Hundertundachtzehntes Capitel.
Von Trug und List.

[225] Es zog einst ein Ritter in das Land Aegypten und dachte darüber nach, wem er sein Geld lassen möchte. Er fragte also, ob irgend eine treue Person daselbst wäre, der er sein Vermögen aufzubewahren geben könnte, und hörte, es gebe einen gewissen alten Mann daselbst: zu diesem ging er, um ihm tausend Talente zu überliefern, und machte sich nachher auf den Weg. Wie er nun aber seine Reise beendigt hatte, kehrte er zu dem zurück, welchem er seine Talente anvertraut hatte, und verlangte das ihm anvertraute Gut zurück. Jener aber, ganz voller Schlauheit, versicherte ihn nie gesehen zu haben. Als sich nun der Ritter getäuscht sah, ward er sehr traurig und bat ihn flehentlich alle Tage mit vielerlei Schmeichelreden, er möchte ihm doch sein Eigenthum wiedergeben. Der Betrüger aber fuhr ihn an und verbot ihm, weiter noch dergleichen darüber mit ihm zu reden, oder auch wieder zu ihm zu kommen. Als nun jener traurig davon ging, begegnete er einer alten Frau, die in Pilgerkleider gehüllt war und in der Hand einen Stab trug. Diese unterstützte er, damit die im Wege liegenden Steine nicht ihre Füße verletzten, und als sie ihn also weinen sah und erkannte, daß er ein Ausländer sey, rief sie ihn von Mitleid bewegt zu sich und fragte ihn, was ihm begegnet sey. Jener aber erzählte ihr Alles nach der Reihe, wie er von jenem Greise betrogen worden sey. Diese aber versetzte: Freund, wenn das, was Du mir da sagst, wahr ist, will ich Dir einen vernünftigen Rath geben. Jener[226] aber sprach: Gott ist mein Zeuge, daß es wahr ist. Sie sagte darauf: bringe mir aus Deinem Lande einen Mann, dessen Rede und That man Glauben beimessen kann. Er aber stellte ihr einen treuen Menschen, und als der herbeigeschafft war, befahl ihm die Alte zehn Kisten zu kaufen, äußerlich mit künstlichen Farben bemalt und mit Eisen beschlagen und mit versilberten Schlössern versehen, und befahl sie mit Steinen anzufüllen. Der Ritter aber that so, wie ihm das Weib befohlen hatte, und wie das Weib Alles bereit sah, sprach sie: jetzt müßt Ihr mir einige Männer verschaffen, die mit mir und Deinem Gesellen zu dem Hause des Betrügers gehen und die Kisten hintragen. Es müssen diese aber einer nach dem andern in einer langen Reihe kommen, und sobald er zu uns hereingetreten ist und sich bei uns niedergelassen hat, dann komme getrost herein und fordere Dein Geld: ich aber vertraue zu Gott, daß Du Dein Geld wieder bekommen wirst. Hierauf ging die Frau mit des Betrogenen Gesellen zu dem Hause des Betrügers und sprach: Herr, dieser Ausländer ist bei mir eingekehrt und gedenkt in sein Vaterland zurück zu kehren: zuerst aber sucht er irgend einem rechtlichen und treuen Menschen sein Geld, welches in diesen zehn Kisten ist, bis zu seiner Rückkehr zu übergeben, und ich bitte Dich Du mögest es doch um Gottes und meiner Willen in Deinem Hause aufheben. Denn ich habe es gehört und weiß es, daß Du rechtlich und treu bist, und wünsche nicht, daß das Geld von einem Andern, als von Dir allein aufbewahrt werden möchte. Als sie noch sprach, siehe da trat der erste Sclave herein und brachte eine Kiste, und wie das der Betrüger sah, glaubte er, daß das, was die Alte gesprochen hatte, wahr seyn müsse.[227] Nach diesem trat auch den Ritter herein, wie es ihm das alte Weib befohlen hatte. Wie aber der Betrüger denselben erblickte, fürchtete er, daß wenn dieser jetzt sein Geld verlange, ihm der Andere seine Schätze nicht zum Aufbewahren anvertrauen werde, ging ihm daher entgegen und sprach schmeichelnd zu ihm: Freund, wo warst Du denn? komm und nimm Dein Geld, was Du schon so lange meiner Treue anvertraut hast. Der Ritter aber nahm sein Geld und dankte Gott und dem alten Weibe. Wie aber die Alte Solches gewahr wurde, stand sie auf und sprach: Herr, ich und dieser Mann wir wollen nach den andern Kisten gehen und uns beeilen zurück zu kehren, Du aber warte bis wir wieder kommen und bewahre wohl, was wir bereits gebracht haben. Also bekam der Ritter durch das alte Weib sein Geld wieder.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 225-228.
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