauerte über der wüsten Erde. Es wuchs keine Blume, und der Schnee fiel dicht als ein Bahrtuch für das unzeitige Begräbnis der Erde nach der Menschen Fall. Aber der Engel fing eine Schneeflocke auf, hauchte sie an und befahl ihr, eine Gestalt anzunehmen, zu knospen und zu blühen. Ehe sie die Erde berührte, war sie schon zu einer schönen Blume geworden, die Eva mehr schätzte als alle die andern schönen Blumen im Paradies, denn der Engel sagte, sie sollte ein Zeichen sein, daß Sommer und Sonne wiederkämen. So schied er, und wo er gestanden hatte, war jetzt ein Kreis lieblicher Schneeglöckchen zu sehen.


  • Literatur: Dyer, The Folklore of Plants, p. 308.

2. Ungarische Sage:


Der Herr erbarmt sich (nach der Vertreibung) des niedergeschlagenen Paares, verheißt dem Adam, er werde ihn in Ewigkeit nicht verlassen, und läßt ihn einen Traum schauen: Engel bewachen die Furchen, die er gezogen, die Obstbäume,[224] die er gepflanzt hat, andere sieht er am Bache sitzen, spielen und singen. Von allen Seiten kom men Vögel herangeflogen, strecken ihre Hälschen und lauschen aufmerksam dem Gesang der Engel, damit sie singen lernen. Die Nachtigallen, die Amseln, die Kanarien gaben aufmerksam acht, so daß sie noch heute so hübsch singen; andere flogen weg und setzten sich verschlafen auf Bäume, so die Raben und die Eulen, und diese krächzen bis heute.


  • Literatur: v. Helfert, Záhoří und Záhořier = Ztschr. f. österr. Volksk. V, 1899, S. 63, Nr. III. Über das Thema, wie die Vögel singen lernen, siehe meinen dritten Band.

Fußnoten

1 Bei den Mohammedanern ist die Perle ein Sinnbild belohnter Demut. Ein Regentropfen fiel ins Meer und verglich demütig seine Kleinheit mit der Unermeßlichkeit des Ozeans. Da bewirkte Gott, daß das Tröpfchen in eine Muschel fiel und eine kostbare Perle wurde. Friedreich, Symbolik S. 699.


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 225.
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