Hundertfünfundachtzigste Geschichte

[204] geschah in Rabbi Jehude Chossid Zeiten. Da war ein Kind geboren in seiner Stadt zu Regensburg. Un wie man das Kind in die Schul wollt tragen um zu jüdischen (beschneiden) so stund kol hakahal (die ganze Gemeinde) auf, wie es der Seder (Sitte) is, wenn man boruch habo (gesegnet sei der kommt) schreit. Denn, spricht man, Elijohu hanowi (der Prophet Elia seligen Andenkens), der kommt allemal mit dem Kind. Von dessenthalben setzt man auch zwei Stühle neben einander. Da stund der Chossid nit auf gegen das Kind, un jedermann schrie boruch habo un er schwieg still, denn er sah nit Elijohu hanowi mitkommen, wie nun der Seder pflegt zu sein. Da verwundert sich ein jedermann darum. Da fragten ihn die Leut westhalben er also schimpflich mit dem Kind getan hat. Da sagt der Chossid: »Derweil, daß ich nit hab gesehen Elijohu hanowi mit dem Kind kommen, un auch hat er sich nit auf seinen Stuhl gesetzt, der ihm nun bereitet is gewesen. Da könnt er nun wol gedenken, daß nix Gutes aus dem Kind wird werden.« Un er sagt wider ein Teil Leut: »Seht ihr dorten in jenem Fenster, da sitzt Elijohu hanowi, in Gestalt als ein alter Mann mit einem langen Bart, der schneeweiß is, un er tät Tefille (beten).« Da baten ihn die Leut, er sollt ihnen doch sagen, wie das kommt, daß sich Elijohu hanowi nit hat gesetzt auf den Stuhl, wie nun sein Seder is gewesen. Da antwortet er ihnen wieder: »Ich will es euch sagen. Das Kind wird hintennach eine böse Stunde bekommen, daß es sich wird wollen schmadden (taufen). Desthalben will Elijohu hanowi nit bei ihm sitzen.« Un das is das Kind gewesen, das ihr oben geleint (gelesen) habt in hundert 81ste Geschichte.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 204-205.
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