IV. Zur Geschichte der Sage.

[170] Schon Jakob Grimm hat in seiner Mythologie XXXVI (4XXXI) – vgl. 141 (4128) Anm. – darauf hingewiesen, daß fornm. sög. 9, 55. 56 Ođinn abends als Reitersmann bei einem Schmiede einkehrt und sich das Roß beschuhen läßt, worauf er dann in ungeheuern Sprüngen nach Schweden in den Krieg reitet.

Bei Golther, Handbuch der german. Mythologie S. 286 findet sich der Wortlaut, wie folgt:


Im Winter 1208 wohnte ein Schmied zu Nesjar. Es geschah eines Abends, daß ein Mann geritten kam, ihn um Herberge bat und sein Pferd beschlagen ließ. Der Hauswirt war bereit. Sie standen lange vor Tag auf und begannen zu schmieden. Der Hauswirt fragte: »Wo warst du vorige Nacht?« Der Gast antwortete: »In Medaldal, nördlich in Thelemark.« Der Schmied wollte das nicht glauben, weil es unmöglich sei. Er begann zu schmieden, doch es ging nicht vorwärts, wie er wollte. Da sagte der Gast: »Schmiede du so, wie es von selber werden will.« Da wurden größere Hufeisen daraus, als der Schmied je zuvor gesehen hatte. Sie paßten aber genau dem Pferde, und er beschlug es. Da sprach der Gast: »Du bist ein unverständiger und unweiser Mann. Warum fragst du nichts?« (Auf Fra gen und Antworten folgt zuletzt die Enthüllung, daß der Reitersmann Odin selbst ist. Vier Nächte darauf wird eine große Schlacht geschlagen.)


Übereinstimmende Züge sind hier die Unfähigkeit des Schmiedes, die Überlegenheit des Gastes und ein im einzelnen zwar unterschiedener, aber[170] im ganzen doch auch höchst seltsamer Vorgang bei der Hufbeschlagung. Auch eine andere Erwägung führt uns auf Odin.

Während Thor immer nur geht oder fährt, ist Odin (Wodan) stets der Reiter; ihm ist das Roß, der Germanen edelstes Tier, geheiligt; ihm könnte es also wohl zukommen, das seltsame Kunststück an eben diesem Tiere, seinem Tiere, zu vollführen. Wodan ist ferner auch der Gott, der zu heilen weiß. In dem berühmten Merseburger Zauberspruch heißt es, daß er allein es verstand, die Beinverrenkung des erlahmten Pferdes zu besprechen. So vermag er gewiß auch Füße abzuhauen und wieder anzusetzen.

Auf Wodan weist auch die Hauptidee der Sage, daß keine Weisheit auf Erden sich mit göttlicher Kraft und Kunst zu messen vermag. Diese Idee findet sich in folgender altnordischen Sage wieder:


Als Wanderer kehrte Odin beim Riesen Wafthrudnir ein, um ihn auszuforschen, ob der weiseste Riese dem Wissen des Gottes gewachsen sei. Wafthrudnir richtete zunächst einige Fragen an den Wanderer, der be scheiden auf dem Estrich harrte. Als er sein Wissen bewährte, lud er ihn in den Saal zur Bank; dort sollten sie zusammen reden und das Haupt zum Pfande der Wissenswette setzen. Nun hub der Wanderer zu fragen an. Auf alle Fragen, welche den elementaren Weltursprung und die Zeit des Untergangs und der Neugeburt betrafen, tat der weise Riese Bescheid. Wie aber der Wanderer forschte, was Odin dem toten Baldr ins Ohr raunte, bevor man ihn auf den Holzstoß hob, da erkannte Wafthrudnir, wer ihm gegenübersaß, daß er mit todgeweihtem Munde sprach.


Mit Odin wagt ichs, mich an Einsicht zu messen;

Das weiseste Wesen bleibst du.


  • Literatur: Golther, Handbuch der germanischen Mythologie S. 341.

Endlich vergleiche man die allgemeine Charakteristik, die Snorri von Odin entwirft: »Von ihm lernten die Menschen alle Künste, weil er zuerst alle wußte .... Odin verstand die Kunst, die am meisten Kraft hat, und übte sie selbst, welche seiđr (Zauberei) heißt.« Auch diese Charakteristik paßt zu dem Wesen jenes seltsamen Gastes, der beim Huf beschlagen eine so wunderbare Zauberkunst ausübt.

Wir hätten sonach anzunehmen, daß es eine Geschichte von Odin (Wodan) und dem weisesten Schmiede gegeben habe, mit der eine zweite Geschichte, die in den Kreis der Verjüngungsmärchen gehört, willkürlich verbunden worden sei. Zuletzt trat das Motiv der Entstehung der Affen hinzu.

Fußnoten

1 Ältere Ausgaben: Halliwell, contributions to Early English Literature, London 1849, Hazlitt, Remains of the Early Popular Poetry of England, London 1864–66, III, 201 ff., Horstmann, Altenglische Legenden, Neue Folge, Heilbronn 1881, 322 ff. Modern engl. Übersetzung bei Hazlitt, Tales and Legends, London 1842, 28 ff.


2 »kúlik«, russ. der Verkleidete, poln. Fastnachtsschwärmer.


3 Fast wörtlich so bei Meier, Schwäb. Sagen S. 293.


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 171.
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