B. Nordamerikanische Sagen.

[158] 1. Sage der Bilqula.


[Eine böse Alte, die den Menschen mit ihrem zum Rüssel streckbaren Munde das Gehirn aussaugt (vgl. S. 157, Z. 5), verfolgt fünf Brüder. Wiewohl diese sie zweimal getötet und ihren Leichnam zerschnitten haben, ist sie jedesmal wieder auferstanden. Da flüchten die Brüder zu Atlk'undā'm's Haus und bitten ihn um Hilfe.] Atlk'undā'm versetzte: »Die Alte ist gewiß meine Mutter. Sie verfolgt immer die Menschen. Gewiß wird sie hierher kommen.« Kaum hatte er ausgeredet, da klopfte die Alte schon von außen ans Haus. Er öffnete und fragte sie: »Was hast Du getan? Hast Du wieder Menschen getötet? Glaubst Du, es wäre gut, wenn es keine Menschen mehr gibt?« Dann ergriff er sie, erschlug sie und warf sie ins Feuer. Als sie ganz verbrannt war, nahm er ihre Asche, zerrieb sie und blies sie in die Höhe, indem er sprach: »Werdet Moskitos!« So entstanden die Moskitos, die noch heute ihren Rüssel ausstrecken, um Blut zu saugen, wie die Alte tat.


  • Literatur: Boas, Indianische Sagen, S. 253.

2. Sage der Çātlō'ltq.


T'āl war eine böse Menschenfresserin. Sie pflegte einen Korb über ihren Rücken zu hängen und auszuge hen, um Menschen zu fangen. Eines Tages fand sie einige Mädchen in einem See schwimmen. Sie ergriff dieselben, steckte sie in ihren Korb und trug sie nach Hause. Sie wollte sie töten, aber jene sprachen: »Laß uns zuerst noch einmal um das Feuer tanzen!« Dann nahmen sie Harz und beschmierten T'āl's Gesicht damit. Sie schürten das Feuer und begannen zu singen, indem sie Takt schlugen: »Gehe zum Feuer, komme zurück vom Feuer.« Und die Frau näherte[158] sich dem Feuer und kam zurück, je nachdem sie sangen. Da schmolz aber das Harz und verklebte ihre Augen. Als sie nun nicht sehen konnte, nahmen die Mädchen einen Stock und drückten sie ins Feuer (vgl. S. 155). Sie schrie: »Laßt mich heraus, laßt mich, heraus!« und verstummte erst, als sie tot war. Die Funken, die aus ihrer Asche hervorsprühten, wurden in Moskitos verwandelt.


  • Literatur: Boas, Indianische Sagen, S. 89.

3. Sage der Hē'iltsuk.


Ein Mann, namens Nōak·au'a (= der Weise), hatte zwei Söhne. Sie pflegten auf Bergziegenjagd zu gehen. Eines Tages erblickten sie ein Haus auf einem Berge, aus dem schöner Rauch aufstieg. Sie gingen hinein und trafen eine Frau und ihr Kind. Sie hieß sie warten, bis ihr Mann zurückkehre, und als sie sich setzten, verletzte einer der Brüder seinen Fuß. Da leckte der Knabe begierig das Blut ab. Die Brüder fürchteten sich nun und entflohen. Da rief die Frau ihren Mann Baqbakuālanusī'oaē (= der zuerst an der Flußmündung immer Menschenfleisch fraß) herbei: »Zwei Männer waren hier und entflohen. Sie sind gutes Futter.« Die Flüchtigen hörten großen Lärm und viele Pfeifen hinter sich und sahen, daß Baqbakuālanusī'oaē ihnen auf den Fersen war. Da warfen sie einen Stein, den sie trugen, hinter sich, schlugen Takt und sangen, und derselbe wurde in einen Berg verwandelt. Als Baqbakuālanusī'uaē den Berg umgangen hatte und sich wieder näherte, zerbrachen sie ihre Pfeile und warfen sie hinter sich. Sie wurden in einen dichten Wald verwandelt. Als ihr Verfolger wieder herankam, warfen sie ihren Kamm hinter sich und verwandelten ihn in ein »Crabapple«-Dickicht. Endlich gössen sie Wasser hinter sich aus, das in einen See verwandelt wurde. So erreichten sie ihres Vaters Haus. Sie riefen ihrem Vater schon von weitem zu: »Mache die Tür auf! Baqbakuālanusī'uaē ist uns auf den Fersen und will uns fressen.« Nōak·aua ließ sie ein und machte ein großes Loch, goß Wasser hinein und legte Bretter darüber. Als der Menschenfresser nun kam, lud er ihn ein, sich zu setzen, und wies ihm einen Platz gerade über der Grube an. Er versprach ihm das Fleisch seiner Söhne. Plötzlich ließ er die Bretter fortziehen. Baqbakuālanusī'uaē fiel in die Grube, sie warfen glühende Steine hinein und kochten ihn so. Sie brannten ihn zu Asche, bliesen diese in die Luft und verwandelten sie in Moskitos.


