Zweiundzwanzigste Geschichte

[19] geschah: Des Kaisers Tochter fragt Rabbi Jehauschue ben Chananje: »Ei, wie eine große Thauroh is in dir un du bist so gar häßlich. Wie eine große Chochme (Weisheit) is in einem niwsig Keli (häßlichem Gefäß).« Da sprach Rabbi Jehauschue wider sie: »Liebe, sag mir, wo habt ihr euern Wein liegen, was sind es für Fässer?« Da sprach sie wider ihm: »Wir haben den Wein in eitel irdenen Kelim (Gefäßen) liegen.« Denn man hat vor Zeiten den Wein in irdenen Gefäßen gehabt. Da sagt zu ihr Rabbi Jehauschue: »Ihr seid doch reiche Leut, ihr gehört den Wein in eitel silberne Gefäße zu tun. Jedermann hat den Wein in irdenen Gefäßen.« Da ging sie zu ihrem Vater un sagt ihm das. Da ging der[19] Kaiser hin un tät all den Wein in silberne Gefäße. Da ward der Wein eitel Essig. Da hat man es dem Kaiser gesagt, wie all sein Wein is Essig geworden. Da sagt der Kaiser zu seiner Tochter: »Wer hat dich das geheißen un gelernt, daß du den Wein in silberne Gefäße tan sollst?« Da sagt die Tochter: »Rabbi Jehauschue hat mich das gelernt.« Da schickt der Kaiser nach Rabbi Jehauschue un sagt zu ihm: »Warum hast du meiner Tochter das gelernt, un hast gemacht, daß all mein Wein sein zu Essig geworden?« Da sagt Rabbi Jehauschue: »Wie sie zu mir hat gesagt, so hab ich auch zu ihr gesagt. Sie hat zu mir gesagt, – ei wie eine gute Thauroh is in einem niwsig Gefäß –, so hab ich auch zu ihr gesagt, wie hast du einen guten Wein, in einem niwsig Gefäß. – Auch hab ich gesagt, die Thauroh bleibt nit in einem hübschen Menschen. So bleibt auch der Wein nit in einem hübschen Gefäß.« Da sprach der Kaiser: »Man find doch auch viel hübsche Leut, die auch Thauroh können lernen.« Da sagt Rabbi Jehauschue wider: »Wenn sie aber nit so hübsch wären, so könnten sie viel besser lernen; denn ein hübscher Mensch, da is kein Demütkeit, drüber vergeßt er sein Thauroh, die er gelernt hat.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 19-20.
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