I.
Eine türkische Waltharisage.[71] 42

Als noch Derebeje (Tal-Beje) in den einzelnen Ländern Kleinasiens herrschten, ertönten schon die Lieder von Körolu dem gefürchteten Helden der Umgegend von Bolu.

Berühmt durch seine Strenge war der damalige Derebej von Bolu: er besteuerte nicht nur seine Leute, sondern auch die Fremden, die durch seine Lande zogen. Besonders erschienen viele Pferdehändler in den Thälern von Bolu und lösten ihre Wegsteuer, die ihnen der Derebej auferlegte, durch je ein Ross ab.

Es zog einmal eine Karawane über Bolus gesegnete Fluren und wie es der Brauch erheischte, meldete sie sich bei Bej wegen der Besteuerung. Der Bej hatte einen geschickten Stallmeister, er sandte diesen zur Karawane, damit er ein Pferd auswähle. Dieser wählte sich denn auch eines der schönsten aus, bestieg es und als er die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, erschrak das Ross so sehr vor dem dortigen »Hyazinthen-Brunnen«, dass es keinen Schritt mehr nach vor wärts machen wollte. Er liess es zurück und wählte sich ein anderes Ross; aber auch dieses wollte nicht über diesen Ort hinüber.[71]

Die Pferdehändler hatten ein schauerlich mageres Pferd bei sich, so mager, wie das Laub im Herbste. Dies wählte sich nun der Stallmeister, bestieg es und gelangte am »Hyazinthen-Brunnen« vorbei glücklich zum Konak des Bej. Aber kaum, dass der Bej den elenden Gaul erblickt hatte, so rief er ausser sich vor Galle: »Ergreift diesen Schurken! stecht ihm beide Augen aus und setzt ihn auf jenen Gaul, den er so lieb gewonnen hat!« Die Leute vollzogen seinen Befehl und der arme Blinde kam aus dem Konak des Bej heraus – mit seinem Haus auf dem Rücken, mit dem Brot auf der Brust. »O grosser Allah!« flehte der arme Mann, »zeige mir den rechten Weg, führe mich in mein Dorf, zu meiner Gattin und meinem einzigen Kinde!« Klein war noch sein Kind, als er seine Heimat verliess und in den Dienst trat, aber zehn bis fünfzehn Jahre waren seither verflossen, und aus dem Kindlein war ein kräftiger Jüngling geworden, der selbst Bäume entwurzeln konnte.

Allah erhörte das Flehen des blinden Stallmeisters und eines Tages kam er in seinem Dorfe an, obwohl er nicht einmal den Zaum des Pferdes zu ergreifen imstande war. Vater und Sohn küssten einander die Hände und Augen und lebten nun einige Monate hin durch ohne Sorgen.

Sprach eines Tages der Stallmeister zu seinem Sohne: »Den ganzen Stall, sein Dach, seine Wände, seinen Boden überziehe du so mit Fellen, dass nicht der geringste Windhauch hereindringen kann; jenes magere Pferd aber pflege darin ein ganzes Jahr lang«. Das Jahr verging und da sprach er: »Drei Tage und drei Nächte lang begiesse in einemfort den Hof so, dass überall Kot zu finden sei.« Der Sohn befolgte des Vaters Worte und die Umgebung des Hauses verwandelte sich in einen solchen Sumpf, dass der Mensch bis an die Hüften darin versank. Er liess nun seinen Sohn das Pferd besteigen und zwei-, dreimal den Hof umreiten. Der Sohn stieg vom Pferde und der Stallmeister befühlte die Hufe des Tieres und fand daran nur wenig Kot haften. »Du musst das Pferd noch ein Jahr[72] lang pflegen«, sprach er zu seinem Sohne. Nach Ablauf des zweiten Jahres liess er den Hof noch mehr begiessen, so dass kein Mensch dort gehen konnte. Er liess nun seinen Sohn den Hof abermals umreiten, und als er die Hufe des Pferdes anfühlte, so fand er daran keinen Kot. Er sprach: »Nun mein Sohn, Allah sei dein Beschützer und Körolu (Sohn des Blinden) sei dein Name. Gehe in die weite Welt. Dein Weg führe dich in die Stadt Bolu, dort suche mein Augenlicht bei jenem Derebej.« Hierauf segnete er seinen Sohn und liess ihn weiterziehen.

Dem Konak des Derebej gegenüber befand sich ein Hügel, den man Tschamlibel hiess. Dort machte sich Körolu ansässig, dort schlug er sein Zelt auf. Aber wehe den Bewohnern von Bolu, ob sie nun alt oder jung, ob sie Weib oder Mann, die den Weg in seine Nähe führte! Er vernichtete Alle und ward auf diese Weise der Schrecken der ganzen Umgegend von Bolu, so dass Jedermann dieses Gebiet floh. Hatte er nichts zu thun, so sammelte er Felsblöcke, legte sie über einander und erbaute sich so die berghohe Burg auf dem Tschamlibel. Vierzig Arschin (Ellen) hoch ist dieselbe, drei Säle fasst sie in sich; ihre Wände sind drei Arschin dick und ist mit einem Turm versehen, von welchem er die Wanderer beobachten konnte.

Kurden liessen sich eines Tages auf der grossen Ebene von Bolu nieder; sie kamen hin mit ihren Familien und Kindern. Als Körolu aus seiner Burg hinausblickte, bemerkte er eine Maid vor einem Zelte und kaum bedacht, sass er schon auf seinem Pferde, jagte hin zum kürdischen Zelte und verlangte die Maid zur Frau von ihrem Vater. Der Kürde erkannte sogleich den berühmten Räuber und suchte ihn zu überreden, dass eine Frau für ihn nicht passe, dass ein Weib ihm nur Unheil in die Burg bringe. Er möge sich lieber einen Kameraden halten, mit dem er ausreiten könne und von dem er einen Nutzen hätte. »Aber wenn ich keinen habe« meinte Körolu, »was soll ich machen!« Der Kürde wollte ihn aber nur vom Halse schütteln und[73] gab ihm den Bat: »In Stambul ist ein Fleischer, der hat einen Sohn, namens Ajvas; sein Gesicht ist schön, wie der Mond, seine Augenbrauen bogengeschweift, sein Haar gleicht Hyazinthen, sein Muttermal einer Erbsenblüte.« Er redet ihm zu, diesen Jungen zu rauben, er giebt ihm auch Schafe mit auf den Markt und schickt also Körolu zum Fleischer.

In Üszküdar trieb er die Schafe zu Markte, wohin auch der Fleischer mit seinem Sohne kam. Während der Vater die Schafe besieht, hebt der Räuber den Sohn auf sein Pferd und fliegt mit demselben windschnell von dannen. Der Junge weint unterwegs und sehnt sich zu seinem Vater zurück. Aber Körolu, der nicht nur das Schwert, sondern auch die Laute zu handhaben verstand, tröstete also seinen Gefährten:


»Deine Mutter hat geboren

Dich für mich,

Einen Shwal aus Lahore band

Sie um dich,

Und mit einer Mütze schmückte

Sie nun dich!

Wein' nicht, klag' nicht Bagdads Sprosse

Nicht vermehr' mein Leid, Genosse!«


Inzwischen brachte der Fleischer seine Klage bei der Behörde ein und man erfuhr, dass Körolu der Knabenräuber sei. Diesen könnte nur Timurlenks Sohn, der Araber Kenan besiegen, dachte bei sich der Pascha der Stadt und schickte ihm den Araber nach, damit dieser mit ihm fertig werde. Die beiden Helden stehen sich gegenüber. Aber siehe da! statt zum Schwerte, greifen sie zur Laute und Körolu beginnt also den Kampf:


»Sei, Araber, mein Gefährte,

Nicht bekämpf' mich mit dem Schwerte!

Mag mein Handschar Grab nicht graben,

Schon' mein Leben, Timurlenks-Sohn!«


Der Araber schliesst nun mit ihm also ewige Freundschaft:
[74]

»Ein Krieger und ein Held ich bin,

Mein Ruhm strahlt bis zum Himmel hin.

Mein Schwert soll keine Wunde ziehn,

Reich' mir die Hand, Held Körolu!«


Das Bündnis kam also zustande und die drei kehrten heim nach Tschamlibel, nach Körolus berühmter Räuberburg. Noch viel grössere Schrecken verbreiteten sie von nun an in der Umgebung, und reichlich war die Rache für des Derebejs Tyrannei und des Vaters Blendung.


»Vom Hengstewiehern, Feinderöcheln

Erzittert das Firmament;

Der Schaum der Rosse, der Feinde Bluten

Füllte Bäche, Ströme ohne End';

Vom Lanzenrauschen, Speeresausen

Ertönt das hohe Berggeländ'!«


Ziellos machte sich einmal Körolu auf den Weg. Er gelangte zu einer Stadt, und wie er bei einer Quelle Rast hält, erblickte er in der Nähe eine Maid. Sie schöpfte Wasser in ihren Krug und war so wunderschön, dass Körolus Blicke an ihr sich minutenlang weideten. Aber kaum bemerkte sie den Jüngling, so hüllte sie ihr Gesicht in den Schleier und eilte mit ihrem Kruge heimwärts. Körolu folgte ihr nach und als er an der Thüre pochte, fragte die Maid: wer da sei, wer da poche? »Nehmt mich als Allahs Gast auf,« bat Körolu, »lasst mich auf eurer Schwelle kauern!« Die Maid meldete dies ihrem Vater und die Thüre öffnete sich ihm.

Der Jüngling setzte sich in einer Ecke nieder, kroch von da die Stiege empor bis zur Stubenthüre und blickte fortwährend auf die Maid, deren Herz beim Anblick des Burschen lauter zu pochen begann. Taub waren die Eltern der Maid und sassen mit dem Rücken gegen die Thüre gekehrt; sie bemerkten den Jüngling nicht. Körolu lässt seine Laute ertönen und flüstert dies Lied der sich verhüllenden Maid zu:
[75]

»Nicht verhüll' den zarten Körper dein,

Lass umarmen mich den Busen dein,

Lass mich küssen die Augen dein –

Herzräuberin hab' mit mir Erbarmen!

Wilder Held, Körolu, nennt man mich

Nähr' mit Honig, Milch, o Liebchen, dich.

Einen Helden du gebär' für mich.

Herzräuberin, hab' mit mir Erbarmen!«


Er trat nun vor den Vater der Maid hin, küsste ihm die Hand und verlangte die Maid zur Frau. »Wenn dies Allahs Befehl ist,« meinte der Alte, »so geschehe es!« Am nächsten Tage berief er die Nachbarn zu sich, die Hochzeit wird abgehalten und Serbet getrunken. Sein Pferd stellt Körolu in den Stall neben die Stute des Alten.

Schon am nächsten Tage macht sich Körolu auf den Weg und spricht zu seiner Frau also: »Wenn dich der mächtige Allah mit einem Knaben segnet, so gieb ihm den Namen Hassan, und wenn eure Stute ein Junges zur Welt bringt, so nennt es Idisch.« Dann überreichte er seiner Frau einen Schwertgurt und eine Gerte und sprach: »Diesen Schwertgurt binde deinem Sohne um den Leib, lass ihn sein Idisch-Ross besteigen, gieb ihm die Gerte in die Hand, und so lass ihn dann seinen Vater aufsuchen!« Hierauf ritt er von dannen und verschwand, als ob er nie im Dorfe gewesen wäre.

In Tschamlibel waren die drei wieder beisammen. Eines Tages fiel es dem Körolu ein, dass sich der Garten des Derebej von Bolu in der Nähe befinde; er wollte sich nun die schönste Blume pflücken. Schon am nächsten Tage machte sich Kenan und Ajvas auf den Weg, schlichen in den Garten hinein; doch als sie eben die Blume pflücken wollten, wurden sie von den Leuten des Derebej überrascht und gefangen genommen. Sie wurden nur so begnadigt, dass Körolu sein Ross für sie hingab. Körolu löste sie also aus, die Kameraden waren wieder beisammen, aber ach es fehlte das Zauberross.[76]

Die Leute des Derebej konnten mit dem Ross gar nichts anfangen; es schlug aus, bäumte sich, so dass Niemand in seiner Nähe verweilen konnte. Selbst für schweres Geld konnte man Niemanden finden, der die Pflege des Rosses übernehmen wollte. Man sperrte es in einen Stall ein und gab ihm durch ein Dachloch zu fressen und zu trinken. Körolu hörte davon, zog sich als Pferdeknecht an und lässt sich vom Derebej zum Rosse eindingen. Man führte ihn in den Stall und kaum, dass der Herr dem Rosse sich näherte, so geberdete es sich wie ausgetauscht. Es ist sanft wie ein Lamm und lässt sich streicheln. Sogleich erkennt man Körolu, fesselt ihn und macht jeden Tag einen Schnitt in seinen Rücken, in dem man jedesmal eine Kerze zu Ende brennen lässt. Vergeblich leugnet er, dass er Körolu sei, – man glaubt ihm nicht. Nachdem ihm also das Leugnen nichts hilft, so wendet er sich zur List. Er lässt dem Bej sagen, dass das Pferd zu Grunde gehen werde, wenn man es nicht spazieren führe. Man müsse auf dem Rosse den Hof umreiten, und wenn man ihm nicht traue, so solle man das Thor abschliessen, ihm die Füsse fesseln und also das Ross besteigen lassen. Dem Bej that es um das seltene Ross leid, aber auch dem Körolu schenkte er kein Vertrauen. Er lässt daher eines Tages das Thor absperren, den Körolu an Händen und Füssen fesseln und ihn also das Ross besteigen. Körolu umreitet den Hof einigemal und flüstert dann dem Rosse ins Ohr:


»Mein Ross, jetzt zeige deine Kunst,

Übers hohe Thor spring' hin im Nu,

Dem Pass von Kis-Derbend führ' mich zu,

Am Hyazinthen-Brunnen lass' halten uns Ruh!

Mein Ross, mein Erbteil, meine Zier,

Man schnitt und sengte den Rücken mir;

Der Stern von Deiner Stirne blinkt mir zu,

Du Bej von Bolu, ich bin der Körolu!«


Einen furchtbaren Sprung machte das Ross und setzte über das hohe Thor hinüber, als ob der Wind es getragen[77] hätte. Sie erreichten Kis-Derbend, tranken aus dem »Hyazinthen-Brunnen«, und abends waren sie alle beisammen im Tschamlibel.

Doch lasst uns seine Frau besuchen: die Eintagsgattin. Allah bewirkt Wunder, und nach neun Monaten und zehn Tagen gebar die Frau ihren Sohn Hassan, die Stute aber brachte das Füllen Idisch zur Welt. Tage kamen. Tage vergingen, zum Jüngling wuchs der Knabe heran. Ein Pir (Geist) erscheint ihm einmal im Traume und zeigt ihm eine Maid, die Tochter Benli eines Derebejs namens Karavesir (Kara = Führer). Er teilt dem Jüngling mit, dass man seinen Vater Körolu heisse und derselbe ihm einen Schwertgurt und eine Gerte zurückgelassen habe; er redete ihm zu Herzen, dass er den Körolu im Tschamlibel besuchen solle, dort in Bolus Umgegend und erst dann zu seiner Geliebten Benli reise. In derselben Nacht hat auch die Maid einen Traum; ihr zeigt der gute Pir den Hassan.

Kaum, dass der Jüngling erwachte, so brannte in seinem Busen der Liebe Glut; er eilte hin zu seiner Mutter und lockt ihr das Geheimnis ab. Vergeblich möcht ihn die Mutter zurückhalten, aber sie hat nicht die Kraft dazu. Sie übergiebt ihm also den Schwertgurt und die Gerte, der Sohn besteigt das Ross Idisch und fliegt der Burg auf Tschamlibel, seinem Vater zu.

In der Burg dauert das lustige Leben an. Einmal blickte Ajvas hinab auf die Landstrasse und bemerkte den jungen Reiter und fand an dessen Rosse Gefallen. Er meldete die Beute dem Körolu und sagte ihm, dass dies Ross dem seinen gleiche. »Nehmt es ihm ab!« sprach der Held, »wenn ihr so grossen Gefallen daran findet.« Hassan gelangte inzwischen vor die Burg und Ajvas sang ihm also zu:


»Wohin kamst du, o Kind, denn hin?

Was steckt dir, Bürschlein, in dem Sinn?

Wohin führt dich, sprich, diese Strasse?

Dein braunes Ross mir überlasse!«[78]


Zorn erfüllt das Herz des Jünglings, und er antwortet also dem Ajvas:


»Wohin ich kam, ich Kindlein, hin?

Was mir, dem Kind, steckt in dem Sinn?

Nicht folg' mir nach auf meiner Strasse

Mein Idisch-Ross ich dir nicht lasse!«


Besänftigend spricht zu ihm Ajvas:


»O Kind, befolg' das Friedenswort,

Nicht lass den Frieden von dir fort;

Musst zahl'n mir hier das Wegegeld,

Gieb her das Ross, das mir gefällt!«


Erbost antwortet nun der Jüngling:


»Mein Weg hier diese Richtung hat,

Der Worte dein bin ich schon satt;

Dein Leben für das Leben mein!

Nie wird mein Idisch dir eigen sein!«


Körolu ward über die Kühnheit des Jünglings erbost und wollte ihn also erschrecken:


»Mein Name ist: Held Körolu.

Ich trink' dein Blut du, Junge, du;

Ich stampf' und mache dich zu Brei, –

Gieb her dein Ross mir frank und frei!«


Doch kaum hörte Hassan den Namen seines Vaters, so sprang er vom Rosse herab und rief zur Burg hinauf:


»Ein Löwe hat nur Löwen

Zu Nachkommen.

Ein Tiger hat nur Tiger

Zu Nachkommen:

Bist du der Held, weitberühmt

Der Körolu:

Bin ich dem wilden Körolu

Der Nachkomme!«


Grosse Freude herrschte nun in der Burg, Sie umarmten und küssten einander, sie führten den Jüngling hinaus[79] in die Burg und machten einige Tage nichts anderes, als dass sie einander anblickten.

Aber das Bild der Maid schwebte stets vor der Seele des Jünglings, und durch der Liebe Glut siechte sein Körper dahin. Er erzählte seinem Vater den Traum und bat ihn, dass er ihm erlaube, seine geliebte Benli abzuholen. Als Körolu den Namen »Kara-Führer« hört, erschrickt er und sucht seinem Sohne diese Liebe auszureden. Zahlloses Militär besitzt dieser Derebej und auch sechs solche Söhne, von denen ein jeder mit tausend Männern den Kampf aufnimmt. Doch seine Worte finden beim Sohne kein Gehör, der bei seinem Vorsatze bleibt. Schliesslich willigt er ein und reisst sich drei Haare vom Haupte, die er dem Sohne mit den Worten überreicht: »Wenn du in grosse Gefahr gerätst, so verbrenne ein Haar43, ich werde dies dann fühlen und dir zu Hilfe eilen.« Hassan stieg auf sein Ross und nach Art der Leute, die zu sagen pflegen: »Dies ist mein dies ist dein« (d.h. nach Räuberart) gelangte er in die Stadt des Kara-Führers und stieg in einem Karavan-Seraj ab.

Er ging nun vor dem Konak des Derebej auf und ab, und zerbrach seinen Kopf, wie er zur Maid hineingelangen könne. Benli indessen litt auch an der Liebe, und als sie eines Tages zum Fenster hinausblickte, bemerkte sie den Jüngling, den sie im Traume gesehen hatte. Voll Freude war nun die Maid, dass sie bald in seinen Armen liegen werde, aber auch voll Furcht, dass man sie entdecken könnte. Es sprach die Maid zu ihm:


»Nicht blick' empor voll Liebesglühn,

Vergeblich ist ja dein Bemühn;

Man fesselt dich, nimmt man dich wahr.

Im Kerker bleicht alsdann dein Haar.«


Kummervoll antwortet der Jüngling:


»Hat mich die Liebe hergetrieben,

Könnt' ich vergessen meine Lieben?

So mag ich immerhin denn sterben

O süsser Traum, ich mag verderben.«[80]


Voll Bangen macht ihn die Maid abermals auf die grosse Gefahr, die ihm droht, aufmerksam:


»Mein Vater ist der Fürst Kara,

Weh deiner, wenn er kommt dir nach!

Die Liebe dein wirst du bereun,

Wirst deiner Lieb' dich nimmer freun!«


Nicht schrickt Körolu's Sohn zurück und beruft sich auf seinen Traum, der ihm als Kismet (Schicksal, Los) die Maid erwählt hat:


»Nicht treibt mich ja der Wille mein,

Es ist, o Maid, das Traumbild dein;

Ich bin ein Kind, ein Jüngling nur:

Der Pir zeigt dich mir, diese Flur!«


Die Maid kann ihrer Liebe nicht wiederstehen und da sie in ihm ihr Kismet erkennt, bricht also das Gefühl aus ihr hervor:


»O du mein Lieb, du Löwe mein,

Mein Effendi, du Sultan mein,

Ja, ich bin deines Traumes Bild,

Ich bin die Benli, fromm und mild!«


Sie besprachen nun ihre Flucht aus der Stadt. Abends sollte sie vor dem Burggarten der Jüngling mit seinem Rosse erwarten. Als die Maid zur bestimmten Zeit erschien, lag Hassan, vom langen Ritt ermüdet, in tiefem Schlafe. Seine Liebste suchte ihn durch Gesang aufzuwecken, aber vergeblich war ihr Bemühn. Schon wollte sie kummervoll zurückkehren, als das Ross wieherte und Hassan erwachte. Rasch hob er die Maid in den Sattel, und fort ging es aus der Stadt, der Burg auf Tschamlibel zu. Drei Tage und drei Nächte lang ritten sie in einem fort, ohne nach rückwärts zu blicken. Am dritten Tage war Hassan so erschöpft, dass, als sie East hielten, er auf den Knieen der Maid einschlief.

Aber was erblickten nun bald die Augen der armen Benli: Eine grosse Staubwolke schwebte gen Himmel und[81] als diese sich lichtete, da bemerkte Benli ihren Vater und ihre sechs Brüder im Gefolge von zweitausend Reitern. Erschreckt begann die Maid zu weinen, und als eine Thräne auf Hassans Rosenantlitz fiel, so erwachte er und fragte nach dem Grunde ihrer Thränen. Die Maid wies auf die grosse Schar hin, auf ihren Vater und ihre Brüder, und seufzte dabei so traurig, dass sie den grossen Spiegel der Welt damit schwarz überzog. Hassan sprang auf, verbarg die Maid im Walde, bestieg sein Ross und erwartete also die Krieger.

Zuerst sprengte der älteste der sechs Brüder an Hassan heran, und als ihre Schilde zusammenstiessen, schlug eine Flamme aus dem Stahle hervor. Bald greifen sie zur Lanze, und als sie mit dieser nichts ausrichten können, ziehen sie beide die Schwerter. Hassan stürmt auf den Jüngling los, fasst ihn um den Leib und presst ihn so gewaltig zusammen, dass das Schwert der Hand des Jünglings entfällt. Dann ergreift er die Lanze und streckt seinen Gegner nieder. Bald stürmt der zweite Bruder heran, dann der dritte – und alle besiegt Hassan, nur die Nacht machte diesem furchtbaren Kampfe ein Ende. Mit sieben blutenden Wunden bedeckt, kehrte der Jüngling zu seiner Benli zurück. Die Maid verband ihm die Wunden, und sie zogen sich dann in eine Höhle zurück, die sich hinter dem Walde befand.

Früh morgens sprengten die vielen Reiter vor die Höhle, und Hassan stürmte wieder heran; bis in die Nacht dauerte der Kampf. Der Jüngling war schon sehr erschöpft, es brannten ihn so sehr die zwölf Wunden, dass er vom Rosse nicht herabsteigen konnte. Die Maid half ihm herab, und als sie ihm die Wunden verband, weinte sie blutige Thränen. In der Frühe öffnete der Kranke seine trüben Augen und bat die weinende Benli, sie möge ihn ihrem Vater ausliefern, damit dieser seine Tochter schone. Die Maid aber wollte davon nichts wissen, sondern ergriff das Schwert und stellte sich vor den Eingang der Höhle, damit sie ihren Liebsten verteidige. Der Vater suchte sie zuerst[82] mit schönen Worten an sich zu locken und versprach ihr alles mögliche, wenn sie den Jüngling verlasse. Vergeblich, die Maid stand von ihrem Vorhaben nicht ab. Dann liess er seine Krieger losstürmen, aber des Bejs Tochter hieb mit dem Schwerte so gewaltig um sich, dass sie grossen Schaden in den Reihen der Krieger anrichtete. Wieder machte erst die Nacht dem Kampfe ein Ende.

Aber wehe, auch Benlis Kraft nahm ab, und nun konnten Beide nicht mehr Stand halten. In der Höhle musste sie nun ihre eigenen Wunden verbinden, und als Hassan ein wenig zu Bewusstsein kam, erinnerte er sich der drei Haare, die ihm sein Vater gegeben hatte. Er liess von Benli eines derselben sofort verbrennen.

Zu derselben Zeit fühlte Körolu solch heftigen Schmerz im Körper, als ob man ihn mit Feuer sengen würde. Er fühlt, dass sein Sohn in Gefahr sich befindet, dass Hilfe nötig ist. Eilig besteigt er sein Ross und befiehlt seinen beiden Kameraden, dass sie einige hundert starkbeschildete, krummsäblige, rotbestiefelte und löwenherzige Männer auswählen und ihm rasch nachfolgen sollten. Er sprengte auf dem Ross eilig dahin, dass dasselbe bald mit Blutschaum bedeckt war. Er gelangte hin zum Walde, wo der Kampf getobt hatte, und als er die vielen Krieger erblickte, wusste er, warum es sich handele, und mit schwerem Herzen näherte er sich der Höhle, wo sein blutbedecktes Kind lag. Dort stand die Maid vor dem Eingange der Höhle und liess den Körolu erst dann hinein, als sie seine Absicht erfahren hatte. Bewusstlos lag dort der arme Hassan, auf einen Augenblick öffnete er die Augen, als er die Stimme seines Vaters vernahm, schloss sie aber rasch wieder. Mit der Salbe, die der Vater mit sich gebracht hatte, verband er die Wunden seines Sohnes und der Maid.

In der Morgendämmerung langten auch Ajvas und Kenan mit tausend Reitern an, sie umzingelten die Höhle und ein solch grosser Kampf entstand mit den Kriegern des Derebej, dass das Blut in Strömen floss. Von drei Seiten griffen sie[83] die Leute des Bej an, und kaum verbreitete sich die Kunde, dass Körolu an der Spitze der Schar stehe, nahm der Kampf, ein Ende. Der schwarze Führer ging dort auch beinahe zu Grunde und verliess mit seinen verwundeten Söhnen die Krieger und den Kampfplatz. In der kommenden Nacht entflohen alle, und als am Morgen Körolu ausblickte, so bemerkte er nur seine eigenen Leute.

Er trat nun an seinen Sohn heran, hüllte ihn in Gewänder ein, und damit er Benlis Treue erprobe, sagte er ihr dass Hassan ohnehin sterben werde, sie möge seine Gattin werden. »Ich lebe nur so lange als Haszan lebt,« versetzte die Maid und sank auf den geliebten Kranken hin. Nun sprach ihr Körolu Trost ein, teilte ihr mit, dass er sie nur erproben wollte; nach zehn Tagen werde sein Sohn gesunden, und dann würden sie ewig einander angehören. Bald machten sie sich auf den Weg nach Tschamlibel und als sie dort anlangten, war Hassan ihre einzige Sorge. Nach zehn Tagen ward er gesund und so weit hergestellt, dass sie alle in die Stadt zu Hassans Mutter ziehen konnten. Gross war die Freude der armen Frau, als sie ihren Gatten und ihren Sohn wiedersah.

Die Hochzeit wurde dort abgehalten, und vierzig Tage und vierzig Nächte dauerte das Festmahl an. Körolu kehrte wieder in seine Burg zurück und brachte sein Leben teils in der Stadt, teils in Tschamlibel zu.

Aber noch in seinen letzten Lebenstagen machte er noch einmal Kleinasiens Welt erbeben, und auch noch heutigen Tages ertönt sein Lied:


»Auf Bergesspitzen hoch

Liegt Schnee auf einer Seite,

Und Winter auf and'rer Seite;


So bebt im Munde mein,

Die Zung' auf einer Seite,

Die Zähne auf and'rer Seite;


Es blitzt mein Schwert, es fällt

Der Kopf auf eine Seite,

Der Rumpf auf andere Seite!«

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Anthologie aus der asiatischen Volkslitteratur. Weimar: Verlag von Emil Felber, 1898, S. 71-84.
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