Der Esel, der Kadi wurde.

[133] Dschuha hatte einen kleinen Esel. Den entdeckten einst eine Anzahl lose Buben und nahmen ihn weg; sie stahlen und verkauften ihn. Dann kamen sie wieder zu Dschuha und sprachen zu ihm: »Dschuha, dein Esel ist Kadi geworden!« Dschuha erwiderte: »Wahrhaftig?« Jene beteuerten: »Wir legten ein Buch vor uns hin und begannen zu lesen, da hörte er uns zu!« Dschuha ging weg, nahm einen Futtersack und begab sich nach dem Hause des Kadi. Der Kadi sprach gerade Recht; da hielt ihm Dschuha den Futtersack hin und sagte zu ihm: »Komm, friss Gerste! Du bist doch ein Esel?« Der Kadi blickte auf und sprach: »Was bedeutet das? Du machst mich zu einem Esel, verfluchter Junge? Nehmt ihn fest und verabreicht ihm zweihundert Hiebe!« Seine Diener gaben nun Dschuha die Hiebe. Dschuha aber schrie: »Ach, ich werde dir nicht mehr Gerste und Stroh geben! Wenn ich aber wieder frei bin, werde ich es dir schon zeigen!« Da blickte der Kadi auf und sprach: »Der Mensch ist verrückt! Was war der Preis deines Esels, mein Junge?« Dschuha erwiderte: »Hundert Piaster.« Der Kadi befahl: »Gebt ihm hundert Piaster und jagt ihn fort von hier!« Dschuha begann wieder: »Wenn du aber nicht mein Esel bist, wo ist dann mein Esel?« Der Kadi fragte: »Was war es mit deinem Esel?« Dschuha erwiderte: »Ich suchte meinen Esel, konnte ihn aber nicht finden. Da begegneten mir mehrere Leute, die sprachen zu mir: ›Dein Esel ist Kadi geworden!‹ Da[133] kam ich zu dir; du hast mir nun (in doppeltem Sinne) zu dem Nötigen verholfen! Drum bist du wirklich ein Kadi und kein Esel!« Hierauf liess der Kadi jene Leute herbeiholen, die diese Geschichte angestiftet hatten. Man brachte sie, und der Kadi befahl: »Gebet jedem zweihundert Hiebe! Und ihr,« (wandte er sich an die Diebe) »müsst Dschuha seinen Esel wiederverschaffen!«

Quelle:
Stumme, Hans: Tunisische Märchen und Gedichte. Leipzig: Hinrich: 1893, S. 133-134.
Lizenz:
Kategorien: