Fünfundzwanzigste Erzählung.
† (94 s.d. [213] Gest. Rom. c. 39, Bd. I., p. 68. sq.)
Von zwei Brüdern, die großen Krieg mit einander hatten.

Man liest in der Römer That, daß zwischen zwei Brüdern ein großer Krieg war, so daß der eine Bruder beinahe alle Lande und alle Habe des andern allzumal[213] verwüstete. Das hörte der Kaiser Julius und es that ihm gar leid und brachte ihn auf wider den Bruder, der den andern also schädigte. Nun verstand aber derselbige Verwüster des Kaisers Zorn wohl und fürchtete seine Bestrafung und ging zu seinem Bruder und bat ihn um seine Huld und Versöhnung wegen Allem, das er ihm gethan hatte, und verhieß ihm Entschädigung und bat ihn, daß er zwischen dem Kaiser und ihm Friede machte. Nun sprachen aber, die dabei standen, daß jener das nicht um seinen Bruder verdient hätte, sondern nur Pein. Da antwortete ihnen der Bruder, der den Schaden hatte, und sprach: den Fürsten muß man lieb haben, der im Streite gütig ist, wie ein Lamm und im Frieden böse, wie ein Leu. Da dem nun so ist, daß mein Bruder viel wider mich hatte und es um mich nicht verdient hat, so will ich ihn doch bei dem Kaiser Gnade auswirken, wenn ich vermag, denn das Unrecht, das er mir gethan hat, ist genug an ihm gerochen. Also ward zwischen seinem Bruder und dem Kaiser Versöhnung und Friede bestätiget.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 213-214.
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