V. Farbige Augen.

[60] Ein Tiergespräch, das in Hunderten von Varianten über ganz Mecklenburg verbreitet ist, erklärt, warum die Kröte (die gemeine Landkröte, rana bufo vulgaris) rote Augen hat. Sie hat einmal bitter weinen müssen über eine Ehrenkränkung, die ihr ein roher Geselle (der Mistkäfer, der Maulwurf, der Fuchs oder andere) angetan hat; getröstet wird sie vom Laubfrosch und anderen. Ich führe folgende Probe an:


De Schorrpogg1 hett Abends achtern Tun2 seten, da kümmt de Voß3 an un seggt:


»Gun Abend, Fru Dick bi'n Dum,

wat sittst du hir so spät achtern Tun?«


De Schorrpogg seggt: »Schön Dank, de langswanzte Hund, wat schellst du mi von Dick bi'n Dum?« Dorup kümmt de Scharrenwewer4 antofleegen un seggt: »Gun Abend, Quackeldunenbuk!«5 »Du Hurrepurre,6 du Dreckpurre,7 du Krup in't Lock,8 du Hundsfott, wat schimpst du mi von Quackeldunenbuk?« seggt de Schorrpogg. Nasten9 kümmt dat Holtpirken10 antofleegen, de seggt: »Gun Abend, Fru Abendblinken!«11 »Schön Dank, Herr König von Engelland. Sie weeten doch noch, woans dat 'n orig Minsch titeliert warden möt. Hir kam de Voß, de langswanzte Hund, und schüll mi von Dick bi'n Dum, un nasten kam de Hurrepurre, de Dreckpurre, de Krup in't Lock, de Hundsfott, un schimpt mi von Quac keldunenbuk; dat verdrot mi, un ik hevv min bläudigen Tranen rort12, dat ik't keenen Minschen seggen kann.« Dorvon hett de Schorrpogg sik de Ogen rot weint.


  • Literatur: Barsch, Sagen, Märchen u. Gebräuche aus Mecklenburg 1, 520. Vgl. Wossidlo, Meckl. Volksüberlief. 2, 1–20. 326–345. Nach S. 329 scheint dieses Tiermärchen in Tausenden von Fassungen über ganz Niederdeutschland verbreitet zu sein. In einem ostholsteinischen Märchen (in der Heimat, Bd. 10, mitget. von Wisser) spielt die Begebenheit auf der Hochzeit der Katzenwitwe, ebenso bei Wossidlo Nr. 3 und 5. In einem Fragment bei Curtze, Volksüberl. aus Waldeck, S. 238 heißt es: der Frosch hat 7 Jahre geweint und hat sich rote Augen geweint. Es heißt auch, daß die Kröte eine verwünschte Hexe sei und deshalb rote Augen habe (Wossidlo, S. 331). Vgl. Bl. f. pomm. Volksk. 1, 146. 164. 8, 150. 9, 41.

[60] In einem Teile des Strelitzer Landes ist an die Stelle der Kröte der Fisch Rotauge (Roddog) gesetzt, als Grobian erscheint der Hecht, als höflicher Kavalier der Barsch. Rotauge klagt: »Ik weet wol, wo't mi verdroot, mi sünd de Ogen in 'n Kopp noch root« (Wossidlo Nr. 89–98). »Diese Umdeutung«, sagt Wossidlo,13 »ist auf einen ganz bestimmten Bezirk, nämlich die seenreiche Gegend Wesenberg-Mirow-Fürstenberg-Strelitz begrenzt; in den übrigen Teilen des Strelitzer Landes wie im Schwerinschen bewahrt die Sage trotz aller Mannigfaltigkeit der Ausgestaltung stets den älteren Zug, der im Mittelpunkt des Gespräches die Kröte erscheinen läßt. Als ich im vorigen Sommer in Nossentiner-Hütte bei Malchow bei einem dort gebürtigen Zimmermann die Roddog-Form antraf, stellte sich bei näherer Nachfrage heraus, daß der Gewährsmann das Tiergespräch früher als Flößer bei Fürstenberg gehört habe.«

Andere Sagen von farbigen Augen sind folgende:


1. Sage der Nak·o'mgyilisala.


Einst spielten Kuni'Qua und die Möwe Reifen, um zu sehen, wer am besten fangen könnte. Der Reif der Möwe war Nebel, aber der Kuni'Quas war Feuer; daher konnte er den Reifen der Möwe nie fangen, während sie den seinen jedesmal traf. Nachdem er viermal von der Möwe besiegt war, schämte er sich so, daß er von dannen flog und sich im Walde verbarg. Einst ging K·'ō'toq (ein Vogel) in den Wald und traf dort Kuni'Qua. Als dieser ihn mit seinen feuersprühenden Augen ansah, wurden seine Augen rot.


  • Literatur: Boas, Sagen von der nordpazif. Küste S. 206.

2. Sage der Omaha.


Ictinike läßt die Truthähne mit geschlossenen Augen an sich vorbeitanzen, während er singt: wenn sie ihn ansähen, würden sie rote Augen bekommen. Schon fangt er den ersten Truthahn, da öffnet ein junger Truthahn die Augen und sieht es. Alle fliegen fort, aber seitdem haben sie rote Augen.


  • Literatur: Journal of Am. Folklore 5, 300.

3. Sage der Dakota.


Wie die vorige Erzählung. Die Augen der Ski-ska (Holztauben) werden grün.


  • Literatur: Journal of Am. Folklore 5, 300.

4. Sage der Menemoni.


Manabusch bringt Wassergeflügel auf obige Weise um. Ein Steißfuß (colymbus) öffnet die Augen und bekommt rote Augen.


  • Literatur: Am. Anthropologist 3, 256.
    Zum Töten der Vögel, die mit geschlossenen Augen tanzen müssen, vgl. Dorsey and Kroeber, Arapaho Traditions S. 427 f., Nr. 26. 27. Rand, Legends of the Micmacs 263. Leland, Algonquin Legends of New England, 186. Turner, Ann. Rep. Bur. Ethn. 11, 327 (Nenenot). Schoolcraft, Hiawatha, 30, 34. Hoffmann, Ann. Rep. Bur. Ethn. 14, 162, 203. Riggs, Contr. N.A. Ethn. 9, 110 (Dakota). Dorsey, Contr. N.A. Ethn. 6, 67, 579. Journ. Am. Folklore 11, 264 (Jicarilla-Apachen). Russell, Explor. Far. North, 212 (Cree). Grinnel, Blackfoot Lodge Tales, 158, 171. Oben S. 46.

Fußnoten

1 Kröte.


2 hinterm Zaun.


3 Fuchs.


4 Mistkäfer.


5 Ein Wort, das zum plattd. Quadux und Quackeldux = Kröte, Quaduxenbuk = Krötenbauch zu stellen ist.


6 Scheltnamen, die das brummende Geräusch malen, womit der Käfer fliegt.


7 Scheltnamen, die das brummende Geräusch malen, womit der Käfer fliegt.


8 Kriech-ins-Loch.


9 Nachher.


10 Libelle.


11 Schmeichelei für die, die so »blank up'n puckl« (Wossidlo 328) sein soll wie das Abendrot.


12 geweint.


13 Rostocker Zeitung Nr. 131 vom 19. März 1893, vgl. Volkst. Überl. 2, 344.

Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 61.
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