Zweihundertfünfundvierzigste Geschichte

[335] geschah: Raw Safre ging einmal spazieren mit seinen Talmidim (Schülern) vor die Stadt. Da begegnet ihm ein fremder Chossid, der kam von dem Weg. Da meint der Chossid Raw Safre wär ihm entgegengegangen un wußt aber nit, daß er eben war spazieren gegangen. Un sagt wider Rabbi Safre: »Warum müht sich der Herr so sehr, daß er mir Schofel (einfachen Mann) is entgegen gegangen mich zu empfangen.« Da hebt der Raw Safre an: »Mein lieber Freund, nit du sollst meinen, ich sei von deinethalben herausgegangen dich zu empfangen. Neiert[335] ich bin herausgegangen mit meinen Talmidim spazieren zu gehn.« Wie das der Chossid hört, da schämt er sich, daß er solches geredet hat vor Raw Safre un seinen Talmidim. Denn er hat es ja gemeint er wär ihn lekowed (zu Ehren) entgegengegangen. Da frägten die Talmidim den Raw Safre: »Warum habt ihr den Chossid beschämt, welches doch eine große Awere (Sünde) is?« Da sagt Raw Safre wider: »Warum sollt ich ein Scheker (Unwahrheit) gesagt haben?« Da sagten seine Talmidim: »Ihr solltet haben still geschwiegen.« Da sagt Raw Safre wider: »Hätt ich still geschwiegen, so hätt der Chossid gemeint es wär wahr, un es is ja nit wahr gewesen. So hätt ich nit wahr gemacht was steht ›Du sollst mit deinem Mund reden, wie es das Herz meint.‹ Ich hätt' es in meinem Herzen nit gemeint, wie ich's geredet hab. Un ich hätt' ihm sein Herz genommen, daß er vermeint hätt' ich wär ihm lekowed herausgegangen. Un der Heilige, gelobt sei er, heischt Emes (Wahrheit) un will haben man soll kein Scheker (Lüge) auf der Erde sagen, neiert eitel Wahrheit. Un wenn solches geschickt so schickt der Heilige, gelobt sei er, die Regen zu rechter Zeit, wenn man sie bedarf«. Wie der Posuk spricht (Schrift sagt): die Wahrheit tut von der Erden sprazen. Derhalben soll man keine Lüge sagen, neiert eitel Wahrheit.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 335-336.
Lizenz:
Kategorien: