Von einem, der keine Schellen hat

[92] In Smyrna gab es – dreißig Jahre mögen wohl darüber vergangen sein – einen reichen Kaufmann, der in ganz Europa und ganz Asien, ohne Ägypten und die anderen Länder zu zählen, Handel trieb.

Und wurde fünfzig Jahre alt, ohne Zeit gehabt zu haben, sich zu verheiraten. Seine Freunde aber stellten ihm vor, daß seine Güter nach seinem Tode unter entfernte Verwandte zersplittert würden, und daß es vorteilhafter wäre, ein junges Weib zu nehmen, welches ihm noch Kinder schenken könnte, denn das Sprichwort sage, ein Mann könne das Liebesspiel solange spielen, als er nicht unter einen Federsack falle.

Der reiche Kaufmann beschäftigte sich schließlich mit Heiratsgedanken.

»Aber wen soll ich heiraten?« fragte er seine Freunde.

»An jungen wie alten Weibern fehlt's nicht in Smyrna und auf den Inseln. Ihr werdet hundert für eine finden!«

»Schließlich muß ich doch eine kluge, anständige und erfahrene Frau nehmen, die mein Vermögen und mein Alter nicht mißbraucht.«

»Nehmt«, riet ihm ein Freund, »eine Witfrau von gesetztem Alter, die zu wirtschaften versteht und ein Haus zu leiten weiß.«[93]

»Nein, ich will keine Witwe, die mich ewig von ihrem seligen Manne unterhalten will.«

»Nehmt also ein altes Mädchen.«

»Deren Wesen könnte etwa säuerlich sein.«

»Dann eine junge Schöne, die etwas Tüchtiges mitbekommt.«

»Was soll ich denn mit ihrem Vermögen machen? Findet mir ein hübsches, zwanzigjähriges Mädchen, das vernünftig und vermögenlos ist. Mir soll sie ihr Glück und ihr Geld verdanken, so will ich's. Und werde dann sicher sein, daß sie mich nicht hintergehen wird.«

Seine Freunde hielten Umschau im Lande und bald war das gewünschte Mädchen gefunden. Sie war die Tochter eines Schiffskapitäns, der bei einem Schiffbruch umgekommen war und seinem einzigen Kinde nicht einen Pfennig hinterlassen hatte.

Von Gevatterinnen beredet, entschloß sich das Mädchen den Kaufmann zu heiraten, und die Hochzeit ward gefeiert.

Die erste Zeit ging alles gut im neuen Haushalte.

Der Kaufmann bestellte sein Feld, wie's der beste Arbeiter getan hätte. Dann wandte er sich wieder seinen Geschäften zu und die Schöne erfreute sich nur noch selten eines Vergnügens, das ihr gar süß erschien. Endlich geschah es, daß der alte Ehemann sich nur noch an hohen Festtagen entschloß, Rast zu machen in der Kapelle, die er erworben hatte. Gott weiß es sicherlich, daß die junge Frau kein Mittel[94] sparte, um den Gatten an seine ehelichen Gebührnisse zu erinnern. Ein auserlesenes Mahl, herrliche Weine, Liebkosungen, nichts wollte helfen. Eines Abends war der Kaufmann müde, anderen Tages hatte er wichtige Briefe zu schreiben, oder er war gar krank, oder er hatte dem heiligen Nikolaus ein Gelübde getan, auf daß ein Schiff, welches ihm köstliche Handelswaren zuführte, eine glückliche Fahrt habe.

Das arme Weib war ganz verzweifelt. Es wurde bald noch schlimmer. Der alte Ehemann, der die Hitze seiner Frau sehr wohl sah, eine Hitze, welcher er nicht genugtun konnte, bekam Angst, daß seine Kassandra anderswo den Gärtner suchen möchte, der ihr ermangelte. Er ward ganz erstaunlich eifersüchtig. Begann damit, alle seine Freunde fernzuhalten, dann ersetzte er seine Angestellten und Diener durch alte Männer und Weiber, die dem Grabe zuwankten. Ließ Haus und Garten mit hochstrebenden Mauern umgeben, kurz, niemand konnte mehr bei ihm aus- und eingehen, und er untersagte seinem Weibe, den Fuß auf die Straße zu setzen.

Das machte die Unglückliche noch trauriger. Es waren zu viel Beraubungen auf einmal. Was nutzte ihr der Reichtum ohne Freiheit und besonders ohne all die kleinen Spiele, denen sie Geschmack abgewonnen hatte.

Natürlich ging die Kunde von des Gatten Eifersucht in der Stadt bald von Mund zu Munde.[95]

Die Geschichte kam auch einem jungen Burschen zu Ohren, der in die Schöne verliebt gewesen war; die aber hatte ihn zurückgestoßen, weil er vermögenlos. Er dachte sich einen Plan aus, um den alten Kaufherrn zu täuschen.

Nahm sich vor, sich auf den Weg zu stellen, den Kassandras Gatte immer ging, und ihm tagtäglich zu begegnen. Und ging wie ein Trunkener, greinend und weinend; man hätte denken können, Vater und Mutter wären ihm eben des Todes gestorben.

Die ersten Male hatte der Kaufherr keine Acht darauf; dann aber bemerkte er den Unglücklichen, wähnte ihn als Beute einer furchtbaren Verzweiflung und hielt ihn schließlich an und fragte ihn um die Ursach.

Sprach der junge Mensch: »Wehe, mein Unglück ist so groß, daß die Tränenfluten mein Augenlicht vernichten werden!«

Der Kaufmann redete so lange auf ihn ein, bis der Mann ihm schließlich sagte:

»Kommt zu mir in meine armselige Behausung, und Ihr sollt sehen, daß ich der Unglücklichste aller Unglücklichen bin!«

Der Kaufherr begleitete ihn.

»Seht, was mich so elend macht,« hub der Bursche an.

Und zeigte ihm ein wackeres und kraftstrotzendes Pflanzholz zwischen den Schenkeln und darunter eine lange trockene und zusammengeschrumpfte Blase, in[96] der die Schellen fehlten. (Schellen und ihre Beutel waren dort sehr wohl vorhanden, aber er hatte sie angebunden und nach hinten befestigt.)

Sprach der Alte: »Wahrlich, niemals habe ich einen Menschen so übel ausgestattet gesehen; doch sage mir, wie ist dir solches zugestoßen?«

»Durch einen Stein, mit dem mich ein Gassenjunge beim Spielen traf.«

»Dann bist du kein Mann mehr?«

»Doch; aber ein Eunuch.«

»Ich möchte wohl etwas für dich tun, denn ich würde dich nur trösten können mit den Worten, daß du in dreißig Jahren die Notwendigkeit dieser im ganzen genommen höchst unbequemen Dinger nicht mehr einsehen wirst. Was treibst du?«

»Ich schäme mich vor jedem Manne. Und doch bin ich wohlunterrichtet und könnte einen guten Handelsgesellen machen. Doch würde es mich quälen, mit wohlgebauten Männern zusammen zu arbeiten ...«

»Du bist von meinem Berufe. Komme zu mir. Ich hab einen guten Angestellten nötig. Wirst allein sein mit Greisen und mit meiner jungen Frau, die du nach bestem Vermögen unterhalten sollst. Wirst gut untergebracht, gut genährt und gut bezahlt. Und, wer weiß, vielleicht trete ich dir eines Tages mein Geschäft ab.«

Der junge Mann warf sich dem Kaufmanne zu Füßen, nannte ihn seinen Wohltäter und seinen Vater und[97] folgte ihm in sein Haus, wo er der jungen Frau vorgestellt wurde.

Dann nahm ihn der Kaufherr beiseite und hub also zu ihm an:

»Mein Weib ist jung und hübsch. Ich bitte dich, überwache sie Schritt für Schritt. Fürchte dich nicht, ihr unter allen erdenklichen Vorwänden überall hin zu folgen, selbst in ihre Zimmer. Das Köstlichste, was ich habe, vertraue ich dir an!«

»Habt keine Furcht, mein Wohltäter. Euer liebes Weib ist in guten Händen.«

Von diesem Tage an ging der Kaufherr ruhig seinen Geschäften nach.

Von der Sorge befreit um sein Weib, die von einem Muster von Angestellten im Auge behalten wurde, der sich ohne weiteres um die tausend Unternehmungen seines Herrn kümmerte, setzte er sich in den Kopf, sein Vermögen zu verdoppeln und dann von seinen Renten im fremden Lande zu leben.

Er frühstückte, nahm Mittag- und Abendessen außerhalb ein mit seinen Geschäftsgenossen und Freunden, ergriff selbst die Gelegenheit, nach Chios, Lesbos, nach Cypern oder nach Konstantinopel zu reisen. Was hatte er zu fürchten? Sein Weib war in guter Hut bei seinen Dienern und besonders bei seinem entmannten Gehilfen. Wehe, der Unglückliche! Während dieser Zeit setzte man ihm in schändlichster Weise Hörner auf. Die junge Frau hatte ihren ersten[98] Liebhaber wieder erkannt, und der hatte nicht lange mit der Geschichte, die er dem Alten aufgebunden, hinter dem Berge gehalten. Nachdem er ihr nun alles das mitgeteilt, ließ er sie fühlen, daß nichts als eine armselige trockene und schlaffe Blase seine Mannheit ersetzt hatte. Die Rechte ausnutzend, die ihm sein Herr zugestanden, schlich sich der Liebhaber nach allen Orten, wo die Schöne sich aufhielt. Er sollte sie ja gut überwachen. Kurz; er pflegte auf das Gewissenhafteste das Land, das man ihm anvertraut hatte. Jedes Jahr ward ein neuer Sprößling auf den alten Stamm des Kaufherrn gepfropft, der glücklich und zufrieden war, solchen Erfolg mit einer Arbeit zu erzielen, die sich so mühelos erledigen ließ. Als der Alte starb, hinterließ er seiner Witwe und seinen fünf Kindern mehrere Millionen. Kurz hernach verheiratete sich das Weib mit ihrem Liebsten, und da sie noch andere Kinder bekam, wurden die nicht minder von ihrem Vater und denen der ersten Ehe gehätschelt. Und das war recht so.

Quelle:
[Hansmann, Paul] (Hg.): Schwänke vom Bosporus. Berlin: Hyperionverlag, [1918], S. 92-99.
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