Neunte Geschichte

[6] geschah: Rabbi Elieser der sagt: »Tu Buße einen Tag vor deinem Tod.« So fragten seine Talmidim (Schüler): »Rabbi Elieser, wie weiß denn einer, wann er sterben wird, auf welchen Tag?« So sagt Rabbi Elieser wieder: »Auf jeden Fall soll einer heute Buße tun, ob er morgen möcht sterben, denn man is keine Stunde sicher, wann einer sterben wird.« Damit wird gefunden, daß er all sein Tag mit Buße lebt. Un Schlaume hamelech (König Salomo) hat auch gesagt: »Allzeit sollen deine Kleider weiß sein.« Das meint er die Tachrichim (Totenkleider), die sollen alle Tage weiß sein un bereit sein. Damit wenn ihn der, dessen Name gelobt sei, zum Tod fordert, daß er flugs bereit is mit Buße un guten Werken. Drauf sagt Rabbi Jauchenen: »Das is ein Moschel (Gleichnis) zu einem Melech (König), der bat seine Knechte zu einer großen Sude (Mahlzeit) un sagt ihnen nicht, wann die Sude sein wird. Die Klugen, die waschen sich selber un zieren sich mit hübschen Kleidern, un setzen sich vor dem König seinen Palast. Denn sie gedenken, es gebricht niks in dem König seinem Haus, das Mahl wird gewißlich gemacht sein, wenn uns der König ruft, daß wir gleich gerüstet sind, daß wir vor den König können kommen, wenn er nach uns tut schicken«. Die Narren, die unter den Knechten sind, die gehn wieder an ihre Arbeit un denken so: »Man kann nicht so ein Mahl so geschwind zurichten, denn man muß viel zu so einem Mahl haben. Wir haben noch Zeit genug, daß wir sich unsre Kleider sollen antun«. Urblizling (urplötzlich) da schickt der König nach seinen Knechten, sie sollen zum Essen kommen, das Mahl is nun bereit. Die Klugen, die sich nun gerüstet haben, die gingen gleich hinein zum König mit ihren hübschen Kleidern. Die Narren, die gehn geschwind von ihrer Arbeit in ihre niwsige (nicht schöne) Kleider vor den König zum Essen. Da freut sich der König auf die klugen Knechte, die sich haben gerüstet für sein Mahl, wiewohl sie nicht gewußt haben, wann das Mahl sein wird, un zürnt auf die Narren, die sich nit gerüstet haben zu seinem Mahl un sind so beschmiert mit ihren Kleidern un spricht so: »Die Klugen unter meinen Knechten, die sich so gerüstet haben zu meinem Mahl, die sollen sich setzen zum Tisch un sollen essen un trinken un sollen fröhlich sein. Aber die Narren, die sich nit gerüstet haben zu meinem Mahl, die sollen stehn un zusehen essen un trinken, un sie sollen nit essen noch trinken derweil sie sich nit gerüstet haben zu meinem Mahl.« Derhalben spricht König Schlaume: »Sieh un halt dich weislich, rüste dich gleich mit deinen weißen Kleidern, damit wenn dich Gott fordert zum Tod, daß du gleich gerüstet bist mit deiner Buße, damit daß du gleich kannst kommen vor Gott, wenn er dich fordert, un tu nit wie die Narren.« Da meint er die Reschoim (Sünder) unter Jisroel, die sich denken, was sollen wir noch Tschuwe (Buße) tun[7] un gerüstet sein mit unsern weißen Kleidern, wer weiß, wann wir sterben werden. Wir wollen wol noch Buße tun un werden wol noch unsre Kleider weiß machen. Aber urblitzling gebietet Gott über sie, daß sie sterben müssen un haben noch keine Buße getan, wie die Frommen, die gerüstet sind, mit ihrer Buße. Die gingen gleich vor den, dessen Name gepriesen sei, un können gleich kommen mit ihren weißen Kleidern vor den, dessen Name gepriesen sei. Aber die Reschoim, die kommen nit mit ihren bösen Werken vor den, dessen Name gepriesen sei. Da freut sich Gott auf die frommen Leut, die vor ihn kommen, mit guter Buße un weißen Kleidern. Un is brauges (böse) über die Reschoim, die vor ihn kommen mit bösem Werk un spricht wider den Frommen: »Du hast dich gerüstet, du sollst auch von meiner Sude essen, die ich dem Zaddik (Gerechten) will machen. Aber du, Rosche, du hast dich nit gerüstet, du sollst auch nit essen von meiner Sude, neiert du sollst zusehen essen, un mußt mit Zaar (Schmerz) zusehn wenn andere Leut essen un trinken.« Derhalben spricht der Posuk (die Schriftstelle): »Tu einen Tag vor deinem Tod Buße.« Das meint, der Mensch is nit sicher, wann er sterbt. Derhalben soll er heut Buße tun, ob er morgen möcht sterben. Un tu morgen auch Buße ob er möcht übermorgen sterben, damit daß er all sein Tag Buße tut un frumm is, damit wenn er gefordert wird vor den Heiligen, gelobt sei er, zum Tod, daß er gerüstet is mit guten Werken, darmit du kannst auch essen von der Sude, wo andere Zaddikim essen. Omen.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 6-8.
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