II. Das Ende der Welt.[165] 99

1) Nach Teleutischer Überlieferung.


Wenn das Ende der Welt gekommen sein wird,

Wird der Himmel von Eisen sein.

Die Erde wird von Kupfer sein;

Ein Fürst wird auf den andern erzürnt sein:

Ein Volk wird dem andern Übles zusinnen;

Der harte Stein wird zerbrechen;

Das harte Holz wird krachen:

Der Mensch wird eine Spanne lang werden;

Der Mann wird einen Daumen lang sein;

Des Mannes Zügel wird kurz sein;

Was nicht ein Napf ist, wird Herr sein;

Der Vater wird sein Kind nicht kennen;

Das Kind wird den Vater nicht kennen.

Knoblauch wird auf dem Kopfe wachsen;

Gold, so gross wie ein Pferdekopf,

Wird keinen Napf Speise wert sein;

Unter den Füssen wird das Gold hervorkommen,

Aber niemand wird da sein, um es zu nehmen.


2) Nach Altaischer Überlieferung.


Wenn das Ende der Welt gekommen ist,

Wird die schwarze Erde in Feuer brennen;

Kairakan, Gott der Vater,

Wird sich die Ohren zuhalten.

Zu jener Zeit wird das Land vernichtet werden,

Land und Saat werden vernichtet werden;

Des Aufrührers mächtige Stimme

Wird den Menschen erfreuen.[165]

Die Sumpfhügel werden schwanken;

Des eisernen Steigbügels Boden wird durchlöchert werden;

Der Nadel Öhr wird zerspalten;

Das Volksgedränge wird vernichtet werden;

Der schwarze Wurm wird Flügel bekommen;

Zum schwarzen Auge wird das Blut strömen;

Das Quellenwasser wird mit Blut fliessen;

Das Land wird dröhnen, die Berge sich herumdrehen;

Die Abhänge werden einstürzen;

Der Himmel wird erzittern;

Das Meer wird Wellen schlagen;

Das Land wird sich umwenden und die Oberfläche wird nach unten stehen;

Das Moos wird herausgerissen werden und Asche werden;

Der Himmel wird in Bewegung geraten, eine Naht wird sich öffnen;

Das Meer wird Wellen schlagen und der Grund zu sehen sein;

Auf dem Boden des Meeres

Werden neun getrennte schwarze Steine

An neun Stellen zerbrechen;

Wenn sie an neun Stellen zerbrochen,

Werden neun mit Reifen versehene Kasten hervorkommen,

Neun Männer mit eisernen Pferden werden hervorkommen aus diesen,

Zwei von ihnen werden ihre Führer sein,

Die Reitpferde derselben

Sind grimmige, hochgelbe (Pferde) ......

Die Vorderfüsse derselben sind mit Schwertern versehen,

Der Schweif hinten mit einer Lanze versehen;

Wenn sie auf Bäume stossen,

So vernichten sie die Bäume,

Wenn sie auf lebende Wesen stossen,

So vernichten sie die lebenden Wesen;[166]

Das Volk wird keine Ruhe haben;

Sonne und Mond werden keinen Glanz haben;

Die Bäume werden bei den Wurzeln herausgerissen werden;

Der Vater wird von seinem Kinde getrennt werden;

Die Pflanzen werden vernichtet werden,

Ihr Same wird zu Ende gehen.

Die Mutter wird sich von dem ihr Liebsten trennen;

Ohne Mann wird sie sein;

Auf der Erde wird das Kraut Köngül hervorwachsen;

Aus dem Kraute werden Heuschrecken hervorkommen;

Wenn sie auf Vieh treffen,

Werden sie das Vieh vernichten;

Wenn sie auf Menschen treffen,

Werden sie den Menschen vernichten;

Zu dieser Zeit wird Schal-Jime rufen:

»Sieh her, Mandy-Schire,

Leiste mir einmal Hilfe.

Zu dem Kraute Köngül

Reicht meine Hand nicht;

Des Krautes Köngül Wurzel

Ist eine gelbbraune Schlange.«

Mandy-Schire schweigt,

Da dies nicht hilft, wird Schal-Jime rufen:

»Der grosse Fürst hat sein Volk verlassen,

Der gute Hengst hat seine Heerde verlassen;

Das Ufer ist eingestürzt, das Wasser ausgetrocknet;

Der mit Kragen versehene Pelz ist abgetragen,

Sein Kragen ist zerrissen;

Das beherrschte Volk

Ist ohne Gesetz geblieben;

Die Welt ist ohne Leben;

Per Vogel, der sein Nest hat,

Hat sein Nest verlassen;

Der Hirsch, der einen Standort hat,

Hat seinen Standort verlassen;[167]

Das Weib, das da Kinder hat,

Hat seine Kinder verlassen.«

Mai-Tere aber wird schweigen.

Darauf des Erlik Helden

Karasch und Kerei

Werden aus der Erde emporsteigen,

Wenn sie aus der Erde emporgestiegen sind

Werden des Ülgän Helden.

Mandy-Schire und Mai-Tere,

Um mit jenen zu kämpfen,

Vom Himmel herabsteigen;

Vom Blute des Mai-Tere

Wird die Erde im Feuer brennen,

So wird das Ende der Welt sein!

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Anthologie aus der asiatischen Volkslitteratur. Weimar: Verlag von Emil Felber, 1898, S. 165-168.
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