13. Wie Du mir, so ich Dir.
13. Wie Du mir, so ich Dir

[233] Es war einmal ein Kameel, das war sehr befreundet mit einem Schakal. Eines Tages sagte der Schakal zum Kameel: »Ich weiß, daß an dem jenseitigen Ufer des Flusses ein schönes Zuckerrohrfeld liegt. Willst Du mich hinübertragen, dann will ich Dir den Ort zeigen. Ich denke dieser Plan ist Dir ebenso erwünscht, wie mir. Du wirst im Zuckerrohr schwelgen, und ich finde dort am Ufer sicher viele Krabben, Gräten und kleine Fische und verschaffe mir auf diese Weise ebenfalls ein gutes Mittagsmahl.«

Das Kameel willigte ein, schwamm durch den Fluß und nahm den Schakal, der nicht schwimmen konnte, auf den Rücken. Sobald sie das jenseitige Ufer erreicht hatten, fing das Kameel an Zuckerrohr zu fressen. Der Schakal aber lief am Flusse auf und nieder und verschlang alle Krabben, kleinen Fische und Gräten, die er finden konnte.

Aber da er ein viel kleineres Thier war, hatte er bereits[234] eine vorzüglich wohlschmeckende Mahlzeit gehalten, ehe das Kameel drei oder vier Mund voll gefressen hatte. – Kaum hatte er sich satt gefressen, so rannte er laut heulend und jaulend um das Zuckerrohrfeld.

Die Dorfbewohner hörten ihn und dachten: »Im Zuckerrohr ist ein Schakal, der wird Löcher in die Erde graben und uns die Pflanzenwurzeln verderben.« – Und dann machten sie sich auf den Weg, um ihn wegzujagen. Doch als sie daselbst ankamen, fanden sie zu ihrer großen Ueberraschung nicht nur einen Schakal, sondern auch ein Kameel, das von ihrem Zuckerrohr fraß. Dies versetzte sie in großen Zorn, sie fingen das arme Kameel, jagten es aus dem Felde und schlugen es, bis es halb todt war.

Als sie fort waren, sprach der Schakal zu dem Kameel: »Wir wollen jetzt lieber nach Hause gehen.« »Gut«, erwiderte das Kameel, »steige wie vorhin auf meinen Rücken.«

Der Schakal setzte sich also wieder auf das Kameel, und dieses durchkreuzte abermals den Fluß. Als sie sich ungefähr inmitten des Wassers befanden, sprach das Kameel: »Freund Schakal, Du hast ja höchst liebenswürdig gegen mich gehandelt! Kaum hast Du Dich satt gefressen, so sticht Dich der Hafer, daß Du durch Dein lautes Geheul die ganze Dorfschaft zusammentrommelst und alle Bauern herbeikommen, um mich braun und blau zu prügeln, und mich, noch ehe ich ein paar Bissen gefressen hatte, aus dem Felde jagen. Warum, in aller Welt, hast Du solchen Lärm gemacht?«

»Das weiß ich nicht,« sagte der Schakal, »das ist nun einmal so meine Gewohnheit. Ich pflege immer nach Tisch ein wenig zu singen.«

Das Kameel watete weiter durch den Fluß. Erst ging ihm das Wasser bis an die Knie, dann darüber hin. Höher und[235] höher stieg es, bis das Thier schließlich schwimmen mußte. Da wandte sich das Kameel zum Schakal und sprach: »Ich kann es nicht mehr nachlassen, ich muß mich jetzt nothwendig herumwälzen.« »O, bitte, das thue nicht! warum willst Du das denn so gern?« fragte der Schakal. »Ich kann Dir keinen Grund dafür angeben«, erwiderte das Kameel, »das ist nun einmal so meine Gewohnheit. Nach dem Essen mag ich mich immer gern ein wenig hin und herwälzen.« Nach diesen Worten wälzte es sich im Wasser herum, und als es das that, fiel der Schakal herunter. Der Schakal ertrank; das Kameel aber erreichte ungefährdet das Ufer.


13. Wie Du mir, so ich Dir
Quelle:
Frere, M[ary]: Märchen aus der indischen Vergangenheit. Hinduistische Erzählungen aus dem Süden von Indien, Jena: Hermann Costenoble, 1874, S. 233-236.
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