  • Literatur: Boas, Indianische Sagen, S. 240.

4. Sage der Kwakiutl.


Einst ging Nā'noak·aua (= der Erzweise) ins Gebirge, Bergziegen zu jagen. Plötzlich kam er an ein Haus, welches er früher noch nie gesehen hatte. Eine Frau, namens K·ōminâ'k·a, stand vor der Türe und rief ihm zu, hereinzukommen. Sie war die Tochter des Berggeistes Kō'mō'k·oē, und ihr Mann war der Menschenfresser BaqbakuālanuQsī'uaē. Er fürchtete sich, näher zu treten, aber als sie sagte: »Komm her, ich will Dich lausen« (vgl. S. 153), trat er heran und ließ sie seinen Kopf in die Hände nehmen. Da drückte sie ihn aber zu Boden und rief: »BaqbakuālanuQsī'uaē komm und friß ihn!« Er bemühte sich vergeblich, aufzustehen. Als er aber den Menschenfresser laut brüllend heranstürmen hörte, riß er sich los, mußte aber alle Haare in den Händen der Frau lassen. Er lief dann, so rasch seine Füße ihn tragen wollten. BaqbakuālanuQsī'uaē verfolgte ihn bald über, bald unter der Erde. Da schuf Nā'noak·aua einen großen Wald hinter sich, so daß jener ihm nur langsam folgen konnte, und gelangte glücklich nach Hause. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, da kam BaqbakuālanuQsī'uaē an. Nā'noak·aua rief ihm zu: »Gehe und hole deine[159] Frau! Ich habe vier Kinder, die will ich Euch zu fressen geben.« Jener ging, seine Frau zu holen, und mittlerweile grub Nā'noak·aua ein tiefes Loch, machte ein Feuer darin und warf Steine darauf. Dann tötete er einen Sklaven und zerschnitt ihn. Seine Kinder ließ er sich vor dem Hause verstecken und bedeckte die Grube mit Brettern, die man von außen fortziehen konnte. Als BaqbakuālanuQsī'uaē und Kōminâ'k·a kamen, ließ Nā'noak•aua sie auf den Brettern Platz nehmen und setzte ihnen den zerschnittenen Sklaven vor. Ehe das Mahl begann, tanzte BaqbakuālanuQsī'uaē, und seine Frau schlug Takt dazu. Er tanzte in hockender Stellung, seine Hände zitterten, und er streckte die Arme abwechselnd nach rechts und links aus. Er ward nun begierig, den Sklaven zu fressen. Da, auf ein gegebenes Zeichen, zogen die Kinder die Bretter fort, und Mann und Frau fielen ins Feuer und verbrannten. Das Feuer in der Grube flammte hoch auf, und ihr Fett spratzelte. Nā'noa•aua blies auf die Asche, und sie wurde in Moskitos verwandelt.


  • Literatur: Boas, Indianische Sagen, S. 164.

5. Sagen der Awi'ky'ēnoq.


a) Ein Mann namens Nōak•aua hatte vier Söhne. Diese wollten einst auf die Bergziegenjagd gehen. Ehe sie aufbrachen, warnte sie ihr Vater und sprach: »Wenn ihr ein Haus seht, aus dem rötlicher Rauch aufsteigt, so geht nicht hinein, denn dort wohnt Baqbakuālanusī'uaē, ein schlechter Mensch.« Die Söhne versprachen, seiner Warnung zu folgen, und gingen ins Gebirge. Nach einiger Zeit sahen sie ein Haus, aus dem schwarzer Bauch aufstieg. Dort wohnte der schwarze Bär. Als sie etwas weiter gegangen waren, kamen sie zu einem Hause, aus dem weißer Bauch aufstieg. Hier wohnte die Bergziege. Endlich gelangten sie zu dem Hause, vor dem ihr Vater sie gewarnt hatte, aus dem rötlicher Rauch aufstieg. Sie hielten und sprachen zueinander: »Wir wollen doch nicht umsonst dieses Haus gefunden haben. Kommt! laßt uns hineingehen und sehen, wer darinnen ist«. Sie taten also und trafen eine Frau, welche ihr Kind wiegte. Ihr gegenüber saß ein Knabe mit ungeheuerlich dickem Kopfe. Die vier Brüder traten ans Feuer und setzten sich auf eine Kiste. Dabei stieß sich der älteste an einen Stock, so daß das Blut aus seinem Unterschenkel hervorquoll. Da stieß der Knabe mit dem dicken Kopfe seine Mutter an und sprach: »O, Mutter, ich möchte das Blut lecken.« Die Mutter aber untersagte es ihm. Der Knabe kratzte seinen Kopf und fing dann doch an, das Blut mit seinen Fingern abzuwischen und abzulecken. Da stieß der älteste Bruder den jüngsten an und sprach: »Wir hätten doch unserem Vater folgen sollen.« Unterdes fing der Knabe an, immer gieriger das Blut aufzulecken. Da faßte sich der älteste der Brüder ein Herz, nahm seinen Bogen und schoß einen Pfeil zur Tür hinaus. Dann trug er dem jüngsten Bruder auf, den Pfeil wieder zu holen. Dieser ging hinaus, kehrte aber nicht zurück, sondern lief, so rasch er konnte, seiner Heimat zu. Dann nahm der älteste einen zweiten Pfeil, schoß ihn zur Tür hinaus und hieß den zweiten Bruder ihn wieder holen. Auch dieser entfloh. Als er den dritten Pfeil zur Tür hinausschoß, entfloh der dritte Bruder. Da fing der Knabe an, sich zu fürchten. Die Frau fragte: »Kommen deine Brüder nicht wieder?« und er antwortete: »Sie sind nur gegangen, meine Pfeile wieder zu holen.« Dann schoß er einen vierten Pfeil ab, ging selbst hinaus und lief seinen Brüdern, nach. Als die Frau nun merkte, daß ihre Gäste nicht zurückkehrten, trat sie vor die Tür und rief: »Baqbakuālanusī'uaē, komm nach Haus. Ich habe unser gutes Essen fortlaufen lassen.« Baqbakuālanusī'uaē hörte sie, obwohl er weit entfernt war. Er verfolgte sie und rief: »Ham, ham, ham!« (Fressen, fressen, fressen!) Die vier Brüder hörten[160] ihn herankommen und liefen, so rasch ihre Beine sie tragen wollten. Der älteste Bruder trug einen Wetzstein, einen Kamm und Fischöl, das er als Haaröl gebrauchte, bei sich. Schon war Baqbakuālanusī'uaē ihnen ganz nahegekommen, da legte er den Wetzstein hinter sich nieder, und siehe da! dieser verwandelte sich in einen Berg, der den Verfolger zu einem weiten Umwege zwang. Aber trotzdem kam er ihnen bald wieder nahe. Da goß der junge Mann das Haaröl hinter sich aus, und dieses verwandelte sich in einen großen See. Als Baqbakuālanusī'uaē ihnen wieder nahegekommen war, steckte jener den Kamm hinter sich in die Erde, und dieser verwandelte sich in ein dichtes Gestrüpp junger Bäume, das der Verfolger ebenfalls umgehen mußte. Mittlerweile waren die jungen Männer glücklich nach Haus gelangt. Sie klopften an die Tür und baten ihren Vater, rasch zu öffnen, da 4er Mann, vor dem er sie gewarnt habe, sie verfolge. Nōak•aua hatte sie kaum eingelassen und die Tür wieder verschlossen, da kam Baqbakuālanusī'uaē an und begehrte Einlaß. Nōak•aua nahm nun einen Hund, zerschnitt ihn und ließ das Blut in einen Napf laufen. Dann ließ er Baqbakuālanusī'uaē an eine kleine Öffnung kommen, die in der Wand war, reichte ihm die Schale und sprach: »Dieses ist das Blut meiner Söhne. Nimm es und trage es zu deiner Frau.« Jener nahm es. Da grub Tsō'ēnā, Nōak•aua's Frau, eine tiefe Grube nahe dem Feuer und ließ dieses hoch aufflammen. Dann legte sie Steine hinein, die rasch glühend wurden. Das Loch aber verhüllte sie durch ein ausgespanntes Fell. Bald langte Baqbakuālanusī'uaē mit seiner Frau und seinen drei Kindern in seinem Boote an, um Nōak•aua zu besuchen. Das jüngste Kind ließ er als Wächter beim Boote, während die anderen mit ihm ins Haus gingen. Tsō'ēnā ließ sie dicht am Feuer niedersitzen, so daß ihr Rücken gegen das ausgespannte Fell gewandt war, welches die Grube verbarg. Da sprach Baqbakuālanusī'uaē zu Nōak•aua: »Du weißt, wie alles im Anfange war. Erzähle mir davon!« Nōak•aua erwiderte: »Dieses werde ich dir erzählen«:

»Was werde ich euch jetzt von uralten Zeiten erzählen, ihr Enkel? Vor langer Zeit lag eine Wolke auf jenem Berge. Bald werdet ihr schlafen.«

Als er diesen Spruch zweimal gesungen hatte, schlummerte Baqbakuālanusī'uaē und seine ganze Familie; und als er es viermal gesungen hatte, da schliefen sie fest. Nōak·aua und Tsō'ēnā zogen nun den Rücken ihres Sitzes fort, und alle stürzten in das Loch. Dann warfen sie die glühenden Steine in die Grube. Baqbakuālanusī'uaē schrie noch zweimal: »Ham, ham!« dann war er tot. Nach einiger Zeit zogen sie die Leichname mit einem Seile heraus. Nōak•aua zerschnitt sie dann in viele Stücke, zerstreute dieselben über die Erde und sang: »Einst wirst du, Baqbakuālanusī'uaē, die Menschen verfolgen.« Da wurden sie in Moskitos verwandelt.


b) Eine Anzahl Kinder brieten sich einmal Lachse zwischen erhitzten Steinen. Als diese fertig waren, aßen sie und liefen dann in den Wald, um zu spielen. Unter ihnen war ein Mädchen mit Namen TsumHqsta (die Mundlose). Diese lief voraus, und die übrigen Kinder riefen einander zu: »Wer von uns, wer von uns wohl zuerst TsumHqsta fangen wird?« Sie waren noch nicht lange gelaufen, da trafen sie auf Ts'ilkigyila1, die einen großen Korb auf dem Rücken trug. Sie ergriff[161] zuerst TsumHqsta und steckte sie dort hinein und packte dann alle übrigen Kinder oben darauf. Das Mädchen hatte aber zufällig ein Messer in der Hand. Mit diesem schnitt sie einen Schlitz in den Korb, und da fielen alle Kinder heraus. Ts'ilkigyila aber merkte es nicht, sondern sagte nur: »Ich glaube, Kiefernadeln fallen zur Erde.« Nur ein kleiner Knabe konnte nicht zum Loche hinausspringen, da er im Korbe festhing. So trug Ts'ilkigyila ihn nach Hause. Sie setzte den Korb zur Erde und war sehr verwundert, nur noch den Knaben zu finden. Sie nahm ihn aus dem Korbe und setzte ihn nieder. Da sah er, daß im Hause viele Kisten voll Bergziegenfett waren. Ts'ilkigyila machte nun den Knaben zu ihrem Sklaven. Als sie wieder ausging, sah der Knabe sich im Hause um und erblickte nun eine alte Sklavin; ihre Namen waren K·'ō'k·oikya und Tlō'k·opak·titl. Ts'ilkigyila hatte sie einst in ihrem Korbe ebenso geraubt wie jetzt den Knaben. [Die Sklavin warnt den Knaben, vom Bergziegenfett zu essen; denn dann würde er an der Erde festwachsen, wie sie selbst. Der Knabe befolgt den Rat. Weiter rät sie ihm, an seine Fingerspitzen Muschelbarten zu stecken und sie gegen Ts'ilkigyila viermal beschwörend zu bewegen. Diese fällt tot nieder. Der Knabe holt dann Hilfe, um die Sklavin vom Erdboden zu befreien; sie stirbt aber bei der Loslösung.] Dann zerschnitten die Leute Ts'ilkigyilas Leiche in kleine Stücke und zerstreuten diese nach allen Himmelsrichtungen. Da wurden dieselben in Frösche verwandelt.


  • Literatur: Boas, ebd. S. 224 ff.

6. Sage der Kootenay.


Einst lebte am Ufer des Fräser River eine böse Frau, die fing kleine Kinder, trug sie in einem Korb von geflochtenen Wasserschlangen fort und fraß sie. Eines Tages fing sie eine Anzahl kleine Kinder und trug sie im Korb in den Wald. Die Kinder lugten aus dem Korbe heraus und sahen, wie sie eine Grube machte und Steine im Feuer erhitzte, und nun wußten sie, daß sie sie kochen würde, so wie die Indianer sich ihr Fleisch kochen. Da überlegten sie zusammen, wie sie sich retten könnten. Bald kam die Alte an den Korb, hob sie heraus, befahl ihnen, vor ihr zu tanzen auf dem Grase, und tat ihnen etwas Pech auf ihre Augen, daß sie nicht sehen konnten. Aber die älteren Kinder waren auf der Hut, und als sie sich mit den heißen Steinen beschäftigte, stürzten sie herbei, warfen sie in die Grube und schichteten Feuer auf sie, bis sie zu Asche verbrannt war. Aber ihr böser Geist lebt noch, denn aus ihrer Asche, die der Wind umherblies, entstand die Plage der Moskitos.


  • Literatur: Journ. of Am. Folklore 3, 12 = Wilson, Our Forest Children 3, 166 = Am Urquell 4, 130, wo auch die Variante angegeben ist, daß der Präriewolf die alte Hexe tötet, indem er sich in ein Kind verwandelt.

Vgl. folgende Sage der Korjaken, die gewiß als Vorbild zu gelten hat:


Eine böse Alte fängt Kinder, trägt sie in einem Pelzrock und hängt sie an einem Baume auf. Während sie fortgegangen ist, rufen die Kinder erst einen Hasen, dann einen Fuchs zur Rettung an; der Fuchs befreit sie und stößt nachher die Alte vom Felsen hinab.


  • Literatur: Jochelson, The Koryak, S. 212.

7. Sagen der Passamaquoddy (eines östlichen Algonkinstamms).


a) Die Hexe Pookjinsquess quälte die jungen Menschen bis zu ihrem Tode und verwandelte sich dann in einen Moskito, um ihre Lieblingsarbeit fortzusetzen.


  • Literatur: Am Urquell 4, 130 = Leland, Algonquin Legends of New England 3, 257 ff.

[162] b) Nachdem Black Cat (eine selbstsüchtige mythische Persönlichkeit) den Riesenvogel Coloo getötet hat, bringt er auch dessen Weib Pookjinsquess dadurch um, daß er Pulver um ihren Wigwam streut und ihn dann anzündet. Ihre Asche bläst der Wind auseinander, und es entstehen Moskitos.


  • Literatur: Journ. of Am. Folklore 3, 270.

8. Sage der Irokesen.


Ein großes Ungeheuer namens Moskito wird getötet, und aus seinem Blut entstehen all die kleinen Moskitos.


  • Literatur: Journ. of Am. Folklore 2, 284.

9. Sage der Çatlō'ltq.


Kumsnō'otl [der Schöpfer] ging zu einem Ort, wo ein Ungeheuer von der Gestalt eines Tintenfisches in einem See wohnte, das jeden verschlang, der hinabging, um Wasser zu holen. Niemand wagte sich mehr hinunter, und die Dorfbewohner starben vor Durst. Nur ein alter Mann wußte sich zu helfen. Er fuhr täglich hinüber zur Insel Mit'lnatc und fing roten Schellfisch. Er ließ das Fett aus und trank es. So kam es, daß er und sein Enkel am Leben blieben, während alle Leute ringsum starben. Als Kumsnō'otl ankam und die Not der Dorfbewohner sah, beschloß er, das Ungeheuer zu töten. Er befahl seinen Begleitern, große, flache Steine glühend zu machen. Als die Steine heiß waren, setzte er sich einen als Hut auf und bedeckte mit den anderen seinen Körper. Dann nahm er einen Eimer in die Hand, ging zum See hinab und plätscherte im Wasser, um die Aufmerksamkeit des Tintenfisches zu erregen. Es dauerte auch nicht lange, so tauchte er auf, streckte seine langen Arme aus, um Kumsnō'otl zu seinem Maule herabzuziehen, aber sobald er die glühenden Steine mit den Saugnäpfen berührte, so fielen diese ab. Endlich, sprang das Ungeheuer gar auf Kumsnō'otls Kopf und hätte ihn fast überwunden, aber der glühende Stein, welchen jener als Hut trug, tötete es. Dann zerschnitt Kumsnō'otl es und warf die Teile nach allen Richtungen ins Meer. Er sprach: »Ihr sollt euch in Tintenfische verwandeln und künftig den Menschen zur Nahrung dienen.« Den Magen warf er aufs Land, wo er in einen großen Stein verwandelt wurde; den Kopf versenkte er nahe Kap Mudge im Meere, dort erzeugt er noch heute die gefährlichen Wirbel und Stromschnellen.


  • Literatur: Boas, Indianische Sagen, S. 64.

10. Sage der Chippeweyans.


Einst wohnte eine Frau mit ihrem Manne ganz allein. Während ihr Mann auf der Jagd war, ging sie zum Schein aus dem Gehölz Brennholz holen, aber das war nicht alles, was sie tat. Unter einen dicken Baum, dessen hohler Stamm mit Schlangen gefüllt war, dort ging sie hin, und dort hatte sie Beziehungen zu den Schlangen. So sagt man wenigstens. Ihr Mann war sehr ärgerlich über die heimlichen Allüren seiner Frau, begab sich an den Ort, wo sie Holz holen ging, und bemerkte einen großen Obstbaum, dessen Fuß in hohen Kräutern vergraben war. Dort sprach er (die Stimme seiner Frau nachahmend): »Mein Mann, siehe, ich bin zu dir zurückgekehrt. Komm schnell zu mir heraus!« Alsbald erhob sich eine dicke Schlange aus dem Stamm, und er tötete sie und kochte aus ihrem Blute Blut für seine Frau. »Mein Gatte, wart' ein wenig,« sprach sie, »daß ich vor dem Essen Holzhaue.« Aber er erwiderte: »Nein, es ist genug Holz da. Iß erst, dann wirst du ins Holz gehen.«

Als sie ins Holz gegangen und an dem Baum angekommen war, wurde sie sehr[163] zornig, und der Mann hörte sie schreien: »Ach! dieser Gatte (die Schlange), den ich so liebte, den hat man mir getötet! Nun gut! Ich will auch nicht mehr, daß mein Mann lebe!«

Als sie zu ihrem Gatten zurückgekehrt war, gab ihr dieser einen Schlag mit der Hacke auf den Hals und hieb ihr den Kopf ab. Darum starb sie. Und dennoch fauchte sie noch ihren Mann unter Grimassen an. Er flüchtete sich vor ihr und kam an dem Ufer eines Flusses an. Dort bemerkte er eine alte Frau, genannt Heupferdchen.

»Hilf mir,« sprach er zu ihr, »und trage mich auf die andere Seite des Flusses!«

Sogleich spreizte die Alte ihre Beine aus und ließ ihn über den Bach springen, sagt man.

Dann war auch der Kopf der Frau auf der Verfolgung ihres Mannes an das Flußufer gelangt und sprach zu der Alten: »Trag mich hinüber!« Und diese, sagt man, trug ihn hinüber.

Inzwischen war der Mann zu Bett gegangen und schlief in Frieden. »Hier wenigstens wird mich meine böse Frau nicht suchen,« dachte er.

Aber plötzlich wachte der Mann um Mitternacht auf und bemerkte, daß der schreckliche Kopf noch an seiner Seite war und ihn anblickte.

Dann, sich nicht mehr beherrschend in seinem Schreck, ergriff er seine Hacke, schlug auf den Kopf, zerbrach ihn und machte ihn zu Pulver, sagt man.

Und trotzdem kamen aus diesem Frauenkopf solche Schwärme von Fliegen und Mücken heraus, daß der Mann Zeit seines Lebens davon angefallen und verfolgt wurde, und dieses Übel, sagt man, dauert noch fort.

Und das ist die Geschichte von der, die man die Frau mit der Schlange nennt.


  • Literatur: Petitot, Traditions du Canada Nordouest, 403 ff.

Bei den Dènè läßt sich eine Frau, die ihrem alten Gatten untreu geworden ist, in einen unzüchtigen Verkehr mit einer Schlange ein. Ihr Gatte überrascht und tötet sie. Er zerschmettert ihr den Kopf, aber dieser Kopf verfolgt ihn bis zum Äußersten. Der Mann verwandelt ihn mit einem Axthieb in Staub, und dieser Staub gibt ganzen Wolken von Mücken und Moskitos das Dasein, und diese umschwärmen den Mörder während seines ganzen Lebens. (Ebd.)

Fußnoten

1 Die Ts'ilkigyila (die Tsonō'k·oa der Kwakiutl, die Snēnē'ik der Bilqula) tritt im Tanze Tloolā'qa (dem Sisāū'kH der Bilqulā) auf. Sie trägt einen Korb auf dem Rücken, in welchen sie die Kinder steckt. In jede Hand ist ein Gesicht gemalt. Wenn sie ein Auge öffnet, so strahlt Licht daraus hervor.


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 164.
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