Der dumme Tempo.[44] 28

In einem Dorfe lebte ein junges glückliches Ehepaar. Die Frau war sehr klug und konnte lesen und schreiben; aber der Mann von von Natur etwas dumm, und die Leute nannten ihn den Tempo.A1 Eines Tages sagte die Frau zu dem Manne: Du sollst auch etwas arbeiten; siehe, ich habe für dich zwei Körbe und einen Stock besorgt, damit du von morgen an ein Fischkrämer wirst. Der Mann war[44] sehr froh und gleich damit einverstanden, weil er sonst alle Tage nichts zu thun hatte. Am nächsten Morgen stand die Frau auf und kaufte für ihren Mann allerlei Fische auf dem Markte. Mit diesen Fischen ging er auf den Handel und blieb den ganzen Tag draussen, doch verkaufte er keinen einzigen Fisch, weil er nur die einsamen Bergstrassen, wo keine Leute waren, aufsuchte. Endlich kam er zurück und erzählte sein trauriges Geschäft. Die kluge Frau merkte sofort aus seinen Erzählungen, dass er den ganzen Tag im Walde herumgelaufen war, und ermahnte ihn, dass er nicht solche einsame Wege aufsuchen, sondern möglichst dahin, wo viele Leute beisammen seien, gehen solle. Des anderen Tages ging der Mann wieder ermutigt an sein Geschäft. Er besuchte nun nur solche Orte, wo viel Menschen waren, und verkaufte auch einige Fische. Als er darüber sehr erfreut seines Weges zog, kam er zu einem Hausbrande. Da stand eine Menge Leute und spritzten das Wasser auf das Feuer. Der Fischmann hatte aber keine Ahnung, was überhaupt der Brand bedeute, und im Glauben, ein gutes Geschäft machen zu können, schrie er so laut wie er konnte: Sakana, Sakana, d.h. Fisch, Fisch! Die Leute, welche dastanden, wurden darüber sehr empört und schickten ihn mit Schlägen und Schimpfen fort. Weinend ging er nun zurück und erzählte seiner Frau sein Schicksal. Die Frau aber tröstete ihn freundlich und sagte: Wenn du ein anderes Mal wieder an eine solche Stelle kommst, so musst du zu den Leuten sagen: Ich helfe mit! Auf solche Weise machst du dich beliebt bei den Leuten.

Des anderen Tages ging Tempo wieder mit den Fischen aus und schrie: Sakana, Sakana! Endlich kam er ins Haus eines Schmiedes. Als er das auflodernde Feuer im Schmiedeofen erblickte, glaubte er, es sei ein Brand, und goss Eimer voll Wasser über den Ofen. Der Schmied fühlte sich natürlich bei dieser unerwarteten Hilfe nicht glücklich und dankte dafür dem Manne mit einigen Ohrfeigen. Tief betrübt ging der arme Tempo wieder nach Hause und[45] klagte es seiner Frau, die er dafür verantwortlich machte, denn er glaubte, er sei um ihrer verkehrten Belehrung willen so stark geschlagen worden. Sie redete aber wieder mit ihm sehr freundlich und machte es ihm klar, dass er heute den Schmied mit dem Brande verwechselt habe. Sie belehrte ihn weiter folgendermassen: Wenn du wieder in ein solches Haus gehest, so musst du den Leuten helfen und mit schlagen. In der Hoffnung, einmal doch die Sache recht zu machen und seiner Frau eine Freude machen zu können, ging er des anderen Morgens früh wieder mit den Fischen hausieren. Als er eine Strecke seines Weges gegangen, würde er eine Menge Leute vor einem Hause gewahr. Er hielt sich auch hier auf und guckte ins Haus. Es war da der Streit eines Ehepaares, und beide schlugen einander. Weil der brave Fischmann in seinem Leben noch nie selber eine solche Scene erlebt, glaubte er, es sei hier die Werkstatt eines Schmiedes. Eilend legte er seine Fischkörbe nieder und ging hinein. Er vergass die Lektion seiner Frau nicht und schlug die zankenden Eheleute, so viel wie er konnte, indem er sagte: Ich helfe ihnen und schlage mit! Natürlich wurden die beiden sehr böse auf ihn und schlugen ihn, dass er kaum mehr aufstehen konnte. Als er nach Hause zurückkam und seiner Frau wiedererzählte, wie es ihm heute ergangen, versäumte sie es trotzdem nicht, ihn mit freundlichen Worten zu trösten, sodass er wieder am nächsten Tage ermutigt zum letztenmale in sein Geschäft ging. Sie ermahnte ihn recht bei seinem Ausgehen und sagte: Falls du heute wieder solchen zankenden Leuten wie gestern begegnest, darfst du sie ja nicht schlagen, sondern musst dazwischentreten und freundlich sagen: Machet doch Frieden und tröstet euch wieder! Da diese Worte ihm zu lang waren, ging er, dieselben wiederholt aussprechend, dahin. Da sah er, wie zwei Ochsen gegeneinander mit ihren Hörnern stiessen. Er hielt das für den Streit der Eheleute. Schreiend: Machet doch Frieden und tröstet euch wieder! trat er zwischen die[46] beiden Ochsen. Da dieselben sehr wütend waren, stiessen sie ihn gleich tot. Dies war das Ende des dummen Tempo.

Fußnoten

A1 Tempo ist eine Bronzemünze, die bis vor 20 Jahren in allgemeiner Geltung stand, und hatte den Wert von 8/10 Jen, es fehlten also noch 2/10 bis zu einem Jen. Man nennt deshalb diejenigen Leute, welche nicht ganz normal sind, Tempo.


Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Anthologie aus der asiatischen Volkslitteratur. Weimar: Verlag von Emil Felber, 1898, S. 47.
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