II. Sagen vom Bauen der Wege.

[323] 1. Aus der Bukowina (Rumänische Sage).


Gott soll alle Tiere der Erde zum Herrichten von Wegen und Stegen befohlen haben, und vollzählig sollen sie alle erschienen sein. Nur der Maulwurf wollte weder zu dem Stege- noch Wegeherrichten erscheinen, indem er behauptete, daß er, zumal er nicht auf der Erdoberfläche, sondern in der Erde lebe und auch sich niemals auf der Erdoberfläche zeige, weder Stege noch Wege brauche und auch zu deren Herrichtung nicht helfen wolle.

Als nun Gott sah, daß der Maulwurf seinem Gebot nicht Folge leisten wollte, verfluchte er denselben, auf daß er, wenn er seine Erdhügel aufwerfen und mit seiner Arbeit an einen Steg oder Weg gelangen oder auf der Erdoberfläche erscheinen sollte, zugrunde gehe. Und so ereilt denselben das Los, sobald er sich auf der Erdoberfläche zeigt oder mit dem Aufwerfen der Erdhügel an einen Weg oder Steg stößt, gemäß dem göttlichen Fluch bis heute, damit er ja nicht etwas untergrabe oder stürze, an dessen Errichtung er nicht mitgeholfen hat.


  • Literatur: Zeitschr. f. öst. Volksk. 6, 37 = Şezătoarea 5, 127 = Patria 3, 338.

2. Polnische Sage.


Im Anfang der Welt befahl Gott den Tieren, daß sie zur Bequemlichkeit der Menschen Wege machen sollten. Der Maulwurf wollte jedoch dem Befehl nicht gehorchen, indem er einwandte, es gehe auch ohne Wege. Dafür strafte ihn Gott, daß er nur unter der Erde gehen dürfe. Kommt er herauf, so stirbt er sofort.


  • Literatur: Zbiór wiad. 7, 111, Nr. 13.

3. Lettische Sage.


Als Gott einmal die Menschen zusammenkommen ließ, damit sie Wege machten, weigerte sich ein Mensch und sagte, er brauche keine Wege, er werde auch so weiterkommen. Gott verwandelte ihn in einen Maulwurf und verbot ihm, die Wege zu betreten. Daher stirbt der Maulwurf, wenn er einen Weg überschreitet.


  • Literatur: Živaja Starina 5, 441 (aus Ulanowska, Lot. rufl. pol. 1, 85; vgl. Treuland S. 39 f.) = Zbiór wiad. 15, 265, Nr. 3 (Letten im poln. Livland).

4. Aus Finnland.


a) Alle Tiere sollten einen Weg bauen, nur die Spitzmaus kam nicht. Da verfluchte sie Gott, daß sie sterben müsse, wenn sie quer über einen Weg laufe. Darum findet man so oft eine Spitzmaus tot am Wege liegen. (Nördl. Karelen.)


  • Literatur: Frdl. Mitt. von Herrn Prof. K. Krohn in Helsingfors.

[323] b) Einstmals, als es noch gar keine Wege gab, beschlossen die Tiere Wege zu bauen. Der Hase wurde mit der Botschaft an alle Tiere gesandt: sie sollten zu einer Beratung zusammenkommen, um über den Wegebau zu ratschlagen. Bald waren die Tiere beisammen. Das Pferd warf die Frage auf: »Wollen alle Tiere am Wegebau teilnehmen?« Alle waren bereit dazu mit Ausnahme der Spitzmaus, welche sagte: »Ich brauche keine Wege, ich komme auch so vorwärts.« Als die anderen Tiere das hörten, sprachen sie: »Dieses sei ihr Urteil: wenn sie quer über einen Weg geht, soll sie sterben!« Seitdem findet man stets tote Spitzmäuse auf Wegen und Stegen. (Aus Nyland.)


  • Literatur: Frdl. Mitt. von Herrn Prof. K. Krohn.
Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 323-324.
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