II.
Der freundliche Geber und der unfreundliche Geber.

[10] Einst legte ein Mann seine Netze quer über den Fluss. Als er das Netz aufgestellt hatte, tötete er eine Menge Fische. Währenddem kam ein Rabe und setzte sich neben ihn. Er schien grossen Hunger auf Fische zu haben und sah sehr kläglich aus. Daher wusch der Fischer einen von den Fischen und warf ihn dem Raben zu. Der Rabe frass ihn mit grossem Vergnügen. Später kam er wieder[10] und obwohl er ein Rabe war, sprach er wie, ein Mensch: »Ich danke dir sehr, dass du mir einen Fisch zu essen gegeben hast. Wenn du mit mir zu meinem alten Vater kommen willst, wird er dir auch danken. Es wird dein Schade nicht sein.«

Der Mann ging mit. Der Rabe flog durch die Luft, und der Mann folgte zu Fuss. Nachdem sie eine Zeitlang gegangen waren, kamen sie an ein grosses Haus. Dort angekommen, ging der Rabe hinein, und der Mann folgte ihm und als er aufblickte, erschien ihm der Rabe wie ein menschliches Wesen, obwohl es doch ein Rabe war. Auch war ein göttlicher alter Mann und eine göttliche alte Frau zugegen, ausser dem göttlichen Mädchen, welches den Mann hergeführt hatte. Der göttliche Alte sprach: »Ich bin dir sehr dankbar, dass du meiner Tochter Fische zu essen gegeben hast und da ich es bin, habe ich dich hierher kommen lassen, um dich zu belohnen.« So sprach der göttliche Alte.

Nun waren dort ein goldener Hund und ein silberner Hund. Beide erhielt der Mann zum Geschenk. Der göttliche Alte sprach zu ihm: »Ich sollte dir wohl eigentlich Schätze geben, aber das würde nutzlos sein. Wenn ich dir dagegen diese Hunde schenke, so wirst du grossen Gewinn davon haben, denn der eine von ihnen speit Gold, der andere Silber. Wenn du sie dann an Beamte verkaufst, wirst du ein reicher Mann werden, merke das wohl.« Der Mann grüsste respektvoll und empfahl sich. Die beiden Hunde nahm er mit nach Hause und gab ihnen immer nur wenig auf einmal zu fressen. So bekam er von dem einen Silber, von dem andern Gold, verkaufte das Metall und ward ein sehr reicher Mann.

Ein anderer wollte es ihm nachthun und warf gleichfalls sein Netz im Flusse aus. Auch er tötete eine Menge Fische. Darauf kam der Rabe. Der Mann beschmutzte einen Fisch mit Koth und warf ihn dann dem Raben zu, der mit ihm davonflog. Der Mann folgte ihm eine weite[11] Strecke Wegs und gelangte endlich an ein grosses Haus. Als er eintrat, war der göttliche Alte sehr zornig und sprach: »Du bist ein Mann von sehr bösem Herzen. Als du meiner Tochter einen Fisch gabst, hattest du ihn über und über mit Schmutz besudelt. Ich bin sehr zornig auf dich, aber obwohl ich zornig bin, will ich dir doch einige Hündchen schenken, da du doch einmal zu mir gekommen bist. Wenn du sie recht behandelst, wirst du Gewinn davon haben.« So sprach der göttliche Alte und gab ihm einen goldenen und einen silbernen Hund. Der Mann verbeugte sich und ging heim.

Er dachte nun bei sich, wenn ich die Hündchen reichlich füttere, werde ich reichlich Gold und Silber von ihnen bekommen. Es wäre ja thöricht, wenn ich immer nur wenig von ihnen erhalten wollte. So will ich es machen, damit ich reich werde. Und so fütterte er die Hunde reichlich mit allerlei Dingen, selbst mit Unrat. Da erhielt er aber kein Metall von ihnen, sondern nur Schmutz und Unrat, sodass sein ganzes Haus davon voll war. Der erste Mann dagegen, der die Hündchen von dem göttlichen Alten geschenkt bekommen hatte, fütterte sie nur mit gutem Futter und nur mit wenigem auf einmal, und so erhielt er Gold und Silber von ihnen und ward ein reicher Mann.

Wenn also in alten Zeiten die Menschen reich zu werden wünschten, so fand ihr Wunsch Erfüllung, wenn ihre Herzen gut waren, aber über die zahlreichen Missethaten der bösen Menschen wurden die Götter zornig. Daher erhielt der Mann selbst von einem goldenen Hund nichts als Unrat und sein Haus war voll davon, sodass niemand dasselbe betreten konnte. Daher, ihr Menschenkinder, seid nicht bösen Herzens. Das ist die Geschichte, die ich gehört habe.7

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Anthologie aus der asiatischen Volkslitteratur. Weimar: Verlag von Emil Felber, 1898, S. 10-12.
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