Siebenundvierzigstes Capitel.
Von den drei Königen.

[69] Ein Dänischer König hegte gegen die drei Könige, welche geführt von dem Sterne vom Morgenlande nach Jerusalem kamen und dem eben geborenen Christus ihre Geschenke brachten, besondere Verehrung und rief sie um ihren Beistand an. Es reiste also der genannte König mit großem Gepränge nach Cölln, wo ihre heiligen Leichname mit schuldiger Ehrfurcht verwahrt werden und brachte ihnen drei goldene Kronen dar, wunderbar und[69] wie es sich für Könige geziemt, gearbeitet, darüber noch vertheilte er mehr denn 6000 Mark mit großer Ergebung an Kirchen und Arme, indem er dem getreuen Volk ein Muster seines Glaubens hinterließ. Als er aber eines Tages in seine Heimath zurückzog und seine Glieder dem Schlafe übergeben hatte, siehe da erblickte er im Traume die drei Könige, welche die Kronen, die er ihnen gebracht hatte, auf den Köpfen trugen und in hellem Lichte erglänzend, näher zu ihm traten, und er hörte sie einzeln so zu ihm sprechen. Der erste und ältere sprach: Mein Bruder, glücklich bist Du hierher gekommen, glücklicher noch wirst Du in Deine Heimath zurückkehren. Der andere sagte: Vieles hast Du gegeben, aber sehr Vieles wirst Du mit Dir hinwegnehmen. Der dritte sprach: Mein Bruder, Du hast Glauben gezeigt: aber wenn 33 Jahre erfüllt sind, wirst Du mit uns in den himmlischen Wohnungen herrschen. Der erste also sprach, indem er ihm eine Büchse hinreichte, die ganz voll Gold war: Nimm der Weisheit Schatz, durch welchen Du das Dir unterthänige Volk gerecht richten wirst, weil die Ehre eines Königs das Urtheilen liebt. Der zweite brachte ihm eine Büchse mit Myrrhen dar, indem er sagte: Nimm hin die Myrrhe der Buße, durch welche Du auch die lockenden Regungen des Fleisches zügeln wirst: denn der regiert am Besten, der sich selbst beherrscht. Der dritte bot ihm eine Büchse mit Weihrauch gefüllt an und sprach zu ihm: Nimm den Weihrauch der Ergebung und der demüthigen Milde hin: durch diesen wirst Du die Elenden aufrichten, denn sowie der Thau die Kräuter benetzt, auf daß sie wachsen, ebenso führt jene die Milde des Königs bis zu den Sternen hinauf und erhöht sie. Und wie sich noch[70] der König über die Herrlichkeit dieses Gesichtes verwunderte, erwachte er plötzlich und fand die Büchsen neben sich liegen, die er dann auch als eine Gabe Gottes freudig annahm: und nach Hause zurückgekehrt, erfüllte er auf das Demüthigste, was er im Traume erblickt hatte. Als aber das genannte Ziel erfüllt war, da hatte er es verdient, das Himmelreich in Besitz zu nehmen.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 69-71.
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