Neunte Erzählung.
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Vom König Herodes, der eine schöne Tochter hatte.

[149] Herodes war ein gewaltiger Kaiser zu Rom, der hatte eine schöne Tochter, die ihm gar lieb war, der dienete ein Ritter lange Zeit. Das verstand die Jungfrau gar wohl, und er ging eines Tages zu ihr und sprach zu ihr: edle Jungfrau, wollet mir meine Rede nicht übel vermerken, ich sagte Euch gern eine Kleinigkeit von meiner Noth, die ich wohl nicht mehr allein für mich tragen mag. Die aber sprach: sagt mir ohne alle Furcht was Ihr wollt. Da sprach der Ritter: lange Zeit habe ich mein Leid geduldig ertragen, das ich Euch nun zu wissen thue, da mein einziger Wunsch, daß die Treue, die ich Euch lange bewährt habe, mit Treue vergolten werde. Ich trage[149] aber in meinem Sinn, in das Land Hispania zu reiten, und will meinen Leib und mein Gut dort in die Schanze schlagen, damit ich durch meine Tapferkeit so viel verdiene, daß ich Eurer würdig werde, da ich mich dermalen noch unfähig fühle, Euere Hand erhalten zu können. Nun möchte ich aber von Euch versichert seyn, daß Ihr in meinem Dienst sieben Jahre auf mich wartet, und so es der Fall wäre, daß ich in dieser Zeit nicht wieder in dieses Land zurück käme, so würde das ein Zeichen meines Todes seyn, und thuet sodann mit mir nach Euerem Gefallen. Die Rede gefiel aber der Jungfrau gar wohl, und sie war bereit in seinen Wunsch zu willigen und versprach ihm das bei ihrem Worte. Darnach schickte sich der Ritter zu seinem Zuge an und zog seine Straße. Nicht lange darauf kam aber der König von Apulien mit großem Gefolge und bat um die Hand der Jungfrau; ihr Vater aber verhieß sie ihm, sandte nach seiner Tochter, und fragte sie um ihren Willen. Die aber sprach: mein Vater, Du sollst wissen, daß ich Gott gelobt habe, in sieben Jahren keinen Mann zu nehmen, und nach der Zeit geschehe, was Gott über mich beschließen will. Da das ihr Vater hörte, so wollte er es ihr nichts dawider einwenden, und sagte es dem Könige von Apulien: der war aber bereit die sieben Jahre auf sie zu warten, und schied unter dieser Bedingung von dannen. Und da die Zeit kam, daß die sieben Jahre nun schier ein Ende nehmen sollten, da schickte er sich wiederum mit allem seinen Gefolge feierlich zu seiner Fahrt an und zog seine Straße auf dem Wege gen Rom. Nun kam aber der Ritter unserer Geschichte auf dieser Fahrt zu dem König, und sie ritten mit einander dahin: es begab sich aber eines Tages, daß es gar sehr regnete und der Ritter hatte einen guten Mantel und einen Hut. Allein der König ward durch[150] und durch naß, da er weder Mantel noch Hut hatte, und da das der Ritter gewahr wurde, da sprach er: Ihr seyd nicht sehr klug gewesen, daß Ihr Euer Haus nicht mit Euch genommen habt, da wäret Ihr nicht naß geworden. Wie das der König hörte, da däuchte ihm die Rede wunderlich, und er sprach: ich höre wohl, daß Du sonderbar redest, da mein Haus wohl etwas zu groß seyn dürfte, also daß ich es nicht mit mir hinwegführen mag. Und sie ritten also ihres Weges dahin und kamen an eine große Lache: da ritt der König voran hindurch, und wie er hinein kam, war die Lache so tief, daß das Pferd mit ihm bis auf den Grund ging, und er sich gar sehr besudelte. Wie das der Ritter sah, ritt er ganz trocken um die Lache herum und sprach zu dem König: Ihr habt unweise gehandelt, daß Ihr Euere Brücke nicht mit Euch hierher geführt habt, dann hättet Ihr Euch jetzt nicht beschmutzt. Die Rede schien Jenem ganz unnütz zu seyn, und er sprach zu ihm: Du bist ein Thor und willst mich als solcher tadeln: wie möchte ich meine Brücke mit mir führen? Die ist ja eine halbe Meile lang und von Steinen gemauert. Jedoch verantwortete er sich weiter nicht gegen ihn und sie ritten weiter. Da konnten sie aber kein Haus finden, wo sie etwas hätten zu essen bekommen können, und der Ritter bat den König bei sich zu Tische, und sie setzten sich auf die Erde nieder, und der Ritter gab dem König Käse und Brot, welches er in einem Ranzen bei sich geführt hatte, und gab ihm auch aus einer Flasche zu trinken. Wie nun der König zur Genüge gegessen hatte, da sprach der Ritter: Ihr thut gar nicht wohl, daß Ihr nicht aller Wegen Vater und Mutter mit Euch führt. Da sprach der König: meine Mutter ist so alt, daß ich sie ihrer hohen Jahre wegen nirgends mitnehmen kann, und mein Vater ist schon seit[151] langer Zeit todt, so daß ich ihn auch nicht bei mir haben kann. Während dieser Zeit langten sie in der Stadt Rom an, und der Ritter beurlaubte sich daselbst vom König, worauf ihn derselbe fragte, wohin er jetzo zu ziehen gedenke. Da versetzte er: es sind nun bereits sieben Jahre, daß ich in einem Netze gefangen gelegen habe, so ich es nun also wieder finde, wie ich es verlassen habe, so führe ich es mit mir in meine Heimath, und wird es mir in allen Stücken lieb und werth seyn, so es aber zerrissen ist, so laß ich es, wo es ist, und achte sein fürder nicht mehr. Nach dieser Rede ritt der König in die Stadt hinein, und wie ihn der Ritter nicht mehr sehen konnte, da ritt er ihm auch nach und kam heimlich in den Palast zu der Jungfrau und führte sie von dannen. Nun begab es sich aber, daß der König beim Kaiser zu Tische saß und der König anhub und sagte, er habe einen wunderlichen Ritter zum Gefährten gehabt, der seltsamer Rede gepflogen habe, und er erzählte, wie er gesprochen habe, da es so sehr regnete, es sey von ihm nicht weise gewesen, daß er sein Haus nicht mit sich geführt habe, weil er sodann nicht naß geworden seyn würde, wie er ihm dann geantwortet, sein Haus sey wohl viel zu groß, als daß er es mit über Land nehmen könne. Da fragte ihn der Kaiser, was er angehabt habe, und der König sagte, er habe einen Mantel getragen und einen Hut auf seinem Haupte gehabt. Da sagte der Kaiser: sicherlich ist er weise gewesen, da er meinte, warum Ihr nicht auch einen Mantel und einen Hut bei Euch führet. Da erzählte der ihm weiter, wie er geredet hatte, da er sich in der Lache beschmutzt hatte; da antwortete ihm aber der Kaiser und sprach: der Ritter hat damit gemeint, warum er seinen Diener nicht vorausgeschickt habe, denn dann würde er sich nicht beschmutzt haben. Da[152] sagte ihm Jener endlich noch, wie sie mit einander, nachdem sie gegessen, gesprochen hätten, und er gesagt habe, er thue nicht weise, daß er nicht allwegen Vater und Mutter mit sich nehme, wenn er über Land reite. Das deutete ihm der Kaiser auch und sprach: er hat damit gemeint, er solle nicht ausziehen, wenn er nicht Wein und Brot bei sich führe. Als er also gesprochen hatte, lobte er den Ritter um seiner Weisheit Willen und fragte jenen, wo er ihn gelassen habe. Da sagte der König, er habe sich nahe bei der Stadt mit folgenden Worten bei ihm beurlaubt, es seyen nun sieben Jahre, daß er in einem Netze gefangen liege, er wolle also zu demselben hinreiten, und wenn er es noch in eben dem Zustande finden werde, als er es hingelegt habe, so wollte er es mit sich hinweg führen, so es aber zerrissen und zerbrochen sey, so wolle er es liegen lassen und sein nicht mehr achten. Da das der Kaiser hörte, schrie er mit lauter Stimme: weh mir über mein Herzeleid. Dieses Netz ist meine Tochter, ich fürchte, ich habe sie verloren. Er eilte also hinweg und sandte nach ihr, allein sie ward nicht gefunden, denn sie war schon lange mit dem Ritter von dannen gezogen. Wie aber die Boten kamen und das dem Kaiser sagten, da sprach derselbe: merkt auf, dieser Ritter hat mich und Euch betrogen, darum sehet Euch nach einem andern Weibe um. Da schied der König traurig von dannen und der Ritter behielt die Jungfrau in allem Frieden.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 149-153.
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